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Document 52012AE0930

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen ‚Die externe Dimension der Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit in der EU‘  “ COM(2012) 153 final

ABl. C 11 vom 15.1.2013, p. 71–76 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.1.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 11/71


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen ‚Die externe Dimension der Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit in der EU‘ “

COM(2012) 153 final

2013/C 11/15

Berichterstatter: José María ZUFIAUR

Mit Schreiben vom 18. April 2012 ersuchte die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um die Erarbeitung einer Stellungnahme zu der

"Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen ’Die externe Dimension der Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit in der EU’ "

COM(2012) 153 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 4. Oktober 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 484. Plenartagung am 14./15. November 2012 (Sitzung vom 14. November) mit 137 gegen 2 Stimmen bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Nach Ansicht des EWSA erfordert die Globalisierung der Wirtschaft und die damit einhergehende Zunahme des Handels und der Migrationsströme eine Vertiefung des Prozesses zur internationalen Verbreitung von Sozialstandards, damit die Bürger im Allgemeinen und die – eingewanderten oder ansässigen – Arbeitnehmer im Besonderen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit nicht in ihren Rechten beschnitten werden und ihnen die sog. soziale Globalisierung zugutekommt. Es handelt sich dabei um Vor- und Nachteile, die auch die Unternehmen betreffen.

1.2

Daher begrüßt der Ausschuss die Veröffentlichung der Mitteilung "Die externe Dimension der Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit in der EU" durch die Europäische Kommission. In dieser Mitteilung wird die Bedeutung einer gemeinsamen EU-Strategie zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit im Verhältnis zu Drittstaaten unter Wahrung der nationalen Zuständigkeiten und unter Gewährleistung der notwendigen Ab- und Übereinstimmung der mit Drittstaaten geschlossenen bilateralen Sozialversicherungsabkommen mit dem EU-Recht betont. In der Mitteilung spricht sich die Kommission auch dafür aus, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu verstärken, um ihnen die Informationen und Mittel an die Hand zu geben, die für eine Politik der internationalen Koordinierung auf diesem Gebiet notwendig sind. Abschließend wird in der Mitteilung betont, dass sowohl die Unternehmen aus Drittstaaten als auch die Angehörigen dieser Drittstaaten sich bewusst sind, dass jeder Mitgliedstaat sein eigenes System der sozialen Sicherheit hat, was bei der Niederlassung in der EU gewisse Hindernisse bedeuten kann.

1.3

Der EWSA befürwortet die in der Mitteilung enthaltene externe Dimension der Vorschriften für die Koordinierung und spricht sich für eine Komplementarität der verschiedenen Perspektiven – d.h. der nationalen Perspektive und der EU-Perspektive – aus, um Ungleichgewichte, Lücken und ein rechtliches Vakuum zu vermeiden.

1.4

Es ist auf den Qualitätssprung hinzuweisen, der mit der Annahme der Entscheidungen zur Koordinierung auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit mit Marokko, Algerien, Tunesien, Israel, der Ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und Kroatien erfolgte. Der Ausschuss ermuntert den Rat der Europäischen Union, im Hinblick auf die Vorschläge für Entscheidungen mit Montenegro, San Marino, Albanien und der Türkei diesen Weg fortzusetzen.

1.5

Es wäre angebracht, den europäischen Gesamtansatz durch entsprechende von der EU geschlossene Abkommen auszubauen, um unter Wahrung der nationalen Zuständigkeiten bestimmte durch nationale Konzepte verursachte Funktionsstörungen zu verringern und allen Mitgliedstaaten bessere Möglichkeiten zu bieten.

1.6

Der EWSA fordert den Rat auf, der Europäischen Kommission das Mandat zu erteilen, im rechtlichen Rahmen der Verträge die Verhandlungen mit den BRIC-Schwellenländern (Brasilien, Russland, Indien, China), Ländern des Balkanraums und osteuropäischen Nachbarstaaten sowie anderen Ländern, von denen eine große Zahl von Staatsangehörigen in der EU arbeiten (1), voranzutreiben und internationale Abkommen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit aufzusetzen, die den gegenseitigen Schutz der Unionsbürger und der Angehörigen der unterzeichnenden Drittstaaten gewährleisten. Der EWSA verweist insbesondere auf die Notwendigkeit, jene Bürger zu schützen, deren Herkunftsländer aufgrund ihrer geopolitischen und wirtschaftlichen Situation nicht als für die EU strategisch wichtig gelten und die deshalb möglicherweise besonders stark benachteiligt werden.

