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Document 52011AE0524

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Leitinitiative der Strategie Europa 2020 — Innovationsunion“ KOM(2010) 546 endg.

ABl. C 132 vom 3.5.2011, p. 39–46 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

3.5.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 132/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Leitinitiative der Strategie Europa 2020 — Innovationsunion“

KOM(2010) 546 endg.

2011/C 132/07

Berichterstatter: Gerd WOLF

Mitberichterstatter: Erik SVENSSON

Die Europäische Kommission beschloss am 6. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Leitinitiative der Strategie Europa 2020 — Innovationsunion

KOM(2010) 546 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 4. März 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 470. Plenartagung am 15./16. März 2011 (Sitzung vom 15. März) mit 184 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1   Innovationen führen zu Fortschritt, Wachstum, Wohlstand, sozialer Sicherheit, internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Sie müssen helfen, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Sie benötigen und unterstützen ein gesellschaftliches Klima der Zuversicht und des Selbstvertrauens, das angesichts der globalen Wettbewerbssituation zu weiterem Fortschritt und konstruktiver Dynamikführen kann. Damit Innovationen gut gedeihen, sind ein europäisches Konzept und ein europäischer Binnenmarkt erforderlich, wobei der Europäische Forschungsraum mit einem starken FuE-Rahmenprogramm eine maßgebliche Rolle spielt.

1.2   Daher begrüßt und unterstützt der Ausschuss ausdrücklich die Mitteilung der Europäischen Kommission und ihre Ziele sowie die einschlägigen Schlussfolgerungen des Rates (Wettbewerbsfähigkeit) vom 25./26. November 2010 und vom 4. Februar 2011. Die „Innovationsunion“ ist ein wesentlicher Baustein der Europa-2020-Strategie.

1.3   Der Ausschuss begrüßt insbesondere, dass Innovation in einem umfassenden, vernetzten Sinn verstanden und definiert werden, dass sie sich also sowohl auf Forschung, Technologie und Produkte erstreckt als auch auf alle zwischenmenschlichen Beziehungen und Organisationsformen wie z.B. soziale Leistungen Betriebsabläufe, Geschäftsmodelle, Design, Markenpolitik, Produktionsprozesse und Dienstleistungen sowie deren vielfältige Wechselbeziehungen. In Bezug auf „soziale Innovation“ empfiehlt der Ausschuss, bei der Ausgestaltung auch die Sozialpartner einzubinden.

1.4   Der Ausschuss befürwortet das Konzept von Innovationspartnerschaften, sofern diese – bei genau festgelegter Governance – mit bereits bestehenden Verfahren und Instrumenten vereinbar sind und auf diesen aufbauen, und soweit sie im Einklang mit einer Harmonisierung und Vereinfachung der Verwaltungsverfahren stehen. Er empfiehlt, zunächst mit der besonders wünschenswerten Innovationspartnerschaft „Aktives und gesundes Altern“ zu beginnen und damit Erfahrungen zu sammeln. Diese wäre zudem ein gutes Beispiel für das Zusammenwirken von gesellschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Innovationen.

1.5   Der Ausschuss empfiehlt, flankierende Maßnahmen, finanzielle Unterstützung und Bewertungskriterien auf beide Arten von Innovationen auszurichten: sowohl auf jene eher inkrementellen Innovationen, die auf herrschende Marktkräfte und gesellschaftliche Bedürfnissen reagieren, als auch auf die mehr radikalen Innovationen, die ihrerseits die Marktkräfte beeinflussen und neue gesellschaftliche Bedürfnisse schaffen, aber häufig zunächst eine besonders schwierige Durststrecke überwinden müssen.

1.6   Angesichts des dringenden Bedarfs an einem EU-Patent begrüßt und unterstützt der Ausschuss nachdrücklich den jüngsten diesbezüglichen Vorschlag der Europäischen Kommission. Dieser ermöglicht es, die Patentkosten in den teilnehmenden Mitgliedstaaten drastisch zu senken und auf dem Weg zum endgültigen EU-Patent eine entscheidende Etappe voranzukommen.

1.7   Der Ausschuss betont die wichtige Rolle von KMU und Kleinstunternehmen im Innovationsprozess und empfiehlt, Förderprogramme und -maßnahmen insbesondere auch auf ihre spezifischen Anforderungen zuzuschneiden. Er empfiehlt zudem, in Überlegungen einzutreten, ob und wie Neugründungen für eine angemessene Karenzzeit von einem Großteil der ansonsten üblichen Auflagen und Vorschriften entlastet werden könnten, und ob zudem spezielle weitere Anreize geschaffen werden könnten. Dies gilt auch für Unternehmen der Sozialwirtschaft.

1.8   Politische Hauptaufgabe ist es, europaweit zuverlässige und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und ausreichend Freiraum zu schaffen, um so potenzielle Erfinder und Innovationsprozesse von der Behinderung zu befreien, welche durch die derzeitige Fragmentierung und Überladung der Regelwerke und die vielfältigen bürokratischen Hürden – aufgeteilt auf 27 Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission – aufgebaut ist. Die dadurch bewirkte Entmutigung und Verzögerung, aus neuen und guten Ideen tatsächlich Innovationen zu schaffen, ist ein Nachteil Europas im globalen Wettbewerb und muss dringend beseitigt werden. Darum benötigen wir eine Geisteshaltung, in der Fortschritt und Innovation nicht als Risiko, sondern als Chance und Notwendigkeit gesehen werden, die es mit allen gesellschaftlichen Kräften zu fördern und durchzusetzen gilt.

