Wir diskriminieren noch, und Sie? Psychische und physische Auswirkungen von Diskriminierung
Solmas warst du schon einmal diskriminierend unterwegs?
Ja, sicherlich! Und das ganz unbewusst. Ich habe immer gedacht ich bin frei davon selbst zu diskriminieren, dennoch habe ich, auch wenn ich selbst diskriminiert wurde, diskriminiert.
Ich habe selbst so viel erlebt aufgrund meiner Haarfarbe, meiner Herkunft- und dennoch habe ich in einem Gespräch leider wahrnehmen müssen, das auch ich davon nicht befreit bin.
Das ist mal reflektiert würde ich sagen! Denn ich eine denke eine Quintessenz des Artikels ist es bereits jetzt, dass sich keiner zu 100% davon freisprechen kann, mal diskriminiert zu haben – und genau das ist der Schlüssel, um Diskriminierung zu minimieren.
Woran genau hast du denn im Gespräch bemerkt, dass du gerade diskriminierst?
Es war ein Gespräch zwischen einer Landsfrau und mir. Sie kam aus einer Ecke im Iran, von der die meisten Iraner selbst sagen „Da würden wir nie hinziehen wollen, die sind alle seltsam dort“ ähnlich wie hier zu Lande der Bayer und der Schwabe.
Ich habe dann für mich gemerkt, irgendwie hast du dieselbe Haltung. Sie wollte mit mir arbeiten und ich habe das direkt verneint. Sie fragte dann warum ich nicht wollen würde. Und ich sagte zu ihr „Ich habe gehört ihr seid alle geizig“.
Sie war völlig geschockt und sagte mir, das ist nicht in Ordnung, dass du das so sagst. Es war nur eine Hypothese, ein Klischee, heute weiß ich das in der Situation habe ich einfach das übernommen, was ich so häufig um mich herum gehört habe.
Wir haben dann lange darüber gesprochen, heute ist sie übrigens eine sehr gute Freundin von mir.
Ich war sehr jung und ich habe schon dort begriffen, so darf ich das nicht machen. Als sie weinte, weil ich sie so sehr mit meiner Aussage verletzt habe. Anhand von hören sagen dürfen wir Menschen nicht einfach so in Schubladen stecken. Das ist Diskriminierung.
Was noch ist eigentlich eine Diskriminierung?
Ausgrenzungen in jeder Form und jeglicher Hinsicht. Das fängt schon in der Kindheit und in den Schulklassen an. „Du bist anders“ und dann gehörst du eben nicht dazu. Die Sprachbarriere, die falschen Klamotten, eine andere Mentalität oder auch eine Behinderung sind alles Gründe, weshalb es oft zu Diskriminierungen kommt. Tagtäglich.
Migranten, Menschen die eine Behinderung haben und auch Kinder und Jugendliche. Das fängt schon bei den Blicken an.
Diskriminierung kann auf individueller, institutioneller, diskursiver und struktureller Ebene stattfinden. Infos hierzu finden Sie unter Bestimmung des Phänomens und in der Matrix (rassistische) Diskriminierung.
Dimensionen der Diskriminierung | DEN MENSCHEN IM BLICK (den-menschen-im-blick.de)
Wer wird gerade aktuell diskriminiert, hier eine Liste von „Den Menschen im Blick“. Wir laden Sie ein sich gerne mal die Frage stellen, wann Sie selbst ggf. mal eine oder mehrere dieser Gruppen diskriminiert haben. Ganz ohne Vorwurf, sondern zur Selbstreflektion.
Ableismus Diskriminierung gegen Menschen mit Behinderung oder denen eine solche zugeschrieben wird.
Ageismus Diskriminierung im Zusammenhang mit dem zugeschriebenen Lebensalter (Altersdiskriminierung).
Antimuslimischer Rassismus Diskriminierung gegen Muslime*a oder Menschen, die als Muslime*a gelesen werden.
Antisemitismus Diskriminierung gegen Juden*innen oder Menschen, die als Juden*innen gelesen werden.
Antiziganismus Diskriminierung gegen Rom*nja und Sinti*ze oder Menschen, die als Rom*nja oder Sinti*ze gelesen werden.
Homofeindlichkeit Diskriminierung gegen Schwule und Lesben bzw. Menschen, die nicht heterosexuell sind oder entsprechend gelesen werden.
Klassismus Diskriminierung wegen des tatsächlichen oder zugeschriebenen ökonomischen, sozialen oder Bildungs-Status.
Looksimus Diskriminierung wegen des körperlichen Aussehens, der äußerlichen Erscheinung oder des Kleidungsstils.
Rassismus
Sexismus Diskriminierung wegen des (meist weiblichen) Geschlechts oder der Zuschreibung zu diesem.
Trans*feindlichkeit Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität eines Menschen, der sich selbst als Trans*Person bzw. trans* wahrnimmt bzw. so wahrgenommen wird.
Bei mir selbst sind es mindestens 2 bei denen ich zumindest gedanklich diskriminiert habe.
