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Document 62005CJ0305

Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 26. Juni 2007.
Ordre des barreaux francophones et germanophone und andere gegen Conseil des ministres.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'arbitrage, jetzt Cour constitutionnelle - Belgien.
Richtlinie 91/308/EWG - Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche - Verpflichtung der Rechtsanwälte zur Unterrichtung der zuständigen Behörden über alle Tatsachen, die ein Indiz für eine Geldwäsche sein könnten - Recht auf ein faires Verfahren - Berufsgeheimnis und Unabhängigkeit der Rechtsanwälte.
Rechtssache C-305/05.

Sammlung der Rechtsprechung 2007 I-05305

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2007:383

Rechtssache C-305/05

Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a.

gegen

Conseil des ministres

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’arbitrage, jetzt Cour constitutionnelle)

„Richtlinie 91/308/EWG – Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche – Verpflichtung der Rechtsanwälte zur Unterrichtung der zuständigen Behörden über alle Tatsachen, die ein Indiz für eine Geldwäsche sein könnten – Recht auf ein faires Verfahren – Berufsgeheimnis und Unabhängigkeit der Rechtsanwälte“

Leitsätze des Urteils

1.        Gemeinschaftsrecht – Auslegung – Methoden

2.        Rechtsangleichung – Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche – Richtlinie 91/308

(Art. 6 Abs. 2 EU; Richtlinie 91/308 des Rates, Art. 2a Nr. 5 und Art. 6 Abs. 1 und 3 Unterabs.  2)

1.        Wenn eine Vorschrift des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts mehr als eine Auslegung zulässt, ist die Auslegung, bei der die Bestimmung mit dem Vertrag vereinbar ist, derjenigen vorzuziehen, die zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Vertrag führt. Denn die Mitgliedstaaten haben nicht nur ihr nationales Recht gemeinschaftsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts kollidiert.

(vgl. Randnr. 28)

2.        Die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 91/308 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche in der Fassung der Richtlinie 2001/97 vorgesehenen Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit mit den für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständigen Behörden, die den Rechtsanwälten in Art. 2a Nr. 5 dieser Richtlinie auferlegt worden sind, verstoßen angesichts von Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren, wie es durch Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 6 Abs. 2 EU gewährleistet wird.

Es ergibt sich aus Art. 2a Nr. 5 der Richtlinie 91/308, dass die Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit für Rechtsanwälte nur insoweit gelten, als sie ihren Mandanten bei der Planung oder Durchführung bestimmter, unter Buchst. a dieser Vorschrift genannter Transaktionen, die im Wesentlichen finanzieller Art sind oder Immobilien betreffen, unterstützen oder im Namen und für Rechnung ihres Mandanten Finanz- oder Immobilientransaktionen erledigen. Diese Tätigkeiten finden im Allgemeinen schon aufgrund ihrer Art in einem Kontext, der keine Verbindung zu einem Gerichtsverfahren hat, und somit außerhalb des Anwendungsbereichs des Rechts auf ein faires Verfahren statt.

Sobald im Übrigen ein Rechtsanwalt, der im Rahmen einer in Art. 2a Nr. 5 der Richtlinie 91/308 genannten Transaktion tätig geworden ist, um Beistand im Zusammenhang mit der Verteidigung, der Vertretung vor Gericht oder einer Beratung über das Betreiben oder Vermeiden eines Gerichtsverfahrens ersucht wird, ist er gemäß Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der genannten Richtlinie von den in Art. 6 Abs. 1 aufgeführten Pflichten befreit, ganz gleich, ob er die Informationen vor, während oder nach dem Verfahren erlangt hat. Eine solche Befreiung wahrt das Recht des Mandanten auf ein faires Verfahren.

Da die Anforderungen, die aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgen, definitionsgemäß einen Bezug zu einem Gerichtsverfahren voraussetzen und Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 91/308 die Rechtsanwälte von den in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie genannten Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit befreit, sofern ihre Tätigkeiten einen derartigen Bezug aufweisen, ist den genannten Anforderungen Genüge getan.

(vgl. Randnrn. 33-35, 37 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

26. Juni 2007(*)

„Richtlinie 91/308/EWG – Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche – Verpflichtung der Rechtsanwälte zur Unterrichtung der zuständigen Behörden über alle Tatsachen, die ein Indiz für eine Geldwäsche sein könnten – Recht auf ein faires Verfahren – Berufsgeheimnis und Unabhängigkeit der Rechtsanwälte“

In der Rechtssache C‑305/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour d’arbitrage, jetzt Cour constitutionelle (Belgien), mit Entscheidung vom 13. Juli 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juli 2005, in dem Verfahren

Ordre des barreaux francophones et germanophone,

Ordre français des avocats du barreau de Bruxelles,

Orde van Vlaamse balies,

Nederlandse Orde van advocaten bij de balie te Brussel

gegen

Conseil des ministres,

Beteiligte:

Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union,

Ordre des avocats du barreau de Liège,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts, E. Juhász (Berichterstatter) und J. Klučka, des Richters J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Schiemann, A. Borg Barthet, M. Ilešič und J. Malenovský,

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: M.‑A. Gaudissart, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Ordre des barreaux francophones et germanophone und des Ordre français des avocats du barreau de Bruxelles, vertreten durch F. Tulkens und V. Ost, avocats,

–        des Orde van Vlaamse balies und des Nederlandse Orde van advocaten bij de balie te Brussel, vertreten durch M. Storme, avocat,

–        des Rates der Anwaltschaften der Europäischen Union, vertreten durch M. Mahieu, avocat,

–        des Ordre des avocats du barreau de Liège, vertreten durch E. Lemmens, avocat,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Wimmer als Bevollmächtigten im Beistand von L. Swartenbroux, avocat,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

–        der zyprischen Regierung, vertreten durch E. Rossidou‑Papakyriakou und F. Komodromos als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

–        der slowakischen Regierung, vertreten durch R. Procházka als Bevollmächtigten,

–        des Europäischen Parlaments, vertreten zunächst durch A. Caiola und C. Castillo del Carpio, dann durch A. Caiola und M. Dean als Bevollmächtigte,

–        des Rates der Europäischen Union, vertreten durch M. Sims und M.‑M. Josephides als Bevollmächtigte,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Bogensberger und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Dezember 2006

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit von Art. 2a Nr. 5 der Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche (ABl. L 166, S. 77) in der Fassung der Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 (ABl. L 344, S. 76) (im Folgenden: Richtlinie 91/308).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Klagen, die jeweils der Ordre des barreaux francophones et germanophone (Kammer der französischsprachigen und deutschsprachigen Anwaltschaften), der Ordre français des avocats du barreau de Bruxelles (Französische Rechtsanwaltskammer der Brüsseler Anwaltschaft), der Orde van Vlaamse balies (Kammer der flämischen Anwaltschaften) und der Nederlandse Orde van advocaten bij de balie te Brussel (Niederländische Rechtsanwaltskammer der Brüsseler Anwaltschaft) beim vorlegenden Gericht erhoben haben und mit denen beantragt wird, bestimmte Artikel des Gesetzes vom 12. Januar 2004 zur Abänderung des Gesetzes vom 11. Januar 1993 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, des Gesetzes vom 22. März 1993 über den Status und die Kontrolle der Kreditinstitute und des Gesetzes vom 6. April 1995 über den Status von Investmentgesellschaften und deren Kontrolle, die Vermittler und die Anlageberater (Moniteur belge vom 23. Januar 2004, S. 4352, im Folgenden: Gesetz vom 12. Januar 2004) für nichtig zu erklären, mit dem die Richtlinie 2001/97 in die nationale Rechtsordnung umgesetzt worden ist.

 Rechtlicher Rahmen

 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

3        Art. 6 mit dem Titel „Recht auf ein faires Verfahren“ der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) lautet:

„(1)      Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. …

(2)      Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.

(3)      Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte:

a)      innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;

b)      ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;

c)      sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;

d)      Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;

e)      unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.“

 Gemeinschaftsrecht

4        Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 91/308 lautet:

„Das Waschen der Erlöse aus illegalen Tätigkeiten hat einen offenkundigen Einfluss auf die Zunahme des organisierten Verbrechens im Allgemeinen und des Rauschgifthandels im Besonderen. Die Öffentlichkeit wird sich zunehmend bewusst, dass die Bekämpfung der Geldwäsche eines der wirksamsten Mittel gegen diese Form der Kriminalität ist, die eine besondere Bedrohung für die Gesellschaften der Mitgliedstaaten darstellt.“

5        In den Erwägungsgründen 1, 14 bis 17 und 20 der Richtlinie 2001/97 heißt es:

„(1)      Es ist angebracht, dass die Richtlinie 91/308 … als eines der wichtigsten internationalen Rechtsinstrumente für die Bekämpfung der Geldwäsche im Einklang mit den Schlussfolgerungen der Kommission und den Forderungen des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten aktualisiert wird. Auf diese Weise sollte die Richtlinie [91/308] nicht nur die besten internationalen Praktiken auf diesem Gebiet widerspiegeln, sondern auch weiterhin einen hohen Standard beim Schutz des Finanzsektors und anderer gefährdeter Tätigkeiten vor den nachteiligen Auswirkungen der aus Straftaten stammenden Erträge setzen.

