Worte unter Generalverdacht
Was genau ist gemeint? Das Bedürfnis nach semantischer Vergewisserung steigt. [Foto: Unsplash | Moritz Schmidt]

Worte unter Generalverdacht

In Zeiten gesellschaftlicher Verunsicherung scheint die Sensibilität für Sprache zu wachsen. Nicht nur, dass Menschen den Verlautbarungen aus Politik und Medien zunehmend argwöhnisch begegnen. Sie hinterfragen auch verstärkt Wörter und deren Bedeutung. Eine Entwicklung, die Kommunikatoren in den Unternehmen hellhörig machen sollte.

Amerikas öffentlicher Hörfunkverbund NPR wartete dieser Tage mit erstaunlichen Einblicken auf. Wie das American Press Institute (API) berichtet, hat sich die Annotation politischer Reden zum erfolgreichsten Digitalprojekt überhaupt des Radiosenders entwickelt. Das ausgeprägte publizistische Interesse am gesprochenen Wort ist in den USA kein Einzelphänomen. Spätestens seit dem zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf ist die Kommentierung von kompletten Redetexten auch in anderen großen Redaktionen ein beliebtes Medienformat.

Dass amerikanische Journalisten sich akribisch mit dem Wortlaut von Politikerreden befassen, ist Ausdruck unserer Zeit. In einer Ära wachsender Empörung über Fake News würden Primärquellenformate dem Leser Transparenz bieten, heißt es in dem API-Beitrag. Was darin auch deutlich wird: So nah wie möglich am Ursprungstext zu arbeiten, verstehen Medienhäuser wie NPR als eine Art vertrauensbildende Maßnahme. Sie reagieren mit diesen Bemühungen auf eine Öffentlichkeit, die herkömmlich aufbereiteten Medieninhalten zunehmend misstrauisch begegnet. 

Wörterbuch als Clearingstelle

Die allgemeine Skepsis gegenüber der Presse scheint Hand in Hand zu gehen mit einer verbalen Entfremdung zwischen Bürgern und Politikern. „Donald Trump Is Making Dictionaries Great Again“, titelte vor einiger Zeit das amerikanische Nachrichtenmagazin TIME. Wie das? Warum sollte ausgerechnet der US-Präsident Wörterbüchern einen Höhenflug bescheren? Aufklärung liefert www.dictoniary.com, ein digitales Nachschlagewerk für die englische Sprache. Gemeinsam mit einem Marktforschungsunternehmen hatten die Lexikografen mehr als 2.200 Bürger der Vereinigten Staaten zu ihrem Informationsverhalten befragt. Die Stichprobe beförderte Interessantes zutage – nämlich ein gesteigertes Bedürfnis, die Bedeutung bestimmter Wörter zu analysieren. Fast jeder Dritte gab zu Protokoll, dass er im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen vermehrt die von Politikern verwendeten Begriffe nachgeschlagen habe.

Unterdessen konnte Merriam-Webster (Platzhirsch unter den Englisch-Wörterbüchern und vergleichbar dem deutschen Duden) die Zahl seiner Twitter-Fans seit dem Amtsantritt von Donald Trump verdoppeln. Über eine halbe Million Nutzer folgen mittlerweile dem Account, der immer wieder auch Äußerungen des Präsidenten und seiner Administration aufs Korn nimmt. Das rasant gestiegene Interesse deutet ebenfalls darauf hin, dass sich mehr und mehr Menschen kritisch mit Sprache und Bedeutung befassen. Während sich der Argwohn der Bevölkerung gegenüber Politik und Medien verfestige, würden Wörterbücher als eine Art „neutrale Instanz“ angesehen, heißt es im TIME Magazine.

Mehr sprachlicher Mut

In postfaktischen Zeiten bröckelt das Vertrauen in Gesagtes und Geschriebenes. Das sollte nicht nur ein Weckruf Richtung Politiker und Journalisten sein. Unternehmen muss diese Entwicklung genauso hellhörig machen, schließlich stehen auch sie im Dialog mit der Öffentlichkeit. Wenn Menschen kritischer hinterfragen, was Firmen und Marken von sich geben, und manch Bürger gar hinter jeder unternehmerischen Verlautbarung eine Manipulationsabsicht wittert, dann sollten Kommunikatoren sich in vorderster Front angesprochen fühlen. Zu ihrem täglichen Brot gehört es, Zusammenhänge zu erklären, unternehmerische Entscheidungen zu begründen und auch, Versäumnisse transparent zu machen. Bei alledem ist weiterhin professionelle Routine gefragt, aber zugleich auch eine neue Sensibilität für die Begriffe und Formulierungen, mit denen das Unternehmen zu seinen Stakeholdern spricht.

Es geht um Klarheit und Wahrhaftigkeit im Ausdruck. Vertrauen gewinnen Firmen, die sich einfach und eindeutig artikulieren. Verbale Nebelbomben und Businessgeschwafel waren schon immer ein Ärgernis und kratzen an der Reputation der Wirtschaft. Das erstarkende Misstrauen in förmliche Worte sollte Unternehmen eine Mahnung sein, sich dieses Themas endlich ernsthaft anzunehmen. Es sollte sie dazu anspornen, noch akkurater mit dem Instrument Sprache umzugehen – und mutiger.

Die eigenen Phrasen enttarnen

Benennen statt beschönigen. Sagen, was Sache ist, statt um den heißen Brei herumzureden. Das ist ohne Frage mühseliger, als mit den vertrauten Floskeln zu hantieren. Aber die Anstrengung macht sich bezahlt. Denn das Ringen um sprachliche Substanz zwingt zu gedanklicher Schärfe: Was genau ist unser Anliegen? Mit welcher Absicht kommunizieren wir? Und vor allem: An wen richtetet sich überhaupt unsere Botschaft? Mit welchen Erwartungen, Einstellungen oder auch Vorbehalten hören bestimmte Anspruchsgruppen unserem Unternehmen eigentlich zu?

