Wozu wandern? Und dann noch mit Kollegen? Ein Plädoyer dafür!
Samoarseen (eigenes Bild)

Wozu wandern? Und dann noch mit Kollegen? Ein Plädoyer dafür!


 Sich stundenlang den Berg hinaufquälen, mit schwerem Rucksack auf dem Rücken,

vorher eine Anreise mit Stau, Parkplätze sind voll, lärmende Kinder und Killerkühe auf dem Weg, Übernachtung auf engen Hütten, zum Essen den ewigen Kaiserschmarrn? Und dann noch mit Kollegen? Bitte nicht…

 

Und doch haben wir uns entschlossen, Wandern als wichtige Bewegungsressource im Konzern Versicherungskammer zu etablieren. Die Resonanz ist äußerst positiv, die Angebote werden auch in ihrer Unterschiedlichkeit (von Wandern bis Hochtour) sehr gut angenommen, jede Veranstaltung ist nach kurzer Zeit ausgebucht und unser Booklet für private Feierabendtouren wurde knapp 4000-mal gelesen. Wie kommt das?

 

Hier sind zehn gute Gründe:

 

1)     Wandern durch Naturräume reduziert die Auswirkungen von Stress

 

Tatsächlich lässt sich wissenschaftlich belegen, dass Bewegung im Wald, an Seen oder im Weidegelände den Cortisolspiegel massiv reduziert und die Aktivität des Immunsystems steigert. Die gleiche Bewegung in Städten oder anderen bebauten Gebieten hat diese Wirkung so nicht. Die beiden wichtigsten Theorien dazu sind die Stressreduktionstheorie (SRT) und die Aufmerksamkeitsrestaurationstheorie (ART). Beide Theorien argumentieren, dass Menschen, die sich in natürlichen Umgebungen entwickelt haben und erst seit wenigen Generationen in städtischen Umgebungen leben, genetisch so »programmiert« sind, dass sie auf bestimmte Aspekte der Natur positiv reagieren. Laut SRT rufen Umgebungen, die sich in evolutionären Zeiten günstig auf das Überleben ausgewirkt haben, positive emotionale Reaktionen hervor. Solche natürlichen Umgebungen können dazu beitragen, Stress abzubauen. Laut ART bietet die Natur restaurative Umgebungen, die den Menschen helfen, sich von der geistigen Erschöpfung zu erholen. Diese Theorie argumentiert, dass natürliche Szenen von Menschen leicht und mühelos erfasst und verarbeitet werden können. Diese Art von nicht-gesteuerter Konzentration hat einen wiederherstellenden Effekt auf die Fähigkeit des Gehirns, sich zu konzentrieren.

 

2)     Wandern reduziert durch die Langsamkeit des Tuns und die Distanz zu Problemen unser Gedankenkarussell

Die langsame Bewegung während des Wanderns reduziert die Aufnahme neuer Reize und fokussiert durch die Monotonie des Gehens die Gedanken. Hier entstehen ähnliche Effekte wie bei klassischen Achtsamkeitsübungen. Auch die räumliche Distanz zu den Problemen des Alltags, das Hinabschauen von oben, das Erleben der eigenen Kleinheit und Grenzen, unterstützt eine Klarheit des Denkens, die wir im Alltag in der Stadt, häufig vermissen. Die „Basic Needs“ (Körperlichkeit und Beziehung) treten in den Vordergrund und lassen die „Daily Hassles“, die Microstressoren des Alltags, verblassen.

 

3)     Wandern ist evolutionsbiologisch neben Schwimmen die beste Art von Bewegung!

Unser Körper, unser Bewegungsapparat  sind dafür gebaut, 10-15 Kilometer täglich zu Fuß zurückzulegen. Würden wir dies tun, hätten Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Bluthochdruck und Depression, aber auch entzündliche Erkrankungen wie Fibromyalgie weniger Macht über uns. Wäre sanfte Bewegung wie das Wandern ein Medikament, würde es als hoch wirksam eingestuft und problemlos zugelassen werden. Sanftes Wandern ist auch im hohen Alter noch zu empfehlen und es braucht keine 10.000 Schritte. Laut neuesten Forschungsergebnissen reichen schon knapp 4000 Schritte um das Sterblichkeitsrisiko massiv zu reduzieren. Selbst gegen Demenz hilft Wandern!

 

4)     Das Wandern am Berg gibt Feedback über die persönliche körperliche Verfassung

Mancher geht locker 600 Höhenmeter pro Stunde auf schmalen Steigen, für manchen sind schon 300 Höhenmeter in der Stunde auf leichten Wegen eine Herausforderung. Beim Bergwandern wird man mit der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit konfrontiert, auch im Vergleich zu den Zeitangaben in den Tourenbeschreibungen oder auf den Wegweisern. Generell gilt: Weicht man bei der reinen Gehzeit stark von der angegebenen Zeit nach oben ab, war die Tour zu anspruchsvoll für Dich. Dann muss man trainieren und/oder sich besser um seine Gesundheit kümmern. Klarer kann Feedback kaum sein.  