(14)      Es besteht ein Trend zur zunehmenden Nutzung von Nichtfinanzunternehmen durch Geldwäscher. Dies wird durch die Arbeiten der FATF [Arbeitsgruppe ‚Finanzielle Maßnahmen gegen die Geldwäsche‘] zu den Methoden und Erscheinungsformen der Geldwäsche bestätigt.

(15)      Die Verpflichtungen der Richtlinie [91/308] zur Feststellung der Identität des Kunden, zur Aufbewahrung von Aufzeichnungen und zur Meldung verdächtiger Transaktionen sollte auf eine begrenzte Anzahl von Tätigkeiten und Berufen ausgedehnt werden, bei denen erkennbar ein Geldwäscherisiko besteht.

(16)      Notare und selbständige Angehörige von Rechtsberufen im Sinne der von den Mitgliedstaaten vorgenommenen Definition sollten den Bestimmungen der Richtlinie [91/308] unterliegen, wenn sie sich – einschließlich der Steuerberatung – an Finanz‑ oder Unternehmenstransaktionen beteiligen, bei denen die Gefahr sehr groß ist, dass ihre Dienste für das Waschen von Erlösen aus kriminellen Tätigkeiten missbraucht werden.

(17)      Wenn selbständige Angehörige von Berufen der Rechtsberatung, die gesetzlich anerkannt sind und überwacht werden, wie beispielsweise Rechtsanwälte, die Rechtslage für einen Klienten beurteilen oder einen Klienten in einem gesetzlich normierten Verfahren vertreten, wäre es nach der Richtlinie [91/308] allerdings nicht angebracht, diese Berufszweige im Hinblick auf diese Tätigkeiten zur Meldung des Verdachts auf Geldwäsche zu verpflichten. Es müssen Freistellungen von der Pflicht zur Meldung von Informationen vorgesehen werden, die vor oder nach einem Gerichtsverfahren bzw. während eines Gerichtsverfahrens oder im Rahmen der Beurteilung der Rechtslage für einen Klienten erlangt wurden. Folglich unterliegt die Rechtsberatung weiterhin der beruflichen Geheimhaltungspflicht, es sei denn, der Rechtsberater ist an Geldwäschevorgängen beteiligt, die Rechtsberatung wird zum Zwecke der Geldwäsche erteilt oder der Rechtsanwalt weiß, dass der Klient die Rechtsberatung für Zwecke der Geldwäsche in Anspruch nimmt.

(20)      Um der beruflichen Schweigepflicht, zu der Notare und selbständige Angehörige von Rechtsberufen ihren Klienten gegenüber verpflichtet sind, in angemessenem Maße Rechnung zu tragen, sollten die Mitgliedstaaten die Anwaltskammer oder eine andere Selbstverwaltungseinrichtung für selbständige Berufe als die Einrichtung bestimmen können, an die Angehörige dieser Berufe Meldungen über etwaige Fälle der Geldwäsche richten können. Die Regeln für die Bearbeitung der an diese Einrichtungen ergangenen Meldungen und ihre etwaige Weiterleitung an ‚die für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständigen Behörden‘ und allgemein die angemessenen Formen der Zusammenarbeit zwischen den Anwaltskammern oder den Berufsverbänden und diesen Behörden sollten von den Mitgliedstaaten festgelegt werden.“

6        Art. 2a Nr. 5 der Richtlinie 91/308 erlegt die Verpflichtungen aus der Richtlinie

„5.      Notaren und anderen selbständigen Angehörigen von Rechtsberufen [auf], wenn sie

a)      für ihren Klienten an der Planung oder Durchführung von Transaktionen mitwirken, die Folgendes betreffen:

i)      Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben,

ii)      Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen Vermögenswerten ihres Klienten,

iii)      Eröffnung oder Verwaltung von Bank‑, Spar‑ oder Wertpapierkonten,

iv)      Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb oder zur Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel,

v)      Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften, Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen,

b)      oder wenn sie im Namen und auf Rechnung ihres Klienten Finanz‑ oder Immobilientransaktionen erledigen.“

7        Art. 6 der Richtlinie 91/308 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die dieser Richtlinie unterliegenden Institute und Personen sowie deren leitendes Personal und deren Angestellte mit den für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständigen Behörden in vollem Umfang zusammenarbeiten, indem sie

a)      diese Behörden von sich aus über alle Tatsachen, die ein Indiz für eine Geldwäsche sein könnten, unterrichten;

b)      diesen Behörden auf Verlangen alle erforderlichen Auskünfte im Einklang mit den Verfahren erteilen, die in den anzuwendenden Rechtsvorschriften festgelegt sind.

(2)      Die in Absatz 1 genannten Informationen werden den für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständigen Behörden des Mitgliedstaats übermittelt, in dessen Hoheitsgebiet sich die Person oder das Institut befindet, von dem diese Informationen stammen. Die Übermittlung erfolgt in der Regel durch die Person(en), die von den Instituten und Personen gemäß den Verfahren des Artikels 11 Absatz 1 Buchstabe a) benannt wurden.

(3)      Im Falle von Notaren und selbständigen Angehörigen von Rechtsberufen im Sinne des Artikels 2a Nummer 5 können die Mitgliedstaaten eine geeignete Selbstverwaltungseinrichtung der betreffenden Berufsgruppe als die über die Tatsachen im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a) zu unterrichtende Behörde benennen; in diesem Fall sind sie gehalten, die angemessenen Formen der Zusammenarbeit zwischen dieser Einrichtung und den für die Bekämpfung von Geldwäsche zuständigen Behörden festzulegen.

Die Mitgliedstaaten sind nicht gehalten, die in Absatz 1 vorgesehenen Verpflichtungen auf Notare, selbständige Angehörige von Rechtsberufen, Abschlussprüfer, externe Buchprüfer und Steuerberater anzuwenden, wenn es sich um Informationen handelt, die diese von einem oder über einen ihrer Klienten im Rahmen der Beurteilung der Rechtslage für diesen erhalten oder erlangen oder die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit als Verteidiger oder Vertreter dieses Klienten in einem Gerichtsverfahren oder betreffend ein solches, einschließlich einer Beratung über das Betreiben oder Vermeiden eines Verfahrens, vor oder nach einem derartigen Verfahren bzw. während eines derartigen Verfahrens erhalten oder erlangen.“

 Nationales Recht

8        Mit Art. 4 des Gesetzes vom 12. Januar 2004 wurde in das Gesetz vom 11. Januar 1993 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (Moniteur belge vom 9. Februar 1993, S. 2828, im Folgenden: Gesetz vom 11. Januar 1993) folgender Art. 2ter eingefügt:

„Sofern in den Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes ausdrücklich vorgesehen, finden diese ebenfalls Anwendung auf Rechtsanwälte:

1. wenn sie für ihren Klienten an der Planung oder Durchführung von Transaktionen mitwirken, die Folgendes betreffen:

a)      Kauf oder Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben,

b)      Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen Vermögenswerten ihres Klienten,

c)      Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar- oder Wertpapierkonten,

d)      Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb oder zur Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel,

e)      Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften, Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen,

2. oder wenn sie im Namen und auf Rechnung ihres Klienten Finanz- oder Immobilientransaktionen erledigen.“

9        Mit Art. 25 des Gesetzes vom 12. Januar 2004 wurde in Art. 14bis des Gesetzes vom 11. Januar 1993 folgender § 3 eingefügt:

„Die in Artikel 2ter erwähnten Personen, die bei Ausübung der in diesem Artikel ausgezählten Tätigkeiten auf Vorgänge stoßen, von denen sie wissen, dass sie mit Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung zusammenhängen, oder die auf Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung hindeuten, müssen den Präsidenten der Rechtsanwaltskammer, der sie unterstehen, unverzüglich darüber unterrichten.

Die in Artikel 2ter erwähnten Personen übermitteln diese Informationen jedoch nicht, wenn es sich um Informationen handelt, die diese von einem oder über einen ihrer Klienten im Rahmen der Beurteilung der Rechtslage für diesen erhalten oder erlangen oder die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit als Verteidiger oder Vertreter dieses Klienten in einem Gerichtsverfahren oder betreffend ein solches, einschließlich einer Beratung über das Betreiben oder Vermeiden eines Verfahrens, vor oder nach einem derartigen Verfahren beziehungsweise während eines derartigen Verfahrens erhalten oder erlangen.