1.9   Daher empfiehlt der Ausschuss, sich noch viel stärker auf den Abbau von Hindernissen zu konzentrieren, welche der raschen Implementierung von Innovationen und einer Realisierung der Innovationsunion entgegenstehen. Erfreulicherweise scheinen sich zwar echte Fortschritte in der Patentfrage abzuzeichnen, doch sind die verbleibenden Hürden genau diejenigen, die auch der Vollendung des Binnenmarktes und des Europäischen Forschungsraums im Wege stehen. Die EU darf hier keinesfalls resignieren, sondern muss ihre Anstrengungen in Sachen Vereinfachung und Harmonisierung sowie Zuverlässigkeit und Freiraum unbedingt fortführen. Der Ausschuss begrüßt die im kürzlich vorgelegten Grünbuch der Kommission (1) dazu erkennbaren Bemühungen, zu denen er gesondert Stellung nehmen wird. Der Ausschuss appelliert dazu aber vor allem auch an die Mitgliedstaaten und die Akteure der organisierten Zivilgesellschaft, sich ihrerseits dieser Aufgabe anzunehmen und ihren Beitrag zur Lösung zu erbringen.

2.   Inhalt der Kommissionsmitteilung

2.1   Im Rahmen der Europa-2020-Strategie schlägt die Europäische Kommission als eine der sieben Leitinitiativen die sogenannte „Innovationsunion“ als Gesamtkonzept vor. Bei dieser Initiative soll die EU die kollektive Verantwortung für eine integrative und unternehmensorientierte Forschungs- und Innovationsstrategie übernehmen, mit der die großen gesellschaftlichen Herausforderungen angegangen und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Diese Leitinitiative ergänzt weitere Leitinitiativen wie die Leitinitiative „Eine Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung“, mit der für eine starke, wettbewerbsfähige und breitgefächerte Wertschöpfungskette im verarbeitenden Gewerbe gesorgt werden soll, wobei der Schwerpunkt auf kleinen und mittleren Unternehmen liegt.

2.2   Die verschiedenen Handlungsnotwendigkeiten werden in einer 10-Punkte-Liste umrissen, die u.a. Maßnahmen in folgenden Bereichen umfasst: Stärken der Wissensbasis, guten Ideen auf den Markt verhelfen, den sozialen und territorialen Zusammenhalt maximieren, der Politik nach außen mehr Gewicht verleihen, die Forschungs- und Innovationssysteme bewerten und reformieren, sowie Europäische Innovationspartnerschaften schaffen.

2.3   Um diese Ziele zu erreichen, werden in einem 34-Punkte-Programm – dem Hauptteil der Mitteilung – die Selbstverpflichtungen der Mitgliedstaaten vorgeschlagen sowie geplante Maßnahmen der Europäischen Kommission dargelegt.

2.4   In drei Anhängen werden folgende Themen angesprochen und Maßnahmen vorgeschlagen:

Merkmale funktionierender nationaler und regionaler Systeme für Forschung und Innovation;

Leistungsindikatoren für Forschung und Innovation;

Europäische Innovationspartnerschaften.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Bedeutung des Themas: Innovationen führen zu Fortschritt, Wachstum, sozialer Sicherheit, Wohlstand, internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Sie müssen helfen, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Sie benötigen und unterstützen ein gesellschaftliches Klima der Zuversicht und des Selbstvertrauens, das angesichts der globalen Wettbewerbssituation zu weiterem Fortschritt und konstruktiver Dynamik führen kann. Daher ist das Konzept der „Innovationsunion“ ein wesentlicher Baustein der Europa-2020-Strategie, die von grundlegender Bedeutung für die Zukunft Europas ist. Diese Strategie soll zur Verwirklichung des Ziels beitragen, das sich die EU in der Lissabon-Strategie gesetzt hat: „Wenn wir unser Ziel erreichen, bis 2020 3 % des Bruttoinlandsprodukts der EU für Forschung und Entwicklung auszugeben, könnten wir jüngsten Schätzungen zufolge bis 2025 3,7 Millionen Arbeitsplätze schaffen und unser BIP um fast 800 Mrd. EUR steigern.“ Daher müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten selbst in Zeiten knapper Kassen mehr in Bildung, Forschung, Entwicklung und Innovation investieren.

3.2   Innovationen und ihr Umfeld: Innovationen, in ihrer vollen Breite, erstrecken sich auf alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, bildungspolitischen, wissenschaftlichen, technischen, beschäftigungsbezogenen, organisatorischen und kulturellen Aspekte und Aktivitäten. Dieses erweiterte Innovationskonzept umfasst Produkt- und Dienstleistungsinnovationen sowie technische, soziale und funktionale Innovationen in allen Branchen und allen Arten von Organisationen einschließlich der Unternehmen, gemeinnützige Einrichtungen, Stiftungen und Organisationen des öffentlichen Sektors. Innovationen sind nicht notwendig Folge eines linearen Prozesses, sondern entstehen aus der Vernetzung und Verflechtung verschiedener Ausgangssituationen; sie gedeihen also in einem gesunden „wirtschaftlichen und sozialen Ökosystem“ aus einer Mischung und Verbindung verschiedener Konzepte und Kompetenzen.

3.3   Ratsarbeitsgruppen Wettbewerbsfähigkeit und Forschung: Darum ist es wichtig, dass die Ratsarbeitsgruppen Wettbewerbsfähigkeit und Forschung gemeinsam agieren und zu einer gemeinsamen Schlussfolgerung kommen werden, mit Abstimmung zu angrenzenden Politikbereichen wie Industrie, Bildung, Energie und Informationsgesellschaft. Außerdem bedarf es einer engen Verknüpfung mit anderen Leitinitiativen, insbesondere in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung und Beschäftigung.

3.4   Grundsätzliche Zustimmung und Unterstützung: Folglich begrüßt und unterstützt der Ausschuss im Wesentlichen die Mitteilung der Europäischen Kommission und ihre Ziele sowie die einschlägigen Schlussfolgerungen des Rates vom 25./26. November 2010 und vom 4. Februar 2011.

