Ziegers Zeilen (KW 21)

Ziegers Zeilen (KW 21)

Die Elektromobilität geht offenbar Schritt für Schritt voran. Das machen uns viele Medien glauben. So berichtet „efahrer.chip.de“ davon, dass E-Autos die Erdöl-Nachfrage drücken. Im zweiten Satz der Überschrift heißt es sogar „Der Effekt ist extrem“. Bei der Erstellung des Beitrags nimmt man Bezug auf eine Analyse von BloombergNEF (BNEF). Tatsächlich gibt es diese Untersuchung und sie ist bei weiterer Lektüre weniger spektakulär als gedacht und als die Überschrift suggeriert. Die Studie, so heißt es, sei über einen Zeitraum von sechs Jahren – von 2015 bis Ende 2021 – entstanden. Sie tituliert als "Zero-Emission Vehicles Progress Dashboard". Während des Untersuchungszeitraums hätten E-Autos den täglichen Erdöl-Bedarf für den Straßentransport weltweit um das Doppelte gesenkt: Im Jahr 2015 wurden ca. 725.000 Barrel pro Tag weniger gebraucht, Ende 2021 waren es schon knapp 1,5 Millionen Barrel täglich, so die Studie weiter. 2021 habe der tägliche Bedarf bei ca. 43,7 Millionen Barrel gelegen. Damit entspräche die täglich durch Stromer im Straßentransport-Sektor eingesparte Öl-Nachfrage einem Anteil von 3,3 Prozent. Im weiteren Verlauf des Artikels kommt man an der tatsächlichen Datenlage nicht vorbei. Der Löwenanteil der Einsparungen geht nämlich auf elektrische Zwei- und Dreiräder zurück.

Zitat: „Die vor allem in Asien immer beliebteren E-Roller waren im vergangenen Jahr für 67 Prozent der verringerten Öl-Nachfrage im Straßentransport verantwortlich. (…) Darauf folgten E-Busse, die 16 Prozent der Einsparungen für sich verbuchen können. Tatsächlich sind die Stromer nur für 13 % der verringerten Öl-Nachfrage zuständig. Das klingt sehr viel kleiner und wir würden uns nicht trauen, diesen Effekt als „extrem“ zu bezeichnen.

Der gleiche Bericht findet sich auch in der Online-Ausgabe der Zeitschrift „auto, motor & sport“. Dort benutzt man die gleiche Zahlen. Die Überschrift ist weniger dramatisch. Zweiräder und Busse werden nicht in die allgemeine Statistik einbezogen. Dennoch erliegt man der Versuchung, sich von den Zahlen beeindrucken zu lassen. Zitat: „Allein die 1,2 Prozent BEVs und PHEVs sparen pro Tag aktuell also 195.000 Barrel Rohöl ein.“ Diese Zahl muß man, damit sie bewertet werden kann, in eine Beziehung setzen. Das tun wir nicht selbst, sondern überlassen es der BP. In der Raffinerie in Gelsenkirchen verarbeitet man 265.000 Barrel Rohöl pro Tag.

Jedes Barrel oder jede Tonne ist ein Anfang. Aber man sollte Realist bleiben. Tatsächlich ist die Elektromobilität noch nicht so weit, dass man von einem fundamentalen Anteil am Verkehrssektor sprechen könnte. Auch das ist dem Artikel in „auto, motor & sport“ zu entnehmen. „Das Rohöl-Einsparpotenzial ist verglichen mit dem prozentualen Anteil elektrifizierter Fahrzeuge insgesamt beeindruckend. Schließlich fahren noch immer 98,8 Prozent aller Autos weltweit ohne Elektrifizierung herum.“

Angesichts der Schwierigkeiten, die Elektromobilität voranzutreiben, muss nachhaltiger darauf hingewiesen werden, dass der Verkehrssektor wesentlich schneller seinen Anteil an der Klimawende beisteuern kann. E-Fuels sind der Beitrag, den die Branche leisten kann. Den theoretischen Wachstumspfad für E-Fuels kann man in der unverändert aktuellen Prognos-Studie nachlesen.

Warum der Widerstand gegen E-Fuels und andere Pfade zur Klimaneutralität so heftig ist, darüber lässt sich auch trefflich streiten. Vielleicht hat der geschätzte Kollege Erik de Vries vom niederländischen Partnerverband NOVE recht. Er bezeichnete in einem Beitrag für die eigene Verbandszeitung die Diskussion um den richtigen Weg zur Klimaneutralität als „Stammeskonflikt“.

Und weil wir seinen Beitrag so zielführend fanden, überlassen wir Erik de Vries heute einmal das Wort: „(...) Um den CO2-Ausstoß in den verschiedenen Sektoren zu reduzieren, stehen eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verfügung. Für die gebaute Umwelt, zum Beispiel die Isolierung von Häusern. Für die Stromerzeugung gibt es Windenergie und für die Mobilität die Nutzung von erneuerbaren Kraftstoffen und Strom. Auffällig ist jedoch der Stammeskampf, der um die verschiedenen Lösungen und Technologien geführt wird. Die eigene Lieblingslösung wird beworben und gleichzeitig werden andere Lösungen niedergebrannt. Wenn Sie mir nicht glauben, sollten Sie zum Spaß einen Blick auf Twitter werfen. Es gibt Menschen, die dies zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben. Zum Beispiel werden Initiativen zur Anwendung von Wasserstoff in einer Brennstoffzelle für Privatautos von einigen glühenden "Plug-in-Stromanhängern" als "Sackgasse" in die Enge getrieben. Denn, und hier kommt es, es sei nicht effizient, zuerst Wasserstoff zu produzieren und ihn erst dann in Strom umzuwandeln. (Doch) dabei wird der wichtigste Faktor der Energiewende außer Acht gelassen: der Nutzer, auch Zahler genannt. Denen ist es egal, ob Lösung A effizienter ist als Lösung B, solange sie (nur) Komfort bietet und erschwinglich ist.

Ein weiteres gutes Beispiel aus jüngster Zeit ist die Ankündigung von KLM, dass sie 0,5% erneuerbare Biokraftstoffe beisteuern werden. Der Spott, der von "Experten" über KLM ausgegossen wurde, lag nicht in der Luft. "Könnte KLM es nicht wirklich besser machen?" Nein, im Moment nicht und 0,5% sind ein guter Anfang. So begann der Verkehrssektor und wir sind jetzt schon bei 7% und manchmal sogar 100% Beimischung mit erneuerbaren Kraftstoffen. Aber das erfordert einen Wachstumspfad. Das entgeht offenbar vielen Menschen.“

Folgen wir Erik de Vries und gehen friedlich gestimmt in das letzte Maiwochenende. Bleiben Sie negativ. Im Moment stehen die Chancen gut.

Schönes Wochenende!

Ihr Stephan Zieger

Zwei Zitate: "Tatsächlich ist die Elektromobilität noch nicht so weit, dass man von einem fundamentalen Anteil am Verkehrssektor sprechen könnte." "E-Fuels sind der Beitrag, den die Branche leisten kann. " Man redet also etwas breits real wirkendes schlecht, in dem man ein Traumgebilde gegenüberstellt. Das wäre doch wieder ein klassischer Christoph Arnowski

Dirk Schneemann

Founder and CEO Euraccess GmbH, HR Senior Consultant

2 Jahre

So isses 🤷♂️ getreu dem Motto : „ traue keiner Statistik, die Du nicht selbst manipuliert hast“ 🧐

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