1.7

Das auswärtige Handeln der EU kann auf diesem Gebiet durch eine multilaterale Politik zur Intensivierung der Kontakte mit anderen internationalen Organisationen oder supranationalen regionalen Institutionen ergänzt werden. Ein bemerkenswertes Beispiel für diese interregionale Zusammenarbeit ist das Iberoamerikanische Übereinkommen über soziale Sicherheit, das von den lateinamerikanischen Ländern, Spanien und Portugal geschlossen wurde. In diesem Zusammenhang unterstützt der EWSA die Initiativen der Europäischen Kommission und des chilenischen Vorsitzes des Gipfeltreffens EU-Lateinamerika/Karibik für eine bessere Zusammenarbeit der beiden Seiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit.

1.8

Der EWSA ermuntert die zwischen der EU und den jeweiligen Drittstaaten bestehenden Assoziationsräte, die Arbeiten zur endgültigen Annahme der Entscheidungen über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit im Rahmen der Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen mit Israel, Tunesien, Algerien, Marokko, Kroatien und der Ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien abzuschließen.

1.9

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass in den bestehenden oder künftigen Assoziierungs-, Handels- oder Wirtschaftspartnerschaftsabkommen bilaterale Klauseln über die soziale Sicherheit und insbesondere über die Gleichbehandlung, den Rentenexport und die Beseitigung der doppelten Beitragsentrichtung enthalten sein sollten.

1.10

Der EWSA schlägt vor, dass sich die EU-Zusammenarbeit auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vor allem an jene Staaten richten sollte, die einerseits die Ziele erreichen wollen, die in der Initiative der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) für einen Mindestsockel der sozialen Grundsicherung vorgeschlagen werden, und andererseits Unterstützung brauchen, um das geforderte Niveau zu erreichen und zu verbessern. In diesem Rahmen könnten auch bilaterale Vereinbarungen über soziale Sicherheit geschlossen werden, die auf den Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Wahrung von bereits erworbenen Rechte und Anwartschaften sowie der Verwaltungszusammenarbeit beruhen. In dieser Hinsicht können die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (2) sowie das Übereinkommen Nr. 157 (3) und die Empfehlung 167 (4) der ILO – mit den jeweils erforderlichen Anpassungen – als Vorlagen dienen.

1.11

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, alle geltenden bilateralen Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten zu erfassen, die Liste dieser Abkommen regelmäßig zu aktualisieren und zu prüfen, ob deren Anwendung mit den Grundsätzen der EU und ihrer diesbezüglichen Rechtsprechung im Einklang steht.

2.   Einleitung

2.1

Dem EWSA ist bekannt, dass die Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit durch internationale Abkommen eine bilaterale bzw. multilaterale Politik gegenüber Drittstaaten entwickelt haben. Dabei kann es sich jedoch um eine fragmentarische und lückenhafte Vorgehensweise handeln, die oft nur auf den Schutz der eigenen Angehörigen der Unterzeichnerstaaten ausgerichtet ist oder konkreten Interessen entspricht, die nicht immer von allen Mitgliedstaaten geteilt werden.

2.2

Nach Ansicht des EWSA kann dieser völkerrechtliche Komplex bilateraler Abkommen, der durchaus seine Bedeutung hat, zu einem Szenario führen, in dem nicht alle Drittstaatsangehörige im Unionsgebiet die gleichen Rechte und Garantien genießen. Es könnte dazu kommen, dass in einem bestimmten Mitgliedstaat Ausländer aus Nicht-EU-Staaten nur dann Zugang zum System der sozialen Sicherheit oder zum Rentenexport haben, wenn ein entsprechendes bilaterales Abkommen besteht, in dem der Grundsatz der Gleichbehandlung verankert ist. Demzufolge hätte der Angehörige des Staates mit bilateralem Abkommen Anspruch auf Sozialversicherungsschutz, während der Angehörige eines Staates ohne ein solches bilaterales Abkommen dieses Recht nicht hätte, selbst wenn beide im gleichen Unternehmen und in der gleichen Berufsgruppe arbeiten würden. Ebenso könnte es passieren, dass ein Drittstaatsangehöriger in dem einen Mitgliedstaat Sozialversicherungsschutz genießt und in dem anderen nicht, weil unterschiedliche einzelstaatliche Rechtsvorschriften Anwendung finden, was den fairen Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen könnte. Auf diese Weise würde der Drittstaatsangehörige im ersten Fall Beiträge zahlen, im zweiten jedoch nicht. Das würde den zweiten Mitgliedstaat wirtschaftlich bevorteilen, da er Sozialausgaben einspart. Dies wiederum würde die Konzeption Europas als Raum der Gleichheit untergraben, in dem es keine Diskriminierung gibt bzw. Diskriminierung abgelehnt wird.

