Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52012AE1316

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Qualitätsrahmen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Europa“ COM(2011) 900 final

ABl. C 229 vom 31.7.2012, p. 98–102 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

31.7.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 229/98


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Qualitätsrahmen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Europa“

COM(2011) 900 final

2012/C 229/18

Berichterstatter: Jan SIMONS

Die Europäische Kommission beschloss am 20. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Qualitätsrahmen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Europa

COM(2011) 900 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Mai 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 481. Plenartagung am 23./24. Mai 2012 (Sitzung vom 23. Mai) mit 145 gegen 2 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bedauert sehr, dass der Titel der Mitteilung verwirrend ist und inhaltlich mehr verspricht, als er hält. Verwirrend deshalb, weil der Begriff „Qualitätsrahmen“ hier offenbar eine andere Bedeutung hat als der allgemein anerkannte gemeinsame Wert „Qualität“ von Artikel 14 AEUV und Protokoll 26 – ein Wert, der weder in der Mitteilung als solcher noch sektorspezifisch behandelt wird.

1.2   Der Ausschuss anerkennt gleichwohl die Notwendigkeit, diesen erläuternden Vermerk zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu veröffentlichen. Soweit diese Erläuterungen in der Kommissionsmitteilung erfolgen, wird dies befürwortet vorbehaltlich der vorgebrachten Bemerkungen. Der Ausschuss hat in den vergangenen Jahren wiederholt auf die Notwendigkeit qualitativ hochwertiger, effizienter und moderner Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hingewiesen.

1.3   Dennoch hält es der Ausschuss für unabdingbar, die neuen Primärrechtsbestimmungen zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in sektorspezifisches und gegebenenfalls sektorübergreifendes Sekundärrecht umzusetzen.

1.4   Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt erneut sehr deutlich, welche zentrale Rolle Dienste von allgemeinem Interesse bei der Gewährleistung des sozialen und territorialen Zusammenhalts spielen. Hierbei darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass die Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Sektors durch politische Entscheidungen eingeengt werden. Der Ausschuss teilt die Ansicht, dass dringend angemessene Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den Fortbestand dieser Dienstleistungen zu sichern und ihre Qualität zu verbessern.

1.5   Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der institutionelle Rahmen (Artikel 14 AEUV, Protokoll Nr. 26 und Artikel 36 der Grundrechtecharta) eine gute Grundlage bietet, auf der aufgebaut werden kann. Er ist jedoch der Meinung, dass diese Mitteilung noch nicht das kohärente und spezifische Konzept beinhaltet, das für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse erforderlich ist.

1.6   Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse mittels sektoraler Rechtsvorschriften, die passgenaue Lösungen ermöglichen, zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren, ist und bleibt nach Ansicht des Ausschusses Aufgabe der Mitgliedstaaten, wohingegen die Rechtsetzungsbefugnis der EU vor allem die Festlegung der wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen und die Prüfung auf offensichtliche Mängel betrifft.

1.7   Der Ausschuss spricht sich dafür aus, dass bei der Überarbeitung der sektoralen Rechtsvorschriften, die Universaldienstverpflichtungen umfassen, eine kontinuierliche Prüfung auf der Grundlage der neuen Primärrechtsbestimmungen, der Entwicklung der Bedürfnisse der Nutzer sowie des technologischen und wirtschaftlichen Wandels erforderlich ist, die in Zusammenarbeit mit Interessenträgern und der Zivilgesellschaft stattfindet. Bei dieser Überarbeitung sollte nach Ansicht des Ausschusses ein Ansatz verfolgt werden, der sowohl der Beschäftigung als auch dem sozialen und territorialen Zusammenhalt Rechnung trägt, da diese Aspekte bisher vernachlässigt wurden.

1.8   In Protokoll Nr. 26 wird nachdrücklich auf die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten verwiesen, wenn es darum geht, nichtwirtschaftliche Dienste von allgemeinem Interesse zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren. Deswegen sind nach Ansicht des Ausschusses in erster Linie die Mitgliedstaaten für deren Bewertung auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene zuständig, während die Europäische Kommission lediglich die Pflicht hat, sogenannte bewährte Verfahrensweisen zu verbreiten und diese Dienstleistungen auf ihre Vereinbarkeit mit den allgemeinen Grundsätzen der EU-Verträge hin zu kontrollieren.