Der Präsident der Rechtsanwaltskammer überprüft, ob den in Artikel 2ter und im vorhergehenden Absatz erwähnten Bedingungen entsprochen worden ist. Wenn ja, übermittelt er unverzüglich die Informationen dem Büro für die Verarbeitung finanzieller Informationen.“

10      Art. 27 des Gesetzes vom 12. Januar 2004 hat Art. 15 § 1 des Gesetzes vom 11. Januar 1993 durch folgende Vorschrift ersetzt:

„§ 1. Wenn das Büro für die Verarbeitung finanzieller Informationen eine in Artikel 11 § 2 erwähnte Mitteilung erhält, kann das Büro bzw. eines seiner Mitglieder bzw. [ein Mitglied seines Personals], das von dem dieses Büro leitenden Magistrat oder seinem Stellvertreter zu diesem Zweck bestimmt wird, sich innerhalb der von ihnen bestimmten Frist alle zusätzlichen Auskünfte, die sie zur Ausführung [des] Auftrags [des Büros] für nützlich halten, mitteilen lassen:

1.      seitens aller in den Artikel[n] 2, 2bis und 2ter erwähnten Institute und Personen und des in Artikel 14bis § 3 erwähnten Präsidenten der Rechtsanwaltskammer,

Die in Artikel 2ter erwähnten Personen und der in Artikel 14bis § 3 erwähnte Präsident der Rechtsanwaltskammer teilen diese Informationen nicht mit, wenn die in Artikel 2ter erwähnten Personen diese Informationen von einem oder über einen ihrer Klienten im Rahmen der Beurteilung der Rechtslage für diesen erhalten oder erlangen oder sie sie im Rahmen ihrer Tätigkeit als Verteidiger oder Vertreter dieses Klienten in einem Gerichtsverfahren oder betreffend ein solches, einschließlich einer Beratung über das Betreiben oder Vermeiden eines Verfahrens, vor oder nach einem derartigen Verfahren beziehungsweise während eines derartigen Verfahrens erhalten oder erlangen.

…“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

11      Mit zwei am 22. Juli 2004 vom Ordre des barreaux francophones et germanophone und vom Ordre français des avocats du barreau de Bruxelles bzw. vom Orde van Vlaamse balies und vom Nederlandse Orde van advocaten bij de balie te Brussel erhobenen Klagen haben diese Anwaltskammern (im Folgenden: Kläger) beim vorlegenden Gericht beantragt, die Art. 4, 5, 7, 25, 27, 30 und 31 des Gesetzes vom 12. Januar 2004 für nichtig zu erklären. Der Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union und der Ordre des avocats du barreau de Liège sind dem Ausgangsverfahren als Streithelfer beigetreten.

12      Vor dem vorlegenden Gericht machen die Kläger insbesondere geltend, dass die Art. 4, 25 und 27 des Gesetzes vom 12. Januar 2004 in nicht zu rechtfertigender Weise die Grundsätze des Berufsgeheimnisses und der anwaltlichen Unabhängigkeit, die konstitutiver Bestandteil des Grundrechts jedes Bürgers auf ein faires Verfahren und auf die Beachtung der Verteidigungsrechte seien, verletzten, da sie auch Rechtsanwälte für den Fall, dass sie auf Tatsachen stießen, von denen sie wüssten oder hinsichtlich deren sie den Verdacht hätten, dass sie mit Geldwäsche zusammenhingen, verpflichteten, die zuständigen Behörden zu unterrichten und ihnen zusätzlich die Auskünfte zu erteilen, die diese für nützlich hielten. Die genannten Artikel verstießen somit gegen die Art. 10 und 11 der belgischen Verfassung in Verbindung mit Art. 6 EMRK, die allgemeinen Rechtsgrundsätze bezüglich der Rechte der Verteidigung, Art. 6 Abs. 2 EU und die Art. 47 und 48 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1).

13      Die Kläger sowie der Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union tragen außerdem vor, hieran ändere auch nichts die Tatsache, dass der belgische Gesetzgeber die Bestimmungen der Richtlinie 91/308 umgesetzt habe, die für Rechtsanwälte die Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit beschränkten. Der Ordre des barreaux francophones et germanophone und der Ordre français des avocats du barreau de Bruxelles sind der Auffassung, dass die Unterscheidung in diesen Bestimmungen zwischen anwaltstypischen Tätigkeiten und daneben ausgeübten Tätigkeiten rechtlich unhaltbar sei und zu einer beträchtlichen Rechtsunsicherheit führe. Der Orde van Vlaamse balies und der Nederlandse Orde van advocaten bij de balie te Brussel unterstreichen, dass die Verpflichtungen zur Anzeige und Beschuldigung des Mandanten über einen bloßen Verstoß gegen das Berufsgeheimnis hinausgingen, so dass das Vertrauensverhältnis zwischen diesem und seinem Rechtsanwalt dadurch vollständig zerstört werde.

14      Der Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union macht geltend, dass das Gesetz vom 11. Januar 1993 in der durch das Gesetz vom 12. Januar 2004 geänderten Fassung es nicht erlaube, die traditionelle Anwaltstätigkeit in ihrer Gesamtheit aufrechtzuerhalten. Die Besonderheiten des Berufs des Rechtsanwalts, insbesondere dessen Unabhängigkeit und das Berufsgeheimnis, trügen zu dem Vertrauen bei, das die Öffentlichkeit diesem Berufsstand entgegenbringe. Dieses Vertrauen sei nicht auf bestimmte besondere Aufträge des Rechtsanwalts beschränkt.

15      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Nichtigkeitsklagen gegen das Gesetz vom 12. Januar 2004 erhoben worden seien, mit dem die Bestimmungen der Richtlinie 2001/97 in die belgische Rechtsordnung hätten umgesetzt werden sollen. Da der Gemeinschaftsgesetzgeber wie auch der belgische Gesetzgeber gehalten sei, die Rechte der Verteidigung und das Recht auf ein faires Verfahren zu beachten, sei zunächst vor der Entscheidung über die Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit der belgischen Verfassung die Frage der Gültigkeit der Richtlinie, auf der das genannte Gesetz beruhe, zu klären.

16      Aufgrund dessen hat die Cour d’arbitrage beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Verstößt Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/97 gegen das durch Art. 6 EMRK gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren und demzufolge gegen Art. 6 Abs. 2 EU, indem der neue Art. 2a Nr. 5, den er in die Richtlinie 91/308 eingefügt hat, die Einbeziehung der selbständigen Angehörigen von Rechtsberufen – ohne den Rechtsanwaltsberuf auszuschließen – in den Anwendungsbereich derselben Richtlinie auferlegt, die im Wesentlichen darauf abzielt, den Personen und Instituten, auf die sie sich bezieht, die Verpflichtung aufzuerlegen, die für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständigen Behörden über alle Tatsachen, die ein Indiz für eine Geldwäsche sein könnten, zu unterrichten (Art. 6 der Richtlinie 91/308/EWG, ersetzt durch Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2001/97/EG)?

 Zur Vorlagefrage

17      Im Ausgangsverfahren, das Anlass zu dem vorliegenden Ersuchen geboten hat, haben die Kläger und die Streithelfer zwar die Gültigkeit der nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 91/308 im Hinblick auf mehrere höherrangige Normen angesprochen, doch hat es das vorlegende Gericht in seiner Frage lediglich für notwendig gehalten, den Gerichtshof um eine Kontrolle der Gültigkeit im Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren zu ersuchen, wie es von Art. 6 EMRK und Art. 6 Abs. 2 EU garantiert wird.

18      Nach ständiger Rechtsprechung beruht das Verfahren nach Art. 234 EG auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof, so dass nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen hat, die es dem Gerichtshof stellt (vgl. Urteile des Gerichtshofs vom 4. Dezember 2003, EVN und Wienstrom, C‑448/01, Slg. 2003, I‑14527, Randnr. 74, und vom 12. April 2005, Keller, C‑145/03, Slg. 2005, I‑2529, Randnr. 33).

19      Somit gibt es keinen Grund, die Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 91/308 in Bezug auf vom vorlegenden Gericht nicht aufgeführte Grundrechte, wie u. a. das in Art. 8 EMRK vorgesehene Recht auf Achtung des Privatlebens, zu erweitern.

20      Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 91/308 muss, wer unter diese Richtlinie fällt, mit den für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständigen Behörden voll und ganz zusammenarbeiten, indem er diese Behörden von sich aus über alle Tatsachen, die ein Indiz für eine Geldwäsche sein könnten, unterrichtet und ihnen auf Verlangen alle erforderlichen Auskünfte im Einklang mit den Verfahren erteilt, die in den anzuwendenden Rechtsvorschriften festgelegt sind.

21      Für Rechtsanwälte begrenzt die Richtlinie 91/308 diese Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit in zweifacher Weise.

22      Zum einen gelten nach Art. 2a Nr. 5 der Richtlinie 91/308 für einen Rechtsanwalt die in der Richtlinie vorgesehenen Pflichten, insbesondere die zur Information und zur Zusammenarbeit gemäß Art. 6 Abs. 1 der genannten Richtlinie, nur insoweit, als er in der in Art. 2a Nr. 5 genannten Weise an bestimmten, in dieser Vorschrift abschließend aufgezählten Transaktionen mitwirkt.

23      Zum anderen sind die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 91/308 nicht gehalten, den Rechtsanwälten Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit aufzuerlegen, wenn es sich um Informationen handelt, die diese von einem oder über einen ihrer Mandanten im Rahmen der Beurteilung der Rechtslage für diesen erhalten oder erlangen oder die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit als Verteidiger oder Vertreter dieses Mandanten in einem Gerichtsverfahren oder betreffend ein solches, einschließlich einer Beratung über das Betreiben oder Vermeiden eines Verfahrens, vor oder nach einem derartigen Verfahren bzw. während eines derartigen Verfahrens erhalten oder erlangen.

24      Der 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/97 unterstreicht die Bedeutung einer derartigen Freistellung. Ihm zufolge wäre es nicht angebracht, selbständige Angehörige von Berufen der Rechtsberatung, die gesetzlich anerkannt sind und überwacht werden, wie beispielsweise Rechtsanwälte, in Fällen, in denen sie die Rechtslage für einen Mandanten beurteilen oder ihn in einem Gerichtsverfahren vertreten, nach der Richtlinie 91/308 zur Meldung eines etwaigen Verdachts auf Geldwäsche zu verpflichten. Nach diesem Erwägungsgrund müssen außerdem Freistellungen von der Pflicht zur Meldung von Informationen vorgesehen werden, die vor oder nach einem Gerichtsverfahren bzw. während eines Gerichtsverfahrens oder im Rahmen der Beurteilung der Rechtslage für einen Mandanten erlangt wurden. Schließlich wird in diesem Erwägungsgrund hervorgehoben, dass als Folge einer derartigen Freistellung die Rechtsberatung weiterhin der beruflichen Geheimhaltungspflicht unterliegt, es sei denn, der Rechtsanwalt ist an Geldwäschevorgängen beteiligt, erteilt die Rechtsberatung zum Zwecke der Geldwäsche oder weiß, dass der Mandant die Rechtsberatung für Zwecke der Geldwäsche in Anspruch nimmt.

25      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Art. 25 und 27 des Gesetzes vom 12. Januar 2004, dass der belgische Gesetzgeber in das genannte Gesetz Freistellungen für Rechtsanwälte in Bezug auf die Informationen aufgenommen hat, die sie unter den in Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 91/308 genannten Umständen erhalten oder erlangt haben.

26      Somit ist zu prüfen, ob die Verpflichtung eines Rechtsanwalts, der in Ausübung seines Berufs tätig ist, mit den für die Bekämpfung der Geldwäsche im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 91/308 zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten und sie von sich aus über alle Tatsachen, die ein Indiz für eine Geldwäsche sein könnten, zu unterrichten, angesichts der Beschränkungen dieser Verpflichtung in den Art. 2a Nr. 5 und 6 Abs. 3 der genannten Richtlinie einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren darstellt, wie es von Art. 6 EMRK und Art. 6 Abs. 2 EU garantiert wird.

27      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 91/308 mehreren Auslegungen zugänglich ist, so dass der genaue Umfang der Pflicht eines Rechtsanwalts zur Information und zur Zusammenarbeit nicht eindeutig ist.

28      Nach ständiger Rechtsprechung ist, wenn eine Vorschrift des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts mehr als eine Auslegung zulässt, die Auslegung, bei der die Bestimmung mit dem EG-Vertrag vereinbar ist, derjenigen vorzuziehen, die zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Vertrag führt (vgl. Urteile vom 13. Dezember 1983, Kommission/Rat, 218/82, Slg. 1983, 4063, Randnr. 15, und vom 29. Juni 1995, Spanien/Kommission, C‑135/93, Slg. 1995, I‑1651, Randnr. 37). Denn die Mitgliedstaaten haben nicht nur ihr nationales Recht gemeinschaftsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts kollidiert (Urteil vom 6. November 2003, Lindqvist, C‑101/01, Slg. 2003, I‑12971, Randnr. 87).

29      Auch ist daran zu erinnern, dass die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze sind, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Der Gerichtshof lässt sich dabei von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der EMRK besondere Bedeutung zu (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 12. November 1969, Stauder, 29/69, Slg. 1969, 419, Randnr. 7, vom 6. März 2001, Connolly/Kommission, C‑274/99 P, Slg. 2001, I‑1611, Randnr. 37, und vom 14. Dezember 2006, ASML, C‑283/05, Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 26). Das Recht auf ein faires Verfahren, wie es sich u. a. aus Art. 6 EMRK ergibt, ist somit ein Grundrecht, das die Europäische Union als allgemeinen Grundsatz nach Art. 6 Abs. 2 EU achtet.

30      Gemäß Art. 6 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder in einer Strafsache in einem fairen Verfahren verhandelt wird.

31      Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) umfasst der Begriff „faires Verfahren“ in Art. 6 EMRK verschiedene Elemente, zu denen u. a. die Rechte der Verteidigung, der Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf Zugang zu den Gerichten sowie das Recht auf einen Anwalt sowohl in Zivilsachen als auch in Strafsachen gehören (Urteile des EGMR vom 21. Februar 1975, Golder/Vereinigtes Königreich, Serie A, Nr. 18, §§ 26 bis 40, vom 28. Juni 1984, Campell und Fell/Vereinigtes Königreich, Serie A, Nr. 80, §§ 97 bis 99, 105 bis 107 und 111 bis 113, sowie vom 30. Oktober 1991, Borgers/Belgien, Serie A, Nr. 214‑B, § 24).

32      Wäre ein Rechtsanwalt im Rahmen eines Gerichtsverfahrens oder im Rahmen von dessen Vorbereitung verpflichtet, mit den öffentlichen Stellen zusammenzuarbeiten und ihnen Informationen zu übermitteln, die er anlässlich einer Rechtsberatung erlangt hat, die im Rahmen eines solchen Verfahrens stattfand, könnte er seinen Aufgaben bei der Beratung, der Verteidigung und der Vertretung seines Mandanten nicht in angemessener Weise gerecht werden, so dass dem Mandanten die ihm durch Art. 6 EMRK gewährten Rechte genommen wären.

33      Wie zur Richtlinie 91/308 in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, gelten nach deren Art. 2a Nr. 5 die Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit für Rechtsanwälte nur insoweit, als sie ihren Mandanten bei der Planung oder Durchführung bestimmter, unter Buchst. a dieser Vorschrift genannter Transaktionen, die im Wesentlichen finanzieller Art sind oder Immobilien betreffen, unterstützen oder im Namen und für Rechnung ihres Mandanten Finanz- oder Immobilientransaktionen erledigen. Diese Tätigkeiten finden im Allgemeinen schon aufgrund ihrer Art in einem Kontext, der keine Verbindung zu einem Gerichtsverfahren hat, und somit außerhalb des Anwendungsbereichs des Rechts auf ein faires Verfahren statt.

34      Sobald im Übrigen ein Rechtsanwalt, der im Rahmen einer in Art. 2a Nr. 5 der Richtlinie 91/308 genannten Transaktion tätig geworden ist, um Beistand im Zusammenhang mit der Verteidigung, der Vertretung vor Gericht oder einer Beratung über das Betreiben oder Vermeiden eines Gerichtsverfahrens ersucht wird, ist er gemäß Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der genannten Richtlinie von den in Art. 6 Abs. 1 aufgeführten Pflichten befreit, ganz gleich, ob er die Informationen vor, während oder nach dem Verfahren erlangt hat. Eine solche Befreiung wahrt das Recht des Mandanten auf ein faires Verfahren.

35      Da die Anforderungen, die aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgen, definitionsgemäß einen Bezug zu einem Gerichtsverfahren voraussetzen und Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 91/308 die Rechtsanwälte von den in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie genannten Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit befreit, sofern ihre Tätigkeiten einen derartigen Bezug aufweisen, ist den genannten Anforderungen Genüge getan.

36      Dagegen stehen die aus dem Recht auf ein faires Verfahren resultierenden Anforderungen einer Regelung nicht entgegen, die Rechtsanwälten, die in dem klar abgesteckten Rahmen der in Art. 2a Nr. 5 der Richtlinie 91/308 aufgeführten Tätigkeiten, aber in einem Bereich tätig sind, der nicht unter Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der genannten Richtlinie fällt, die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 91/308 vorgesehenen Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit auferlegt, weil diese Pflichten, wie insbesondere im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/308 hervorgehoben wird, durch die Notwendigkeit der wirksamen Bekämpfung der Geldwäsche gerechtfertigt sind, die einen offenkundigen Einfluss auf die Entwicklung des organisierten Verbrechens hat, das wiederum eine besondere Bedrohung für die Gesellschaften der Mitgliedstaaten darstellt.

37      Nach alledem ist festzustellen, dass die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 91/308 vorgesehenen Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit mit den für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständigen Behörden, die den Rechtsanwälten in Art. 2a Nr. 5 dieser Richtlinie auferlegt worden sind, angesichts von Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoßen, wie es durch Art. 6 EMRK und Art. 6 Abs. 2 EU gewährleistet wird.

 Kosten

38      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche – in der Fassung der Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 – vorgesehenen Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit mit den für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständigen Behörden, die den Rechtsanwälten in Art. 2a Nr. 5 dieser Richtlinie auferlegt worden sind, verstoßen angesichts von Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren, wie es durch Art. 6 EMRK und Art. 6 Abs. 2 EU gewährleistet wird.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.

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