 

5)     Das Wandern am Berg konfrontiert uns mit unseren Einschränkungen, Ängsten und Zwängen und gibt Raum für Bewältigung psychischer Probleme

„Die Hängebrücke ist mein persönlicher Endgegner auf der Tour“, so kommentierte eine Teilnehmerin einen Tourenvorschlag, aber gemeinsam konnte dieser „Endgegner“ leicht und sicher bezwungen werden. An diesem Beispiel sieht man gut, wie der Berg Probleme offenbart, aber auch direkt einen Lösungsraum und Unterstützung generiert. So werden in kleinen, kontrollierbaren Bereichen Lösungswege gebaut, die auch im Alltag Anwendung finden können wenn die Probleme größer sind. „Das geht doch nicht“ wird als Phrase schnell „ad absurdum“ geführt.

Auch zeigt eine längere Tour, welche Dinge wirklich wichtig sind (Wimpernzange? Elektrorasierer?) oder was im wahrsten Sinne des Wortes nur Belastung darstellt, da jeder seine Ausrüstung selbst trägt.

 

6)     Das Wandern/Klettern am Berg gibt uns Selbstwirksamkeit durch das Überwinden von Schwierigkeiten und die visuelle Klarheit des Ziels

>> Der Gipfel, das Ziel allen Strebens <<, mehr visuell verarbeitbare Zielerreichung geht kaum, zumal, wenn man als Erster oben steht. Als erster Mensch, als erster am Tag, als erster einer Gruppe oder Kohorte oder über eine besondere Route. Es gibt wenig Möglichkeiten, das Gefühl von Selbstwirksamkeit schneller zu erzeugen als die Besteigung eines Berges, vor allem wenn er berühmt, hoch oder schwierig ist. Dies kann gut durch persönliche Krisen helfen. Deswegen ist der Berg tatsächlich auch eine gern genutzte Metapher oder ein häufig genutzter Raum für Psychotherapie und Coaching.

Die Schattenseite dieses starken Effekts ist, dass viele labile Menschen in der Adoleszenz mit starken Persönlichkeitsproblemen den Berg als Raum für ihr Dasein begreifen. Unter professionellen Bergsteigern ist überproportional Narzissmus, aber auch Depressionen zu finden. Eine gewisse Todessehnsucht ist als Begleitmotiv immer mal wieder sichtbar. Das anspruchsvolle Bergsteigen ist also durchaus eine sehr gute Ressource für die eigene Psyche, wodurch das Bergsteigen als Kompensation für sonstige Leere durchaus Suchtcharakter entwickeln kann, z.B. durch den Kick des Solokletterns an der Sturzgrenze. Dies gilt aber nicht für das „normale“ Wandern in den bayerischen Voralpen…

 

7)     Wandern nivelliert Hierarchie und schafft ein gemeinsames Wir

Auf gemeinsamen Touren ist man immer in der Gruppe unterwegs und nicht als Einzelpersonen. Führung leitet sich hier ausschließlich aus Ortskenntnis, Kondition und Bergfähigkeit (Trittsicherheit, Sicherungswissen, Schwierigkeitsbewältigung) ab. Die Struktur, wie das Ziel der Gruppe orientiert sich an den Fähigkeiten der Teilnehmer. Ganz wichtig ist die Kommunikation während der Tour, auch hier wollen Entscheidungen richtig kommuniziert werden, gerade hier muss die Gruppe auf den Schwächsten Rücksicht nehmen und ihn sinnvoll einbinden. Und hier ist der Tourenguide massiv gefragt, als Richtungsgeber, als Entscheider aber ganz wichtig auch als Supporter, psychologisch wie physisch: Nicht alle sind und müssen Top Performer sein. Zurücklassen ist aber keine Option und Performance hat mehrere Ebenen (z.B. Kommunikation >> Hütte; Schnelligkeit >> Leichte Wege; Trittsicherheit >> wegloses Gelände; Mut >> Ausgesetztes Gelände). Besonders schön ist, wenn die Hierarchie mehrmals in der Tour auf den Kopf gestellt wird und sich das Topmanagement zielführend einordnet. Das gemeinsame Erlebnis am Berg  ist dann auch eine sehr gute Basis für das Verständnis von Führung und Zusammenarbeit in „New Work“.

 

Dieses gemeinsame Schwitzen, dieses gemeinsame Bewältigen von Schwierigkeiten, dieses gemeinsame Erleben von Stärken und Schwächen schafft gemeinsame Erlebnishorizonte und Akzeptanz für die Rolle des Gegenübers, die immer settingabhängig ist. Dieses gemeinsame Erleben ist der Kitt, der Klebstoff, der Teams auch in schwierigen Zeiten verbindet.

Zusatznutzen: Nirgendwo kann man schneller Netzwerken als beim Wandern oder beim netten Hüttenabend mit traumhaftem Sonnenuntergang danach - komplett hierarchie- und ressortübergreifend.

 

 

8)     Wandern kann jeder!

