Wirkung, Hebel und warum Management beides braucht
Neulich beim Reifenwechseln. Der Winter war in diesem Jahr ja noch lange präsent, auch wenn man das bei den aktuellen Temperaturen kaum glauben mag. Also stand der traditionell selbst durchgeführte Wechsel von Winter- auf Sommerreifen auch erst vor gut einem Monat auf meinem Plan. Ein Wechsel, der sich wieder einmal als leichter gedacht als gemacht herausstellte. Grund dafür waren die, wie schon öfter, festsitzenden Radschrauben, die sich mit dem üblichen Werkzeug - einem Radkreuz - partout nicht lösen lassen wollten. Ohne eine Verlängerung, ohne einen Hebel war da nichts zu machen.
"δος μοι που στω και κινω την γην" (Dos moi pou sto kai kino taen gaen) Sinngemäß: "Gib mir einen festen Punkt, wo ich sicher stehen kann, [einen Hebel, der lang genug ist,] und ich bewege die Erde mit einer Hand." Archimedes (285 - 212 v. Chr.)
Veränderung tut (nicht) Not
Im Kontext meiner Arbeit habe ich immer wieder damit zu tun, zu (er-)klären, welche Hebel "Management" in der Hand hat, um die Unternehmenswelt zu bewegen. Wobei dabei auch hin und wieder die Frage gestellt wird, warum "Management" überhaupt etwas verändern sollte. Solange das Kerngeschäft ausreichend gut läuft und die Belastung für alle ohne hin schon groß ist, bleibt eine tiefgreifende Veränderung wenig attraktiv.
Kleines Detail - große Folgen
In den letzten 10 Jahren hat sich in vielen Unternehmen ein kleines Detail verändert. Viele haben sich aus den unterschiedlichsten Gründen und Anlässen geöffnet und sind in der Folge heute deutlich aktiver und flexibler in ihrem Markt unterwegs. In der Softwareentwicklung ist in diesem Zeitraum aus dem "agilen Manifest" eine Vielzahl von Konzepten entstanden, die sich als "agile Entwicklungsmethoden" verstehen. Mit dieser Entwicklung hat sich oft unbewusst ein fundamentaler Wandel vollzogen. Waren Organisations-, Management- und Karrieremodelle bis vor dato im wesentlichen auf steuerungsfokussierten Konzepten wie Bürokratie und der Meritokratie (d.h. In kurzen Worten der Wertschätzung von Leistung und Wissen) aufgebaut, so wurden diese schleichend von einem Konzept unterwandert, dass Agilität, Flexibilität und damit das kurzfristige eingehen auf Kundenerwartungen in den Mittelpunkt rückte. Statt der Kontrolle und Steuerung der Aktivitäten finden sich immer mehr Organisationen heute in Strukturen wieder, die auf reaktive Wirkung ausgerichtet sind, um damit möglichst erfolgreich auf die dynamischen, komplexen Erwartungen und Anforderungen ihrer Stakeholder einzugehen. Ergebnis: Grundlegende Logiken im Management wurden von der Wirklichkeit rechts überholt.
Wege zu bewusster Wirkung
Die Entwicklung wird fraglos von vielen Führungskräften wahrgenommen, die Hintergründe und Ursachen entziehen sich aufgrund des offenkundigen und allgegenwärtigen Mangels an Zeit und Interesse jedoch oft der Reflexion. Dabei ist dieses Verständnis essenziell, um mit dem Wandel damit umgehen zu können. Es ist absolut notwendig, um neben der strategischen Ausrichtung des Geschäfts auch eine zielgerichtete Weiterentwicklung der Managementstrukturen und des -verständnisses zu starten. Eine Weiterentwicklung, die im Idealfall weg führt von der kontinuierlichen Überlastung zu einer wieder mehr proaktiv vorausschauenden und dennoch zugleich extrem wirkungsvollen Zusammenarbeit im Unternehmen. Die Anstrengungen rund um Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle laufen sonst schnell ins Leere.