Dies gilt insbesondere für:

die Festlegung einer Definition von Innovation (2), die sich sowohl auf Wissenschaft und Technik als auch auf Geschäfts- und Organisationsmodelle und -verfahren, Designlösungen, Marken und Dienstleistungen bezieht;

die Beseitigung ungünstiger Rahmenbedingungen, den Abbau von Hindernissen, die Vereinfachung von Prozessen und die Erleichterung der europäischen Zusammenarbeit;

die Einbeziehung aller einschlägigen Akteure und Regionen in den Innovationszyklus;

die Einbeziehung des öffentlichen Auftragswesens als weiterer Bereich mit erheblichem Potenzial für Innovationen;

die Ausschöpfung des europäischen Regional- und Strukturfonds zum Aufbau von Forschungs- und Innovationskapazitäten;

die Ausschöpfung des europäischen Sozialfonds zur Unterstützung sozialer Innovationen;

die Erleichterung des Zugangs von KMU und Kleinstunternehmen zum Rahmenprogramm und zu Finanzierungsmitteln;

die Förderung von Spitzenleistungen in Bildung und beim Erwerb von Fähigkeiten;

die Schaffung von Hochschulen von Weltrang;

die Verwirklichung des Europäischen Forschungsraums bis 2014, die Förderung offener, hervorragender und attraktiver Forschungssysteme;

die Schaffung eines Binnenmarkts für Innovation;

eine Einigung über das EU-Patent;

die Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen.

3.4.1   Schwerpunkt der Stellungnahme: Die Kommissionsmitteilung ist zu umfangreich, um hier in allen Aspekten behandelt zu werden. Daher werden in dieser Stellungnahme in erster Linie jene Punkte aufgegriffen, die spezielle Aufmerksamkeit oder weitere Klarstellungen erfordern. Dies soll aber nicht von der grundsätzlichen Zustimmung des Ausschusses zum Gesamtziel und zu vielen der vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen ablenken.

3.5   Bisherige Prozesse und Erfolge einbeziehen: In der Mitteilung sind neue Elemente und Vorschläge enthalten, und es wird auch die Brücke zu den verschiedenen Politikbereichen geschlagen. Kurz, es wird auf eine umfassende und kohärente Politik abgezielt. Allerdings handelt es sich bei vielen Situations-Analysen und Zielen um seit langem in vielen Kommissionsmitteilungen, EWSA-Stellungnahmen und Ratsbeschlüssen (z.B. dem Ljubljana-Prozess) formulierte Probleme und Zielsetzungen. Dazu wurden bereits umfassende Maßnahmen und Verfahren auf den Weg gebracht (3). Diese sollten deutlicher berücksichtigt, weitergeführt und anerkannt werden, um die bisherigen Leistungen der Europäischen Kommission und der sonstigen beteiligten Akteure nicht zu schmälern, sondern vielmehr zu nutzen und auf ihnen aufzubauen. Die vorgeschlagenen neuen Maßnahmen und Instrumente sollten mit bereits bestehenden Verfahren harmonisiert werden, um zusätzliche Komplikationen und Doppelarbeit zu vermeiden und die notwendige Kontinuität, Rechtssicherheit und Beständigkeit zu gewährleisten (4).

3.6   Harmonisieren: Daher sollten die neu vorgeschlagenen Maßnahmen wie Innovationspartnerschaften (siehe Ziffer 4.4) einen Mehrwert im Vergleich zu bestehenden Maßnahmen bringen. Das heißt, dass Forschungs- und Innovationsförderinstrumente harmonisiert und vereinfacht werden müssen (siehe Ziffer 3.8.2) und der Zugang zu den Programmen erleichtert werden muss. Gleichzeitig muss Exzellenz nach wie vor das Leitprinzip sein. Forschungsergebnisse sollten besser zugänglich und verfügbar gemacht werden, und zwar durch die Verbesserung des Transfers von Wissen und Know-how (5) (siehe Ziffer 3.8.3 und Fußnote 12).

3.7   Freiräume ermöglichen: Die Ideen, Konzepte und Erkenntnisse, die den Boden für Innovationen bereiten, sind schon per definitionem nicht vorhersehbar. Darum sind für ihr Gedeihen und das Entstehen von Innovationen ausreichende Freiräume sowie stimulierende und verlässliche Rahmenbedingungen erforderlich; Freiraum, Förderung und Anerkennung sind der Nährboden für Kreativität und Innovation, zudem selbständiges Handeln, Unternehmergeist, Risikobereitschaft und Risikoakzeptanz. Politische Hauptaufgabe ist es demzufolge, ein innovationsfreundliches „wirtschaftliches und soziales Ökosystem“ zu schaffen, diese Rahmenbedingungen europaweit sicherzustellen, und somit potenzielle Erfinder und Innovationsprozesse nicht durch unüberschaubare unterschiedliche Regelwerke und bürokratische Hürden abzuschrecken (siehe Ziffer 3.12 und 3.13).

3.7.1   Konzentration und Breite: Es gibt bestimmte, klar definierbare Entwicklungsziele wie den Bereich Energie und Klimaschutz (6), die ggf. eine Konzentration der eingesetzten Mittel erfordern. Aber ebenso wichtig ist ein ausreichend breit gefächertes „wirtschaftliches Ökosystem“ vielfältiger Entwicklungslinien und deren mögliche Vernetzung. Ansonsten besteht das Risiko, dass a priori ausgerechnet jene Lösungen ausgeschlossen werden, die zwar grundlegend neuartig und innovativ sind, deren Potenzial aber anfänglich nicht einmal in Fachkreisen erkannt wird. Dann könnte Europa Gefahr laufen, anstatt als Vorreiter aufzutreten und selbst die jeweils führende „Modelinie“ zu formen, anderen Akteuren hinterherzulaufen und im internationalen Wettbewerb den Kürzeren zu ziehen. Letzteres ist ein typisches Kennzeichen zentralistischer Planwirtschaft. Daher sollten Merkmale derartiger Wirtschaftsform unbedingt vermieden und zugleich das Subsidiaritätsprinzip beachtet werden.

3.7.2   Marktkräfte: Normalerweise orientieren sich Innovationsprozesse an den herrschenden Marktkräften und Verbraucheranforderungen, auf deren Erfüllung sie abstellen. Demgegenüber zeichnen sich die wirklich großen Innovationen dadurch aus, dass sie die Marktkräfte selbst formen und neue Verbraucheranforderungen und Marktsegmente schaffen (7). Diese Innovationen benötigen während der kritischen Anlaufphase besondere Unterstützung, ehe sie anerkannt werden, den wirtschaftlichen Durchbruch schaffen und ihr enormes wirtschaftliches Potenzial unter Beweis stellen können.

3.8   Fragmentierung: Die Europäische Kommission argumentiert erneut, die Europäische Forschungs- und Innovationslandschaft sei fragmentiert. Diese Aussage trifft zwar auf mehrere wichtige Aspekte zu, stimmt allerdings nur teilweise und sollte präzisiert werden.

3.8.1   Bestehende Kooperationsnetze: Sowohl in Wirtschaft und Wissenschaft (8) als auch in der Sozialwirtschaft und Kreativwirtschaft gibt es seit langem europäische – und in vielen Fällen sogar globale – Verbindungen und Kooperationsnetze (9), die ihre Grenzen im Spannungsfeld zwischen Kooperation und Wettbewerb kontinuierlich neu anpassen und festlegen. Dies sind maßgebliche Prozesse der Selbstorganisation der jeweiligen Akteure und ihrer Organisationen. Sie bedürfen der Kenntnisnahme, Anerkennung und Förderung durch die Europäische Kommission, die auf ihnen aufbauen sollte. Und genau für solcherart Prozesse sollten die noch bestehenden Hindernisse des Binnenmarkts für einen Europäischen Innovationsraum beseitigt werden.

3.8.2   Regelwerke – Vereinfachung und Harmonisierung: Anzustreben ist eine schrittweise Vereinfachung und Harmonisierung der rechtlich-administrativen und finanziellen Regelwerke (10) sowohl zwischen den Mitgliedstaaten untereinander als auch mit der Europäischen Kommission als wichtiger Schritt zur Vollendung des Europäischen Binnenmarkts, des Europäischen Forschungsraums und des von der Europäischen Kommission angestrebten Europäischen Innovationsraums. Falls die derzeit noch bestehende Verschiedenheit, Überbestimmung, Überlappung und Komplexität dieser Regelwerke als Fragmentierung gemeint sein sollte, findet die Europäische Kommission hier die uneingeschränkte Unterstützung des Ausschusses.

3.8.3   Frühere Stellungnahmen: Allerdings existieren Fragmentierung sowie unübersichtliche Vorschriften und Instrumente nicht nur in den Mitgliedstaaten, sondern auch in der Europäischen Kommission selbst. Der Ausschuss hat sich bereits in einer früheren Stellungnahme eben dieses Themas angenommen und bekräftigt die darin ausgesprochenen Empfehlungen (11). Er hat diese wichtigen Ziele außerdem in seinen Stellungnahmen zur gemeinsamen Planung der Forschungsprogramme (12), zum FuE-Rahmenprogramm, zur Innovationspolitik in einer Welt im Wandel (13) und zur Zusammenarbeit zwischen Forschungsorganisationen, Industrie und KMU (14) unterstützt. Er verweist auf seine Empfehlungen zu Verbreitung, Transfer und Nutzung von Forschungsergebnissen, insbesondere durch die Entwicklung eines Internet-Such-Systems zu diesem Zweck (15).

3.8.4   Forschungsinfrastrukturen: Aufwendige Infrastrukturen können ebenfalls als Beispiel für Fragmentierung herangezogen werden, wenn sie nicht von einer internationalen Gemeinschaft genutzt und finanziert werden. Einige dieser Infrastrukturen können sowohl bezüglich der erforderlichen Investitionen und Betriebsmittel als auch bezüglich einer optimalen Auslastung und Nutzung den Aufgabenbereich eines einzelnen Mitgliedstaates übersteigen. Der Ausschuss stimmt mit dem in der Fußnote angeführten Standpunkt der Europäischen Kommission (16) überein. Aus diesem Grund könnte ein gemeinsames Vorgehen gerade in diesem Bereich einen besonders hohen Mehrwert schaffen (17); folglich sollte hier eine gemeinsame Gesamtfinanzierung durch Mitgliedstaaten und EU erfolgen.

3.9   EU-Patent: Das Fehlen eines EU-Patents ist eine nicht akzeptable, teure und schädliche Fragmentierung, die überwunden werden muss, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu steigern und ein positives Signal an alle anderen Bereiche der Innovationsunion zu senden. Die Europäische Kommission hat wiederholt den Versuch unternommen, eine annehmbare Lösung für diese Achillesferse der europäischen Industrie- und Innovationspolitik zu finden. Der Ausschuss begrüßt daher den jüngsten Vorschlag der Europäischen Kommission (vom 14. Dezember 2010) für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen teilnehmenden Mitgliedstaaten, um im Einklang mit den Verträgen ein entscheidendes Zwischenziel auf dem Weg zu einem endgültigen (von allen Mitgliedstaaten anzuwendenden) EU-Patent zu erreichen. Er fordert das Europäische Parlament (18) und den Rat auf, das vorgeschlagene Verfahren als entscheidende und wichtige Etappe auf dem Weg zu dem endgültigen EU-Patent anzunehmen. Er schließt sich der Meinung (19) an, dass diese Vorgehensweise „wirtschaftlich unverzichtbar und politisch vertretbar ist“.