2.3

Dadurch würde auch der in der Arbeitnehmerentsende-Richtlinie festgelegte Grundsatz ausgehöhlt, wonach ein entsandter Arbeitnehmer und ein Angehöriger eines Mitgliedstaates gleich zu behandeln sind.

2.4

Der EWSA ist zudem der Auffassung, dass die externe Dimension der Koordinierungsvorschriften auch dazu dienen muss, die Rechte derjenigen Unionsbürger zu schützen, die sich außerhalb der EU aufhalten bzw. in Drittstaaten erwerbstätig waren oder sind.

2.5

Der EWSA hält den Vorschlag, dass die verschiedenen Mitgliedstaaten der EU über bilaterale Abkommen mit jedem einzelnen Drittstaat gesondert verhandeln sollten, für positiv und löblich, aber für unvollständig. Die potenziellen Anstrengungen wären riesig, übermäßig und unverhältnismäßig und zudem nicht immer von Erfolg gekrönt – ganz abgesehen davon, dass sich die einzelnen Abkommen inhaltlich unterscheiden und sogar widersprechen könnten. Überdies kann der Fall eintreten, dass bei den Verhandlungen, insbesondere mit mächtigen und aufstrebenden Schwellenländern (wie den BRIC), kein Kräftegleichgewicht herrscht, wenn die Mitgliedstaaten nicht als Block mit gemeinsamen Interessen und Positionen auftreten. Aus diesen Gründen sollte die Möglichkeit erwogen werden, dass die EU als solche Verhandlungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit mit Staaten oder Staatenbünden führt, und diese Möglichkeit sollte gegebenenfalls auch - im Einklang mit den Verträgen - umgesetzt werden.

2.6

Nach Ansicht des Ausschusses könnte mit diesen Instrumenten die doppelte Entrichtung von Sozialbeiträgen im Beschäftigungsstaat und im Herkunftsstaat vermieden werden, was insbesondere im Falle entsandter Arbeitnehmer gilt. In diesem Sinn ist darauf hinzuweisen, dass mit der Beseitigung der doppelten Beitragsentrichtung erhebliche Kosteneinsparungen verbunden sind. Dies würde sich positiv auf die Mobilität der Arbeitnehmer und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen im Ausland auswirken und auch die Niederlassung ausländischer Unternehmen auf dem Gebiet der EU fördern. Darüber hinaus könnte eine einheitliche Regelung festgelegt werden, um zu verhindern, dass – je nach Interessenlage – mal das Recht des Arbeitsortes mal das des Herkunftslandes auf beliebige und willkürliche Weise zur Anwendung kommt oder dass die steuerrechtlichen und die sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen in ein und demselben Staat nicht miteinander im Einklang stehen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA hat seinen Standpunkt zu den Verordnungen über die Koordinierung vorgebracht, mit denen die jeweiligen Anwendungsbereiche innerhalb der EU auf neue Personengruppen und auf neue Leistungen ausgeweitet wurden. Diese Verordnungen gelten zudem für einige europäische Nicht-EU-Länder (Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz) und dienten als Grundlage und Modelle für andere multilaterale Rechtsinstrumente. Das beste Beispiel hierfür ist das Iberoamerikanische Übereinkommen über soziale Sicherheit, das unmittelbar an die europäischen Koordinierungsvorschriften angelehnt ist. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass die internationalen Koordinierungsvorschriften der Mitgliedstaaten oder der EU von den wesentlichen Grundsätzen und Methoden der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, die für das Unionsgebiet gelten, geprägt und beeinflusst sein sollten.

3.2

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Sozialvorschriften und insbesondere die Bestimmungen über die soziale Sicherheit über den geografischen Raum Europas hinausreichen und auch außerhalb Europas zur Anwendung kommen können. In diesem Sinne können Grundsätze, wie z.B. die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer verschiedener Mitgliedstaaten, die Arbeitnehmer in der EU schützen und sogar außerhalb der EU rechtliche Wirkung entfalten. Es gibt gute Beispiele dafür, dass das Diskriminierungsverbot auch extraterritorial zur Anwendung kommen kann, selbst wenn es sich um Sachverhalte handelt, die über das Gebiet der EU hinausreichen, so zum Beispiel die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Boukhalfa, C-214/94 (belgischer Arbeitnehmer im deutschen Konsulat in Algerien, der schlechter entlohnt wurde als seine dortigen deutschen Kollegen), sowie in den Rechtssachen Hirardin, 112/75, Fiège 110/73, Horst C247/96 und Van Roosmalen, 300/84 (Anerkennung von in Algerien und im belgischen Kongo erworbenen Beitragszeiten durch Frankreich bzw. Belgien für alle Bürger der Gemeinschaft und nicht nur für französische und belgische Staatsangehörige). Diese vis attractiva wird zudem durch die Urteile in den Rechtssachen Prodest, 237/83, und Aldewered, C-60/93, bestätigt, in denen der EuGH die Richtigkeit der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (5) auf die befristete Entsendung von Arbeitnehmern aus der EU in Drittstaaten anerkannt hat.