„Der alte weise Mann“, der will mir wieder was erzählen oder aber der junge Typ, der seinen Kommunionsanzug trägt und als Lebensberater auftritt …
Auch wenn ich nicht unbedingt tief in meiner weiblichen Energie stecke, denke ich manchmal „Ach Frau, muss das denn jetzt sein“ – ich spreche es nicht laut aus, aber ich denke es!
Ich in der Regel denke ich, macht doch alle, was ihr wollt, wenn ihr glücklich dabei seid und wenn ihr die Grenzen anderer dadurch nicht beeinträchtigt … und dennoch gibt es die Gedanken.
Solmas, möchtest du teilen, wann und wo du die Grenzen der Diskriminierung selbst übertreten hast?
Rassismus, die Freundin die ich schon anfangs erwähnte, wurde in Gesprächen damals von mir Unterbrochen, da ich damals das Gefühl hatte, sie wüsste nicht genug, was eine unbewusste Haltung meinerseits war, hatte es gleichzeitig eine Diskriminierenden Samen, dass vor vielen Jahren gesetzt wurde, durchhören sagen und noch nicht einmal eigene Erfahrungen.
Dieses Verhalten meinerseits in hatte zu folge, einen ganz großartigen Menschen verletzt zu haben, und gleichzeitig bin ich Dankbar für meine Erkenntnisse.
Was löst das in uns aus, wenn wir diskriminieren? Ich meine damit erst einmal auf der unbewussten Ebene, oftmals bemerken wir es erst im Nachhinein, wie in deinem Beispiel.
Wenn wir auf der unbewussten Ebene diskriminieren, haben wir es einfach noch nicht präsent und wir argumentieren dann mit „Ach du bist empfindlich“ oder aber „Ich habe das echt nicht so gemeint“ und damit unterdrücken wir das. Wir diskriminieren dennoch und das tut uns nicht gut. Denn wenn wir es nicht wahrnehmen, dann können wir unser Verhalten auch nicht zu einem besseren verändern.
Und wenn wir nichts verändern, dann werden die Menschen um uns herum, es als „normal“ erleben und ggf. ähnlich reagieren.
Besonders schön finde ich den Satz „Ich bin nicht homophob, ich habe einen schwulen Freund!“ Oder auch „Ich bin nicht rassistisch ich habe einen schwarzen Freund in meinem Freundeskreis!“
Was löst es in uns aus, wenn wir es bewusst wahrnehmen, dass wir diskriminieren? Ich denke das es schon ziemlich schambehaftet ist, wenn wir es wirklich merken, oder was meinst du?
Absolut, es ist schambehaftet und es kann mit einer Traurigkeit behaftet sein über die eigene Handlung, die man bewusst lieber nicht gemacht hätte.
Bei manchen ist es auch die Wut, die hochkommt.
Und ich denke gleichzeitig, dass wir diesem Schamgefühl Raum geben sollten, denn diese Gefühle verhelfen uns, Sensibilität zu entwickeln und unser zukünftiges Handeln zu hinterfragen. Ebenfalls verhilft es uns, die Struktur, in der wir aufgewachsen sind, zu hinterfragen.
Wir profitieren auch von den „negativen“ Emotionen. Sie sind ein Teil von uns und sie wollen uns etwas aufzeigen. „Hinfühlen“ ist also auch hier wieder ein hilfreicher Weg.
Ja, denn einige nehmen selbst gar nicht wahr, dass sie diskriminiert werden. Oder aber sie verdrängen es einfach aus individuellen Gründen. Es wird negiert, weil die Konsequenzen, die darauf resultieren würden, vermeintlich zu groß sind.
Was löst es in uns aus, wenn wir diskriminiert werden?
Wir reagieren auf den unterschiedlichen Ebenen, emotional und auch körperlich.
Körperliche Symptome könnten unter anderem sein, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Ohren sausen bis hin zu Tinnitus sein. Der Körper schreit sofort nach „Ich fühle mich hier nicht wohl“.
Emotionale Symptome könnten unter anderem sein, Wut, Angst und auch Traurigkeit, vermehrtes weinen, was dann in psychosomatische Krankheiten führen kann.
Natürlich reagiert jeder Mensch anders, wir sind unterschiedlich resilient, wir haben unterschiedliche Vorerfahrungen und manche können die Angriffe von außen anders verarbeiten.
Laut COPILOT können Menschen dadurch Suchterkrankungen entwickeln, Adipositas, starke Entzündungen im Körper (Klar Stress löst Entzündungen aus, denn das Immunsystem wird heruntergefahren). Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen…
Zusätzlich sollten wir erwähnen, dass Menschen Orte meiden, an denen Sie ggf. wieder diskriminiert werden könnten, dadurch entstehen auch soziale Phobien, Panikstörungen oder auch andere psychische Auffälligkeiten wie Depressionen.
Menschen die Diskriminieren schieben oftmals die Verantwortung dafür an die Opfer. Es findet eine Täter-Opfer Umkehr statt. Was sagst du dazu?
Absolut, die Schuld wird den Betroffenen zugeschoben. Sätze wie „Du hast das falsch verstanden“ oder auch „Du bist ja auch selbst schuld, weil (…), dadurch berauben wir uns einem konstruktiven Dialog.
Welche Hilfe kann man Menschen, die diskriminiert werden, anbieten?
Chancengleichheit fördern, ist das Erste, was mir einfällt. Das fängt im Kleinen an, in den eigenen Beziehungen, bis hin zu Systemen, wie der Schule und der Arbeit.
Kleines Beispiel: Kinder, die eine LRS haben, denen sollte die Schule den Rahmen bieten, mit ihrer Einschränkung ebenfalls eine gute Leistung zu erbringen. Also angepasste Aufgaben, mehr Zeit, Hilfe beim Verstehen der Aufgaben.
Den selbstkritischen Umgang einführen, sich selbst mal zu fragen, wie würde es mir gehen und dann auch die betroffene Person ansprechen und direkt fragen „Wie siehst du das? Kann ich was für dich tun?“
Sich für andere Menschen einsetzen, ihnen Hoffnung geben, sie an Beratungsstellen verweisen oder gar begleiten. Es gibt Vereine, die helfen.
Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz
Fachstelle Diskriminierung und Rassismus Schweiz
Beratungsstelle für Diskriminierung St.gallen
Man darf nicht einfach wegschauen, wenn es eine klare Diskriminierung gibt. Hier sollten wir direkt eingegriffen und/oder es auch zur Anzeige bringen.
Hier als Ergänzung, bringen Sie sich selbst nie in Gefahr. Wenn Sie Diskriminierung erleben, suchen Sie sich Helfer aus dem Umfeld und sprechen Sie die von Diskriminierung betroffene Person an, nicht den Täter.
Wie kann ich mich selbst reflektieren, ob ich nun diskriminiere oder nicht? Ich denke die Frage ist schon ein guter erster Schritt, oder?
In dem man seine eigene Wahrnehmung immer wieder schult. Achtsamkeit in das eigene Leben zu implementieren ist wichtig. Wenn wir achtsam sind, merken wir schneller „hier stimmt etwas nicht“ und zur Not können wir dann direkt nachfragen „Ich sehe dir an, hier stimmt etwas nicht, habe ich dich verletzt?“
Kommunikation ist eines der wichtigsten Tools, die wir haben, die eine Brücke bauen kann.
Mir vorher Gedanken zu machen, was möchte ich sagen, was möchte ich nicht sagen. Was soll ankommen und könnte das, was ich sage meine Gegenüber verletzen?
Was wir meinen ist oft nicht das, was ankommt…
Solmas, warum haben wir dieses Thema gerade eigentlich aufgegriffen? Weshalb hast du das als dein Herzensthema ausgesucht?
Ich bin selbst immer wieder in Situationen, in denen ich selbst diskriminiert werde. Die letzten Jahre noch einmal intensiver als zuvor, ganz speziell aufgrund meiner Herkunft. Ich komme aus dem Iran und die Medien verbreiten viele Unwahrheiten. Ich für mich habe in Erfahrung gebracht diese Dinge nicht (nur) anzuprangern, sondern dass es hilft diese zu benennen und dann weiterzugehen und das Beste aus der Situation zu machen.
Ein Teil zum erfüllten Leben ist, das man sich selbst und seinen Körper kennt, dann kann man ganz gut über Diskriminierungen stehen. Das macht sie nicht weniger verletzend, aber aushaltbarer. Ich möchte meine Erfahrung an Menschen, die ähnlichen Situationen erlebt haben oder immer noch erleben weitergeben.
Ich möchte das die Welt ein bisschen weniger diskriminierend ist, wenn ich sie verlasse, als sie war, als ich geboren wurde.
Und ich möchte diesen Artikel mit einem Zitat beenden, zunächst dachte ich „Das ist so klischeehaft“ und doch habe ich mich dafür entschieden, denn Malcolm X hat es damit auf den Punkt getroffen:
“Ich bin gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung, jede Form von Diskriminierung. Ich glaube an die Menschen, und dass alle menschlichen Wesen als solche respektiert werden sollten, ungeachtet ihrer Hautfarbe.“
Gelassen durch den (Familien-)Alltag | neue Gedanken und Lösungen für deine Familiensituation | Impulsgeberin für berufstätige Mütter
4 MonateAls Kinder haben wir "wer hat Angst vorm schwarzen Mann" gespielt. Ein scheinbar harmloses Kinderspiel mit Langzeitfolgen. Denn noch heute beäuge ich farbige Menschen erstmal vorsichtig. Ich glaube, dass vieles mir Ängsten vor dem Unbekannten zu tun hat, wenn wir unterbewusst diskriminieren. Bin gespannt auf eure Diskussion liebe Melissa Veronika Lobert .