Der Hebel den Management in der Hand hält, um wirkungsvoller in Richtung der Stakeholder zu agieren besitzt zwei markante Griffflächen. Die eine ist das Bewusstsein, dass ein "neues kluges Handeln", das, wie Prof. Ed Hess es in einem aktuellen Harvard Business Review Artikel ausdrückt, "neue smart", verlangt, verstärkt kognitive und emotionale Fähigkeiten zu nutzen. Dieses "neue smart" zeigt sich darin, dass man selbst und gemeinsam mit anderen den Fokus darauf richtet besser zuzuhören, aktiver (mit) zu denken, Netzwerke und Beziehungen zu pflegen, Zusammenwirken zu verbessern sowie Lernmöglichkeiten aufzuzeigen und zu nutzen.
Die Qualität dieser Fähigkeiten determiniert zunehmend die Qualität der Zusammenarbeit und damit den Erfolg des gesamten Unternehmens.
Die andere Grifffäche verstärkt die angewendete Energie hin zu einer bewussten (Neu)-Gestaltung einiger der indirekten und direkten Einflussmöglichkeiten. Zu den indirekten Elementen gehören dabei die Menschen mit ihren Talenten, ihren Fähigkeiten aber auch den von ihnen wahrgenommenen Hemmnissen auf dem Weg gute Arbeit zu leisten. Es gehören die Organisationsstruktuen, die Kultur, die Werte und die mentalen Modelle dazu, die Prozesse, die vielfältigen Beziehungen zu den Stakeholdern, die Wachstum, Sinn und Zusammenarbeit gestalten und es gehören, last but noch least, die Rahmenbedingungen für Zusammanarbeit in diesen Bereich, mit ihren Paradigmen zur Entscheidungsfindung, zum Ausleben von Agilität und zum Aufbau von Resilienz.
Direkter, wenngleich ebenso schwierig neu zu gestalten, weil es hier darum geht, sich selbst und die eigene Haltung zu hinterfragen, gehören die Grundsätze des eigenen Managementmodells und die eigenen Führungskonzepte in diesen Kontext.
Das klingt nach viel Arbeit - ist es auch! Zumal, wenn man versucht sich dem Ziel allein zu nähern. Aber genau das wäre der falsche Weg. Energieeffizienter ist es, die Managementhebel in der Gemeinschaft auszuprobieren, weiter zu justieren und zu nutzen. Dies erleichtern das Lernen und vergrößert für alle die Chancen an den Herausforderungen zu wachsen.
Die Hebel (er-)greifen
Für Führung - egal auf welcher Ebene, angefangen von temporären Subprojekt- und Teamleiter bis zum C-Level und Aufsichtsräten - bedeutet wirkungsfokussiert und damit menschenfokussiert zu führen, für sich und die Mitwirkenden
- Lern- und Erfahrungsraum zu schaffen,
- gemeinsam Ideen zu entwickeln und auszuprobieren,
- sich selbst und andere erwartungsfrei und interdisziplinär zu vernetzen,
- gemeinsame Zielrictungen zu suchen, zu identifizieren und öffentlich zu machen
- den Sinn der Zusammenarbeit zu vermitteln, ihn ggf. zu "(er-)klären" und Interesse dafür zu wecken,
- das Team und jeden einzelnen in seinem Wachstum von Fähigkeiten, Befähigungen, Erkenntnissen und Erwartungen zu unterstützen,
und
- offenen Austausch und sinnvolle Transparenz zu ermöglichen.
Eine lange Liste, die es jedoch lohnt, sie Schritt für Schritt umzusetzen.
Der Startpunkt dieses gleichermaßen persönlichen, individuellen wie auch gemeinsamen Wegs können Ihre Antworten auf folgende Fragen sein:
- Setzt mein Führungsstil eher auf Kontrolle & Steuerung oder auf Ermöglichlichen & Wirkung? Wie nehmen meine meine Kollegen/Mitwirkenden meine Führung wahr? Wie wird sie sichtbar?
- In welchen Bereichen sind wir als Organisation weniger wirkungsvoll als es möglich wäre?