3.3

Der EWSA begrüßt die Annahme der Entscheidungen zur Koordinierung auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit im Rahmen der Assoziierungs- oder Stabilisierungsabkommen mit Israel, Tunesien, Algerien, Marokko, Kroatien und der Ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, in denen der Standpunkt der EU in den Assoziationsräten festgelegt wird. Mit diesen Instrumenten erfolgt einen Qualitätssprung in der EU-Politik auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, da in ihnen der Grundsatz der Gleichbehandlung und der Rentenexport bilateral (EU/assoziierter Staat) festgeschrieben und geregelt werden. Es handelt sich also um gegenseitige Pflichten und Rechte, die sowohl die EU-Bürger, die in einem der genannten Länder arbeiten oder gearbeitet haben, als auch die Angehörigen der assoziierten Staaten, die das gleiche in der EU tun oder getan haben, betreffen. Es handelt sich nicht mehr nur um einseitige Vorschriften der EU, die nur in eine Richtung gelten, sondern um internationale Verpflichtungen, von denen beide Unterzeichner gegenseitig profitieren. Zudem können durch Abkommen dieser Art und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen Arbeiten eingespart werden, da in einem einzigen Rechtsakt das zusammengefasst wird, was sonst in vielen einzelnen bilateralen Abkommen geregelt würde.

3.4

Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) für einen Mindestsockel der sozialen Grundsicherung, der jedoch seiner Ansicht nach weder der einzige noch ein einheitlicher Sockel sein sollte und auch nicht die Entwicklung der Systeme der sozialen Sicherheit in ein Korsett zwingen darf, sondern als weiterzuentwickelndes Mindestschutzniveau anzusehen ist. Dieses Sozialschutzniveau sollte vielmehr ein permanenter Ansporn für weitere Fortschritte und die Vervollkommnung sein und im Hinblick auf das Ziel des umfassenderen Schutzes der Arbeitnehmer und Bürger ständig weiterentwickelt werden.

3.5

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die EU einen Mechanismus (eine Arbeitsgruppe) für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in folgenden Bereichen einrichtet: Informationsaustausch, Vorstellung beispielhafter Methoden zur Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit, Vertiefung der Bemühungen zur Zusammenführung und Ergänzung der einzelstaatlichen und der EU-Maßnahmen sowie Gestaltung künftiger EU-Maßnahmen gegenüber Drittstaaten.

3.6

Der Ausschuss tritt dafür ein, in diesen Prozess der externen Dimension der Vorschriften zur Koordinierung die Organisationen der Zivilgesellschaft – und darunter insbesondere die Verbände der Arbeitnehmer und Unternehmer – einzubinden. Der Einfluss dieser Bestimmungen auf die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen und die Vielfalt der betroffenen Gruppen lassen es ratsam erscheinen, die Vorschläge von Partnern sowohl der Regierungsebene als auch der regierungsunabhängigen Organisationen zu berücksichtigen. Auf dem 6. Gipfeltreffen der organisierten Zivilgesellschaft EU/Lateinamerika, das der EWSA im Mai 2010 in Madrid veranstaltete, wurden bereits einige Forderungen im Zusammenhang mit der externen Dimension der sozialen Sicherheit vorgebracht und auf die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen der EU und der Gruppe der Länder Lateinamerikas und der Karibik – insbesondere der Länder, mit denen die EU eine strategische Partnerschaft unterhält, wie Brasilien und Mexiko – hingewiesen.

3.7

Der EWSA verweist ferner auf das Treffen EU/Lateinamerika und Karibik zwischen den für soziale Sicherheit zuständigen Ministern und höchsten Entscheidungsträgern im Mai 2010 in Alcalá de Henares, das als Kern und Ausgangspunkt der Anstrengungen der EU zur Koordinierung der externen Dimension der sozialen Sicherheit und als Ursprung der hier behandelten Mitteilung gelten kann.

