Zum Hyronimustag, feiert Malinche mit!
Malinche – "la lengua" oder „die Zunge“ – ein Portrait einer typischen Dolmetscherin im Rahmen Internationaler Beziehungen und Kooperation. Die Rolle der Dolmetscherin erfolgt oft als „Geisterrolle“, wobei wesentliche Verhandlungserfolge oft auf ihr Geschick und den natürlichen Umgang mit Sprache als Schlüssel zu erfolgreicher, fremdsprachiger Kommunikation zurückzuführen sind. Ohne „Malinche“, hätten wir heute vermutlich keine Tomaten, Kakao, Kaffee, Kartoffeln, Avocados...
Wir versetzen uns in die Anfänge des 16. Jahrhunderts, Standort Mexiko zur Zeit der Eroberung der Neuen Welt durch Hernán Cortés. Doña Marina, Malinche oder Malintzin gilt in den Translationswissenschaften als eine der ersten Dolmetscherinnen, von der visuelle Überlieferungen zu ihrer Tätigkeit als Sprachmittlerin vorhanden sind. Doña Marina war Tochter eines aztekischen Häuptlings. Ihre „Vatersprache“ war Nahuatl. Kurz nach dem Tod ihres Vaters gab ihre Mutter sie im Alter von ca. 6 Jahren an Handelsleute weiter, die der Maya Sprache mächtig waren, wodurch sie ihre zweite[1] Sprache lernte. Als Zeichen der Ehrerbietung wurde Marina bei der Ankunft von Cortés in Mexiko gemeinsam mit anderen jungen Mädchen an die spanischen Eroberer überreicht und befand sich ab dem Zeitpunkt unter dem Befehl von Cortés, wodurch sie zwangsläufig die Sprache der Eroberer lernte - Spanisch. Den Überlieferungen zufolge wissen wir, dass Doña Marina einen enormen Einfluss auf die erfolgreiche Eroberung Mexikos hatte. Inwiefern hatte Malinches „echte“ Zweisprachigkeit einen Einfluss auf den Erfolg von Cortés während der Eroberung Mexikos?
Doña Marina war eine Sprach- und Kulturmittlerin und entspricht der heutigen Dolmetscherin. Sie verfügte über das nötige Insider-Wissen bezüglich der Gesprächskonventionen, der Kultur und der Verhaltensweisen der Indianer und Spanier, die sie zu Cortés Nutzen anzuwenden wusste. Zu ihren Erfolgsrezepten zählte nicht nur ihr Einfühlungsvermögen in bestimmten Situationen, sondern auch ihr guter Umgang mit Menschen, der zur Informationsgewinnung damals und heute von großer Bedeutung war. So hat sie mehrmals geplante Angriffe der Indianer auf die Spanier rechtzeitig angekündigt, noch bevor die Gegner den Plan in die Tat umsetzen konnten. In Mexiko wird sie gelegentlich jedoch als Verräterin gesehen. Auf sie geht der gängige Ausdruck des „Malinchismus“ zurück – der Vorzug des Fremden gegenüber dem Eigenen.
Zum Internationalen Tag des Übersetzens möchte ich Marina, stellvertretend für all meine Kolleginnen, gratulieren und würdigen, für ihren Verdienst, auch z.T. zu schlechten Bedingungen (siehe Debatte zum Gebührenanspruch der Gerichtsdolmetscher) weiterhin mit relativ geringer Anerkennung seitens der Gesellschaft, Tag für Tag ihre Sprachkenntnisse in den Dienst ihrer Kunden stellen, im hinteren Kämmerlein verweilen und trotzdem für globale Verständigung und regen Handel sorgen. Dieser Menschenschlag ist neugierig, verfügt über einen erweiterten Horizont und kann leichter über den eigenen Tellerrand blicken als andere. Toleranz und Akzeptanz werden groß geschrieben. Zweisprachige bedienen sich ihrer Eigenschaft im Berufsalltag, um auf der interkulturellen Bühne für Verständigung zu sorgen, indem sie kulturelle Barrieren beseitigen und zugleich ihre bilingualen und bikulturellen Züge ausleben. Alles Gute uns zum Internationalen Tag der Übersetzerin!
[1] Die Bezeichnungen erste und zweite Sprache sind ohne Wertung zu betrachten.