Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52012AE1841

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Basisinformationsblätter für Anlageprodukte“ COM(2012) 352 final — 2012/0169 (COD)

ABl. C 11 vom 15.1.2013, p. 59–64 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.1.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 11/59


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Basisinformationsblätter für Anlageprodukte“

COM(2012) 352 final — 2012/0169 (COD)

2013/C 11/13

Berichterstatter: Edgardo Maria IOZIA

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 10. September 2012 bzw. am 11. September 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

"Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Basisinformationsblätter für Anlageprodukte"

COM(2012) 352 final — 2012/0169 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 25. Oktober 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 484. Plenartagung am 14./15. November 2012 (Sitzung vom 14. November) mit 138 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet den von der Kommission vorgelegten Vorschlag und ist der Auffassung, dass er der eingegangenen Verpflichtung, die europäische Gesetzeslücke im Bereich des Kleinanlegerschutzes zu schließen, Rechnung trägt.

1.2

Der EWSA betont die Bedeutung eines Rechtsaktes, der zum ersten Mal alle Arten komplexer Finanzprodukte regelt und deren Vergleichbarkeit unabhängig vom Produktanbieter (Banken, Versicherungen oder Investmentgesellschaften) gewährleistet, und begrüßt die Bemühungen der Kommission um ausgewogene Lösungen, die von allen in allen Bereichen angewandt werden können.

1.3

In seinen früheren Stellungnahmen hat sich der EWSA für einheitliche, klare, einfache und vergleichbare Bestimmungen ausgesprochen; er bewertet die Verordnung folglich als positiv und hofft, dass darin den in dieser Stellungnahme formulierten Bemerkungen Rechnung getragen wird, damit sie klarer wird und umgehend in Kraft treten und angewandt werden kann.

1.4

Ungeachtet der ungeheuren Menge an Vorschriften, die in den letzten drei Jahren erlassen wurden, stellt der EWSA fest, dass zwei wesentliche Ziele bislang immer noch nicht erfasst wurden: ein Markt, der auf ganzer Linie ein Profil vollständiger Integrität aufweist sowie ein wirklich integrierter Markt, der allen Akteuren offen steht. Die jüngsten Finanzskandale haben uns leider vor Augen geführt, dass es den nationalen Aufsichtsbehörden nach wie vor an Entschlossenheit und energischem Auftreten mangelt, um in der Praxis weitere Machenschaften zu vereiteln, die den Sparern enorme Verluste verursachen (wie im Falle der Manipulation des Libor-Zinses). Der Vollendung des Binnenmarkts werden nach wie vor Hindernisse in den Weg gelegt, um auf diese Weise marktpositionsbedingte Erträge der heimischen Marktführer zu sichern. In den folgenden Bereichen wurden bislang keine bedeutenden Fortschritte erzielt: Darlehensverträge, Vergleichbarkeit und Transparenz der Kosten für Girokonten und für grundlegende Dienstleistungen, Inhalte der Basisanlageprodukte, Zugang zu Bankdienstleistungen für bestimmte benachteiligte Bevölkerungsgruppen, Kollektivklagen, Anerkennung der Handlungsfähigkeit der Nutzer- und Verbraucherorganisationen, Schutzmaßnahmen für grenzüberschreitende Verträge und Vereinheitlichung der Verfahren zur Beilegung von Konflikten. Allerdings ist zu betonen, dass die Kommission daran arbeitet, die bestehenden Gesetzeslücken zu schließen.

1.5

Der EWSA verweist darauf, dass keine Sanktionsmöglichkeiten gegen Anbieter aus Drittländern vorgesehen sind, die bei Verstößen gegen europäische Vorschriften kaum verfolgt werden können. Der EWSA schlägt vor, dass in solchen Fällen die Vermittler die Kosten und die Verantwortung für etwaige Verordnungsverstöße tragen. Darüber hinaus sollte den Drittländern, in denen die wichtigsten Finanzzentren ihren Sitz haben, vorgeschlagen werden, ähnliche Regelungen festzulegen, die auch in die Leitlinien des Rats für Finanzstabilität (Financial Stability Board, FSB) aufgenommen werden sollten.

1.6

Der EWSA versteht zwar die Beweggründe der Kommission hinsichtlich der Koexistenz des in dieser Verordnung vorgeschlagenen Basisinformationsblattes KID (Key Information Document) und den wesentlichen Informationen für den Anleger KIID (Key investor Information Document), die in der Richtlinie 2009/65/EG vorgesehen und in die Verordnung Nr. 583/2010 der Kommission vom 1. Juli 2010 aufgenommen wurden. Gleichzeitig ist er jedoch der Auffassung, dass die Bewertung in Bezug auf die Zweckmäßigkeit einer Beibehaltung zweier unterschiedlicher Dokumente für Finanzinvestitionen vorgezogen werden muss, und schlägt vor, dass die Kommission "innerhalb von zwei Jahren" nach dem Inkrafttreten der Anlageproduktverordnung die Möglichkeit haben muss, eine Zusammenfügung beider Modelle vorzuschlagen und die Bestimmungen für Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) an jene für das KID anzupassen.

1.7

Der EWSA teilt nicht die Entscheidung der Kommission, für wesentliche Inhalte der Regelung auf delegierte Rechtsakte zurückzugreifen, die mit dem Inkrafttreten der Verordnung unmittelbar durchführbar sein sollten. So können gemäß Artikel 8 Absatz 2 delegierte Rechtsakte für Einzelheiten der Darstellung und des Inhalts der in das Informationsblatt aufzunehmenden Informationen, der eventuellen zusätzlichen Inhalte und des gemeinsamen Formats – de facto also für 90 % der Verordnung erlassen werden. Die Befugnisübertragung im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 betrifft Inhalte und Modalitäten der Überprüfung der Informationen sowie eventuelle Überarbeitungen. Die Befugnisübertragung gemäß Artikel 12 Absatz 4 bezieht sich schließlich auf die Bedingungen für die Erfüllung der Verpflichtung zur Bereitstellung des Dokuments sowie die Methode und die Frist für diese Bereitstellung.

1.8

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, die Vorschläge und Formulierungen zu überarbeiten, die aufgrund ihrer Unklarheit Verwirrung stiften könnten (so z.B. "rechtzeitig" und "ernsthaft gefährden"), und ruft die Kommission auf, die Verfahren genauer festzulegen, die bei Verstößen in mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig anzuwenden sind, sowie die beauftragten Behörden zur Verhängung von Sanktionen zu benennen, die in anderen Fällen von den europäischen Aufsichtsbehörden ermittelt werden.

1.9

Nach Auffassung des EWSA muss der in Artikel 15 unterbreitete Vorschlag zur alternativen Streitbeilegung an die Lösungen angepasst werden, die bereits im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung [COM(2011) 793 final] und in der Verordnung über die Einrichtung eines Systems für die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten [COM(2011) 794 final] vorgeschlagen wurden, zu denen der EWSA bereits Stellung genommen hat (1). Die Kommission sollte in Artikel 11 ausdrücklich auf die Möglichkeit von Sammelklagen bzw. Gruppenklagen gegen unlautere Geschäftspraktiken verweisen.

1.10

Der EWSA schlägt vor, im Text der Verordnung auf das Rücktrittsrecht der Käufer von mithilfe eines Fernkommunikationsmittels erworbenen Finanzprodukten zu verweisen, das in der MiFID-Richtlinie und den einschlägigen Vorschriften vorgesehen ist.

1.11

Nach Auffassung des EWSA sollte erwogen werden, ob es nicht zweckmäßig wäre, die Basisinformationsblätter für Finanzprodukte auf einem Portal zusammenzutragen. Dies würde die Vergleichbarkeit der verschiedenen Produkte erleichtern und eine bessere Transparenz des Marktes gewährleisten.

1.12

Der EWSA hält die vorgeschlagenen Ausnahmen bezüglich der Bereitstellung des KID für unzweckmäßig; er ist vielmehr der Auffassung, dass die Ausnahmeregelung für den Verkauf mithilfe eines Fernkommunikationsmittels auf jeden Fall gestrichen und die übrigen Ausnahmen eingehend überdacht werden müssen. Der Bank- bzw. Versicherungskunde muss vor Abschluss eines Kaufgeschäfts am Telefon rechtzeitig über das KID verfügen.

1.13

Nach Auffassung des EWSA ist es notwendig, in die Auflistung der Informationen, die das KID enthalten muss, auch die tatsächlichen Kosten für den Endnutzer aufzunehmen.

