Wie das erste private Mobil-telefonienetz in Deutschland entstand

Erstmals enthüllt: Wie in Deutschland der Erwerb der Lizenz für das erste privatwirtschaftliche GSM-Mobiltelefonnetz tatsächlich zustande kam.

Bis 1990 hatte die Deutsche Bundespost das Monopol auf jegliche Telefondienstleistungen. Deren erstes (digitales) Mobiltelefonnetz wurde damals unter der Bezeichnung D1 angeboten. Die Entscheidung, einem privaten Anbieter eine konkurrierende Betriebslizenz zu geben wurde im Rahmen der generellen Politik zur Deregulierung noch in den 80er Jahren getroffen: Das D1 konkurrierende Netz sollte unter der Bezeichnung D2 von einem privaten Betreiber eingerichtet werden. Diese exklusive D2-Lizenz wurde dem Gewinner eines Wettbewerbs um dieses Privileg zuerkannt. Insgesamt zehn Firmen bzw. Firmenkonsortien bewarben sich um diese Lizenz, die schließlich am 7. Dezember 1989 an eine Firmengruppe unter Führung des Mannnesmann-Konzerns vergeben wurde. Mannesmann war bis dahin traditionell und primär im Stahlgeschäft und insbesondere im Bau von Stahlröhren tätig.

In Deutschland gehörte die in Villingen im Schwarzwald ansässige Firma Kienzle (neben Nixdorf und Triumph Adler) ab Ende der 1960er Jahre zu den ersten relevanten Anbietern von Computersystemen der sog. Mittleren Datentechnik. Der international entstehende wirtschaftliche Druck im Computergeschäft zwang die private Eigentümer- und Gründerfamilie Kienzle 1981/82 dazu, ihr Unternehmen an die Mannesmann AG zu verkaufen, womit es zur „Mannesmann Kienzle GmbH“ wurde. In den Jahren 1986 bis 1989 wurde Kienzle von meinem Berufskollegen, dem Informatik- und Betriebswirtchaftsprofessor Norbert Szypersky geleitet, der davor Vorsitzender der damals größten und bedeutendsten akademischen Informatikgesellschaft, der in Bonn ansässigen Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD, ab 2001 Teil der Fraunhofer-Gesellschaft) war, also genau in jener Phase, als die Ausschreibung zur D2-Lizenz stattfand. Kienzle besaß unter Szyperski die fachliche Qualifikation, sich an der D2-Ausschreibung beteiligen zu können.

Als in Freiburg i.Br. tätiger Softwareunternehmer und mit Prof. Szyperski gut bekannt besuchte ich ihn ca. 1988 an seinem Arbeitssitz im nahe gelegenen Villingen. Er berichtete mir in aller Ausführlichkeit, wie es zur Beteiligung am Wettbewerb um die D2-Lizenz kam: Um ein Budget für den aufwändigen Prozess zur Bewerbung freizubekommen, musste Szyperski vor einem fünfköpfigen Vorstandsgremium der Mannesmann AG – allesamt Stahlindustrielle – das Projekt erläutern. Damals wurde ein solcher Vortrag noch mit physischen Overhead-Slides bewältigt, im geschilderten Fall waren das ca. 70 - 80 Folien. Szyperski musste während seiner Präsentation wahrnehmen, dass die Vorstandsrunde seinem Vortrag absent bis bestenfalls gelangweilt folgte und in ihm das Gefühl entstand, dass er wohl mit leeren Händen nach Villingen zurückreisen würde. Als er in seinem Referat zum letzten Punkt zum Infrastrukturaufbau, konkret zu den Sende- und Empfangseinrichtungen kam und darlegte, wie man die Antennen auf hohen Gebäuden, Kirchtürmen und letztlich mittels exponierter Sendemasten einrichten werden muss, sei einer der schläfrigen Vorstandsmitglieder aufgewacht und habe die Frage gestellt, wie denn die Sendemasten realisiert würden. Szyperskis einfache Antwort war, dass man sich darunter aus Metall konstruierte Masten ähnlich wie Stromleitungsmasten vorstellen muss. Die nächste Frage des aufgewachten Vorstandes zielte darauf ab zu erfahren, wie viel Stahl denn dazu pro Mast benötigt wird. Ab diesem Punkt, so berichtete mir Szyperski, seien alle Vorstandsmitglieder schlagartig aufgewacht, hätten ihre Taschenrechner gezückt und überschlägig berechnet, wie viel Stahl man für die initiale Infrastruktur verbauen kann – und siehe da: das Ergebnis dieser Rechnung war, dass die Düsseldorfer „Stahlköpfe“ dem Projekt das Plazet gaben. Szyperski konstituierte daraufhin das Anbieterkonsortium und, dank seiner Kompetenz als sowohl Informatiker als auch Betriebswirt, entstand unter seiner Leitung das Angebot für das D2-Netz.

Mit etwa 200 Antennenstationen wurde die D2-Infrastruktur anfangs in wenigen bundesdeutschen Großstädten wie Hamburg, Bremen, Hannover, Frankfurt a.M. und Stuttgart eingerichtet. Ende 1992 erreichte das D2-Netz eine 80-prozentige Abdeckung Deutschlands. Der Treppenwitz der Geschichte des ersten deutschen Mobiltelefonieanbieters – heute ist das in der Rechtsnachfolge die Fa. Vodafone – ist, dass die Tonnagen an Stahl, die für die ersten Sende-/ Empfangsmasten benötigt wurden, den Ausschlag gaben, dass der erste private Betreiber eines GSM-Netzes in Deutschland in den Wettbewerb um die Lizenz überhaupt eingestiegen ist, deren wirtschaftliche Ausbeute sich daraufhin als Goldesel für die sich in der Folge wandelnde Firma Mannesmann erwies.


Autor: Günter Koch, Präsident der Humboldt Cosmos Multiversity, im März 2019, ca. 30 Jahre nach Einrichtung der digitalen Mobiltelefonie in Deutschland.

Norbert Szyperski, dem das eigentliche Verdienst um die Realisierung der D2-Mobiltelefonie zukommt, ist 2016 gestorben.

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen