Wie „systemirrelevante Markenführung“ langfristig gelingen kann
Artikel zu dem Thema Markenführung in Zeiten von Corona sind in den vergangenen Wochen in den einschlägigen Fachmedien bereits einige erschienen. Was mir beim Lesen all dieser jedoch gefehlt hat ist die langfristige Perspektive und die Frage, wie es gelingt auch nach Corona mit der vielseitig nun propagierten „ethischen Markenführung“ weiter zu machen. Deshalb habe ich kurzerhand meinen ersten eigenen LinkedIn-Artikel dazu zu verfasst.
Corona hat vielen von uns schmerzlich gezeigt, dass das was wir tun, womit wir schon jahrelang unsere Brötchen verdienen und über das wir uns vielleicht sogar ein stückweit definieren, weil wir unseren Job gerne machen, nicht systemrelevant ist. Dass wir mit unserer Arbeitskraft nur sehr wenig zum „Gemeinwohl“ beigetragen haben und dass das Leben auch ohne das was wir oder das Unternehmen in dem wir arbeiten, anbietet weiterlaufen kann. Auf einmal werden Güter und Dienstleistungen, die vor der Krise gerne gekauft und in Anspruch genommen wurden, die boomten und die zum täglichen Leben dazugehörten, zu Luxusprodukten – sei es Kunst und Kultur, Tourismus, Gastronomie, Freizeit aber auch non food (Einzel)handel etc…
Unternehmen dieser "nicht-systemrelevanten" Bereiche mussten schließen, Lieferketten brachen ein, Absatzmärkte fielen weg und damit die geplanten Umsätze. Die natürlichste Reaktion: Kosten sparen, um Liquiditätsengpässe zu bedienen und „den Laden irgendwie am Laufen halten“. Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt oder gekündigt, Recruiting-Prozesse gestoppt, Marketingausgaben gekürzt oder ganz auf null gesetzt. Fast niemand in meinem Umfeld ist von Corona beruflich nicht betroffen, mich eingeschlossen.
Betriebswirtschaftlich gesehen sind all diese Maßnahmen das sinnvollste was getan werden konnte. Doch was ist eigentlich mit der Marke?
Es wird eine Zeit nach Corona geben. Vielleicht ist die Welt dann nicht mehr so, wie wir sie kennen, ganz sicher sogar, aber dennoch, es wird irgendwie weitergehen und jeder von uns möchte Teil davon sein und bleiben. So, wie wir durch die Krise gegangen sind wird auch bestimmen, wie gestärkt oder geschwächt wir aus dieser hervorgehen. Das gilt aber nicht nur für jeden Einzelnen von uns, sondern auch und vor allem für Unternehmen und Marken.
Marken haben von jeher immanent, das drückt schon ihre Wortherkunft aus, eine Identifikations- und Differenzierungsfunktion wahrzunehmen. Gerade in Krisenzeiten brauchen wir Ankerpunkte, an denen wir uns festhalten können – Marken können dies, eine gute Markenführung vorausgesetzt, auch und gerade jetzt leisten. Dabei gilt es noch mehr denn je Haltung zu zeigen. Ein Einfaches „weiter so“ hätte nicht funktioniert. Bereits vor Corona wurde in verschiedenen Studien (bspw. Deloitte 2019) immer deutlicher, dass gerade junge Zielgruppen erwarten, dass der Hauptzweck eines Unternehmens nicht Profitmaximierung sein sollte, sondern „die Gesellschaft zu verbessern“. Und so wurden gesellschaftlich normierte Schlagworte auch in Markenidentitäten aufgenommen (Stichwort Nachhaltigkeit). Eine verantwortungsvolle Markenführung sollte jedoch solch ein Versprechen nicht allein zum Zweck der Verkaufsförderung in den Vordergrund stellen, sondern auch sozialen Sinn stiften. Solche Marken bieten sinnvolle Lösungen für Probleme, mit denen Menschen sich konfrontiert sehen. Dadurch werden Marken für die Kunden relevant und erzeugen Präferenzen und dementsprechend Zahlungsbereitschaft. Sinn stiften kann aber nur, wer für etwas steht und dies erlebbar macht.
Doch das gilt nicht nur nach außen, zu den Kunden hin gerichtet im Sinne des Markenimages – auch wenn customer centricity natürlich weiterhin gelebt werden sollte. Eine identitätsbasierte Markenführung über alle Stakeholder-Gruppen hinweg wird hierbei so wichtig wie noch nie. Denn auch und vor allem Mitarbeiter möchten nicht nur dafür arbeiten den Profit des Unternehmens zu steigern, sondern suchen vermehrt nach dem Sinn in dem, was sie tun und würden lieber den Menschen bei Problemlösungen helfen oder dabei ihnen das Leben zu verschönern. Dies wird durch die Erfahrungen mit der Krise weiter in den Vordergrund rücken, denn wenn schon nicht „systemrelevant“, dann doch zumindest mit Sinn.
Sofort wird deutlich, was es dafür braucht: Eine Rückbesinnung auf das „why“, auf den Purpose, also auf die idealistische Motivation, warum es die Marke (und das Unternehmen) überhaupt gibt.