2.   Zusammenfassung des Vorschlags

2.1

Bei dem Verordnungsvorschlag, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist, geht es um die Verbesserung der Transparenz auf dem Anlagemarkt für Kleinanleger. Gegenwärtig gibt es keine klaren Regeln für die Informationspflichten, und die Investoren haben keine Möglichkeit, in vollem Umfang zu verstehen, welchen Risiken ihre Investitionen ausgesetzt sind.

2.2

In Ermangelung angemessener, einfacher und verständlicher Informationen passiert es, dass Kleinanleger ungerechtfertigte Preise zahlen, die mit ihrem Risikoprofil nicht entsprechen, oder sonstige Investitionsgelegenheiten verpassen.

2.3

Ein einheitliches, vereinfachtes und standardisiertes Informationssystem ermöglicht einen Vergleich und ein besseres Verständnis der Informationen, wodurch Transparenz und Effizienz des Marktes gesteigert werden.

2.4

Um diesen Mangel zu beheben, schlägt die Kommission vor dem Hintergrund der bereits mit dem OGAW-Dokument der "wesentlichen Informationen für den Anleger" (KIID, key investor information document) gemachten Erfahrung nun vor, dass der Anlageproduktanbieter ein Dokument mit kurzen, vergleichbaren und standardisierten Informationen erstellt.

2.5

Die Verordnung soll für alle komplexen Produkte unabhängig von ihrer Form oder Konzeption gelten, die von der Industrie für Finanzdienstleistungen aufgelegt werden, um Kleinanlegern Investitionsmöglichkeiten zu bieten, bei denen die dem Anleger gebotene Rendite von der Entwicklung eines oder mehrerer Vermögens- oder Referenzwerte, die keine Zinssätze sind, abhängig ist.

2.6

Das KID ist entsprechend den Anweisungen aus der Verordnung zu erstellen, und die Kommission behält sich das Recht vor, mit delegierten Rechtsakten die Aufnahme weiterer Spezifizierungen und Informationen vorzuschreiben. Bei einem Verstoß gegen die Vorschriften bzw. bei Nichteinhaltung der Auflagen ist der Anbieter verpflichtet, den dem Kleinanleger entstandenen Schaden auszugleichen.

2.7

In der Verordnung werden die Verfahren für die Einreichung von Beschwerden und Rechtsbehelfen sowie für die unverzügliche aktive Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden festgelegt. Die Mitgliedstaaten legen Verwaltungssanktionen und -maßnahmen fest, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.

2.8

In den Übergangs- und Schlussbestimmungen wird unter anderem festgelegt, dass die Bestimmungen für die OGAW-Dokumente mit den wesentlichen Informationen für einen Zeitraum von fünf Jahren ab Inkrafttreten dieser Verordnung unverändert bestehen bleiben sollen. Vier Jahre nach ihrem Inkrafttreten wird die vorgeschlagene Verordnung überprüft. Bei dieser Gelegenheit wird über die weitere Beibehaltung der Bestimmungen der Richtlinie 2009/65/EG (2) entschieden, in der die Informationspflichten der OGAW festgelegt sind.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Seit seiner Stellungnahme zum Grünbuch über Finanzdienstleistungen für Privatkunden im Binnenmarkt (3) vom Januar 2008 fordert der EWSA Maßnahmen zur Gewährleistung klarer, erschöpfender, unerlässlicher und transparenter Informationen für die Kleinanleger insbesondere in Bezug auf verpackte und strukturierte Anlagen.

3.2

Die Verabschiedung von Maßnahmen, mit denen die Informationsasymmetrie zwischen den Anbietern von Finanzprodukten und den Kleinanlegern beträchtlich abgebaut wird, ist eine der unabdingbaren Voraussetzungen für die Schaffung eines einheitlichen Finanzmarktes, auf dem klare, präzise, einfache und vergleichbare Informationen geboten werden. Der Vorschlag der Kommission geht in die richtige Richtung.

3.3

Die mögliche "regulatorische Arbitrage" zwischen weniger strengen und einschneidenden Regelungen auf der einen und verbindlichen Vorschriften auf der anderen Seite stellt eine Verzerrung des Marktes dar und schafft Faktoren, die die Vollendung eines echten, transparenten und wirksamen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen behindern.

3.3.1

Ohne ein gemeinschaftliches standardisiertes Informationsmodell lässt sich ein integrierter grenzüberschreitender Markt nur schwerlich entwickeln. Durch die unterschiedlichen einzelstaatlichen Vorschriften ergibt sich ein nicht gerechtfertigter Wettbewerbsvorteil für jene Unternehmen, die in Ländern tätig sind, in denen keinerlei Verpflichtungen vorgeschrieben werden, so dass sie problemlos Produkte mit möglicherweise verborgenen hohen Risiken anbieten können.

3.4

Aus diesen allgemeinen Gründen begrüßt der EWSA sowohl den Verweis auf Art. 114 AEUV als auch die Wahl einer Verordnung. Der EWSA hat bereits mehrmals zum Ausdruck gebracht, dass sich dieses Instrument am besten dazu eignet, die Regulierung im Finanzbereich zu strukturieren, um Phänomene wie Goldplating oder Cherrypicking zu vermeiden, die bei der Umsetzung von Richtlinien im Bereich der Finanzdienstleistungen zum Tragen kamen. Gerechtfertigt und begründet scheint die Anwendung der in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.

3.5

Zweckmäßig wären Informationen über den möglichen Gewinn sowie die eventuellen mit dem Produkt zusammenhängenden Steuern und Bearbeitungsgebühren. Beruht das Produkt auf mehreren Währungen, müsste das Wechselkursrisiko berücksichtigt sowie die bisherige Entwicklung des Produkts und der offiziellen Währung, in der es notiert, zurückverfolgt werden können. Die Produktinformationen sollten Preise in der Ursprungswährung und in der Währung des Landes enthalten, in dem das Produkt vertrieben wird. Dies würde das Verständnis der Kleinanleger beträchtlich verbessern und ihnen eine bessere Vergleichbarkeit ermöglichen.

3.6

Nach Auffassung des EWSA ist es unabdingbar, die Kontrollen durch die zuständigen Behörden sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene auszuweiten. Der EWSA ist sehr befremdet hinsichtlich der Haltung der Kommission, die den Standpunkt vertritt, dass die europäischen Behörden bezüglich der ihnen in der Verordnung zugewiesene Rolle nicht gestärkt werden müssen. Die zunehmende Verantwortung, die ihnen zukommt, geht nicht mit einer angemessenen Bewertung der verfügbaren Ressourcen einher. Die Europäische Bankaufsichtsbehörde beispielsweise verfügte am 9. Oktober 2012 insgesamt über 84 Mitarbeiter, mit denen sie einem beachtlichen Maß an Verantwortung gerecht werden sollte. Ihnen weitere Zuständigkeiten aufzubürden, ohne den anhaltenden Notstand zu berücksichtigen, in dem sich die Behörden befinden, könnte ganz anders gedeutet werden, als mit der Verordnung beabsichtigt.

3.7

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung, die den Vorschriften über die Informationsblätter für OGAW-Anleger zukommt. In Europa hat der Markt dadurch einen wichtigen Impuls erfahren und die Transparenz der Informationsinstrumente (KIID) hat zu einer besseren Funktionsweise des Marktes beigetragen. Die Auflagen im Rahmen des KID sind fortschrittlicher. Der Ausschuss spricht sich für eine rasche Zusammenfügung der beiden Modelle aus.

3.8

Der EWSA bedauert, dass auf die Auswirkungen von Anlageprodukten aus Drittstaaten kein Bezug genommen wird, und ruft die Kommission auf, sich über die Notwendigkeit eines entsprechenden ausdrücklichen Verweises in der Verordnung Gedanken zu machen. Für solche Produkte sollten die Vermittler und nicht die Anbieter verantwortlich zeichnen.

3.8.1

Im Mittelpunkt der Finanzkrise 2007/2009 standen toxische Produkte, die von großen amerikanischen Geldinstituten "verpackt" wurden. Die sogenannten Subprimes entpuppten sich als Schrottanleihen mit einem übermäßig hohen Risiko, und die drei großen Ratingagenturen lagen mit ihren Zuverlässigkeitsurteilen für diese Anleihen allesamt falsch. Für den Verkauf von Produkten, die in Drittländern "verpackt" wurden, muss die Verantwortlichkeit des Produktanbieters, der durch die europäische Verordnung über KID-Informationsblätter nicht direkt zur Verantwortung gezogen werden kann, an den Verkäufer übertragen werden.