3.10   Zwischenmenschliche Beziehungen und Organisationsformen: Ein großes Potenzial für Innovationen liegt in der gesamten Bandbreite der zwischenmenschlichen Beziehungen und Organisationsformen. Der Ausschuss befürwortet das Ziel der Europäischen Kommission, derartige Innovationen in ihrer alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, technischen, ökologischen, organisatorischen, beschäftigungspolitischen und kulturellen Aspekte und Aktivitäten umfassenden Breite zu fördern. Dies betrifft neuartige Geschäfts- und Organisationsmodelle und -verfahren, private Dienstleistungen, öffentliche Dienstleistungen und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Aus- und Weiterbildung, Medien, Kunst und Unterhaltung, letztlich alle Aspekte menschlichen Handelns und Zusammenlebens.

3.10.1   Unternehmen und Arbeitsplätze Rolle der Arbeitnehmer: Eine optimale Arbeitsorganisation ist ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Darum tragen innovative Arbeitsplätze zur Verbesserung der Leistung der Arbeitsnehmer und der Unternehmensperformance bei. Die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter zeigt sich als die Fähigkeit, Produkt- oder Dienstleistungskonzepte bzw. soziale oder funktionale Konzepte zu entwickeln oder zu verbessern, die dem Kunden Mehrwert bringen. Hierbei spielen lebenslanges Lernen und kumulative Erfahrungen eine wichtige Rolle. Dabei kommt den Arbeitnehmern eine wichtige Rolle als Wissens- und Ideenquelle zu; dieses Potenzial sollte besser genutzt werden. Eine erhöhte Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen hierarchischen Ebenen könnte die Verbreitung neuer Ideen und Vorschläge erleichtern.

3.10.2   Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern: Auf Unternehmensebene sind Vertrauen und Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern, Weitsicht, Kompetenz, Motivation, Engagement und effizientes Innovationsmanagement die wichtigsten Komponenten.

3.10.3   Dienstleistungen und öffentliches Beschaffungswesen: Der öffentliche Sektor kann ebenfalls als Impulsgeber für Innovationen auftreten. Der Ausschuss unterstützt die Aussage der Europäischen Kommission (siehe Anlage I), dass der öffentliche Sektor Anreize zur Verfügung stellt, um Innovationen innerhalb seiner Einrichtungen und bei öffentlichen Dienstleistungen zu fördern. Dies umfasst sowohl den (privaten und öffentlichen) Dienstleistungssektor als auch das verarbeitende Gewerbe, das mithilfe dieser Dienstleistungen neue Wettbewerbsvorteile zu finden hofft. Von der Innovationsunion müssen klare Signale ausgehen, dass die EU dieses (private und öffentliche) Potenzial zu nutzen gedenkt.

3.10.4   Soziale Innovationen: Soziale Innovationen sollten jenen Bedürfnissen Rechnung tragen, die vom Markt oder dem öffentlichen Sektor nicht angemessen berücksichtigt werden. Dies betrifft neue Verhaltensweisen, Interaktionen, institutionelle Vereinbarungen und Netze. Soziale Innovationen, technologische und nichttechnologische Innovationen greifen häufig ineinander und können die Wechselwirkung zwischen Herstellern und Nutzern, die Entwicklung von Strukturen sowie unterstützenden Methoden und Technologien verstärken. Durch die vielseitige Verwendung von Technologien (z.B. IKT) werden neuartige Kooperationsmethoden, Vorgehensweisen und Managementmethoden möglich. Der Ausschuss begrüßt, dass die Europäische Kommission zusammen mit den Sozialpartnern nach Wegen zur Verbreitung der Wissenswirtschaft auf allen beruflichen Ebenen und in allen Wirtschaftszweigen suchen will.

3.11   Konzept der Innovationsunion: Nach Meinung des Ausschusses eignet sich das Konzept der Innovationsunion sehr gut, um die in der Kommissionsmitteilung dargelegten Ziele zusammenzufassen und zu verkörpern. Dieses Konzept sollte gemeinsam und gleichwertig mit den bestehenden Konzepten des Binnenmarktes und des Europäischen Forschungsraums umgesetzt werden. In diesem Sinne wird auch Abschnitt 2.2 der Kommissionsmitteilung vom Ausschuss vorbehaltlos unterstützt. Der Ausschuss begrüßt, dass viele seiner nachfolgenden Empfehlungen dort angesprochen sind.

3.12   Abbau von Hindernissen: Eines der erklärten Ziele der Europäischen Kommission ist der Abbau von Innovationshindernissen auf europäischer Ebene. Der Ausschuss ist sich zwar bewusst, dass dies eine umfangreiche und schwierige Aufgabe ist, die eng mit der weiteren Vollendung des Binnenmarktes verknüpft ist, betont hier aber dennoch, dass es in der Kommissionsmitteilung an detaillierten Informationen darüber mangelt, was die Europäische Kommission in dieser entscheidenden Frage konkret beabsichtigt. Darum begrüßt der Ausschuss die im kürzlich vorgelegten Grünbuch der Kommission (20) dazu erkennbaren Bemühungen, zu denen er gesondert Stellung nehmen wird.

3.13   Politische Hauptaufgabe und vorrangige Empfehlung. Politische Hauptaufgabe und vorrangige Empfehlung ist es darum, europaweit zuverlässige und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und ausreichend Freiraum zu schaffen, um so potenzielle Erfinder und Innovationsprozesse von der Behinderung zu befreien, welche durch die derzeitige Fragmentierung, Reglementierung und Überladung der Regelwerke sowie die vielfältigen bürokratischen Hürden – aufgeteilt auf 27 Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission – aufgebaut ist. Dadurch werden Initiativen entmutigt und der notwendige Prozess, aus neuen und guten Ideen tatsächlich Innovationen zu schaffen und zu implementieren, spürbar verzögert und beeinträchtigt. Dies ist ein gravierender Nachteil Europas im globalen Wettbewerb, der dringend beseitigt werden muss. Darum benötigen wir eine Geisteshaltung, in der Fortschritt und Innovation nicht als Risiko, sondern als Chance und Notwendigkeit gesehen werden, die es mit allen gesellschaftlichen Kräften zu fördern und durchzusetzen gilt. Der Ausschuss appelliert dazu aber auch an die Mitgliedstaaten und die Akteure der organisierten Zivilgesellschaft, sich ihrerseits dieser Aufgabe anzunehmen und ihren Beitrag zur Lösung zu erbringen.

3.14   Bessere Ausbildung und Anerkennung: Der Ausschuss unterstützt die Kommission in ihrem Ziel, unser Bildungswesen auf allen Stufen zu modernisieren. Dazu benötigen wir mehr Hochschulen von Weltrang und müssen das Qualifikationsniveau heben. Das Verständnis für naturwissenschaftliche und technische Berufe muss wirksam gefördert und diese Berufe müssen stärker anerkannt werden.

3.15   Knapper Zeitplan: Angesichts der vielfältigen und komplexen Teilaspekte der Mitteilung, der Bedeutung der Problemlage, und den hier vorgebrachten Gesichtspunkten ist der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Zeitplan eher knapp bemessen. Darum empfiehlt der Ausschuss eine Vorgehensweise, bei der zwischen der Dringlichkeit der grundsätzlichen Ziele und der Ausarbeitung der einzelnen vorgeschlagenen Maßnahmen und Instrumente unterschieden werden sollte.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   KMU als Hauptakteure: Der Ausschuss stimmt mit der Europäischen Kommission überein, dass die kleinen und mittleren Unternehmen als Hauptakteure der Volkswirtschaft von der Innovations-Initiative und ihren Fördermaßnahmen besonders begünstigt werden sollten. Dabei sollten die Definitionen von KMU und deren Gewichtung allerdings noch weiter überdacht werden, denn gerade angesichts der neuen Vernetzungsmöglichkeiten durch die Instrumentarien der IKT gewinnen auch Mikro-Unternehmen, möglicherweise sogar Ein-Mann-Unternehmen zunehmend an Bedeutung – gegebenenfalls sollte sogar die Grenzziehung zu den freien Berufen überdacht werden. Der Ausschuss verweist auf die Bedeutung von Innovationen im Dienstleistungssektor und am Arbeitsplatz, insbesondere für die Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität von KMU (siehe Ziffer 3.10.1 und 3.10.2).

4.1.1   Benachteiligungen von KMU: Viele der obengenannten bürokratischen Innovationshindernisse benachteiligen insbesondere KMU und Neugründungen gegenüber den großen, dafür aber notwendig auch schwerfälligeren Unternehmen mit ihren wohlausgestatteten Rechtsabteilungen, Auslandsbüros etc. Dies mag z.B. nicht zuletzt eine der Ursachen dafür sein, dass die EU die Marktführerschaft innovativer IKT-Produkte (21) inzwischen fast vollständig an die USA verloren hat.

4.2   Bewertungsindikatoren: Der Ausschuss hatte bereits in einer vorangegangenen Stellungnahme (22) darauf hingewiesen, dass die EU gleich über mehrere diesbezügliche Analyseinstrumente verfügt; dementsprechend hatte er aus Gründen der Kohärenz empfohlen, eine einzige „Europäische Beobachtungsstelle für Innovation“ zu schaffen welche die bestehenden Instrumente übernimmt, zugleich aber besser aufeinander abstimmt. Darüber hinaus gibt der Ausschuss zu bedenken, dass

viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Kriterien Nachhaltigkeit beinhalten;

gerade die Krise gezeigt hat, dass zu kurzfristige Planungsziele und Bewertungskriterien zu unerwünschten Entwicklungen und sogar zu Krisen führen können;

langsames, dafür aber stetiges Wachstum oft den größeren Gesamterfolg und volkswirtschaftlichen Nutzen ergibt;

gerade kleine Start-up-KMU im Erfolgsfall häufig von großen Firmen aufgekauft bzw. übernommen werden und so ggf. aus der Statistik fallen;

bedeutende Innovationen oftmals eine eher lange Anlaufzeit benötigen, ehe sie den wirtschaftlichen Durchbruch schaffen und ihr umfassendes wirtschaftliches Potenzial unter Beweis stellen;

die Mitgliedstaaten und Regionen der EU jeweils unterschiedliche Voraussetzungen für Innovationen (z.B. Klima, Verkehrwege, Ressourcen) aufweisen und daher nach ihren spezifischen Stärken und Schwächen zu bewerten sind.

4.2.1   Daher sollte die Europäische Kommission ihre Zusammenarbeit mit der OECD fortführen und ein einziges, aber konsistentes Paket aus umfassenden und ausgewogenen Indikatoren entwickeln, welche auch die obigen Gesichtspunkte sowie den langfristigen Erfolg von Innovationen berücksichtigen. Der Ausschuss betrachtet die von der Europäischen Kommission in Anhang I beschriebenen „Merkmale funktionierender nationaler und regionaler Systeme für Forschung und Innovation“ hierfür als hilfreich.

4.3   Barrierefreiheit: Ein weiteres Beispiel für ein großes Innovationspotential sind barrierefreie Produkte und Dienstleistungen, durch die Menschen mit Behinderungen als Bürger und als Verbraucher vollständig in die Gesellschaft integriert werden können. Dabei handelt es sich um einen weitgehend unerschlossenen Markt von beachtlichem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Potenzial.