Für das Wandern braucht es am Anfang nur den Willen es zu tun, ein Paar bequeme Schuhe und vielleicht noch einen Gleichgesinnten. Es braucht keinen Kurs, kein technisches Equipment, keine besonderen Fähigkeiten, keine Halle, keine Vereinsmitgliedschaft. Die Hürde ist also sehr gering und die Ziele können komplett an den eigenen Fähigkeiten, der eigenen Kondition und der zur Verfügung stehenden Zeit ausgerichtet werden. Und das Beste ist: Wandern ist eine lebenslange Ressource und funktioniert mit kleinen Kindern genauso wie als alter Mensch,wenn die Ziele nur sinnvoll ausgesucht sind.

 

9)     Wandern ist eine günstige und nachhaltige Ressource vor Ort: Wandern kann man überall!

Ob in München oder Saarbrücken, ob in Regensburg oder in Brandenburg, wandern ist überall möglich. Man muss dafür weder nach Tibet, noch nach Bali fliegen. Im Gegenteil, die schönsten Wandergebiete sind perfekt mit öffentlichen Verkehrsmittel zu erreichen. Gerade die Schweiz ist ein Paradebeispiel dafür wie gut öffentlicher Nahverkehr auch in Bergregionen funktionieren kann. Auch ist der Ressourcenverbrauch in einer Berghütte um den Faktor 6 geringer als in einem Hotel. Ortsnahes Wandern schont also Ressourcen und ist im Vergleich zu anderen Urlauben als sehr klimafreundlich zu bewerten.

 

 

10)  Wandern sorgt für Zufriedenheit

Nach dem Wandern stellt sich das gute Gefühl ein, etwas geleistet zu haben, ein Gefühl von Zugehörigkeit in der Gruppe entsteht zusätzlich schnell (je größer die Anstrengung umso mehr). Die Folge ist eine Offenheit für Belohnung und Genuss, z.B. gutes, gemeinsames Essen oder Wellness, welche nicht kompensativ ist. Diese Kombination aus Anstrengung, Ruhe, Gruppenzugehörigkeit, Landschaft und Belohnung (gutem Essen) sorgt für Zufriedenheit und Wohlbefinden, da im Ganzen ein nomadischer Lebensstil imitiert wird, für den wir evolutionsbiologisch gebaut sind. Dies zeigt sich darin, dass die zentralen Botenstoffe für die psychische Gesundheit, Dopamin, Oxytocin und Serotonin genau im richtigen Verhältnis und in einer gesunden Dosis ausgeschüttet werden und der Cortisolspiegel wieder im cirkadianen Rhythmus funktioniert. Deswegen werden längere Wanderungen, wie der Jakobsweg oder eine Alpenüberquerung als so psychisch positiv wahrgenommen, obwohl viele Menschen körperlich ausgelaugt sind.

 

 

Alle diese Effekte möchten wir für den Konzern Versicherungskammer nutzbar machen, manchmal auf der Gruppenebene für Teams und angereichert mit Zusatzthemen, z.B. Resilienz, manchmal auf der Individualebene, reduziert auf das Bergerlebnis. Challenge by Choice!

 

Wir freuen uns auf viele weitere Veranstaltungen. Würdet ihr mitgehen? Welche Erwartungen hättet ihr an die Veranstaltung generell oder die Unterkunft speziell?

Worauf warten wir noch? Rucksack packen, raus und los geht's - mal alleine, mal zu zweit zum Ratschen oder in der Gruppe. Offen - ohne Erwartungen - einfach drauf los - gerne ein paar Tage. Au ja, bis über die Alpen hinüber. ...irgendwann ist der Flow dann auch dabei. Ich würde mich freuen, wieder mit Euch unterwegs zu sein.

Richard Möllers

Echte mentale Weiterentwicklung für Unternehmen als Psychologe & Trainer, Coach & Berater

1 Jahr

Man könnte fast meinen, Du bist ein Wanderfan 😁 Super auf den Punkt gebracht die ganzen psychologischen Zusammenhänge! Besonders Punkt 2) gefällt mir als Achtsamkeitsfanatiker natürlich sehr gut :)

Michael Maier

Bereichsleiter Produktmanagement

1 Jahr

Danke für den Artikel Herr Juli - trifft sich gut, gehe morgen mit meinem Team-Kollegen aus dem Produktmanagement vom Königssee hoch zum Carl von Stahl Haus (incl. Hüttenabend und -Übernachtung)…immer wieder schön mit Kollegen Zeit am Berg zu verbringen, aus unterschiedlichen Gründen, die sich auch im Artikel finden 👍

Alexander, danke für die vielen Erklärungen warum man sich beim wandern so gut fühlt! Ich bin im nächsten Jahr gerne wieder dabei 🥾

Marcus Lück

Nicht nur reden, machen! #einfachmachen

1 Jahr

Seit der Coronazeit und dem z.T. damit verbundenen mobilem Arbeiten von zuhause walke ich fast jeden morgen 30min ca. 3 km durch unseren Ort, stetig und ständig. Der berühmt berüchtigte „Schweinehund“ ist schon längst besiegt - make it to a habit - und es macht einfach Spaß. Durch den freien Kopf ist schon so manche Idee entstanden. Ob wandern, walken oder wie auch immer - einfach anziehen, raus und loslegen. Ich kann es nur empfehlen 🫶🏻

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