3.9

Die Zersplitterung des Finanzmarktes ist ein weiteres Problem, zu dessen Lösung diese Verordnung beiträgt. Die bislang bestehenden unterschiedlichen Rechtsrahmen haben einen echten Integrationsprozess der nationalen Märkte behindert, und der grenzüberschreitende Markt leidet unter diesem "Regelungspatchwork", das die Kosten in die Höhe treibt und der Umgehung strengerer und stärker auf den Verbraucherschutz ausgerichteten Vorschriften Vorschub leistet.

3.9.1

Es ist von wesentlicher Bedeutung, Programme zur Vermittlung von Finanzwissen an die Verbraucher zu unterstützen. In einer seiner Initiativstellungnahmen (4) unterstreicht der EWSA: "Die Vermittlung von Finanzwissen ist letzten Endes von zentraler Bedeutung, um das Vertrauen in das Finanzsystem aufrechterhalten und ein verantwortungsvolles Verbraucherverhalten in Bezug auf Finanzprodukte ausüben zu können".

3.10

Der EWSA empfiehlt, in den jeweiligen Folgenabschätzungsstudien die Gesamtheit der einschlägigen Vorschriften sowie die entsprechende finanzielle Last zu berücksichtigen; denn eine ungerechtfertigte Überregulierung würde einen unkalkulierbaren Schaden nicht nur für die Finanzindustrie, sondern für die gesamte Wirtschaft verursachen. Gerät das Schwungrad der Finanzwelt ins Stocken, könnte das die bislang schwerste Krise hervorrufen, wie die jüngsten Ereignisse zeigen, durch die Verluste in Höhe von hunderten Milliarden Euro und eine dramatische Wirtschaftskrise in einigen Ländern entstanden!

3.11

Im Kommissionsvorschlag werden die Verkäufer ausschließlich im Zusammenhang mit ihrer Verantwortung und den Sanktionsverfahren genannt. Die notwendigen Schulungsmaßnahmen für die Beschäftigten von Unternehmen, die Finanzprodukte verkaufen, sowie die Notwendigkeit, den Zusammenhang zwischen dem Verkauf spezifischer Produkte und den Leistungsprämien für die erfolgreichsten Beschäftigten stark einzuschränken, werden mit keinem Wort erwähnt. Da dieses Thema Gegenstand der neuen MiFID-Richtlinie und darüber hinaus von wesentlicher Bedeutung ist, schlägt der EWSA vor, in der Verordnung ausdrücklich auf diese Richtlinie zu verweisen.

3.11.1

Wie der EWSA bereits mehrmals festgestellt hat, liegt eine der Hauptursachen für den undifferenzierten Verkauf von toxischen, unangemessenen oder hochriskanten Produkten ohne ordnungsgemäße Informationen (durch den die Sparer enorme Verlusten erleiden) in der irrationalen Politik der Finanz- und Bankunternehmen, die eigenen Manager für sehr kurzfristig erzielte Ergebnisse mit astronomischen Boni zu überschütten.

3.11.2

Um diese Ergebnisse zu erzielen, wurde auf unlautere Praktiken zurückgegriffen, die heute gerichtlich mit beträchtlichen Rückzahlungen sanktioniert werden, zu denen einige Banken und Finanzunternehmen an ihre Kunden verpflichtet werden. Dazu zählen Unternehmen, deren Vergütungsregelungen auf dem Verkauf (um jeden Preis) von Produkten mit hohen Erträgen für den Verkäufer beruhen, wobei jede Verkaufsstelle ein bestimmtes Volumen erreichen muss. Solche Vermarktungssysteme eignen sich vielleicht für Wurstverkäufer, aber doch nicht für Banken, die mit den lebenslangen Ersparnissen ihrer Kunden umgehen!

3.11.3

Ungeachtet aller unternommenen Vorstöße stellt der Ausschuss mit Bedauern fest, dass einige unlautere Praktiken skrupellos fortgeführt werden, und zwar soweit, dass die Referenzzinssätze manipuliert werden (wie unlängst im Fall LIBOR), um außerordentliche Gewinne rauszuschlagen. Solche Verhaltensweisen, die nur einen sehr kleinen Teil der europäischen Finanzindustrie betreffen, schädigen den Ruf des gesamten Systems und zerstören das in vielen Jahren aufgebaute Vertrauen. Die gesamte Finanzgemeinschaft muss sich an strengste und höchste ethische Geschäftsstandards halten. Die Bankenverbände müssen Unternehmen und Personen, die gegen die allgemeinen Verhaltensgrundsätze verstoßen, hart bestrafen und notfalls jene, die sich schwere Verstöße haben zuschulden kommen lassen, aus ihren Vereinigungen und, vom Bankgeschäft ausschließen. Allzu oft haben sie vor offensichtlich rechtswidriges und häufig auch illegales Verhalten stillschweigend hingenommen.

3.12

Der EWSA empfiehlt der Kommission nachdrücklich, die Wirksamkeit der Strafmaßnahmen, die die Mitgliedstaaten vorsehen sollen, zu überwachen. In den einzelstaatlichen Gesetzgebungen wird die Schwere der Verstöße bzw. der Straftaten im Finanzbereich unterschiedlich wahrgenommen. Dies hängt mit den unterschiedlichen Wirtschafts- und Rechtskulturen der einzelnen Länder zusammen. Obgleich es nicht möglich ist, im verwaltungs- und strafrechtlichen Bereich europäische Gesetze mit entsprechenden Sanktionen zu erlassen, muss sich die Kommission verpflichten, baldmöglichst nicht nur die Vorschriften, sondern auch die Sanktionsregelungen zu vereinheitlichen. Denn es besteht die Gefahr, dass man vom Gesetzesdumping zum Sanktionsdumping überginge, also gleiche Gesetze für alle, aber sehr unterschiedliche Sanktionen. Mit der Folge, dass die Anbieter dort agieren, wo das Risiko am geringsten ist. Koordinierungsmaßnahmen und gemeinsame Richtlinien sind unabdingbar, wenn die Vorschriften wirksam und effizient sein sollen. Der EWSA empfiehlt ferner, die verschiedenen Arten von Sanktionen zu berücksichtigen, die in einigen Ländern verwaltungsrechtlich, in anderen strafrechtlich sind.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA hält den Vorschlag insgesamt für ausgewogen und verbesserungsfähig in Bezug auf die Mängel, die Gegenstand der vorhergehenden allgemeinen Bemerkungen sind.

4.2

Der EWSA begrüßt die Entscheidung, sich vorrangig auf Produkte zu konzentrieren, die ein recht hohes Risikoprofil aufweisen, um die Finanzindustrie nicht unnötig mit der Auflage zu belasten, Informationsdokumente bereitzustellen, die sich als unzweckmäßig erweisen würden.

4.3

Der EWSA begrüßt, dass in der Verordnung die Verteilung der Zuständigkeiten deutlich herausgestellt und präzisiert wird, wer für die Ausarbeitung des KID verantwortlich zeichnet. In der Vergangenheit war es aufgrund der Unsicherheit bei der Ermittlung dieser Zuständigkeiten problematisch, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die falsche und irreführende Informationen lieferten und dadurch erhebliche Verluste bei den Kleinanlegern verursachten.

4.4

Der EWSA teilt die seit langem erwartete Entscheidung der Kommission, in Anlehnung an die Lösung für die OGAW ein kurzes Informationsblatt einzuführen, das prägnant und allgemein verständlich geschrieben ist und in dem Fachjargon vermieden wird. Ferner sollte es in einem gemeinsamen Format abgefasst sein, das Vergleiche zwischen unterschiedlichen Anlageprodukten ermöglicht. In Artikel 8 sind klar und erschöpfend alle Informationen aufgeführt, die ein KID enthalten muss; hinzuzufügen sind die tatsächlichen Kosten, die auf den Kleinanleger zukommen.

4.5

Gleichwohl wird dadurch nicht die Notwendigkeit obsolet, Maßnahmen zur Vermittlung von Finanzwissen (5) an Schulen, im Rahmen der Lehrpläne, in der informalen Bildung und unter älteren Menschen und Hausfrauen fortzuführen und auszubauen. Besonders anfällige Sparer verfügen nicht immer über die Grundkenntnisse, die nötig sind, um selbst die vereinfachten KID in vollem Umfang verstehen zu können. Der EWSA empfiehlt der Kommission, beispielsweise in den neuen Erwägungsgründen des Verordnungsvorschlags zu unterstreichen, dass die Bemühungen um Verbreitung von Finanzgrundkenntnissen für alle fortgeführt werden müssen.

4.6

Der EWSA begrüßt diesen ersten Transparenzversuch in Bezug auf die Präzisierung der Kosten, des Risikoprofils und der Informationen über das bisherige Renditeprofil des betreffenden Anlageprodukts und ähnlicher Produkte.

4.7

Die Pflicht zur rechtzeitigen Bereitstellung des KID, um dem Kleinanleger die Möglichkeit zu geben, sich in vollem Umfang über die möglichen Risiken zu informieren und bewusst zu werden, ist für die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Verordnung unerlässlich. Der EWSA verweist darauf, dass keine genaue Fristen zur Vorlage des Dokuments angegeben werden. Die Formulierung "rechtzeitig vor dem Abschluss einer Transaktion im Zusammenhang mit dem Anlageprodukt" scheint unangemessen um zu gewährleisten, dass dem Kleinanleger alle nützlichen Informationen zur Verfügung stehen. Der EWSA spricht sich in Bezug auf die Bereitstellung des KID gegen jegliche Ausnahmen aus. Dies gilt insbesondere für Transaktionen mithilfe eines Fernkommunikationsmittels.

4.8

Nach Auffassung des EWSA wäre es zweckmäßig, in der Verordnung auf die Möglichkeit eines Rücktritts bei Transaktionen im Fernabsatz zu verweisen, wie dies bei Finanztransaktionen der Fall ist.

4.9

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, eine genaue, zumutbare Frist festzulegen und sie in den Wortlaut des Artikels aufzunehmen, anstatt auf anschließende delegierte Rechtsakte zu verweisen, die in der Finanzindustrie zu Unsicherheit in Bezug auf die Umsetzung führen. Gemäß Artikel 5 muss das Informationsblatt vor der Vermarktung des Produkts abgefasst und im Internet veröffentlicht werden. Es ist nicht sinnvoll, zum derzeitigen Zeitpunkt keine zwingende Frist festzulegen, deren Nichteinhaltung bedeuten würde, dass die Ziele und Verpflichtungen der Verordnung effektiv nicht erfüllt worden sind. Spätestens eine Woche vor dem Abschluss des Geschäfts könnte beispielsweise eine angemessene Frist sein. In diesem Zeitraum könnten alle erforderlichen Informationen eingeholt und Rat und Erläuterungen erbeten werden. Der Anleger wäre ausreichend geschützt und hätte Zeit, konkurrierende Verkaufsangebote miteinander zu vergleichen. In diesem Zusammenhang ist der EWSA gegen den Erlass delegierter Rechtsakte, die äußerst begrenzt zur Anwendung kommen und in Form und Inhalt Artikel 290 AUEV entsprechen sollten. Darin heißt es, dass sie zu nicht wesentlichen Themen erlassen werden, bei denen andere Instrumente nicht zum Tragen kommen können.

4.10

Der EWSA begrüßt Artikel 9, wonach Werbematerialien getrennt vom Basisinformationsblatt erscheinen müssen und nicht im Widerspruch zu den Inhalten des Basisinformationsblatts stehen dürfen. Allzu oft wurden toxische Produkte als sicher vermarktet, denen zudem "zuverlässige" Ratingagenturen hemmungslos ein dreifaches "A" bescheinigt haben. Aus "unerklärlichen" Gründen sind diese Produkte bei den europäischen Sparern gelandet.

4.11

In Kapitel III legt die Kommission die Bestimmungen für Beschwerden, Rechtsbehelfe und die Zusammenarbeit zwischen den Behörden fest und in Kapital IV geht sie auf die Verwaltungssanktionen und -maßnahmen ein. Unbeschadet der vorhergehenden allgemeinen Überlegungen begrüßt der EWSA die Festlegung von Verfahren, Methoden und Voraussetzungen für die Beilegung von Streitigkeiten über Finanzanlagen für Kleinanleger, ohne dass rechtliche Schritte eingeleitet werden müssen, ausdrücklich.

4.11.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden unerlässlich ist, und hat sich bereits in seinen früheren Stellungnahmen nicht nur für Empfehlungen ausgesprochen, sondern verbindliche Vorschriften gefordert, mit denen die nationalen Behörden zur größtmöglichen Zusammenarbeit im Rahmen der jeweiligen nationalen Vorschriften und Verfahren angehalten werden. Bei einem offensichtlichen Widerspruch zwischen den Vorschriften sollten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips die abweichenden nationalen Vorschriften für nichtig erklärt werden.