3.8

Der Ausschuss betont, dass der unionsweite Gesamtansatz durch die Abkommen der EU mit anderen Staaten und Regionalbündnissen allmählich ausgeweitet werden sollte, da diese Formel wirksamere und bessere Ergebnisse hervorbringt als die rein nationale Vorgehensweise, bei der die Mitgliedstaaten unilateral handeln. An dieser Stelle ist das Iberoamerikanische Übereinkommen über soziale Sicherheit (6) als Musterbeispiel zu nennen. In diesem Zusammenhang bringt der Ausschuss den Wunsch zum Ausdruck, dass die Iberoamerikanische Organisation für soziale Sicherheit die Möglichkeit prüft, dass neben Portugal und Spanien künftig auch andere EU-Mitgliedstaaten diesem Übereinkommen beitreten können, um mit einem einzigen Ratifizierungsakt auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit Beziehungen zu mehreren lateinamerikanischen Staaten herzustellen und so vielfältige bilaterale Verhandlungen und Abkommen zu vermeiden.

4.   Derzeitige Situation - Möglichkeiten und Defizite

4.1

Ein EU-Gesamtkonzept für die soziale Sicherheit auf internationaler Ebene ist notwendig, um die Politik der einzelnen Mitgliedstaaten gegenüber Drittstaaten zu ergänzen, da sonst den aus dem EU-Recht erwachsenen Verpflichtungen nicht gänzlich nachgekommen werden kann. Ein konkretes Beispiel zur Stützung dieser Behauptung ist das Urteil des EuGH in der Rechtssache Gottardo, C-55/00, mit dem das Gericht gemäß dem Gleichbehandlungsgrundsatz den persönlichen Anwendungsbereich sämtlicher bilateralen Abkommen zwischen einem EU-Mitgliedstaaten und einem Drittstaat auf alle Unionsbürger ausgeweitet hat, selbst wenn in dem jeweiligen Rechtsinstrument nur die Angehörigen der entsprechenden Unterzeichnerstaaten in den persönlichen Geltungsbereich einbezogen werden.

4.1.1

Zugleich wird in dem Urteil anerkannt, dass die sich daraus ergebenden Verpflichtungen nur die Mitgliedstaaten betreffen und nicht für die Drittstaaten gelten, für die der EuGH keinerlei Zuständigkeit hat. Dies illustriert die Schwierigkeit, dieses Urteil zu vollstrecken, da der Drittstaat sich weigern könnte, den persönlichen Geltungsbereich des Abkommens auf alle Unionsbürger auszuweiten, d.h. eine Bescheinigung auszustellen, den Anspruch auf Leistungen im Krankheitsfall anzuerkennen oder auch nur Daten von Personen zu übermitteln, die nicht in den persönlichen Geltungsbereich des Abkommens fallen.

4.1.2

In diesem Sinne besteht der Verdienst des Gottardo-Urteils darin, einerseits zwar die externe Dimension der EU-Rechtsvorschriften weiterzuentwickeln, andererseits aber auch deren Grenzen und Defizite aufzuzeigen, da es der Kooperation anderer Staaten oder supranationaler Regionalorganisationen bedarf.

4.1.3

Aus diesem Grund fordert der EWSA, Überlegungen darüber einzuleiten, ob eine gemeinsame EU-Perspektive für die soziale Sicherheit auf internationaler Ebene durch Abkommen und die gegenseitige Kooperationsvereinbarungen ausgebaut werden sollte, die die EU mit anderen globalen Akteuren schließt.

4.2

Der EWSA begrüßt nachdrücklich den Erlass der Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 (7) zur Ausweitung der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auf Drittstaatsangehörige. Seiner Ansicht nach bestehen jedoch nach wie vor rechtliche Lücken und Defizite, die durch den in der Mitteilung der Kommission dargelegten neuen Ansatz ja gerade geschlossen werden sollen. Die Verordnung greift nämlich nur, wenn es einen unionsinternen grenzüberschreitenden Bezug gibt. Demzufolge gilt das Gleichbehandlungsprinzip der Verordnung gemeinhin nur in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer eines Drittstaates in mehreren Mitgliedstaaten erwerbstätig war. Somit fällt der größte Teil der Drittstaatsmigranten, die nur in einem EU-Mitgliedstaat gearbeitet haben, aus dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 heraus. Das bedeutet, dass es für sie seitens der EU keine Gleichbehandlungsgarantie und kein Diskriminierungsverbot gibt und sie vielmehr auf das angewiesen sind, was in den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist. Zudem sind in dieser Verordnung weder die Zusammenrechnung der Versicherungszeiten des Arbeitnehmers im Herkunftsland noch der Rentenexport in dieses Ursprungsland vorgesehen. Schließlich wird in diesem EU-Rechtsinstrument auch keine Gegenseitigkeit für die Unionsbürger gefordert, die keinerlei Gegenleistung von den Drittstaaten erhalten.

4.3

Nach Ansicht des EWSA wurden mit den erlassenen Richtlinien (8) über Migration und den Vorschlägen der Kommission, die derzeit im Rat und im Parlament erörtert werden, wichtige Fortschritte bei der externen Dimension der EU erreicht. In den bereits erlassenen Richtlinien wird nämlich der Gleichbehandlungsgrundsatz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit mit gewissen Einschränkungen auf Arbeitsmigranten aus Drittstaaten ausgeweitet. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass Rentenansprüche in Drittstaaten zu den gleichen Bedingungen exportiert und übertragen werden können, wie sie für Bürger des betreffenden EU-Mitgliedstaates gelten. Dessen ungeachtet bleiben Aspekte wie die Gegenseitigkeit, die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten außerhalb der EU und der Rentenexport ungeregelt, wenn die Rechtsvorschriften eines Staates dieses Recht für die eigenen Staatsangehörigen nicht vorsehen. Überdies spricht sich der EWSA dafür aus, dass auf dem Gebiet des Sozialschutzes die bereits erlassenen Richtlinien über Migration unter Anpassung an die verschiedenen Sachverhalte und zu schützenden Gruppen als allgemeine Grundlage für die derzeit verhandelten Richtlinien dienen sollten.

5.   Begriffe

5.1

Internationale Koordinierung der sozialen Sicherheit: Die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zielt auf den Schutz der Arbeitnehmer ab, die in zwei oder mehr Staaten erwerbstätig waren und unterschiedlichen Sozialversicherungssystemen angehörten. Zu diesem Zweck schließen die Staaten miteinander Abkommen, die häufig Bestimmungen über die Gleichbehandlung, die Einheitlichkeit der anzuwendenden Rechtsvorschriften, die Weiterversicherung und die Beibehaltung der im Herkunftsstaat erworbenen Sozialversicherungsansprüche im Falle entsandter Arbeitnehmer, den Rentenexport und die Zusammenrechnung der in den Unterzeichnerstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten enthalten. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und die sie ablösende Verordnung (EG) NR. 883/2004 sind EU-Rechtsinstrumente, in denen die Vorschriften für die Regelung und Anwendung dieser Grundsätze auf europäischer Ebene enthalten sind, und dienen auch als Vorbilder für Abkommen mit Drittstaaten.

5.2

Die nationale Perspektive der externen Dimension der sozialen Sicherheit zeigt sich in Abkommen, die ein Mitgliedstaat mit einem Drittstaat unterzeichnet und die der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer dienen, die in beiden Staaten erwerbstätig waren. In einigen Fällen finden diese Abkommen nur auf Angehörige der Unterzeichnerstaaten Anwendung.

5.3

Die EU-Perspektive der externen Dimension trägt den Interessen der EU in ihrer Gesamtheit Rechnung. Sie bezieht sich auf die Aushandlung von Abkommen der EU mit einem bzw. mehreren Drittstaaten oder andere Maßnahmen zum Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit. Sie richtet sich im Prinzip an alle Unionsbürger.

5.4

Die Assoziierungs- und/oder Stabilisierungsabkommen können Bestimmungen über die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und den Rentenexport enthalten und gelten für die Unionsbürger und die Angehörigen des Unterzeichnerstaates. Sie werden im Zuge von Beschlüssen ausgestaltet.

5.5

In Sozialversicherungsabkommen der EU mit Drittstaaten, die es derzeit noch nicht gibt, könnten zunächst das geltende Recht (zur Vermeidung einer doppelten Beitragsentrichtung) und der Rentenexport und später ergänzend die Zusammenrechnung der Versicherungszeiten festgelegt werden. Diese Abkommen würden sich erheblich von den vorstehend genannten Abkommen unterscheiden, die viel allgemeiner gehalten sind und nur am Rande Aspekte der sozialen Sicherheit berühren.

5.6

Assoziierungs-, Handels- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen regeln Wirtschafts- und Handelsfragen sowie Maßnahmen der nachhaltigen Entwicklung und der Zusammenarbeit zwischen der EU und Drittstaaten bzw. Drittregionen. Einige Abkommen enthalten Bestimmungen über die soziale Sicherheit.

