Wie Sie Stärken im Team garantiert sichtbar machen
Was passiert, wenn zwei anders ticken?
Hatten Sie schon mal einen Kollegen, von dem Sie ganz still und heimlich für sich gedacht haben: „Tickt der noch ganz richtig?“ Mir ging es im Laufe meines Berufslebens manchmal so. Ich hatte Mühe, das Verhalten des Anderen zu verstehen, war irritiert, manchmal auch verärgert. So zum Beispiel, als eine Kollegin, die inzwischen Geschäftsführerin in einem anderen Unternehmensbereich geworden war, mich in einer Projekt-Besprechung siezte, obwohl wir vorher jahrelang beim Du gewesen waren. Das fand ich sehr befremdlich und hätte mir dazu wenigstens ein paar persönliche Worte gewünscht. Aber die Kollegin tickte eben anders als ich. Sie wollte in ihrer Rolle als Geschäftsführerin neue Grenzen setzen. Von da an war unser Verhältnis eher distanziert, so wie sie es vielleicht auch gewollt hatte.
Ich habe im Lauf der Jahre gelernt: Für gelingende Beziehungen ist Raum zum Verstehen und Kennenlernen des anderen Menschen notwendig. Sonst glaubt man oft nur zu wissen, wie der andere tickt. Man hat ein Bild von ihm, in dem noch viele Aspekte fehlen. Und kann ihn so nie in seiner ganzen Farbigkeit und Vielfalt sehen.
Wie heißt es so schön: Man verbringt mehr Zeit mit seinen Kollegen, als mit dem Partner. Und genau wie in einer Partnerschaft braucht es in einem Team Raum für Begegnung. Menschen wünschen sich vor allen Dingen Anerkennung und Bindung. Das hat inzwischen die Neurobiologie ganz klar bewiesen. Fühlt man sich in seinem Team nicht mit den anderen verbunden, leidet auf Dauer die Qualität der Arbeit, es kann so weit gehen, dass man eben nur noch Dienst nach Vorschrift macht, vielleicht sogar innerlich kündigt. Und das trägt natürlich nicht zum Erfolg und Wachstum eines Unternehmens bei.
Verborgene Talente entdecken und entwickeln
Ich war achtzehn Jahre in der Redaktion für Kinderspiele beim Ravensburger Spieleverlag und durfte gemeinsam mit wunderbaren Kollegen Produkte für Kinder machen. Ich war dort Mitglied eines Teams, das sich gegenseitig unterstützt und inspiriert. Und das dabei wirklich gute Spiele mit Herzblut entwickelt hat. Natürlich gab es dabei auch Höhen und Tiefen – wie in jeder anderen Beziehung auch. Aber in manchen Krisen, die ich im Verlag durchlaufen habe, waren es vor allen Dingen die Kollegen, die mich dort gehalten und mir auf der Beziehungsebene Stabilität und Wertschätzung gegeben haben. Die Wertschätzung, die es von Seiten der Führungsebene nur selten gab, wurde unter uns gelebt. Das weiß ich noch heute sehr zu schätzen.
Als vor einigen Jahren ein neuer Chef unser Team übernahm, war es ihm wichtig, regelmäßig ein Team-Event durchzuführen. Ihm war wohl bewusst, welches Potential in unserem Team vorhanden ist – und welche Talente noch in uns schlummern.
Er sorgte durch Impulse von guten Referenten für Fortschritt in unseren Beziehungen. Anhand von Modellen, wie zum Beispiel dem inneren Team, konnten wir eigene Reaktionen besser verstehen und regulieren. Und Konflikte mit Kollegen auf einer anderen Ebene ansprechen.
Gemeinsamkeiten verbinden
Besonders eindrücklich war für mich ein Team-Event in einem alten Schloss im Allgäu: Ein sonniger Seminartag, alle laufen durch den Raum, reden miteinander, es wird gelacht, nachgedacht und immer wieder gibt es laute Ausrufe wie: „Echt, das hätte ich ja nie gedacht! Du auch?“. Die Luft knistert förmlich vor Lebendigkeit, Neugier und Interesse. Für mich war es ein Tag, an dem mir bewusst wurde, wie viel Bewegung in Teams auf der Beziehungsebene ständig vorhanden ist. Was Menschen in einem Team alles verbindet – und gar nicht bewusst wahrgenommen wird. Und wie viel sich entwickelt, wenn man sich die Zeit nimmt, Gemeinsamkeiten zu entdecken und Unterschiede als Bereicherung zu sehen.
Der Trainer hatte uns die Aufgabe gegeben, mit jedem Kollegen eine Gemeinsamkeit zu entdecken, etwas, was wir bis dahin noch nicht voneinander gewusst hatten. Diese Gemeinsamkeiten wurden dann mit Verbindungslinien auf ein großes Flipchart geschrieben. Es entstand ein großes Beziehungsnetz mit vielen großen und kleinen Verbindungen. Selbst mit Kollegen, die ich schon jahrelang kannte, gab es Überraschungen. Wir sprachen über Filme und Bücher, die man gleich gerne mochte, über ungewöhnliche Orte, an denen beide schon waren. Nach dieser Übung fühlten wir uns viel intensiver miteinander verbunden, waren äußerlich und innerlich viele Schritte aufeinander zugegangen.
Warum Unterschiede ein Team stark machen
Für dieses Seminar hatte außerdem jeder von uns ein Persönlichkeitsprofil gemacht. Uns war allen ein wenig mulmig. Jeder hatte ein bisschen Sorge, was der Chef und die Kollegen jetzt wohl über einen erfahren würden, welche Schwächen sichtbar werden könnten, die man lieber für sich behält. Aber schon im Vorfeld waren wir aber alle positiv überrascht, wie gut und individuell das Profil jeden von uns abbildete. Auch die größten Zweifler mussten zugeben, dass sie viel Neues über sich erfahren hatten, das ihnen half, sich selbst besser zu verstehen.
Im Seminar entdeckten wir, wo wir gleich ticken und lernten unsere Verschiedenheit in einigen Punkten besser zu verstehen. In unseren Beziehungen zeigten sich ganz neue Ebenen und Anknüpfungspunkte. Wie eine Landkarte, auf der viele Wege zum Ziel sichtbar wurden. Wir konnten die Unterschiedlichkeit wertschätzen, sogar das Potential erkennen, das wir dadurch hatten. Es war ein großer Fortschritt spürbar, eine Entwicklung, die jeden einzelnen für sich ein Stück wachsen ließ – und durch gegenseitiges Verständnis und Respekt auch die Energie und Kraft des Teams. Am Schluss waren wir alle der Meinung: Das war eines der besten Seminare, das wir bis jetzt gemacht hatten.
Den Blick auf die Stärken richten
Es gab es viele Aha-Erlebnisse. Eine Kollegin stellte fest, dass sie eine große Stärke im kreativen Denken und im Entwickeln von Visionen hatte. Eine andere erkannte, dass sie Menschen motivieren und für gute Zusammenhalt sorgen konnte. Diese beiden sahen aber durch das Profil auch, dass Arbeit, bei denen man sich mit Details und Strukturen beschäftigen muss, nicht zu ihren Stärken gehört. Deshalb war für sie das Korrekturlesen von Anleitungen und Texten sehr mühsam. Durch das Profil richteten sie ihren Blick mehr auf das, was sie gut konnten. Und lernten vor allen Dingen Kollegen zu schätzen, die andere Stärken hatten – wie eben das Korrekturlesen oder das Erstellen von Excel Dateien. Sie sahen, dass jeder mit seinen individuellen Stärken zum Erfolgs des Teams beitragen kann.
Wir nutzen das Wissen aus diesen Profil zukünftig auch, um mit Kollegen aus anderen Abteilungen konstruktiver zu arbeiten. Und dachten immer seltener, dass der Andere nicht so ganz richtig tickt. Weil wir einen neuen Blick und mehr Wertschätzung für die Stärken der Kollegen bekommen hatten.
Durch diese positive Erfahrung habe ich in Seminaren und Coachings angefangen, mit Persönlichkeitsprofilen zu arbeiten. Und erlebe durchweg, wie positiv überrascht die Menschen sind, ihre Stärken und Entwicklungsmöglichkeiten so klar auf den Punkt lesen zu können. Und welche Entwicklungen in Teams bewirkt werden, wenn das Verständnis und die Wertschätzung für Unterschiede wachsen. Weil nur mit vielen unterschiedlichen Stärken und Talenten Fortschritt möglich ist.
Perspektivwechsel ermöglicht Wachstum
Und ich wünsche vielen Teams, dass sie Raum für den Fortschritt und die Entwicklung ihrer Beziehungen bekommen. Die Möglichkeit, die Kollegen immer wieder aus einer anderen Perspektive zu sehen und miteinander in einem lebendigen Wachstumsprozess zu bleiben.
Auch heute freue ich mich immer noch, wenn ich meine ehemaligen Kollegen treffe, vielleicht sogar mal wieder eine Runde mit ihnen spielen kann. Und wir feststellen, wie schön es ist, dass wir an manchen Punkten ganz ähnlich und an anderen sehr unterschiedlich ticken. Und gerade aus dieser Unterschiedlichkeit etwas Besonderes entstehen kann.