4.4   Innovationspartnerschaften: Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Europäischen Innovationspartnerschaften (EIP) könnten attraktive Merkmale anbieten. Trotz der Ungewissheit über ihre detaillierte Ausgestaltung und der in Ziffer 3.5 und 3.6 geäußerten Vorbehalten könnten Innovationspartnerschaften neue Möglichkeiten eröffnen, um die gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Wenn die EU ihre innovationspolitischen Instrumente gleichzeitig sowohl angebots- als auch nachfrageorientiert einsetzt und die von Forschung und Technologie ausgehende Schubkraft mit der entsprechenden Zugkraft des Marktes gepaart wird, kann die EU neue Wettbewerbsvorteile erzielen. Um dieses Potenzial zum Tragen zu bringen, muss sich die EU allerdings auf jene Aspekte konzentrieren, bei denen Innovationspartnerschaften einen Mehrwert im Vergleich zu bestehenden Maßnahmen erbringen. Innovationspartnerschaften sollten darum nicht zu einem allseitig verpflichtenden, starren Handlungsrahmen der europäischen Innovationsakteure (einschl. der beteiligten Förderorganisationen auf regionaler und nationaler Ebene) werden. Die Prinzipien der Freiwilligkeit, der variablen Geometrie, der Transparenz und einer klaren, einfach handhabbaren Governance sind sicherzustellen. Nach Festlegung der erforderlichen Governance-Struktur wäre es daher ratsam, mit einer sorgfältig ausgewählten Innovationspartnerschaft zu beginnen und die dabei gesammelten Erfahrungen bei der Auswahl der nächsten Partnerschaft zu nutzen.

4.4.1   Aktives und gesundes Altern: Der Ausschuss empfiehlt daher, zunächst mit der besonders geeigneten und wünschenswerten Innovationspartnerschaft „Aktives und gesundes Altern“ zu beginnen. Diese wäre zudem ein gutes Beispiel für das komplexe Zusammenwirken von gesellschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Innovationen. Der Ausschuss möchte gerade für diesen Bereich die Bedeutung des vor-wirtschaftlichen und öffentlichen Beschaffungswesens für innovative Dienstleistungen betonen. Dieses kann eine entscheidende Rolle spielen, um hier neue Märkte zu erschließen und die Leistungsfähigkeit und Güte des öffentlichen Dienstes zu verbessern.

4.4.2   Wassersparendes Europa: Als eine weitere der ins Auge gefassten Innovationspartnerschaften wird in Anhang III der Mitteilung „Wassersparendes Europa“ vorgeschlagen. Hier empfiehlt der Ausschuss eine differenziertere Betrachtungsweise, in der besser zwischen solchen Regionen in der EU, in denen Wasserknappheit ein dominierendes Problem ist, und Regionen, in denen ausreichende Regenfälle und eine ausreichende Wasserversorgung vorhanden sind, unterschieden wird. Darum empfiehlt der Ausschuss hier einen anderen Titel, nämlich „Nachhaltiges Wassermanagement“.

4.5   „Ergebnisorientiertes“ Konzept: Der Ausschuss gibt zu bedenken, dass die Innovationspartnerschaften der Europäischen Kommission zufolge ergebnisorientiert gefördert werden sollen. Da der Ausschuss in Abhängigkeit von der Definition dieses Begriffs bereits stärkste Bedenken gegen seine Anwendung formuliert hat, nämlich in seiner Stellungnahme zur Vereinfachung der Durchführung von Forschungsrahmenprogrammen (siehe dort Ziffer 1.8 und 4.8) (23), empfiehlt er klarzustellen, was aus verfahrenstechnischer Sicht hier wirklich gemeint ist. Er betont erneut, dass für wichtige Erfindungen die langfristige Tragfähigkeit von grundlegender Bedeutung sein kann.

4.6   Zentrale Rolle des FuE-Rahmenprogramms: Die FuE-Rahmenprogramme der EU haben erheblich zu den bislang erzielten Erfolgen beigetragen und sollten in Zukunft weiter gestärkt und in ihrer eigenständigen Bedeutung betont werden. Unbeschadet der Notwendigkeit weiterer Vereinfachungen bietet das FuE-Rahmenprogramm ein erfolgreiches, weltweit bekanntes, von den Innovationsakteuren intensiv genutztes und in seinen Verfahren verstandenes, akzeptiertes Instrumentarium zur Gestaltung des Europäischen Forschungsraums. Das Forschungsrahmenprogramm und – in Ergänzung dazu – das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) müssen daher in ihrer eigenständigen Bedeutung für das Ziel „Innovationsunion“ deutlicher herausgestellt werden. Die Instrumente der Verbundforschung haben zur Bildung leistungsfähiger europäischer Konsortien beigetragen und sind beizubehalten, um die benötigte Kontinuität sicherzustellen (24). Im Hinblick auf die hier erörterte Innovationspolitik sollte auch die sozioökonomische Forschung stärker gefördert werden.

4.7   Zentrale Rolle des Europäischen Forschungsraums – ein Binnenmarkt für Forscher: Die zentrale Rolle des Europäischen Forschungsraums (siehe auch Ziffer 3.11) und die Anforderungen für seine Vollendung waren Gegenstand zahlreicher früherer Stellungnahmen. Der Ausschuss bekräftigt hierzu erneut, dass die Mobilität von Forschern sowie die Anerkennung von akademischen und Forschungsqualifikationen von grundlegender Bedeutung sind, wie auch die Aspekte Sozialversicherung, angemessene Entlohnung und Rentensysteme. Die derzeitige Situation ist insbesondere für junge Wissenschafter und Forscher nach wie vor in hohem Maße unbefriedigend und entmutigend. Der Ausschuss begrüßt und unterstützt daher ausdrücklich die Schlussfolgerungen des Rates (25) (am 2. März 2010) zur Mobilität und zu den Karrieremöglichkeiten europäischer Forscher; die EU benötigt einen attraktiven und funktionierenden Binnenmarkt für Forscher!