- Welche Themen, Prozesse, Regeln verringern in unserer Organisation eine positive(re) Wirkung unserer Arbeit auf die Stakeholder?
- Wie weit agiere ich als wirkungs- und menschenfokussierte Führungskraft? Was könnte ich ab sofort verbessern? Wo brauche ich Unterstützung und wo kann ich diese bekommen?
Um die ersten Schritte zu gehen, lohnt es, sich bewusst die Frage nach der Verteilung von Wertschöpfung, Wertschätzung und dem jeweiligen Wertbeitrag zu beantworten.
Um weitere Schritte zu gehen empfehle ich einen strukturierteren und dokumentierbaren Ansatz zu nutzen, wie zum Beispiel den Management Canvas, der auf der langjährigen Erfahrung von Lukas Michel bei der Identifikation von Potenzialen und Störungen in Organisationen beruht.
Den schnellsten Einstieg bietet fraglos eine 360°Diagnose der Gesamtsituation, für die sich, um zielgerichtet zu Erkenntnissen zu gelangen, eine schlanke Kombination geeigneter Diagnoseinstrumente empfiehlt. Ich selbst nutze dazu aus Erfahrung und Überzeugung die Agility Insights Diagnostikwerkzeuge in Kombination mit verschiedenen Canvases.
Welchen Weg Sie auch gehen, seien Sie sich der langfristigen und nachhaltigen (Aus-)Wirkung stets bewusst.
Epilog: Im Falle meiner festsitzenden Radschrauben habe ich mich dann auch eines geeigneten langen Hebels bedient. In diesem Fall war es allerdings ein massives Stahlrohr, dass ich auf das Radkreuz aufstecken konnte. Manchmal besitzen eben auch die altbewährten Methoden aktuellen Wert.
P.S.: Was immer Sie tun, machen Sie sich ihre Wahlfreiheit bewusst. Sie müssen keinen der Schritte sofort gehen, aber sie können jederzeit starten. Wenn Sie starten, investieren Sie im Sinne maximaler Wirksamkeit in die Suche nach Ursachen, statt Sich auf dem zunächst einfacheren Weg der Symtombehandlung zu versuchen.
21. Juni 2017
ZUKUNFTheute - einfach.besser.zusammen.wirken
Guido Bosbach ist Inhaber von ZUKUNFTheute und
- Berater, Mentor und Coach für Management-, Leadership- und Organisationssysteme und organisationsindividuelle Entwicklungskonzepte,
- Entwickler und Protagonist neuer, organisationsindividueller Managementmodelle und Organisations-Betriebssysteme,
- einer der einflussreichsten, unabhängigen Blogger zu „zeitgemäßen Arbeitsstrukturen“ im deutschsprachigen Raum,
- Organisations- & Managementmentor, Inner Game Coach, Buchautor, Lehrbeauftragter, Scrum Master, Mathematiker.
Projektmanager Bau und Immobilien, Kommunikations- und Wirtschaftstrainer, Bildungsmanager Qualitätsbeauftragter
7 JahreNach meiner Wahrnehmung haben die meisten Unternehmen weniger Probleme mit Hebeln als mit den Fixpunkten. Archimedes verlangt nicht nur nach dem genügend langen Hebel sondern auch nach dem festen Punkt. Man kann praktisch jedes Seminar sprengen, indem man die einfachste aller Fragen stellt: Was sind die Konstanten? Gut, es ist eine einfache Methode sich dieser Frage mit dem Prinzip panta rhei zu entziehen, aber dennoch bleibt die Frage bestehen. Was sind die Konstanten? Auch in dynamischen Systemen benötigen wir zur Abbildung dieser Dynamik einen Fixpunkt, in der Geometrie ist das etwa der Achsenschnittpunkt. Wenn wir etwas als agil, als dynamisch, kybernetisch, systemisch oder was immer bezeichnen, dann hat es ein Bezugssystem, eine Referenz, die wir benötigen um das Maß dieser Dynamik abzubilden.