Klarheit herzustellen über Fragen wie diese, kann Organisationen helfen, den ewig gleichen, hohlen Phrasen auf die Spur zu kommen, die sich nur allzu gerne in den hauseigenen Texten, Statements und Reden einnisten. Wer diese Stanzen enttarnt und aus dem Verkehr zieht, wird automatisch zu einer verständlicheren, glaubwürdigeren Sprache finden. Die Dinge beim Namen zu nennen, schließt die Bereitschaft zu Kontroversen ein. Das muss kein Hemmschuh sein. Sich in Worten ehrlich zu machen, klärt Beziehungen und macht sie am Ende stärker – das gilt auch für Unternehmen und die ihnen verbundenen Menschen.


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Die Autorin hat als Vorstands-Redenschreiberin in einem Konzern gearbeitet und war Beraterin in einer Kommunikationsagentur. Heute gibt sie als freiberufliche Ghostwriterin CEOs, Führungskräften und gelegentlich auch Politikern ihr Wort; außerdem entwickelt sie strategischen Content für Unternehmen, Agenturen und Publisher. Nicola Karnick ist aktives Mitglied im Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS).

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Gerry Richter

Coaching & Organisationsentwicklung an der Schnittstelle von Managementkybernetik, systemischem Denken & Positiver Psychologie | Universitätslektor

7 Jahre

Super Artikel. "Es geht um Klarheit und Wahrhaftigkeit im Ausdruck. Vertrauen gewinnen Firmen, die sich einfach und eindeutig artikulieren. " - heißt: die Leute lechzen förmlich nach Echtheit, dazu gehört eben auch "Dinge beim Namen zu nennen" - das vertragen die Menschen, dazu gehört aber auch eine gute Kommunikationskultur. Was wir machen können ist, mehr Menschen beizubringen wie Kommunikation (Watzlawik, Schulz von Thun, etc....) funktioniert, dann verbessert man sie auch.

Ralph Scholze 👨🏼💻

Ich bin hier zum Vernetzen und fachlichen Austausch zu B2B-Marketing und Social Media (LinkedIn, Instagram, TikTok, Facebook). Denn dafür stehe ich B2B-Unternehmen zur Verfügung.

7 Jahre

Sehr geehrte Frau Karnick, Sie schreiben hier einen sehr lesenswerten Artikel, welcher gepaart ist mit viel Leidenschaft für die Kommunikation. Jedoch leben wir in einer Zeit, in der immer mehr Menschen auf der Erde in immer engeren (Ballungs-)Räumen sind. Diese Entwicklung hat Folgen. Dadurch entstehen viele Gruppierungen mit eigenen Ritualen und Kommunikationsmustern. Bestes Beispiel dafür sind die Gruppierungen rund um das Essen. Infolgedessen stehen Unternehmen vor einer großen Herausforderung, die Ritualen und Kommunikationsmuster der Gruppierungen aus ihrer Zielgruppe schnellstmöglich zu erlernen. Manchmal ist dieser Lernprozess überraschend und extrem schnell wie zum Beispiel der Shitstorm der ING-DiB. Ursache war Werbung mit einer Persönlichkeit in einem Fleischgeschäft. Gleichzeitig leben wir in einer Zeit, in der Werte und Muster sowie Know how rund um die Kommunikation zwischen uns Menschen weniger Wert besitzen. Ob dies auf Grund fehlender Bildung oder der zunehmend technischen Kommunikation durch WhatsApp & Co oder wegen des Berufsalltags beider Elternteile passiert, muss ich offen lassen. Auf jeden Fall entwickelt sich durch die zunehmend technische Kommunikation durch WhatsApp & Co eine eigene Sprache, die bewußt als Abgrenzung zur „Erwachsenensprache“ etabliert wird. Dies ist eine weitere Herausforderung für die Unternehmenskommunikation. Ein beeindruckendes Beispiel für deren Einsatz ist die Pressemitteilung von Chrysler, die größtenteils aus Emojis bestand und die junge Zielgruppe ansprechen soll. Jedoch ist diese Pressemitteilung für Erwachsene unpassend. Was für eine Herausforderung für die Unternehmenskommunikation. Ihrem Wunsch entgegen wirkt, wie Sie in Ihrem Kommentar selbst anmerkten, die juristischen Hürden. Aufgrund steigender juristischer Hürden wirken viele Corporate Texte wie Gesetzestexte und bekanntlich besitzen sie kein „Sex-Appeal“. Dies wirkt für die normale Kommunikation abstoßen oder wer liest sich gern AGB, Datenschutzrichtlinien usw. freiwillig durch? Hier beißt sich die „Katze in den Schwanz“. Persönlich bin ich kein Freund von 100 % sachlichen Texten. Vielmehr begrüße ich Texte, die wahrheitsgemäße (!) Fakten mit Emotionen verpacken. Dazu gehört viel Mut aufgrund der juristischen Hürden für Unternehmen und Marken. Haben Sie Informationen über die soziodemographischen Daten der Menschen, die gezielt nach deren Bedeutung eines Wortes suchen? Beste Grüße. Ralph Scholze

Das sind hehre Ansprüche an die Kommunikation. Aber aus meiner Sicht ein richtiger Weg, um dem Misstrauen der Öffentlichkeit zu begegnen. Verständlichkeit und Ehrlichkeit sollten die Maximen sein.

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