6.   Beispiele

6.1

Gleichbehandlung und Rentenexport:

6.1.1

Arbeitnehmer der EU-Mitgliedstaaten A und B, die in einem Drittstaat C erwerbstätig sind, dessen Rechtsvorschriften über die sozialen Sicherheit keine Sozialversicherungsmitgliedschaft für Ausländer und keinen Rentenexport vorsehen: Der Staat A hat ein bilaterales Abkommen unterzeichnet, das die Gleichbehandlung und die Wahrung der erworbenen Ansprüche vorsieht (Rentenexport). Der Staat B hat keinerlei Abkommen mit dem Staat C geschlossen. Die Situation der Arbeitnehmer aus dem Staat A unterscheidet sich vollkommen von der Situation der Arbeitnehmer aus dem Staat B. Während die Arbeitnehmer aus dem Staat A Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen des Staates C haben und mit Eintritt in den Ruhestand im Falle einer Rückkehr in den Staat A dort Rente beziehen können, haben die Arbeitnehmer aus dem Staat B keine Rentenansprüche – und selbst wenn sie welche hätten, könnten sie die Rente nicht in ihrem Herkunftsland beziehen. Es handelt sich um ein Beispiel für eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Vorhandenseins bzw. Fehlens eines bilateralen Abkommens, dessen Unterzeichnung generell davon abhängt, ob der Staat C Interesse hat, ein solches Abkommen mit dem einen oder dem anderen EU-Mitgliedstaat auszuhandeln. Angesichts dieser Tatsache wäre es viel zweckdienlicher, wenn ein Sozialversicherungsabkommen unmittelbar zwischen der EU und dem Staat C aushandeln würde. Eine andere Möglichkeit wäre die Aufnahme eines Kapitels über die soziale Sicherheit in umfassendere Abkommen (z.B. regionale, multilaterale oder Partnerschaftsabkommen), das Bestimmungen über die Gleichbehandlung und den Rentenexport enthielte.

6.1.2

Arbeitnehmer der EU-Mitgliedstaaten A und B, die von ihren Firmen für einen Zeitraum von zwei Jahren in den Staat C entsandt werden: Gemäß den Rechtsvorschriften des Staates C müssen Arbeitnehmer, die auf seinem Staatsgebiet erwerbstätig sind, Beiträge zur Sozialversicherung entrichten. Darüber hinaus sehen die Rechtsvorschriften der Staaten A und B die Beitragsentrichtung für die entsandten Arbeitnehmer vor. Der Staat A hat ein bilaterales Abkommen mit dem Staat C unterzeichnet, dem zufolge nur Beiträge im Herkunftsstaat zu entrichten sind. Hingegen muss das betreffende Unternehmen aus dem Staat B doppelte Beiträge entrichten: im Staat B selbst wie auch im Staat C. In diesem letzten Falle büßt das Entsendeunternehmen an Wettbewerbsfähigkeit ein, weil es höhere Sozialkosten tragen muss, was vermieden werden könnte, wenn das Sozialversicherungsabkommen mit diesem Drittstaat unmittelbar von der EU geschlossen würde.

6.1.3

Arbeitnehmer der Drittstaaten C und D, die im EU-Mitgliedstaat A arbeiten, der ein Sozialversicherungsabkommen mit dem Staat C, nicht aber mit dem Staat D unterzeichnet hat: Die Rechtsvorschriften des EU-Mitgliedstaates sehen weder den Gleichbehandlungsgrundsatz noch den Rentenexport vor. Auch sind die Arbeitnehmer aus C und D durch kein EU-Rechtsinstrument geschützt (sie könnten z.B. Saisonarbeitskräfte sein). Die Arbeitnehmer genießen dann nicht denselben Schutz (der Arbeitnehmer aus dem Staat C genießt Ansprüche im vollen Umfang, der Arbeitnehmer aus dem Staat D keinerlei Ansprüche), weil der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht uneingeschränkt angewandt wird. Dies wäre aber nicht der Fall, würde die EU selbst ein Sozialversicherungsabkommen mit dem vorgenannten Staat D aushandeln.

