Wie ich mich dagegen wehre, links zu werden – und dennoch schweren Herzens an der Allmacht des Marktes zweifle
Was für mich links ist, darüber habe ich mich an anderer Stelle ausführlich geäußert:
Du bist, wofür du kämpfst.
Dass ökologische Verantwortungsbewusstsein keine (allein) linke Sache ist, zeigte schon 1975 Herbert Gruhl (Ein Planet wird geplündert), der später die ödp gründete und unter dessen Vorsitz nicht nur zeitweilig die bekannteste noch lebende Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck sondern auch Deutschlands erster erfolgreicher Bio-Bauer, einstiges SS-Mitglied und Mitgründer der Grünen Baldur Springmann (gest. 2003) Mitglieder waren. Den Vorwurf der Rechtslastigkeit ist Gruhl bis zu seinem Tode 1993 nicht losgeworden. Heute gilt die Partei als von rechten Tendenzen befreit, spielt aber bis auf einige Gemeinderatsmitgliedschaften in bayrischen Kommunen kaum eine politische Rolle. Sie ist gleichwohl in ihren Forderungen deutlich radikaler als die Grünen. Für eine Kleinstpartei ist das allerdings auch nicht verwunderlich.
Nun zu einem anderen Kampf, zu dem ich den österreichischen Philosophieprofessor Robert Pfaller zitiere: „Warum kämpfen die Leute plötzlich nur noch um Anerkennung? Und nicht etwa um Gleichheit? (…) Könnte es nicht sein, dass diese Frage nur erfunden wurde, um abzulenken von der Frage nach dem Haben bzw. Nicht-Haben? (…) So gut wie alle neoliberalen Projekte sehen irgendwelche Rücksichten auf irgendwelche Empfindliche vor, weil gerade dies die Bereicherung und Privatisierung ermöglicht, indem es die Räume der Gleichheit zerstört. (…) Ein beträchtlicher Teil der neoliberalen Pseudopolitiken und der durch sie geschürten Empfindlichkeiten beruht auf der Aufmerksamkeit für die Fragen der (kulturellen, ethnischen, religiösen, sexuellen etc.) Identität. Wenn man Menschen keine Zukunftsperspektive mehr zu geben vermag, lenkt man ihren Blick eben ab auf ihre Vergangenheit, ihre Herkunft oder auf den Punkt, an dem sie stehen.“ Verständlich, dass Pfaller die vom Kampf um Gerechtigkeit ablenkende Identitätspolitik kritisiert, wie hierzulande es auch Sarah Wagenknecht tut. Wir leben nun einmal in einer von postmateriellen Werten durchdrungenen Gesellschaft und Menschen kämpfen für das, was ihnen wichtig ist. Was mir an diesen Zeilen jedoch die Haare zu Berge stehen lässt ist etwas anderes: Die Unterstellung, dahinter stünde ein Plan oder auch nur eine Absicht. Den Wertewandel von Sicherheit, Brot und Dach über’m Kopf hin zu immateriellen Bedürfnissen hat sicher kein globaler Konsumgüterkonzern erfunden, wenngleich sich die Marketingbotschaften rasch diesem Phänomen angenommen haben. Dass es parallel mit der Individualisierung durch das neoliberale Transzendenzversprechen in Ablösung eines „Der Staat sorgt für deinen Wohlstand und deine Lebensperspektive“ einhergeht, hat ebenfalls mit der Verlagerung kultureller Memes und kaum mit Absichten oder Plänen zu tun.