1.9   Der Ausschuss begrüßt, dass die Kommission in der Mitteilung bestrebt ist, die Grundbegriffe zu erläutern, die in den Diskussionen über die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse verwendet werden und Kunden und Nutzer, also die Bürger im Allgemeinen, direkt betreffen. Die Mitteilung ist in dieser Hinsicht jedoch leider unvollständig. Nach Auffassung des Ausschusses sollte die Definition von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse mehr umfassen, als den Verweis auf die Existenz eines Marktes. Dabei wäre z.B. an die demokratisch legitimierte politische Beschlussfassung in den Mitgliedstaaten zu denken. Es wäre ratsam, umfassende Konsultationen durchzuführen und erneut – ohne Interpretationsspielraum in den verschiedenen Sprachfassungen – eine erläuternde Begriffsliste vorzulegen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.

1.10   Der Ausschuss hält es für eine gute Sache, mehr Klarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der EU-Vorschriften für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu schaffen. Dies gilt auch für die „Leitfäden“, die von der Kommission veröffentlicht werden, um ein besseres Verständnis und eine bessere Anwendung dieser Vorschriften zu bewirken – vor allem wenn in Zusammenarbeit mit Sachverständigen entsprechend erstellt werden.

1.11   Bezüglich der weiteren Gewährleistung des Zugangs zur Grundversorgung – Postdienstleistungen, Basisbankdienstleistungen, öffentlicher Verkehr, Energie und elektronische Kommunikation – muss nach Ansicht des Ausschusses zumal für benachteiligte Kunden, wie Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, ein Universalrecht auf Zugang bestehen. Die Mitgliedstaaten müssen auf der Grundlage des geltenden Rechtssystems immer wieder fundierte und von der Kommission zu überwachende Überlegungen darüber anstellen, ob diese Dienstleistungen im öffentlichen Sektor verbleiben bzw. von diesem übernommen werden oder unter strengen Bedingungen (teilweise) an den Markt abgetreten werden sollten.

1.12   Der Ausschuss ist der Auffassung, dass den Sozial-, Gesundheits- und Arbeitsmarktdienstleistungen von allgemeinem Interesse in dieser Mitteilung mehr Aufmerksamkeit hätte zuteil werden müssen. Deshalb fordert er die Kommission auch auf, ihre Arbeit im Bereich der Spezifizierung von Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse zu intensivieren. Auch Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der EU in Bereichen wie der Gesundheitsfürsorge, der Kinderbetreuung, der Altenpflege, der Unterstützung von Personen mit Behinderungen, dem sozialen Wohnungswesen oder dem Arbeitsmarkt sieht der Ausschuss, ebenso wie die Kommission, als grundlegend an.

1.13   Der Ausschuss fordert die Kommission auf, umgehend Vorschläge betreffend die Förderung von qualitativ hochwertigen Initiativen zu unterbreiten, insbesondere für Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, da diesen Dienstleistungen in der vorliegenden Mitteilung kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird, die Nachfrage danach steigt und ihre Finanzierung immer problematischer wird. Außerdem sollte die Kommission Folgemaßnahmen für die Umsetzung des europäischen Qualitätsrahmens für soziale Dienstleistungen in den Mitgliedstaaten ergreifen.

2.   Einleitung

2.1   Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurden neue Bestimmungen für die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse eingeführt, nämlich Artikel 14 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Protokoll Nr. 26 über die Auslegung des Begriffs „gemeinsamer Wert“ in Artikel 14 AEUV sowie über die nichtwirtschaftlichen Dienste von allgemeinem Interesse. Außerdem erhielt Artikel 36 der Grundrechtecharta damit denselben rechtlichen Stellenwert wie die Verträge.

2.2   Darüber hinaus macht die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise deutlich, welche zentrale Rolle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse für die Sicherstellung des sozialen und territorialen Zusammenhalts spielen und welche Auswirkungen die Krise auf den öffentlichen Sektor hat. Untersuchungen zeigen, dass „öffentliche Dienstleistungen“, die weit mehr umfassen als nur Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, mehr als 26 % des BIP der 27 EU-Mitgliedstaaten ausmachen und 30 % der europäischen Arbeitskräfte in diesem Bereich beschäftigt sind.

2.3   Dies sind deshalb auch die wichtigsten Gründe, die die Kommission dazu bewogen haben, die hier in Rede stehende Mitteilung zu veröffentlichen.

3.   Inhalt der Kommissionsvorlage

3.1   Nach Ansicht der Kommission soll mit dem Qualitätsrahmen sichergestellt werden, dass das Regelungsumfeld auf EU-Ebene auch in den nächsten Jahren die soziale Dimension des Binnenmarktes stärkt, dass der spezifischen Art dieser Dienstleistungen besser Rechnung getragen wird und dass sie in einer Weise bereitgestellt werden, die den im Protokoll anerkannten Werten – Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung, universeller Zugang und Nutzerrechte – gerecht wird.

3.2   Die Kommission stellt fest, dass sich im Laufe der Jahre die Nachfrage nach Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sowie die Art ihrer Erbringung erheblich verändert haben. Früher seien diese Dienstleistungen durch die Zentralregierung bereitgestellt worden, während sie heute weitgehend an nachgeordnete Behörden oder – über entsprechende Rechtsvorschriften – an den privaten Sektor vergeben würden.

3.3   Die in Ziffer 3.2 angesprochene Tendenz wird durch Liberalisierung, andere Schwerpunkte in den politischen Strategien sowie Änderungen der Nutzerbedürfnisse und -erwartungen noch verstärkt. Und da viele dieser Dienstleistungen wirtschaftlicher Art sind, unterliegen sie den Binnenmarkt- und den Wettbewerbsvorschriften, „sofern diese die Erfüllung der mit diesen Dienstleistungen verbundenen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich nicht behindern“.

3.4   Obwohl Besorgnisse hinsichtlich der Auswirkungen dieser Vorschriften insbesondere auf die Sozialdienstleistungen bestehen, ist die Kommission der Auffassung, dass diese Regeln so angewandt werden können, dass den spezifischen Erfordernissen Rechnung getragen und das Dienstleistungsangebot verbessert wird, wobei natürlich auf die entsprechende Flexibilität zu achten ist.

3.5   Der von der Kommission vorgestellte „Qualitätsrahmen“ besteht aus drei Aktionsfeldern, die die Kommission aber nicht in Form konkreter Vorschläge ausgestaltet.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hält den Titel der Mitteilung für unglücklich gewählt, weil er verwirrend ist und inhaltlich mehr verspricht, als er hält. Verwirrend deshalb, weil der Begriff „Qualitätsrahmen“ hier offenbar eine andere Bedeutung hat als der allgemein anerkannte gemeinsame Wert „Qualität“ von Artikel 14 AEUV und Protokoll 26 – ein Wert, der weder in der Mitteilung als solcher noch sektorspezifisch behandelt wird. Gleiches gilt auch für die anderen Werte wie Sicherheit, Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung, Förderung des universellen Zugangs und Nutzerrechte.

4.2   Sehr bedauerlich ist auch das Fehlen einer Wirkungsanalyse in der Mitteilung, denn es gibt an Behauptungen und Feststellungen der Kommission unter Ziffer 3.2 eine ganze Menge auszusetzen. So wurden diese Dienstleistungen laut Ausschuss und Sachverständigen schon immer auf regionaler und lokaler Ebene angeboten.

4.3   Der Ausschuss anerkennt die Notwendigkeit, diesen erläuternden Vermerk für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu veröffentlichen. Er hat in früheren Stellungnahmen (1) bereits auf das Erfordernis effizienter, moderner, zugänglicher und erschwinglicher Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hingewiesen, die eine der Säulen des europäischen Sozialmodells und der sozialen Marktwirtschaft sind, und dazu aufgefordert, diesen ständige Aufmerksamkeit zu schenken, zumal in der derzeitigen in Europa herrschenden Finanz- und Wirtschaftskrise.

4.4   Insoweit unterstützt der Ausschuss die Vorgehensweise der Kommission und ermutigt sie, die spezifischen Arbeiten zur Anerkennung der Besonderheiten der Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, etwa im Bereich des Beihilfenrechts und der Arbeitsmarktdienstleistungen, fortzusetzen.

4.5   Dennoch hält es der Ausschuss für unabdingbar, die neuen Primärrechtsbestimmungen zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in sektorspezifisches und gegebenenfalls sektor-übergreifendes Sekundärrecht umzusetzen.

4.6   Der Ausschuss ist der Auffassung, dass den Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen von allgemeinem Interesse in dieser Mitteilung mehr Aufmerksamkeit hätte zuteil werden müssen. Deshalb fordert er die Kommission denn auch auf, ihre Arbeit im Bereich der Spezifizierung von Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse zu intensivieren. Im Übrigen lässt sich noch an weitere, von der Kommission nicht genannte Dienstleistungen von allgemeinem Interesse denken, z.B. in den Bereichen Kultur, Bildung oder öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Auch Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der EU in Bereichen wie der Gesundheitsfürsorge, der Kinderbetreuung, der Altenpflege, der Unterstützung von Personen mit Behinderungen, dem sozialen Wohnungswesen oder den Arbeitsmarktdienstleistungen sieht der Ausschuss, ebenso wie die Kommission, als grundlegend an.

4.7   Mit der Einführung neuer Bestimmungen nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, nämlich Artikel 14 AEUV und Protokoll Nr. 26 über Dienste von allgemeinem Interesse sowie Artikel 36 der Grundrechtecharta, wodurch diese denselben rechtlichen Stellenwert wie die Verträge erhält, wurde für die Kommission der entsprechende Handlungsspielraum geschaffen, um alle ihre bisherigen Maßnahmen in Bezug auf Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu bündeln. Der Ausschuss hält dies für einen sinnvollen Ansatz, wobei jedoch anzumerken ist, dass diese Mitteilung noch nicht das erforderliche kohärente und spezifische Konzept für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, wie ihre Zugänglichkeit, beinhaltet. Deshalb fordert er die Kommission auf, konkrete Vorschläge zu unterbreiten.

4.8   Mit Artikel 14 AEUV erhielt die EU die Befugnis, Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu erlassen und mittels Verordnungen die für das Funktionieren dieser Dienste notwendigen Grundsätze und – insbesondere wirtschaftlichen und finanziellen – Bedingungen festzulegen. Aus dem Zusammenhang des Artikels geht nach Ansicht des Ausschusses klar hervor, dass hier nicht die Bedingungen für die Dienstleistung selbst, denn diese legen die nationalen Behörden fest, sondern die Rahmenbedingungen und die sektorspezifischen Bedingungen in den Kompetenzbereichen der EU gemeint sind (unter „nationalen Behörden“ sind in diesem Zusammenhang die Behörden der zentralstaatlichen, regionalen und kommunalen Ebene zu verstehen).

4.9   Dieser Artikel macht zudem deutlich, dass es die Zuständigkeit der Behörden der Mitgliedstaaten auf nationaler und subnationaler Ebene ist und bleibt, solche Dienste bereitzustellen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren. Der Ausschuss hat sich in der Vergangenheit auch stets hierfür ausgesprochen. Die Kommission sollte sich deshalb auch weiterhin über diese Dienstleistungen auf einzelstaatlicher Ebene informieren, um die Umsetzung der EU-Vorschriften beurteilen zu können.

4.10   Die Kommission gibt an, kontinuierlich prüfen zu wollen, inwiefern die geltenden sektoralen Rechtsvorschriften, die Universaldienstverpflichtungen beinhalten, überarbeitet werden müssen. Der Ausschuss möchte hierzu anmerken, dass nach seiner Ansicht diese fortlaufende Prüfung auf der Grundlage der neuen Primärrechtsbestimmungen, der Entwicklung der Bedürfnisse der Nutzer sowie des technologischen und wirtschaftlichen Wandels in Zusammenarbeit mit Interessenträgern und der Zivilgesellschaft vorgenommen werden müsste. Dies gilt vor allem für die Ermittlung des Bedarfs an neuen Universaldienstverpflichtungen in anderen Bereichen. Die diesbezügliche Sichtweise des Ausschusses wurde bereits in einer früheren Stellungnahme dargelegt (2).

4.11   In Protokoll Nr. 26 Artikel 1 sind die Grundprinzipien verankert, die für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gelten, und in Artikel 2 die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten aufgeführt, wenn es darum geht, nichtwirtschaftliche Dienste von allgemeinem Interesse zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass daher in erster Linie die Mitgliedstaaten für die Bewertung der in Artikel 2 genannten Dienstleistungen auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene zuständig sind; der Europäischen Kommission bleibt bei der Prüfung auf offensichtliche Mängel die Aufgabe, diese Dienstleistungen auf die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze der EU-Verträge hin zu kontrollieren.

4.12   Der Ausschuss begrüßt das Bestreben der Kommission, die verschiedenen, in Diskussionen über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse verwendeten Begriffe zu erläutern. Die Mitteilung ist in dieser Hinsicht jedoch leider unvollständig und teilweise nicht richtig. So fehlt u.a. eine Erläuterung der Bedeutung und des Gesamtstellenwerts des Begriffs „Grundversorgung“, und es stellt sich die Frage, ob das in der niederländischen Fassung verwendete Wort „onmisbaar“ (S. 3, zweiter Aufzählungsstrich) gleichbedeutend ist mit „essentieel“. Die Aufzählung spezifischer Universaldienstverpflichtungen ist zudem unvollständig. In der Kommissionsmitteilung selbst findet sich ein Beispiel für diese Verwirrung: In der Überschrift und im ersten Satz von Aktionsfeld 2 ist von „Grundversorgung“ die Rede, während es im folgenden Text dieses Titels von „Universaldienstverpflichtungen“ gesprochen wird. Unterstützung durch namhafte Sachverständige, um die im Zusammenhang mit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse verwendeten Grundbegriffe eindeutig zu formulieren, sollte die Kommission ausschlagen.

4.13   Es wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass zwischen den verschiedenen Sprachfassungen Interpretationsspielraum besteht, und dies nicht nur bei den Grundbegriffen. So stellt sich die Frage, ob jeweils unterschiedliche Dinge gemeint sind, wenn in der niederländischen Fassung die Begriffe „algemene toegang“ bzw. „universele dienst“ und in der deutschen Fassung „Verpflichtung der Daseinsvorsorge“ bzw. „Gemeinwohlverpflichtung“ sowie „öffentliche Aufgabe“ nebeneinander verwendet werden. Typisch für die Verwirrung ist, dass die Kommission in dem Textrahmen der Grundbegriffe einerseits erklärt, den Begriff „öffentlicher Dienst“ in der Mitteilung nicht mehr zu verwenden, es dann aber bereits vier Absätze weiter in der niederländischen Fassung heißt: […] die specifieke openbare diensten in staat stellen hun taken te vervullen" („[…] damit die jeweiligen öffentlichen Dienste ihren Aufgaben […] nachkommen können“).

4.14   Es wäre daher ratsam, eine umfassende Konsultation zu all diesen Punkten durchzuführen und erneut eine erläuternde Begriffsliste vorzulegen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Dabei sollten die Unterschiede in den Sozialsystemen der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Bei der Erarbeitung dieser Mitteilung hat die Kommission einen Ansatz in Form von drei Aktionsfeldern – wie in Ziffer 3.5 angeführt – gewählt, der nach Ansicht des Ausschusses einen guten Rahmen für eine weitere Präzisierung darstellt.

5.2   Beim ersten Aktionsfeld geht es darum, mehr Klarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der EU-Vorschriften zu schaffen, die für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gelten. Dies kann der Ausschuss nur begrüßen, denn dafür plädiert er bereits seit Jahren. Leider muss der Ausschuss feststellen, dass dieses Anliegen aber nicht in Form neuer konkreter Vorschläge ausgestaltet wird.

5.3   Bei der Überarbeitung der Beihilfevorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse hat die Kommission folgende Anpassungen bereits beschlossen bzw. vorgeschlagen:

5.3.1

eine neue Mitteilung, in der näher auf Auslegungsprobleme eingegangen wird, die sich auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene stellen;

5.3.2

die Erhöhung der Zahl von Sozialdiensten, die unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr vorab notifiziert und durch die Kommission bewertet werden müssen. Neben Krankenhäusern und Einrichtungen des sozialen Wohnungsbaus umfasst diese Liste derzeit Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die soziale Bedürfnisse hinsichtlich Gesundheitsfürsorge und Langzeitpflege, Kinderbetreuung, Zugang zum und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sowie Betreuung und soziale Eingliederung von Angehörigen schutzbedürftiger Gruppen erfüllen;

5.3.3

eine gründlichere und gezieltere Prüfung umfangreicher Beihilfemaßnahmen, die erhebliche Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes haben können;

5.3.4

den Vorschlag einer neuen De-minimis-Regel eigens für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, nach der Beihilfebeträge von bis zu 500 000 EUR während eines Dreijahreszeitraums nicht als Beihilfe gelten. Für bestimmte Sektoren, wobei die Kommission die Bereiche Verkehr und öffentlicher Rundfunk nennt, gelten weiterhin besondere sektorspezifische Regeln.