6.1.4

Angehörige des Drittstaates C, die in den EU-Mitgliedstaaten A und B erwerbstätig sind: Der Staat A sieht in seinen Rechtsvorschriften den Rentenexport vor bzw. hat mit dem Staat C ein bilaterales Abkommen geschlossen, das den Rentenexport vorsieht, – der Staat B aber nicht. Die Arbeitnehmer beider Länder haben im EU-Mitgliedstaat, in dem sie erwerbstätig waren, Rentenansprüche erworben und sind in ihr Herkunftsland zurückgekehrt. Die Arbeitnehmer, die im Staat A beschäftigt waren, beziehen Rente, während die Arbeitnehmer, die im Staat B beschäftigt waren, ihre Rentenansprüche verlieren. Auch das wäre nicht der Fall, gäbe es ein Abkommen der EU, das sich auf diese und andere Sozialversicherungsansprüche erstreckt.

6.1.5

Drittstaatsangehörige, die in den EU-Mitgliedstaaten A und B erwerbstätig sind: Im Staat A sehen die Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, im Staat B jedoch nicht. Im ersten Fall würden für den Drittstaatsangehörigen Beiträge gezahlt, im zweiten Fall nicht. Dies würde einen wirtschaftlichen Vorteil für Staat B mit sich bringen und der Vorstellung von der EU als Raum der Gleichheit und des Diskriminierungsverbots Abbruch tun. Auch dieses Problem würde durch ein Abkommen der EU gelöst.

6.2

Gegenseitigkeit: Arbeitnehmer aus dem Drittstaat B, die im EU-Mitgliedstaat A arbeiten, in dem gemäß der nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit oder gemäß dem EU-Recht der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt. Arbeitnehmer aus dem EU-Mitgliedstaat A, die im Drittstaat B erwerbstätig sind, in dem der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gilt: Da der Gleichbehandlungsgrundsatz dort weder in den nationalen Rechtsvorschriften noch in EU-Rechtsvorschriften aufgrund Gegenseitigkeit vorgesehen ist, kommt es zu einer offensichtlichen Ungleichbehandlung. Ein von der EU ausgehandeltes Sozialversicherungsabkommen würde dieses Problem lösen, indem sich beide Vertragsparteien zur Gegenseitigkeit verpflichten.

6.3

Auswirkungen des Gottardo-Urteils: Arbeitnehmer aus dem EU-Mitgliedstaat A, die in dem EU-Mitgliedstaat B und in dem Drittstaat C gearbeitet haben. Zwischen dem Staat B und dem Staat C besteht ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen, das sich nur auf die Angehörigen der Unterzeichnerstaaten bezieht. Hingegen besteht kein bilaterales Abkommen zwischen dem Staat A und dem Staat C. Die betreffenden Arbeitnehmer weisen in dem Staat B Versicherungszeiten von acht Jahren und in Staat C von zehn Jahren nach. Der Staat B fordert für eine Altersrente eine 15-jährige Beitragszeit. Im Sinne des Gottardo-Urteils müsste der Mitgliedstaat B die vom Arbeitnehmer im Staat C zurückgelegten Versicherungszeiten anrechnen. Zu diesem Zweck muss er auf die Kooperation des Staates C und auf die förmliche Bescheinigung der zurückgelegten Versicherungszeiten durch diesen zählen können. Da der Staat C durch das Gottardo-Urteil dazu aber nicht verpflichtet ist, kann er sich einem entsprechenden Ersuchen verweigern. Folglich kann das Urteil ohne den guten Willen des Staates C nicht angewandt werden. Zur Behebung dieses Mangels und zur Umsetzung des Urteils wäre die Zusammenarbeit der EU mit Drittstaaten erforderlich. Der Kommission sollte auch eine Überwachungs- und Koordinierungsaufgabe zugewiesen werden, damit alle Unionsbürger von den (neu) ausgehandelten bilateralen Abkommen erfasst werden.

Brüssel, den 14. November 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Über 20 Mio. Drittstaatsangehörige arbeiten in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten.

(2)  Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Veröffentlicht im ABl. L 166 vom 30.4.2004, S. 1.

(3)  Übereinkommen über die Einrichtung eines internationalen Systems zur Wahrung der Rechte in der Sozialen Sicherheit, Genf, 68. Generalkonferenz der ILO, 21.6.1982.

(4)  Empfehlung betreffend die Einrichtung eines internationalen Systems zur Wahrung der Rechte in der Sozialen Sicherheit, Genf, 69. Generalkonferenz der ILO, 20.6.1983.

(5)  Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149 vom 5.7.1971, S. 2.)

(6)  Multilaterales Abkommen über soziale Sicherheit vom 10.11.2007.

(7)  Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Ausdehnung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen (ABl. L 344 vom 29.12.2010, S. 1).

(8)  Insbesondere die Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (ABl. L 343 vom 23.12.2011, S. 1).


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