Werdet und seid politische Menschen!

Als ich 2016 nach Deutschland gekommen bin, sind mir etliche Dinge aufgefallen die deutlich anders ablaufen als in der Schweiz (wo ich als Deutscher geboren und aufgewachsen war) und auch anders sind, als ich es erwartet hatte.

Allem voran die politische Bildung der Menschen und deren Auseinandersetzung mit der Politik. Während ich es gewohnt war, mich regelmäßig zu irgendeinem politischen Thema auf den Ebenen Gemeinde, Kanton und Bund zu besprechen, auszutauschen, Neues hinzuzulernen und in hitzigen Diskussionen eine eigene Meinung zu finden – um diese dann im Gespräch mit ganz anderen Personen nochmals zu hinterfragen, ist Politik in Deutschland irgendwie anderes.

Meine Wahrnehmung ist, dass in Deutschland Politik ganz gerne als inflationär auch in den Medien ausgesendete Empörungs- oder Huldigungs-Inhalte funktioniert, gerne auch in der eigenen Bubble zelebriert. All das garniert mit überaus gehässigen Positionen jenen gegenüber, die auch nur einen Millimeter von der eigenen, liebevoll gehegten Meinung abweichen. Gespräche über Politik und politische Themen in Deutschland sind entweder kurz, peinlich berührt und unverbindlich, oder arten in hart ideologisch und unversöhnlich unverhandelbare Glaubens- und Meinungsejakulationen aus.

Und viel zu oft höre ich die Antwort „Ich mache mir aus Politik nichts, ich verstehe es nicht und die da oben machen eh, was sie wollen.“ Das ist die Bankrotterklärung der Demokratie – und nur weil die Gefahr besteht, beim Baden etwas nass zu werden. Dann werden in den Medien dauerhaft Diagramme zu möglichen Wahlergebnissen geradezu so zelebriert, als ob damit die Unsicherheit des Wahlergebnisses kontrolliert und verwaltet werden könnte. Sehr sonderbar. Mittlerweile habe ich es mir angewöhnt, Schweizer Medien zu deutschen politischen Themen zu konsumieren – weil sachlicher, faktenorientierter und unaufgeregt.

Ich vermisse den erhellenden, ausschweifenden Diskurs mit Menschen unterschiedlicher Auffassungen und vor allem auch: das Zuhören ohne Vorverurteilung. Hier habe ich vor allem Schwarz/Weiß-Denken kennen gelernt, gerade so als ob es in der Politik keine Farben geben könne, außer beim Partei-Marketing.

Deutschland und Politik, das ist echt unentspannt. So wie Fähigkeiten, die vor langer Zeit einmal erlernt worden waren und jetzt nur ungern und unsicher angewendet werden, verkrampfen sich viele Menschen beim Thema Politik.

Ich kenne Jungforsche, welche allein in auf Twitter verbreitete Kurzgedanken das Seligmachende erkennen können. Dann gibt es die Schlauen mit genüsslich rezitierten Theorien, aber wenig eigenen Ideen oder echten Aktivitäten. Dann die vielen mimisensiblen Spartenfetischisten ohne den Ansatz auch nur marginal über den Tellerrand schauen zu wollen. Da gibt es die sachlich auftretenden, aber kommunikativ Ungelenken, welche meist überhört werden. Dann jene, die sich in das Thema hinein bewegen wollen und bei etwas Gegenwind unangenehm berührt wieder aufgeben. Und ja, bis zur großen, kaum greifbaren inhaltlich diffus mäandernden und wenig an der Politik partizipierenden unsicheren Mehrheit. All diese Charaktere gibt es natürlich auch in der Schweiz, aber es sind kleinere Gruppen in einer politisch sonst aktiven, vielfältigen Gesellschaft.

Wo finde ich in Deutschland jene Menschen, mit denen es sich vortrefflich austauschen und herzlich streiten lässt, um dann mit Erkenntniserweiterung freundschaftlich erste Pläne zu schmieden, wie die vielen Nichtwähler:innen im Herbst an die Wahlurnen bewegt werden können? Ich möchte Dich kennen lernen!

Werdet und seid authentische politische Menschen!