4.12

Auch Artikel 22 enthält nach Auffassung des EWSA einen Satz, der in Zukunft Probleme verursachen könnte. Neben der zusätzlichen Sanktion in Form einer Bekanntmachung der Art des Verstoßes und der Identität der Verantwortlichen, die der EWSA in vollem Umfang unterstützt, heißt es in dem Artikel: "außer, wenn eine solche Offenlegung die Stabilität der Finanzmärkte ernsthaft gefährden würde". Es ist unklar, wer die ernsthafte Gefährdung feststellen soll: Die Kommission? Die nationalen Behörden? Die europäischen Aufsichtsbehörden? Darüber hinaus wird nichts über den Fall gesagt, in dem mehrere Staaten gleichzeitig gegen die in der Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen verstoßen. Wer entscheidet? Was, wenn die Offenlegung nach Auffassung einer Behörde keine Gefährdung der Finanzmärkte bedeutet, eine andere Behörde jedoch einen gegenteiligen Standpunkt vertritt? Welches Verfahren kommt zur Anwendung? All diese Fragen müssen vor dem Inkrafttreten der Verordnung geklärt werden. Die Verordnung muss naturgemäß einfach, klar und sofort anwendbar sein und mit ihrem Wortlaut unnötige Missverständnisse ausräumen, die dem europäischen Interesse schaden.

4.13

Die Kommission unterbreitet weiterhin Vorschläge mit zahlreichen delegierten Rechtsakten. Der EWSA hat die Legitimität dieser Vorgehensweise, ihre effektive Notwendigkeit und ihre Vereinbarkeit mit den Bestimmungen von Artikel 290 AEUV für delegierte Rechtsakte und Artikel 291 AEUV für verbindliche Rechtsakte wiederholt in Frage gestellt. Auch in diesem Fall ist der EWSA der Auffassung, dass die Kommission Lösungen vorschlägt, die wesentliche regulatorische Fragen betreffen. So bezieht sich Artikel 8 Absatz 2 beispielsweise auf die Einzelheiten der Darstellung und des Inhalts der in das Informationsblatt aufzunehmenden Informationen, der eventuellen zusätzlichen Inhalte und des gemeinsamen Formats - de facto also auf 90 % der Verordnung. Die Befugnisübertragung im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 betrifft Inhalte und Modalitäten der Überprüfung der Informationen sowie eventuelle Überarbeitungen. Die Befugnisübertragung im Sinne von Artikel 12 Absatz 4 bezieht sich schließlich auf die Bedingungen für die Erfüllung der Verpflichtung zur Bereitstellung des Dokuments sowie die Methode und die Frist für diese Bereitstellung, was in dieser Stellungnahme bereits bemängelt wurde.

4.14

Der EWSA wirft die Frage auf, ob diese delegierten Rechtsakte tatsächlich erforderlich sind und ob sie dem Geist der Verordnung entsprechen. Es ist zwar einleuchtend, dass die delegierten Rechtsakte leichter handhabbar sind. Nichtsdestotrotz müssen sie streng den Buchstaben des Vertrags entsprechen. In der einschlägigen Mitteilung der Kommission (6) heißt es: "Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichneten Vertrags (in der Folge ‧der neue Vertrag‧) ermöglicht es dem Gesetzgeber, der Kommission die Befugnis zu übertragen, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften eines Gesetzgebungsaktes zu erlassen".

4.15

Nach Auffassung des EWSA handelt es sich bei den von der Kommission unterbreiteten Vorschlägen für delegierte Rechtsakte hingegen um wesentliche, maßgebliche Elemente des Gesetzgebungsaktes!

4.16

Der EWSA ist nicht damit einverstanden, die Vorschriften über die Informationspflichten der OGAW in den kommenden fünf Jahren unverändert beizubehalten, und schlägt der Kommission vor, innerhalb von zwei Jahren nach der Annahme der Verordnung eine Überprüfung durchzuführen, um die wichtigsten Dokumente für Anleger, die in Finanzprodukte gleich welcher Art investieren, zu vereinheitlichen.

Brüssel, den 14. November 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 93 und ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 99.

(2)  ABl. L 302 del 17.11 2009, S. 32.

(3)  ABl. C 151 vom 17.6 2008, S. 1.

(4)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 24.

(5)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 24.

(6)  COM(2009) 673 final vom 9. Dezember 2009.


Top
  翻译: