Wie kommen wir aus dem Kreislauf des ständigen Vor-sich-herschiebens von Entscheidungen und Aufgaben heraus?
Prokrastination ist der wissenschaftliche Name für das Verhalten eines Menschen, der eigentlich wichtige Entscheidungen und Tätigkeiten nicht zeitnah erledigt, sondern auf die Zukunft verschiebt. Landläufig sagt man in diesen Fällen: „Ich kann meinen inneren Schweinehund nicht überwinden.“ Das tun wir alle ganz gerne mal – ein Klassiker ist die eigene Steuererklärung. Problematisch wird es im Berufsleben nur, wenn dadurch wichtige Prozesse nachhaltig beeinträchtigt werden.
Die psychischen Ursachen für dieses Verhalten sind vielfältig: Meist geht es dabei um Ängste, unrealistische Einschätzungen und Ansprüche, geringe Frustrationstoleranz und Probleme mit der Selbstdisziplin. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach dem Stellenwert, den Konsequenzen, der Verantwortung und der Bedeutung einer Entscheidung. Die Sorge eine falsche Entscheidung zu treffen, zu versagen, Ablehnung oder Kritik zu erfahren, etwas anzufangen, dessen Ausmaß und Bedeutung man nicht einschätzen kann oder im Erfolgsfall noch mehr Arbeit leisten zu müssen. Aber auch negative Gefühle, wie Fremdbestimmung, Sinnlosigkeit der Aufgabe, Widerwillen oder Lust- und Antriebslosigkeit spielen hierbei eine wichtige Rolle.
Nicht unterschätzt werden darf in diesem Zusammenhang die Bedeutung des eigenen Wertesystems, von Glaubenssätzen und die Selbstwahrnehmung. Wer zum Beispiel zu Perfektionismus neigt, schraubt seine Erwartungen an sich und an das Ergebnis extrem hoch. Damit steigt aber auch die Angst zu versagen. Wer eine eher pessimistische Lebenseinstellung hat, wird eher bereit sein zu glauben, dass ein Projekt schiefgehen wird und sich die schlimmsten Konsequenzen ausmalen. Wer ein geringes Selbstwertgefühl hat wird dazu neigen, an sein eigenes Scheitern zu glauben.
Doch dagegen kann jeder etwas tun:
1. Verschaffe dir Informationen, damit du Chancen und Risiken einer Entscheidung eines Projektes realistischer einschätzen kannst. Meist stellt sich dann heraus, dass die Aufgabe durchaus lösbar ist und nicht gleich das ganze Leben auf dem Spiel steht, dass ein Scheitern keine Katastrophe wäre und das Leben danach immer noch weitergehen würde.
2. Suche dir Hilfe, wenn du bei bestimmten Aufgaben/Entscheidungen nicht allein weiterkommst. Du musst nicht alles allein schaffen.
3. Konzentriere dich auf die Frage, was du gewinnst, wenn du die unliebsame Aufgabe erledig hast. Welche guten Gefühle und positiven Reaktionen und Auswirkungen damit verbunden sind. Stell dir vor, wie viel besser es dir gehen wird.
4. Mach dir klar, welche Nachteile das Aufschieben für dich mit sich bringt oder nach sich zieht. Denke an die täglichen Belastungen durch negative Gefühle, Druck und schlechtes Gewissen. Du kannst dich davon befreien, indem du die Aufgabe erledigst.
5. Wenn dir eine Aufgabe zu groß und übersichtlich erscheint, unterteile sie in sinnvoll machbare kleine Schritte.
6. Belohne dich ordentlich, wenn du etwas in Angriff genommen hast, dass dir unangenehm oder zuwider war. Verschaffe dir so einen zeitnahen Lustgewinn, der dir hilft, deine Unlust zu überwinden.
7. Verändere deine Einstellung. Prüfe deine zentralen Glaubenssätze und Wertvorstellungen. Mache dir die Aufgabe zueigen. Sage dir: „Ich will … oder „Ich entscheide mich für …“ statt „Ich muss …“ Damit senkst du deine inneren Widerstände, die aufflammen, wenn du dich fremdbestimmt oder gezwungen fühlst.
8. Denk immer daran: Es gibt keine absolut richtigen Entscheidungen. Du kannst immer nur nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Wir leben in einer sich stetig sprunghaft verändernden Welt, deren Zukunft weder vorhersagbar noch planbar ist. Außerdem steht dir niemals alles vorhandene Wissen zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung. Vieles muss du daher einfach ausprobieren. Es gibt keine absolute Sicherheit.
9. Auch das Aufschieben einer Entscheidung ist eine Art von Entscheidung. Nämlich nichts zu verändern und alles beim Alten zu belassen.
10. Hast du eine Entscheidung getroffen, stelle sie nicht ständig wieder in Frage. Die Entscheidung war zu dem Zeitpunkt, an dem du sie getroffen hast, richtig, wenn du dich vorher umfassend informiert und alle Argumente durchdacht hast. Handle danach und gräme dich nicht, wenn sie sich später als Fehlentscheidung herausstellen sollte. Nutze die Energie lieber, um daraus zu lernen.
Du hast Zweifel, dass diese Tipps funktionieren? Dann probiere es aus! Eine Untersuchung des amerikanischen Psychologen Hal Hershfield (u.a.) an der UCLA Anderson School of Management von 2011 liefert uns eine Begründung, warum es funktioniert. Hershfield und seine Kollegen wollten eigentlich wissen, warum Menschen nicht für den Ruhestand sparen, obwohl sie wissen, dass wir immer länger leben und somit mehr Geld für den Ruhestand brauchen.
Gehirnscans zeigten, dass das Gehirn der Menschen am aktivsten ist, wenn sie an ihr heutiges, aktuelles Selbst denken, und am wenigsten aktiv, wenn sie an eine heutige andere Person denken. Dachten die Versuchspersonen aber über sich selbst in der Zukunft nach, waren die Gehirnaktivitäten fast genauso gering, als wenn sie über eine aktuelle andere Person nachdachten. Wir haben also ein sehr distanziertes Verhältnis zu uns als Person in der Zukunft. Das erklärt auch, warum wir gerne Dinge unreflektiert aufschieben oder vernachlässigen, wenn wir darin heute nur Nachteile (z.B. Verzicht) erkennen und die Vorteile nur unserem fernen zukünftigen Selbst zugutekommen.
Prokrastination ist somit eher ein neuronales Phänomen, weil unser Gehirn immer darauf ausgerichtet, unser gegenwärtiges Selbst an die erste Stelle zu setzen. Wenn wir uns aber mit den oben angeführten Tipps dem Problem nähern, holen wir das zukünftige in das hier und jetzt. Wir visualisieren die negativen Konsequenzen des Nichthandelns und die positiven Folgen des Handelns und die attraktive Belohnung, die wir uns ausgedacht haben. Wir rationalisieren die Entscheidung, holen uns Infos und Hilfe und entwerfen ein machbar erscheinendes kleinschnittiges Handlungskonzept. Dadurch wird schon beinahe automatisch aus dem „müssen“ ein „wollen“. Wir haben uns die Aufgabe, das Problem, die Entscheidung zu eigen gemacht und alle Gründe eliminiert oder zumindest reduziert, die uns bisher gehindert haben. Das motiviert und bildet die Basis für eine produktive Arbeit.
Das beste aber ist, was du als Einzelperson schaffst, gelingt auch im Team – und zwar spielerisch leicht. Jedenfalls mit den richtigen Mitteln. Doch dazu mehr morgen, in unserem letzten Beitrag.
Also bis morgen: Stay tuned!
[Autoren: Markus Morawe und Johannes Schreiner]