Zum 5. November 24

Zum 5. November 24

Ob es morgen wohl noch moralisch vertretbar sein wird, einem US-Präsidenten die Hand zu schütteln?

Diese Frage hatte ich mir im nicht gestellt, als ich das letzte Mal in die Verlegenheit kam😊. Der Artikel vom Juni 1989 aus dem #goettingertageblatt klingt heute wie ein Relikt aus einer lange zurückliegenden Zeit, als der Umgang in der Politik noch scheinbar respektvoll war. Nichtdestotrotz hat mein Händeschütteln und ein einstündiger Plausch mit George Bush senior (ja, der Vater von dem, der die Zeitung falsch herum gelesen hat) mein Leben im Sommer 1989 durcheinandergewirbelt. Ich stellte noch am gleichen Tag fest, daß es in meinem damaligen Freundeskreis offenbar als vollständig inakzeptabel galt, einem konservativen US-Präsidenten die Hand zu schütteln. Nicht, dass ich mit der US-Politik dieser Zeit besonders einverstanden gewesen wäre. Aber als ich die Einladung über Rita Süßmuth, die damalige Bundestagspräsidentin, erhielt, überwog zweifellos die Neugier. Einen Tagesschau-Bericht später zogen zwei Mitbewohner umgehend aus meiner WG aus, ich bekam Hausverbot in meiner Lieblingsdisco und es schlug mir die blanke Abscheu aus Göttingens linker Jugendszene entgegen. Nur zwei wackere Personen, die"trotz allem" zu mir hielten, blieben von meinem vormals großen Bekanntenkreis übrig. Eine echte Grundreinigung für nicht ganz authentische Freundschaften. Dass das Tageblatt schrieb, ich hätte mit Bush darüber gesprochen, dass die damals weitverbreiteten Nazi-Schmierereien nur von einer "kleinen Minderheit" seien, hat meinem Standing in der linken Jugendszene den absoluten Rest gegeben. Obwohl diese dem #goettingertageblatt sonst eher keinen Glauben schenkte - in diesem Fall scheinbar doch. Denn: Nazi-Schmierereien wurden in meinem Gespräch mit Bush sen. mit keiner Silbe erwähnt! Wer mir das in dem kurzen Artikel in den Mund gelegt hat und warum (ich hätte eine Vermutung), habe ich nie herausgefunden. Auch die Gegendarstellung, die ich - immerhin über Nacht fast völlig meines sozialen Umfelds beraubt - verfasst hatte, ist nie abgedruckt worden. Jedenfalls habe ich sie nirgends entdeckt, als ich diese Woche in der #NiedersächsischenLandesbibliothek durch die Zeitungen blätterte. Meine Learnings aus dem 35 Jahre zurückliegenden Ereignis:

  • Ich war echt naiv.
  • Die Radikalentrümpelung meines Freundeskreises war schmerzhaft, aber in Summe wertvoll.
  • Mit der Presseehrlichkeit war es auch damals nicht weit her. (Wem das Kürzel "aw" beim GT noch was sagt, der kann mich ggf. an eine Klärung heranführen.)
  • Die Präsenz radikaler Rechter war auch 1989 ein echtes Thema, jedenfalls bis wir vom Mauerfall abgelenkt wurden.
  • Ich habe bei dem ganzen Ereignis enorm viel gelernt - über den Präsidenten, über mich, die Medien und mein Umfeld, daß ich heute sagen kann: ich würde es wieder machen. Natürlich hätte ich klare Präferenzen, mit wem ich lieber einen Stunde verbrächte, wenn diese Person gleichzeitig für 4 Jahre die Geschicke der USA bestimmt. Ich stünde aber bei beiden möglichen Wahlergebnissen parat und würde potenziellen Konsequenzen heute mit etwas mehr Lebenserfahrung begegnen. Da es zu dieser neuerlichen Gelegenheit vermutlich nicht kommen wird: Daumen drücken, dass wir morgen früh nicht mit der schlechtesten aller Nachrichten aufwachen müssen. Mir sitzt dieser Novembermorgen im Jahr 2016 noch heute in den Knochen...

PS: Herzlichen Dank an die Niedersächsische Landesbibliothek in Hannover. Nach wenigen Telefonaten wurden mir die alten Tageszeitungen zuverlässig und unkompliziert aus dem Archiv beschafft und kostenfrei zur Ansicht bereitgestellt. Ich bin sehr froh, in einem Land zu leben, in dem das möglich ist!

Rainer Tigges

freiberuflich u teilzeitbeschäftigt

3 Monate

Ich kann mich vage daran erinnern, dass du mal davon erzählt hast. Aber! Was soll ich nur machen, da ich von meiner großen Familie (Vettern und Cousinen) in den USA weiß, wie sehr sie von der Richtigkeit überzeugt ist, dass Trump der bessere Präsident ist. Wir mögen uns sehr und ich würde ihnen in den Armen liegen, träfen wir uns morgen.

Caroline Werner

realizing and communicating "less net more zero" carbon strategies for corporations | organizations | municipalities

3 Monate

  • Kein Alt-Text für dieses Bild vorhanden
Caroline Werner

realizing and communicating "less net more zero" carbon strategies for corporations | organizations | municipalities

3 Monate

  • Kein Alt-Text für dieses Bild vorhanden
Caroline Werner

realizing and communicating "less net more zero" carbon strategies for corporations | organizations | municipalities

3 Monate

  • Kein Alt-Text für dieses Bild vorhanden

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Caroline Werner

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen