Was wollen die Ärzte von morgen?
2018 hat die Kassenärztliche Vereinigung 12.000 Studierende der Medizin nach ihren Vorstellungen vom Arztberuf gefragt und dabei interessante und zum Teil positive Veränderungen gegenüber der gleichen Befragung aus 2010 festgestellt. Für Arbeitgeber im Gesundheitswesen sind die Ergebnisse wissenswert, handelt es sich bei den künftigen Absolventen doch um eine der begehrtesten Ressourcen im Markt überhaupt. Wer die Mediziner von morgen versteht, hat bessere Chancen, sie für das eigene Unternehmen zu gewinnen.
Ein Problem bleibt
In einem wichtigen Punkt hat sich nichts geändert: Ländliche Regionen sind unattraktiv. 54 % der Studierenden wollen nicht in kleineren Kommunen mit bis zu 2000 Einwohnern arbeiten. Ein großes Problem bei der medizinischen Versorgung bleibt somit bestehen. Dabei gibt es durchaus Maßnahmen, um die Ärzte aufs Land zu locken: z.B. Niederlassungszuschüsse, zinslose Darlehen, Umsatzgarantien oder Unterstützung für Lehrstühle der Allgemeinmedizin. Offenbar genügt dies jedoch nicht. Mehr davon oder zusätzliche Ideen scheinen erforderlich zu sein.
Selbst ist der Arzt immer weniger
Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Bereitschaft sich selbstständig zu machen von 60 auf knapp 53 % gesunken. Diesem Trend wirkt die kassenärztliche Vereinigung entgegen, indem sie Paten vermittelt, die Ärzte dabei unterstützen, eine eigene Praxis zu gründen. Insbesondere betriebswirtschaftliches Wissen von außen ist gefragt, denn das größte Problem, das hier im Weg steht, ist das finanzielle Risiko.
Kann Digitalisierung die Bürokratie besiegen?
Schon im Studium wird Bürokratie als Problem empfunden. Hoffnungen werden auf die Digitalisierung gesetzt, doch während diesbezüglich im Gesundheitswesen Fortschritte gemacht werden, hinken die Universitäten hinterher. Umständliche Antragswege, die in der Praxis zum Teil das Patientenwohl gefährden, bremsen auch die Ausbildung. Solange Ärztemangel besteht, ist dies ebenfalls eine Gefahr für die Patienten. Im bedenklichen Bild, das Deutschland hier abgibt, stellt Medizinstudium keine Ausnahme dar.
Family first
Der branchenübergreifende Trend, der sich mit der Generation Y zunehmend abzeichnet, betrifft auch das Gesundheitswesen: Die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben bekommt Priorität. 94,6 % der Befragten setzen die Familie an die erste Stelle. In dieses Bild passen auch flexible und geregelte Arbeitszeiten, die zunehmend gefragt sind. Karriere-Chancen wurden nur von 63 % "sehr wichtig" gefunden.
Internist, am liebsten zu Hause
Weiterhin ist der vielseitige Beruf des Internisten besonders gefragt. 16 % der Studienteilnehmer gaben diesen Fachbereich als ihren bevorzugten an. Erfreulich ist der Trend zur Standorttreue: Ca. 80 % würden möchten am liebsten dort arbeiten, wo sie auch aufgewachsen sind. Für die Kapazitätenplanung ist es ein erheblicher Vorteil, wenn man somit die Absolventen bestimmten Regionen zuordnen kann.
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Die alte Zeit war nicht nur gut
Was viele der kommenden Absolventen kritisch sehen, sind die starren Hierarchien und die damit verbundenen autoritären Kulturen. Eine Studentin dazu: "Besonders die starke hierarchische Trennung zwischen Ärzten und Pflegepersonal in Krankenhäusern ist in meinen Augen nicht zeitgemäß und toxisch für das Arbeitsklima und die Zusammenarbeit".
Nicht nur Verhältnisse zwischen Berufsgruppen, sondern auch zwischen den Generationen sind kompliziert, wie eine weitere Meinung zeigt: „(…) es wird einem das Recht abgesprochen, sich über Missstände zu beschweren, nach dem Motto: Wir haben damals noch zwei 48-Stunden-Präsenzdienst in der Woche gemacht, jetzt beschwer' dich nicht..."
Respekt für andere
Was man dem medizinischen Nachwuchs nicht vorwerfen kann, sind Standesdünkel. Sie halten sich nicht in allen Angelegenheiten für unentbehrlich und befürworten es, aktuell ärztliche Aufgaben anderen medizinischen Berufsgruppen zu übertragen. Dies hätte Vorteile für alle Beteiligten. Die Ärzte würden entlastet und die jeweils betreffenden anderen Berufe würden durch anspruchsvollere Aufgaben aufgewertet. Auch die Versorgung der Patienten würde dadurch flexibler und somit wahrscheinlich auch besser.
Diese Haltung besteht im Studium bereits zu 50 % und prägt sich deutlicher nach ersten praktischen Erfahrungen aus. Nach Abschluss des praktischen Jahres sind sogar fast 80 % bereit, Aufgaben abzutreten. Sicherlich könnte man diskutieren, ob dies Ausdruck eines neuen Mindsets ist oder einfach einer Marktlogik folgt, der zufolge Ärzte sich derzeit keine Sorgen um ihr Standing machen müssen. Letztlich ist dies allerdings eine akademische Frage.
Fazit und Empfehlung
Die Studie unterstreicht den dringenden Veränderungsbedarf, der im Gesundheitswesen herrscht, bringt dabei aber eine neue Perspektive ein. Während bisher nur Patientenwohl und wirtschaftliche Notwendigkeiten gegeneinander abgewogen wurden, wird hier deutlich, dass auch die Interessen der Arbeitnehmer eine Rolle spielen. Sowohl Krankenpfleger als auch Ärzte sind eine knappe Ressource mit gewichtigen Stimmen. Wer sie gewinnen will, muss Arbeitsbedingungen schaffen, die im Effekt auch den Patienten zugutekommen.
Schnell sein!
Für politische und behördliche Akteure überwiegen hierbei die Probleme. Für die Krankenhäuser liegt hier allerdings auch eine Chance. Um diese zu nutzen, ist Schnelligkeit gefragt. Wer den nötigen Wandel schnell angeht, wird belohnt. High Potentials werden Arbeitgeber bevorzugen, die ihnen entgegenkommen. Unternehmen, die dem Wandel pflichtschuldig folgen, werden die gleichen Kosten haben wie First Mover und Early Adopter, ohne allerdings in gleichem Maße davon zu profitieren.