Verwirrung um die Freiheit
Mit dem Schlagwort Neoliberal gehe ich mittlerweile sparsam um, vermeide es zusehen, denn es wird kaum noch neutral verwendet, sondern vor allem als ideologisiertes Negativ-Etikett von linker Hand aufgeklebt, während Rechte, auch weil sie sich nicht dem Verdacht ausgesetzt sehen wollen, illiberal zu sein, ganz marxistisch gleich vom Kapitalismus sprechen. Ich hingegen möchte mich ganz ausdrücklich für den Liberalismus aussprechen – einem zeitgemäßen: Ich nenne ihn systemisch-integralen Liberalismus. Denn Liberalismus, auch Neoliberalismus, war schon immer mehr als das zurecht als einseitig kritisierte „Bahn frei für Märkte! Alles andere stört und kostet nur (Geld und Freiheit – möchte man unweigerlich hinzufügen).“
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Der Kolumnist Maxim Biller fasste sein ambivalentes Verhältnis zu seinen deutschen Mitbürgern einmal so zusammen: „Die meisten Deutschen tun links und fühlen rechts. Ja, sie sind durch ihre ganze traurige Untertanen-Geschichte dazu verdammt, linksrechts zu sein, das heisst: unterdrückt, aber nicht wirklich frei zu sein und darum die Freiheit anderer zu verachten.“ Auch hier erhebe ich Einspruch: Dahinter steckt nach meinen Erfahrungen, Beobachtungen und Gesprächen gar keine Verachtung von Freiheit. Viel öfter ist es ein Entsetzen über ein verantwortungsloses Verhalten derer, die tun was sie tun, einfach weil sie es können – was einige (zumeist ältere) Zeitgenossen undifferenzierterweise mit Freiheit gleichsetzen. Ich plädiere für ein Schließen der Lücke zwischen Verantwortungs- und Wirkungskreis.
Die heilige Kuh schlachten
Als Unternehmer und (ehemaliger) Unternehmercoach geht es in meiner beruflichen Praxis im Wesentlichen um eine Frage: Worauf liegt der Fokus? Mein mentaler Fokus bestimmt die Entscheidung, ob ich mich als Opfer oder Täter sehe. Unternehmer sind Täter, keine Opfer. Wer Verbote sieht, macht sich zum Opfer. Wer zu hohe Steuern sieht, macht sich zum Opfer. Wer Probleme mit der öffentlichen Verwaltung sieht, macht sich zum Opfer. Ich habe absolut nichts gegen Public Affairs, wirtschaftsbezogene Lobbyarbeit. Aber sie ist im Wesen nicht unternehmerisch. Sie bezieht sich nicht auf Möglichkeiten und Chancen auf Kundenmärkten.
Was im blinden Fleck von Hayek, Mises & Co. lag, das hat Wolfgang Mewes gesehen: den Unterschied zwischen brennendstem Kundenproblem und deren konstantem Grundbedürfnis. Auf Märkten wird ausschließlich ersteres adressiert, auch wenn vom zweiten gesprochen wird. Märkte entstehen nur dort, wo etwas dringend ist. Wer die Eisenhower-Matrix aus dem Zeitmanagement kennt, wer sich mit Marketing beschäftigt, wer Kahnemann (Schnelles Denken, langsames Denken) gelesen hat, weiß: Das Dringende ist (fast) nie zugleich das Wichtige und vice versa. Ergo: Globale Herausforderungen (Deutschlands bekanntester Unternehmercoach Stefan Merath würde sagen „Welt-Probleme“) lassen sich nicht allein von der unsichtbaren Hand des Marktes bewältigen, so sehr und liebend gern ich mehr als zwanzig Jahre daran geglaubt hatte. Nicht von ungefähr sammeln sich auf dem World Economic Forum nicht nur Wirtschaftsführer, sondern auch Regierungschefs und Vertreter von NGOs. Die SDGs der Vereinten Nationen verweisen mitnichten auf eine globale Planwirtschaft. Gruselig sind vielmehr die Verschwörungsmythen, die über Klaus Schwab verbreitet werden, aber dazu habe ich mich an anderer Stelle ausführlicher geäußert.
Quellen:
Robert Pfaller, Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur, 2017
Maxim Biller, Maxim Biller wird 60: Die Deutschen tun links und fühlen rechts, NZZ 25.08.2020