4.8   Risiko-Kapital: Trotz positiver Entwicklungen seitens der EIB – und hier begrüßt der Ausschuss ganz besonders die zwischen der Europäischen Kommission und der EIB gegründete Fazilität für Finanzierungen auf Risikobasis (RSFF) – besteht immer noch ein Mangel an ausreichendem und genügend rasch verfügbarem Risiko-Kapital für innovative Unternehmensgründungen und deren anfängliches Überleben. Dies gilt sowohl während deren Gründungsphase als auch besonders während der Durststrecke bis zum ersten wirtschaftlichen Erfolg. Hier werden zudem auch Klein- und Mikro-Kredite benötigt, die es erlauben, Risiken abzufedern aber am Erfolg zu partizipieren.

4.9   Cluster: Der Ausschuss betont erneut die innovationsfördernde Ausstrahlung von regionalen, grenzüberschreitenden Clustern und Innovations-Polen. Dabei geht es nicht nur um die bereits „klassische“ Verknüpfung von Forschungseinrichtungen und Unternehmen, sondern auch um das ergänzende, fruchtbare Netzwerk, welches sich zwischen den entstandenen Spezialfirmen entwickelt. Der Ausschuss empfiehlt, dies mit den Mitteln des Strukturfonds weiter fördernd zu unterstützen.

4.10   Erleichterungen und Anreize bei Neugründungen: Der Ausschuss regt an zu bedenken, ob man bei Neugründungen nicht eine Ausnahmeklausel entwerfen könnte, welche letztere für eine ausreichende Frist von den meisten der sonst üblichen jeweiligen administrativen Auflagen und Vorschriften aller Arten befreit und zudem weitere Anreize (z.B. Steuererleichterungen) schafft. Damit wären eine Karenzzeit und ein Freiraum verfügbar, während der zunächst die wirtschaftlich-technische Erfolgschance demonstriert werden könnte. Der Ausschuss ist sich bewusst, dass dieser Vorschlag eine delikate und differenzierte Risiko- und Interessenabwägung erfordert, die es aber wert sein könnte, tatsächlich vorgenommen zu werden.

Brüssel, den 15. März 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  KOM(2011) 48 endg. vom 9.2.2011.

(2)  KOM(2009) 442 endg. vom 2.9.2009.

(3)  Das Thema „Innovation“ wurde ausführlich im Aho-Bericht (Bericht der unabhängigen Expertengruppe „FuE und Innovation“, die im Anschluss an das Gipfeltreffen in Hampton Court unter dem Vorsitz von Esko Aho eingesetzt wurde, Januar 2006, EUR 22005) sowie in der EWSA-Stellungnahme zum Thema „Investitionen in Wissen und Innovation (Lissabon-Strategie)“ (ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 17) erörtert. Koordiniertes Vorgehen der Mitgliedstaaten und partnerschaftliche Maßnahmen sind Thema des Ljubljana-Prozesses (RECH 200 COMPET 216 – „The Ljubljana Process is an enhanced partnership between the Member States, associated countries, stakeholders and the Commission to make European research more effective.“), zahlreicher ERA-NET-Initiativen (gemäß Artikel 181), der „Gemeinsamen Technologieinitiativen“, der Wissens- und Innovationsgemeinschaften (KIC) des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT), der „Gemeinsamen Programmplanung“ und der EWSA-Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Gemeinsame Planung der Forschungsprogramme: Bessere Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen durch Zusammenarbeit“ (ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 56). Die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie wird in der EWSA-Stellungnahme zum Thema „Zusammenarbeit und Wissenstransfer zwischen Forschungsorganisationen, Industrie und KMU - eine wichtige Voraussetzung für Innovation“ (ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 8) behandelt, internationale Zusammenarbeit in der EWSA-Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Europäischer Strategierahmen für die internationale wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit“ (ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 13) und Vereinfachung in der EWSA-Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Vereinfachung der Durchführung von Forschungsrahmenprogrammen“ (ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 129).

(4)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 129.

(5)  ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 8 (Ziffer 1.2).

(6)  ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 49.

(7)  Als Beispiel seien das Flugzeug oder andere revolutionäre Erfolge genannt wie Fernsehen, Radar, Laser, PC, Mikroelektronik, Glasfaserkabel, Internet/E-Mail (einschl. Suchmaschinen, elektronischer Geschäftsverkehr usw.), Digitalkameras, raketengestartete Satelliten und GPS, die allesamt miteinander verbunden sind und sich gegenseitig neue Impulse verleihen.

(8)  Z.B. durch die Instrumente der Verbundforschung, Ziffer 4.6.

(9)  Z.B. „Forschung und Lehre 11/10“, S. 788-796, Mitteilungen des Deutschen Hochschulverbands, November 2010.

(10)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 129 (Ziffer 3.5 und 3.7).

(11)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 129 (Ziffer 1.4).

(12)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 56.

(13)  ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 80.

(14)  ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 8.

(15)  ABl. C 218 vom 11.9.2009, s. 8 (Ziffer 3.2.4).

(16)  Siehe KOM(2010) 546 endg. vom 6.10.2010.

(17)  ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 40.

(18)  In der Zwischenzeit vom EP positiv verabschiedet: Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Februar 2011 zu dem Entwurf für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (05538/2011 – C7-0044/2011 – 2010/0384(NLE).

(19)  Mitteilung von Präsident NILSSON (7. Januar 2011) über sein Gespräch mit Kommissionsmitglied Barnier.

(20)  Siehe Fußnote 1.

(21)  Google, Apple, Facebook, … Mobile Phones.

(22)  ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 80 (Ziffer 3.2.2).

(23)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 129.

(24)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 129 (Ziffer 3.12).

(25)  2999. Tagung des Rates (Wettbewerbsfähigkeit), 2. März 2010, Brüssel.


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