Wie funktionierte Leben eigentlich ohne künstliche Intelligenz?
Aus Marketing-Sicht wird gerade alles irgendwie mit Algorithmus und künstlicher Intelligenz angepriesen, denn wer jetzt hipp sein will, hat irgendwas-mit-KI im Haus oder Unternehmen. Und manche vermuten anscheinend, dass die Gleichung auch andersrum funktioniert: Wenn schon die Blumen zum Valentinstag leider analog sind, dann sind sie eben mit KI aufgezogen und versendet worden.
Gerade in der deutschen Sprache leidet das Wortpaar künstlich und Intelligenz. Gerne wird bewusst übersehen, dass das Wort Intelligenz nicht nur abstrakt z.B. Wahrnehmungs-, Zuordnungs-, Erinnerungs-, und Lösungsvermögen meint und insoweit mit verschiedenen Test gemessen werden kann. Im Deutschen ist Intelligenz allgemein ausserdem mit Mysterien wie Allwissenheit, Weisheit, und, ja, auch noch Hierachie-Phantasien von besser, achtenswerter etc. konnotiert.
Daraus ergeben sich wenigsten zwei fatale Entwicklungen:
Die deutsche Intelligenz aka Intellektuelle weiss mehrheitlich, dass keine Technik je ihr Niveau erreichen wird - und beschäftigt sich daher leider nicht mit dem Thema.
Alle anderen geben sich auch keine Mühe Wissen, Mustererkennung, Zielerreichung, Datenbankabfragen, Mentalität und Emotionalität auseinanderzuhalten.
Einfache Frage: Warum taucht in nahezu jedem Beitrag zu künstlicher Intelligenz ein Bild von einem Roboter auf? Die solidesten künstlichen Intelligenzen die wir kennen sind körperlos bei Google, Microsoft, IBM, Amazon und Tesla: Nicht ein Roboter weit und breit.
Klar, wenn das Ziel einer künstlichen Intelligenz Rasenmähen sein soll, wäre es besser, es gäbe auch einen Rasenmäher. Allerdings auch hier: Es bleibt bei dem Rasenmäher, dem Werkzeug. Es wird nicht zusätzlich ein Roboter gebaut und angeboten, der den Rasenmäher schiebt.
Das mal vorweg. Viel lustiger ist doch, sich anzusehen, was derzeit geht - und wie die Qualität so ist. Das können alle:
- Wir können uns mit einer Navigation unserer Wahl durch die Gegend schicken lassen, wenn wir wollen im Wettkampf mit jemanden ohne Navigation oder verschiedenen Systemen.
- Wir können Streamingdienste trainieren uns Musik nach unserem Geschmack anzubieten.
- Wir können uns ansehen, was die grossen Plattformen auf denen wir uns verbreiten mit unseren Daten machen und uns an zielgenauer Werbung anbieten.
- Wir können Google bitten unsere Fotos zu sortieren.
Zu 1. ist wohl nichts mehr zu sagen.
Bei 2. habe ich Apple getestet. Mir gefällt einigermassen was Apple leistet: Ich bekomme keine Angebote mehr von Musik die ich nicht mag. Dafür ist der Bereich Neues sehr schmal - was nicht verwunderlich ist, da KI derzeit eben nichts mit Mentalität und Emotionen am Hut hat. Bis es einigermassen "rund" lief hat es mehrere Monate gedauert, allerdings höre ich auch nicht exzessiv.
Neue Musikideen schnappe ich weiterhin anderswo auf; die werden dann allerdings brav von Apple verdaut und in meine Playlisten eingebaut. Ich hab auch bisher nur wenige Künstler entdeckt, die nicht bei Apple vertreten sind.
Zu 3., den Plattformen
Nun bin ich plattformavers, so dass ich nur Amazon testen konnte; bei Twitter bin ich noch nicht lang genug.
Wie alle habe auch ich aushalten müssen, dass Amazon mir lange empfohlen hat das Produkt zu kaufen, das ich gerade gekauft habe (oder wenigstens eine andere Waschmaschine). Das ist - jedenfalls in meinem Account - vorbei.
Setting:
Ich kaufe seit ca. zehn Jahren nichts mehr über Amazon ausser Literatur. Also pflege ich eine Wunschliste mit Literatur und bin Audible-Kundin mit ebensolcher Wunschliste und Bücherei. Erstaunlich finde ich zunächst, das diese Listen nur schlecht miteinander verbunden sind, obwohl aus einem Unternehmen. Da ich seit Jahren fast nur höre (ich muss viel Auto- und Bahnfahren als Landei), ist die Audible-Liste viel aktueller und auf der Wunschliste bei Amazon „parke“ ich Bücher, die es noch nicht als Hörbücher gibt. Traurigerweise sind das leider oft deutsche Bücher. Daher musste ich mir aktuell das sehr empfehlenswerte Buch Der totale Rausch - Drogen im Dritten Reich von Norman Ohler auf englisch als Hörbuch anhören: Blitzed - Drugs in Nazi Germany.
Und das ist auch gleich die elegante Überleitung zu den letzten Hörbüchern, die ich gekauft habe (in dieser Reihenfolge):
- AI Super-Powers China, Silicon Valley, and the New World Order, Kai-Fu Lee
- Fascism: A Warning, Madeleine Albright;
- Brief Answers to the Big Questions, Stephen Hawkins;
- How Fascism Works: The Politics of Us and Them, Jason Stanley;
- Possible Minds: Twenty-Five Ways of Looking at AI, John Brockman (edt.);
- Blitzed: Drugs in Nazi Germany, Norman Ohler
Ja, ich habe mich lange verweigert mich überhaupt mit diesem Nazi-Elend auseinanderzusetzen und mir eingeredet ohne diesen Dreck leben zu können. Da habe ich mich leider getäuscht und neben einigen Mandant*innen mit atemberaubendem Weltbild gibt es sogar im Bekanntenkreis Stimmen, die mich irritieren. Also wollte ich wissen warum. Meine Mutter als Zeitzeugin kann inzwischen sehr reflektiert über diese Zeit sprechen und wir haben uns noch vor wenigen Wochen darüber lustig gemacht was für einen Unsinn ich in der Schule lernen musste. Sie fand das Buch von Madeleine Albright sehr gut und denkt, dass dies ein zeitgemässer Umgang mit dem Thema ist. … ich schweife ab …
Jedenfalls, nach dieser Litera-Tour kamen - wenig überraschend - nun folgende Vorschläge von Amazon für mich:
- DVD Die stille Revolution, Anselm (Pater) Grün;
- DVD Musterbrecher - Der Film, Dirk Osmetz;
- DVD The Italian Job - Charlie staubt Millionen ab, Sir Michael Caine;
- DVD Leni Riefenstahl Collection (4DVD): Victory of Faith von Leni Riefenstahl;
- Blue-ray Unsere Mütter, unsere Väter
Mustererkennung: Nazis, Faschos, früher-war-alles-besser und was in dem Umfeld sonst noch geht (-> Dieses „Kunden die … gekauft haben, haben auch … gekauft“). Natürlich fallen neuere Bücher oder nicht Top-Ten-Bücher in der Wertung zurück, da die noch nicht so dicke Layer aus Verkaufsdaten-Netzen haben.
Daran ist nichts erstaunlich, verwunderlich, mysteriös oder gar intelligent. Es ist eine statistische Auswertung von gigantischen Excel-Sheets. Mehr sagt Amazon selbst nicht. Was eben gerade nicht stattfindet: Zuordnung was meine Motivation war welches Buch zu hören, wie meine Einstellung, Emotionen und Kenntnisse zu den Themen sind. Deshalb ist es übrigens genauso unsinnig Nachts nicht mehr schlafen zu können vor lauter Angst, dass die unermüdlichen Algorithmen von Amazon dazu führen, dass gleich der Verfassungsschutz vor der Türe steht, weil ich mir eine Sturmmütze fürs Skifahren und eine neue Kette für die Kettensäge gekauft habe.
Wunderlich ist allerdings, dass mir lauter Silberlinge angeboten werden, obwohl ich noch nie einen gekauft habe - ich könnte die gar nicht abspielen …
Zum Schluss die Mustererkennung aus Bildern, also v.a. Fotos.
Irgendwann nach Erfindung der Smartphones begann die Welt eine Welt der Bildermassen zu werden - und darauf stürzen sich die künstlichen Intelligenzen der graphischen Mustererkenner. Bisher ist es überwiegend so, dass diese Systeme datenhungrig sind, das heisst eine unselige Relevanzzuordnung findet statt: oft = wichtig. Das bedeutet:
- Alles aus Zeiten vor fb und v.a. Instagram wird mit jedem neuen Katzen-, Essens-, Eifelturmfoto oder Selfie dort bedeutungsloser;
- Veröffentlichungen aus der Wissenschaft ziehen immer den Kürzeren, da sie nur in vergleichsweise minimaler Zahl wiedergekäut werden -> Wertung ergo: unwichtig;
- Kunst und Kultur reduziert sich auf ein marmeladiges Mainstream-Niveau von Frühstücksradiosendern oder aktuelle Filmproduktionen von Disney - gemacht von KI.
… und im weiteren Sinne ist es die triviale Antwort darauf, warum und wie fake-news funktionieren.
Natürlich gibt es auch beachtliche Vorteile, z.B. in der Medizin, da heutige Algorithmen weltweite Datenbanken in Sekunden nach entsprechenden Mustern durchsuchen. Das ist ein riesiger Vorteil gegenüber der Datenbank einer durchschnittliche Klinik. Kai-Fu Lee hat in seinem o.g. Buch übrigens sehr schön beschrieben, dass es trotzdem keine gute Idee ist, diese Ergebnisse nicht von Menschen, die sich mit dem Thema auskennen, ansehen zu lassen.
Ich habe mit Google Fotos gespielt und bekenne ein Fan von Googles Leistungen im Bereich KI zu sein. Die Ergebnisse machen wirklich Spass - und zeigen: Ganz alleine lassen sollte man Google nicht …
Google Fotos mach alles selbständig: Anlage von Ordnern und Verknüpfungen. D.h. wenn ich mit Standortfreigabe fotografiere finde ich das Foto in Ordnern zu Standort, Datum, Sujet und ggf. Personen. Alles was ich machen muss sind die Fotos.
Hier drei Beispiele:
Beim Anfertigen der verwendeten Fotos war das Tracking ausgeschalten: Zwei Waldbilder an der gleichen Stelle, ich habe mich nur um 180 Grad gedreht. Für das erste Foto (das mit der „Liane“) wurde der Ordner Dschungel angelegt:
für das zweite Foto der Ordner Wald:
Das dritte Foto wurde in den Ordner Landwirtschaft gelegt: Ich habe dieses und ähnliche Foto (Stadt-)Menschen gezeigt, die wussten nicht was abgebildet ist. Ein schönes Beispiel für Voreingenommenheit: Je weiter Menschen vom Thema weg sind, um so grösser die Fehleranfälligkeit: Menschen auf dem Land wissen, dass Landwirtschaft heute so aussieht; Menschen in der Stadt hängen noch einem Bild von vor ca. 100 Jahren an und denken bei dem Bild eher an Spurensicherung nach Terroranschlag ...
... ja und dann finde ich das hier im Ordner „Bier“:
Cheers!