5.4   Bei den Vorschlägen der Kommission zur Reform der Vorschriften über das öffentliche Beschaffungswesen und Konzessionen, um die Qualität bei der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu verbessern, sind folgende Aspekte von Belang:

5.4.1

eine gesonderte – weniger strenge – Behandlung von Sozial- und Gesundheitsdiensten, die den besonderen Funktionen und Merkmalen dieser Dienste Rechnung trägt. Die Schwellenwerte sollen angehoben werden und für die betreffenden Dienste sollen nur noch Transparenz- und Gleichbehandlungspflichten gelten. Es wird dazu ermutigt, das Kriterium des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ anzuwenden (laut Kommission deckt der Begriff „wirtschaftlich günstigstes Angebot“ auch soziale und ökologische Aspekte ab);

5.4.2

mehr Rechtssicherheit in der Frage, wie das EU-Beschaffungsrecht auf die Beziehungen von öffentlichen Einrichtungen untereinander anzuwenden ist. Hier wird auf die jüngste Stellungnahme des Ausschusses zur öffentlichen Auftragsvergabe und Konzessionsvergabe verwiesen.

5.5   Außerdem begrüßt der Ausschuss die Veröffentlichung der „Leitfäden“ der Kommission, die für ein besseres Verständnis und eine bessere Anwendung der EU-Vorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sorgen sollen – vor allem wenn sie unter Hinzuziehung namhafter Sachverständiger gestaltet wurden.

5.6   Das zweite Aktionsfeld betrifft die Sicherung des Zugangs aller Bürger zur Grundversorgung, wobei die Kommission bestrebt ist, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der notwendigen Stärkung des Wettbewerbs einerseits und dem Zugang aller Bürger zu einer bezahlbaren, hochwertigen Grundversorgung andererseits zu wahren, wie übrigens auch in dem entsprechenden Weißbuch von 2004 dargelegt ist.

5.7   In diesem Zusammenhang führt die Kommission folgende Beispiele für die Grundversorgung an: Postdienste, Basisbankdienstleistungen, den öffentlichen (Personen-)Verkehr, Energie und elektronische Kommunikation. Der Ausschuss geht unter Verweis auf Ziffer 4.6 davon aus, dass diese Aufzählung nicht erschöpfend ist. Auch der Ausschuss sieht die genannten Beispiele als Teil der Grundversorgung an, die bezahlbar sein müssen und für die ein universelles Zugangsrecht gelten muss, insbesondere für schutz- und unterstützungsbedürftige Empfänger wie Menschen mit Behinderungen und Menschen, die von Armut und Ausgrenzung betroffen sind. Bei einem Widerstreit mit den Wettbewerbsregeln hat das allgemeine Interesse Vorrang.

5.8   Das dritte Aktionsfeld betrifft die Förderung qualitativ hochwertiger Initiativen, insbesondere Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse. Die Nachfrage der Gesellschaft nach diesen Dienstleistungen nimmt zu, und ihre Finanzierung wird einerseits durch die Wirtschafts- und Finanzkrise und andererseits infolge der Überalterung immer schwieriger.

5.9   Der Ausschuss weist hier in erster Linie darauf hin, dass er noch immer auf eine Mitteilung der Kommission zu Gesundheitsdiensten wartet, die diese im Zusammenhang mit sozialen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zugesagt hat.

5.10   Die Kommission führt als Beispiele für dieses dritte Aktionsfeld vier Initiativen an. Der Ausschuss weist darauf hin, dass drei der vier Initiativen mit bereits früher gestarteten Initiativen in Zusammenhang stehen. Die im PROGRESS-Programm beabsichtigte Förderung neuer transnationaler Projekte darf sich daher nicht nur auf die Umsetzung des Freiwilligen Qualitätsrahmens beziehen, sondern muss auch die Einbeziehung der Projektergebnisse zum Gegenstand haben.

5.11   Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Europäische Kommission in Bezug auf das öffentliche Auftragswesen darauf Wert legt, dass der Auftrag anhand des Kriteriums der „geringsten Kosten für die Allgemeinheit“ vergeben wird, also nicht notwendigerweise an den billigsten Anbieter. Dies ist besonders wichtig, um Sozialpolitik und Arbeitsmarktdienstleistungen, die eine starke Wechselwirkung aufeinander ausüben, möglichst wirksam miteinander zu verknüpfen. Allerdings muss der soziale Aspekt des öffentlichen Auftragswesens gesamtgesellschaftlich betrachtet gestärkt werden.

Brüssel, den 23. Mai 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 77-80; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 65-68; ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 42-45; ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 135-141.

(2)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 77-80.


Top
  翻译: