Wir sollten mehr Paris, Kopenhagen, London oder Singapur wagen !
Fotos: Michael Nagy, Beat Baschung, Getty Images; Illustration: Patrick Zeh / Wirtschaftswoche

Wir sollten mehr Paris, Kopenhagen, London oder Singapur wagen !

Von Katrin Habenschaden und Andreas Herrmann


Deutsche Verkehrspolitik wirkt leider oft, als sei sie in Adenauers Zeiten stecken geblieben:

keine Experimente, bitte! Aber das ließe sich ändern. Gerade in den Städten. Und das Gute ist: Wir brauchen uns in vielen Metropolen der Welt nur abschauen, wie es besser läuft, rollt und fährt.

  

Wer erleben will, wie unsere Mobilität der Zukunft aussehen kann, sollte sich auf den Weg nach Kopenhagen machen. In der dänischen Hauptstadt kann jeder selbst erkunden, wie viel Platz dem Fahrrad dort eingeräumt wird. Die Busse sind eng getaktet, und durch die Verlagerung des Personenverkehrs aufs Rad und den öffentlichen Nahverkehr ist übrigens auch ausreichend Platz für die verbleibenden Autos. Auch City-Maut-Systeme, ob in London oder Singapur, sind für uns in Deutschland interessant.

 

Für das Gelingen der Mobilitätswende sind Städte von entscheidender Bedeutung. Aufgrund der Ballung verschiedener Verkehrsträger können dort die Vorteile eines multimodalen Verkehrsnetzes mit maximaler Flexibilität und direkten Effekten für die Lebensqualität am ehesten umgesetzt werden. Und wie die Beispiele zeigen: Allein in Europa gibt es für die Umsetzung dieser Zielsetzung eine ganze Reihe prägnanter Vorbilder.

 

Auch in Paris kann man lernen, wie die 15-Minuten-Stadt funktioniert – alle relevanten Läden und Dienstleister sollen künftig fußläufig erreichbar sein. Und in Barcelona werden „Superblocks“ etabliert, um autofreie Zonen zu schaffen und Nachbarschaften, die diesen Namen auch verdienen. Die Ideen, wie wir den Verkehr klimaneutral, sicher und bequem gestalten können, sind also längst da. Auch in Deutschland zeigen uns innovative Start-ups und wissenschaftliche Institute neue technische Möglichkeiten für die Maßnahmen auf, die wir umsetzen sollten. Trotzdem hinkt der Verkehrssektor wie kaum ein anderer seinen Klimaschutzzielen hinterher.

 

Aber warum wird die Mobilitätswende bei uns in Deutschland weiterhin eher ausgebremst? Es lohnt sich, die Gründe dafür genauer zu betrachten. Denn nur so können wir effektive Wege finden, um dauerhaft schneller voranzukommen.

 

Beispiel München: Die bayrische Metropole hat sich vorgenommen, bis 2035 klimaneutral zu sein, gleichzeitig gilt sie als Stauhauptstadt Deutschlands. Dementsprechend intensiv ist die Arbeit an der Umsetzung einer Mobilitätswende. Die beiden größten Hürden sind dabei Geld und Gesetzgebung. München ist zwar wohlhabend. Und für die kommenden Jahre sind allein durch die Stadt Investitionen im Milliardenbereich vorgesehen, unter anderem für mehrere neue Tram- und U-Bahn-Linien, die in Planung und im Bau sind. Weitere Ausgaben kommen hinzu – zum Beispiel für neue Rad- oder Fußwege, Sharing-Angebote oder Taktverbesserungen beim Nahverkehr.

 

Tatsache ist dennoch, dass sich mit den kommunal verfügbaren Etats in Deutschland keine Verkehrswende schaffen lässt. Die Gelder, die der Bund allen deutschen Kommunen zu diesem Zweck zur Verfügung stellt – über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz sind das aktuell eine Milliarde Euro pro Jahr –, könnte München problemlos alleine brauchen. Bund und Land investieren durchaus zusätzlich in eine zweite S-Bahn-Stammstrecke in München. Aber das Projekt ist geprägt von einer jahrzehntelangen Verzögerung und Kostenexplosionen auf aktuell mindestens 7,2 Milliarden Euro – Geld, das an anderer Stelle schmerzhaft beim Ausbau fehlt.

 

Die Verkehrswende wäre trotzdem absolut finanzierbar – zum Beispiel über den Abbau steuerlicher Fehlanreize, etwa das Dienstwagenprivileg. Das Umweltbundesamt geht von einer jährlichen Subventionierung von mindestens 3,1 Milliarden Euro für Dienstwagen aus, bei den fossilen Subventionen ganz allgemein reden wir in Deutschland von 65 Milliarden pro Jahr.

 

Wir könnten daher schon mit punktuellen Änderungen ausreichend Geld für die Förderung einer Infrastruktur organisieren, von der alle Menschen profitieren. Als Nebeneffekt würde zugleich auch die Zahl der Pkws deutlich reduziert, denn jedes dritte Auto auf unseren Straßen ist ein steuerlich geförderter Dienstwagen. Die Verkehrswende könnte durch die Abschaffung solcher Fehlanreize also gleich doppelt beschleunigt werden.

 

Wir können nicht, wie wir wollen

 

Die zweite Hürde ist die Gesetzgebung. Den Kommunen fehlt zur Umsetzung der Verkehrswende vor Ort der nötige Handlungsspielraum. Hamburg und Berlin können sich als Stadtstaaten zumindest die Landesgesetze selbst schreiben. In München können wir aufgrund der Bayerischen Zuständigkeitsverordnung nicht einmal die Höhe unserer Parkgebühren vor Ort frei festlegen – sie sind etwa beim Anwohnerparken auf 30 Euro pro Jahr gedeckelt.

 

Das wird dem Wert des knappen öffentlichen Raums in einer Stadt wie München nicht gerecht. Die Stadt wird so zu einem riesigen Parkplatz, auf dem die meisten Autos 23 Stunden am Tag einfach nur stehen. Solange es bequem und billig bleibt, ein privates Auto zu besitzen (auch wenn es im Alltag kaum gebraucht wird), fehlt der zugeparkte öffentliche Raum für Bäume, Radwege oder als Platz zum Leben und Spielen.

 

Bund und Land schränken die Städte in Deutschland durch die Gesetzgebung noch in vielen weiteren Punkten ein. So dürfen wir nicht flächendeckend Tempo 30 einführen – nicht einmal als Modellversuch und natürlich mit Ausnahmen für große Verkehrsachsen. Und nicht nur in München wollen sich Städte- und Verkehrsplaner anhand konkreter Erfahrungen Gedanken machen, inwieweit uns eine sozial gut ausgestaltete Citymaut weiterbringen könnte. Aber auch für sie gibt es in Deutschland keinen gesetzlichen Rahmen.

 

Die Stadt München würde außerdem ihre Taxiflotte gerne schnell elektrifizieren und fördert den Umstieg mit städtischen Geldern. Nach wie vor dürfen wir aber E-Taxis nicht bevorzugen, wenn es an die Vergabe der Konzessionen geht. In anderen Bundesländern – siehe Hamburg – ist das möglich.

 

In freilich sehr beschränktem Maß können Städte trotzdem neue Wege gehen. Pop-up-Fahrradstreifen oder temporär für den Autoverkehr gesperrte Sommerstraßen sind ein guter Weg, um die Verkehrswende konkret erlebbar zu machen. Natürlich führt auch dies zu Bedenken und emotionalen Debatten. Mal geht es um entfallene Parkplätze oder Fahrspuren,

mal um lärmende Kinder, die sich neue Freiräume erobern.

 

Dass es gleichzeitig Bürgerinitiativen für und gegen die Umgestaltung einzelner Straßen gibt, kann man nicht nur in München erleben. Deswegen ist eine gute, frühzeitige Bürgerbeteiligung wichtig. Aber: An dem Experiment, eine andere Aufteilung von Verkehrsflächen erlebbar zu machen und zu erproben, führt kein Weg vorbei.

 

Umparken im Kopf

 

Fast überall in Deutschland gilt, dass ein Umdenken in der Verwaltung erforderlich ist. Dort sitzen weiterhin Planerinnen und Planer, die zum Teil über Jahrzehnte darauf geschult waren, die Stadt „autogerecht“ zu gestalten. Die ungemindert starren Klauseln der Straßenverkehrsordnung sind ein großes Hindernis auf dem Weg zum Umdenken.

 

Natürlich erfordert ein solcher Change-Prozess gute Strukturen und viel Fingerspitzengefühl. Ein erster Schritt für Städte kann dabei die Gründung eines Mobilitätsreferats sein, das klare Ziele für die Mobilitätsstrategie der jeweiligen Stadt erarbeiten und diese innerhalb der Stadtverwaltung und gegenüber den Bürgern kommunizieren kann.

 

Ein weiterer Erfolgsbaustein sind Kooperationen, die sich in vielen Städten regelrecht aufdrängen: Die Grenzen zwischen der Stadt und den Nachbarlandkreisen sind oft nur bei den formalen Zuständigkeiten spürbar. Es gibt vor Ort oft mehrere Hochschulen und Unternehmen, die mit dem Mobilitätsthema befasst sind.

 

Wir müssen mit viel mehr Nachdruck daran arbeiten, diese Potenziale durch Bereitschaft zu Experimenten und Pragmatismus zu heben. Sich einzuigeln ist keine Zukunftsstrategie – zumal nicht für ein Land wie Deutschland, dessen internationaler Ruf und Relevanz als Wirtschaftsstandort gerade auch auf der Annahme der Existenz einer hochgradig integrierten Infrastruktur beruht.

 

Dabei ist die Einsicht nützlich, dass die Menschen in der Stadt mit einer gelungenen Mobilitätswende den unmittel - baren Effekt auf ihre Lebensqualität spüren. Dass wir innerhalb Europas Städte haben, die dabei Vorreiter sind und uns den Weg zur Umsetzung aufzeigen, sollte uns Mut geben. Und im Weltmaßstab gilt, dass es oftmals die Städte sind, in denen sich der Wandel am schnellsten vollzieht. 


Katrin Habenschaden ist Zweite Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München. Andreas Herrmann ist Direktor des Instituts für Mobilität an der Universität St. Gallen.

Der Text erschien erstmals in der Wirtschaftswoche vom 28. Juli 2023.

Gerd Thomas

Vorsitzender FC Internationale Berlin Vorstandsmitglied Netzwerk Südkreuz „Alles, was ich im Leben über Moral oder Verpflichtungen des Menschen gelernt habe, verdanke ich dem Fußball.“ (Albert Camus)

1 Jahr

In Berlin wagen wir gerade mehr Autofahren. Trotzdem viel Spaß in unserer Stadt. Es ist hier aber nicht alles schlecht. Im Gegenteil. Wir haben bspw. eine intakte Zivilgesellschaft.

Berthold K.

Team-Coach und Management Trainer

1 Jahr

Habe das jetzt (noch) nicht alles gelesen. Ich dafür, das Radeln so attraktiv zu gestalten, dass die Autofahrer von selber "umsatteln" wollen. Weil sie dann schneller ans Ziel kommen. Oder mindestens genauso schnell wie mit dem Auto. Mir geistert seit langem ein Radl-Highway über dem Mittleren Ring durch den Kopf. Oben fahren die Radler, unten stehen die Autos im Stau. Wie wäre das? Da wird den PKWs kein Platz weg genommen... Andere Ideen?

Johannes Diebig

Chief Revenue Officer (CRO) at TRADEBYTE

1 Jahr

Ja, ja und nochmals ja! Ich erlebe das gerade hautnah im beschaulichen München-Harlaching, wo eine völlig unnötig große, vierspurige Strasse zurückgebaut und mit zwei Fahrradstreifen versehen werden soll. Und zwar, weil tausende Münchner exakt das im sog. Radentscheid gefordert haben. Klingt nach einem No-Brainer? Ist aber nicht, zumindest nicht für einige von der CSU, die das offenbar nicht akzeptieren können. Und so hängen in eben jener St-Magnus-Strasse gerade Plakate die fordern es alles beim Alten zu belassen. Nur: Diese Menschen verkennen dabei nur vollkommen die Stimmung hier im Viertel. Sie verkennen auch, dass die Mehrheit der Menschen einfach eine andere Meinung hat als sie selbst, aber sie weihern sich das zu akzeptieren. Es gibt hier im Viertel keinen einzigen Anwohner, dem diese Strasse in ihrem jetzigen, vierspurigen Zustand nicht ein Dorn im Auge ist. Kein Kind, dessen Stadtteil durch Radwege statt mehrspuriger Strassen nicht lebenswerter und sicherer würde. Ich frage mich: Wie kommt man gegen diese Betonköpfe an, die schlicht und ergreifend gar nichts verändern wollen? Die in der Minderheit sind - aber sich der Mehrheit nicht beugen wollen? Die Mehrzahl der Deutschen hält die Mobilitätswwnde für wichtig.

Fabio Di Meglio

Sustainability Consultant - Financial Services

1 Jahr

Alleine der bürokratische Aufwand, für einen 10 jährigen Schüler im Münchner Westen ein kostengünstiges ÖPNV-Ticket zu erhalten, lässt mich daran zweifeln, dass die Verkehrswende auch hier schnell gelingen wird!

Frank Elsner

Geschäftsführer bei Frank Elsner Kommunikation für Unternehmen GmbH

1 Jahr

Typisch grüne Doppelmoral: Frau Habenschaden fährt mit ihrem Dienstwagen vom Vorort Aubing bequem ins Rathaus, wettert aber gegen das Dienstwagenprivileg und das Auto an sich, malträtiert zusammen mit ihren kommunalen Mitstreitern die Bürger in den Innenstadtquartieren durch willkürliche Pop-up-Radwege, Parkplatzstreichungen und ein chaotisches Baustellenmanagement. Und in der ziemlich schmutzigen U-Bahn klappern Züge, die eigentlich ins Museum gehören. Aber man kann ja mal eben eine Verkehrswende ausrufen...

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