Es braucht erst diese beispiellose Krise, dass viele Marken merken, auf was es ankommt. Gesundheit, Sicherheit, Nachhaltigkeit, sozialer Zusammenhalt sind die Werte, die jedem von uns vermutlich schon immer wichtig waren, die aber gerade jetzt an Bedeutung nicht zu übertreffen sind. Genau diese werden derzeit von vielen großen Marken aufgegriffen, kommuniziert, aber vor allem danach gehandelt und damit gezeigt, dass die Marke diese Werte wirklich lebt. Trigema hat die Produktion auf Alltags-Masken umgestellt, Jameson Whisky produziert Desinfektionsmittel und Netflix bietet Services kostenlos an. Diese großen Marken haben schnell verstanden, wie sie den Menschen mit ihren Angeboten helfen können, trotz dessen sie qua Definition nicht „systemrelevant“ sind und ernten dafür viel Applaus – berechtigt, meiner Meinung nach.
Denn es wird deutlich, dass die Marke es wirklich ernst meint und nicht die Krise vorschiebt oder auf den Zug der „ethischen Kommunikation“ einfach aufspringt, um schnellen wirtschaftlichen Erfolg zu generieren. Der emotionale Need der Menschen muss angesprochen werden, für den das Angebot relevant sein kann. Dabei gilt heute stärker als nie zuvor, dass nur, wenn die Konsumenten verstehen, dass das Handeln der Marke an allen Touchpoints stimmig ist, sie das Vertrauen in die Marke behalten und durch einen echten Mehrwert in den Köpfen auch nach der Krise hinaus verankert bleiben wird. Die jetzt verbreiteten Botschaften dürfen also auch in den kommenden Jahren nicht an Bedeutung verlieren, sonst wird die Markenbindung schneller wieder bröckeln, als sie aufgebaut werden konnte und wie schon auf der ersten Seite eines jeden Marketing-Buches steht: Es ist schwieriger und teurer einen neuen Kunden zu gewinnen – und einen alten zurückzugewinnen – als einen Bestandskunden zu halten.
Das Ziel muss es also sein, die Markenführung effizienter zu gestalten. Die Marken und Marketingeffizienz ist auf den Prüfstand zu stellen und kritisch zu hinterfragen, um Optimierungspotentiale identifizieren und nutzen zu können. Denn wie schon vorher etliche andere Krisen gezeigt haben, gehen solche Unternehmen gestärkt aus Krisen heraus, die antizyklisch handeln und in der Krise investieren. Sei es dabei „nur“ in den Markenaufbau bzw. die Rückbesinnung auf den Purpose. Dafür braucht es (vorerst) nicht viele finanzielle Mittel, sondern vor allem den Wille im Unternehmen, die Marke als Flaggschiff zu sehen, dass das Unternehmen auch durch stürmische Zeiten manövrieren kann. Das gilt sowohl für große und starke Marken als noch viel mehr für schwache Marken, die mit ihren Budgets sich noch viel stärker auf ihre Identität zurückbesinnen und Kosten mit gesetzten Zielen und Blick auf die Marke hinterfragen sollten. Statt einfach alle Investitionen zu streichen, sollten Budgets in Maßnahmen fließen, die eine Relevanz der Marke nach der Krise sicherstellen.
Denn klar ist: Marken, die in der Krise gezeigt haben, dass sie durch Solidarität und Empathie wichtig für die Konsumenten sind, werden es leichter haben als andere, über Produkt und Service hinaus wichtig im Leben der Konsumenten zu werden und zu bleiben. Dabei ist der Strahleffekt nach innen zu den Mitarbeitern und allen anderen Anspruchsgruppen nicht zu unterschätzen. So bleibt zu hoffen, dass diese Krise uns nicht nur gesellschaftlich aufzeigt, welche Werte wirklich wichtig sind, sondern dass sich auch das Marketing und im speziellen das Brand Management in den kommenden Jahren auf das zurückbesinnt, was starke Marken schon lange verstanden haben – Marken sind der Leuchtturm eines jeden Unternehmens, in die es zu jeder Zeit zu investieren gilt!
Für Fragen und Diskussionen stehe ich jederzeit sehr gerne zu Verfügung. Ich freue mich auf einen regen Austausch!
Manager HR Marketing & Employer Branding bei DHL Hub Leipzig GmbH
4 JahreLieber Herr Schiller, vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar! Ich bin da ganz bei Ihnen, dass vielen (großen) Marken der Sinn abhanden gekommen ist, so wie Sie es treffend formulieren. Meiner Erfahrung nach ist Performance wichtiger in den meisten Unternehmen als ein langfristiger und sinnvoller Markenaufbau. Geld wird vor allem für Maßnahmen in die Hand genommen, die auch Umsatz zur Folge haben. Dass eine Marke das quasi ganz von selbst leisten könnte, wird dabei verkannt, da nur kurzfristig gedachte Erfolge wichtig sind (auch und vor allem für die Reportings), aber langfristige Maßnahmen, die heute zwar Geld kosten, übermorgen aber Erfolg bringen, nicht oder in zu kleinen Mengen stattfinden und damit nicht nachhaltig sind. Eine Problematik daran ist natürlich auch, dass branding Maßnahmen immer noch nicht adäquat zu monitoren sind. Bleibt zu hoffen, dass wir jetzt merken, dass es auch anders geht und kurzfristige Erfolge nicht das wichtigste sind. Beste Grüße!