Wie Deutschland auf die drohenden US-Zölle reagieren sollte

Wie Deutschland auf die drohenden US-Zölle reagieren sollte

“No Trade is Free”: Der Titel des im letzten Jahr erschienenen Buches von Robert Lighthizer lässt keine Fragen offen. Hier schreibt einer, der den Freihandel kritisch sieht und damit im Widerspruch zu den meisten Ökonomen steht. Lighthizer war in der ersten Amtszeit von Donald Trump Handelsbeauftragter der USA und ist der Vordenker seiner Zollpolitik.

Lighthizer war bereits unter Präsident Ronald Reagan von 1983 bis 1985 stellvertretender US-Handelsbeauftragter. Seine kritische Haltung zum Freihandel führt er auf Reagan zurück, den er wie folgt zitiert: “Freier Handel ist per Definition fairer Handel. Wenn die heimischen Märkte für die Ausfuhren anderer verschlossen werden, handelt es sich nicht mehr um freien Handel. Wenn Regierungen ihre Hersteller und Landwirte subventionieren, damit sie Waren zu Dumpingpreisen auf andere Märkte bringen können, ist das kein freier Handel mehr. Wenn Regierungen Fälschungen oder Nachahmungen amerikanischer Produkte zulassen, ist das kein freier Handel mehr.”

Für die USA waren diese Vorbehalte jedoch jahrzehntelang kein Argument gegen den Freihandel an sich, sondern der Grund, warum Handelsbeziehungen nur auf der Basis multilateraler Abkommen möglich sein sollten. In den USA war man lange Zeit der Ansicht, dass der Handel mit China für beide Seiten vorteilhaft ist, wenn er gemeinsamen Regeln folgt. Deshalb unterstützten die USA im Jahr 2000 die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation WTO. Aus Lighthizers Sicht war das ein katastrophaler Fehler. “Die optimistischen Versprechungen (...) haben sich nicht erfüllt. Jahre der Passivität und Untätigkeit amerikanischer Politiker haben dazu geführt, dass das amerikanisch-chinesische Handelsdefizit auf ein Niveau angestiegen ist, das weithin als große Bedrohung für unsere Wirtschaft angesehen wird”, resümierte er zehn Jahre später. (Link)

Das Zitat macht deutlich, dass Lighthizer weit über Reagan hinausgeht. Für Lighthizer ist ein Handelsdefizit der USA mit einem anderen Land ein Beweis dafür, dass dieses Land unfair handelt. Im Falle Chinas ist dieser Verdacht nicht ganz unbegründet. Die Missachtung geistigen Eigentums und die staatlichen Subventionen für chinesische Unternehmen können in der Tat als unfair bezeichnet werden. Das Ausmaß des US-Handelsdefizits mit China, das in der Spitze fast 420 Mrd. US-Dollar pro Jahr betrug, können solche Praktiken aber sicher nicht erklären.

Zu welch absurden Schlussfolgerungen Lighthizers Logik führt, wird am Beispiel Deutschlands deutlich. Da die USA auch gegenüber Deutschland ein Handelsdefizit aufweisen, das im vergangenen Jahr immerhin 83 Mrd. US-Dollar betrug, muss dies aus Lighthizers Sicht an unfairen deutschen Handelspraktiken liegen. Was er darunter versteht, erläuterte er kürzlich im Wall Street Journal. Vor allem die Einführung des Euro habe Deutschland einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschafft. Aber auch die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 waren aus Lighthizers Sicht unfair, weil sie die Löhne in Deutschland gedrückt hätten. Konsequent zu Ende gedacht hieße dies, dass jede erfolgreiche staatliche Reform zu einer unfairen Verzerrung des internationalen Handels führen würde.

An dieser Stelle lohnt es sich, die volkswirtschaftlichen Lehrbücher aus dem Regal zu holen und die Ursachen von Handelsdefiziten zu studieren. Der Output einer Volkswirtschaft kann konsumiert oder gespart werden. Aus der inländischen Ersparnis werden private Investitionen, das staatliche Haushaltsdefizit (Staatskonsum) und der Exportüberschuss (Auslandskonsum) finanziert:

Ersparnis = Investitionen + Budgetdefizit + Nettoexporte

Offensichtlich reichen die Ersparnisse in den USA nicht aus, um alle drei Positionen zu finanzieren. Die Summe aus Investitionen und Haushaltsdefizit ist so groß, dass die Nettoexporte negativ werden müssen. Wenn die privaten Investitionen nicht gekürzt werden sollen, gibt es nur zwei Möglichkeiten, das Handelsdefizit zu reduzieren: Entweder wird die inländische Ersparnis erhöht oder das Budgetdefizit des Staates reduziert.

Für Lighthizer gibt es jedoch noch einen anderen Weg: Zölle. Sie erhöhen die relativen Preise von Importgütern, wodurch die inländische Nachfrage nach ausländischen Gütern sinkt. Dadurch wird aber der US-Dollar aufgewertet. Gleichzeitig kann das Ausland Gegenmaßnahmen ergreifen und Steuern auf US-Exporte erheben. Beide Effekte schaden den US-Exporten und können dazu führen, dass sich das Handelsdefizit trotz Importbesteuerung nicht verringert. Es gibt jedoch einen Extremfall, in dem Lighthizers These zutrifft. Wenn die Zölle so hoch sind, dass sie prohibitiv wirken, bricht der Welthandel zusammen. Sowohl Handelsdefizite als auch Handelsüberschüsse verschwinden. Tatsächlich scheint Lighthizer Sympathien für diese Variante zu haben. Die Nebenwirkungen dieser Holzhammermethode wären enorm. Für die privaten Konsumenten kämen sehr hohe Zölle einer Steuererhöhung gleich, die nicht nur den Konsum reduziert, sondern auch stark regressiv wirkt.

Selbst in den Reihen der Republikaner sind Lighthizers Ideen umstritten. Insbesondere die inflationären Effekte von Zöllen dürften einige davon abhalten, die radikalsten Forderungen zu unterstützen. Für Donald Trump, der „Zoll“ für das schönste Wort im Wörterbuch hält, sind Zölle vor allem als Drohkulisse attraktiv. Deutschland sollte diese Drohung ernst nehmen und proaktiv einen Deal anbieten. Die USA verzichten auf höhere Zölle auf europäische Importe, die Europäer erhöhen als Gegenleistung ihre Verteidigungsausgaben deutlich und kaufen dafür US-amerikanische Rüstungstechnologie. Angesichts ganz anders gelagerter Interessen in Frankreich und einer handlungsunfähigen  Regierung in Deutschland wirken solche Überlegungen allerdings leider weltfremd.

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