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Document 62007CJ0521
Judgment of the Court (Second Chamber) of 11 June 2009. # Commission of the European Communities v Kingdom of the Netherlands. # Failure of a Member State to fulfil obligations - Agreement on the European Economic Area - Article 40 - Free movement of capital - Discrimination in the treatment of dividends paid by Netherlands companies - Deduction at source - Exemption - Beneficiary companies established in Member States of the Community - Beneficiary companies established in Iceland or Norway. # Case C-521/07.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 11. Juni 2009.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich der Niederlande.
Vertragsverletzung - Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum - Art. 40 - Freier Kapitalverkehr - Ungleichbehandlung der von niederländischen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden - Quellensteuerabzug - Befreiung - In den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Empfängergesellschaften - In Island oder Norwegen ansässige Empfängergesellschaften.
Rechtssache C-521/07.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 11. Juni 2009.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich der Niederlande.
Vertragsverletzung - Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum - Art. 40 - Freier Kapitalverkehr - Ungleichbehandlung der von niederländischen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden - Quellensteuerabzug - Befreiung - In den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Empfängergesellschaften - In Island oder Norwegen ansässige Empfängergesellschaften.
Rechtssache C-521/07.
Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-04873
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:360
Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor
In der Rechtssache C‑521/07
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 23. November 2007,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. van Nuffel und R. Lyal als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Königreich der Niederlande, vertreten durch C. M. Wissels und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,
Beklagter,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), K. Schiemann und L. Bay Larsen sowie der Richterin C. Toader,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1. Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass es Dividenden, die an in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, nicht unter den gleichen Voraussetzungen vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle befreit hat wie Dividenden, die an niederländische Gesellschaften ausgeschüttet werden.
Rechtlicher Rahmen
EWR-Abkommen und Gemeinschaftsrecht
2. Art. 40 des EWR-Abkommens bestimmt:
„Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt der Kapitalverkehr in Bezug auf Berechtigte, die in den … Mitgliedstaaten [der Europäischen Gemeinschaft] oder den … Staaten [der Europäischen Freihandelsassoziation, im Folgenden: EFTA] ansässig sind, keinen Beschränkungen und keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes der Parteien oder des Anlageortes. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel sind in Anhang XII enthalten.“
3. In dem genannten Anhang XII („Freier Kapitalverkehr“) wird auf die Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5) Bezug genommen.
4. In Art. 1 dieser Richtlinie heißt es:
„Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. …“
5. Art. 4 der Richtlinie 88/361 bestimmt:
„Das Recht der Mitgliedstaaten, auf insbesondere steuerrechtlichem … Gebiet die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verhindern …, wird durch die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht berührt.
Die Anwendung dieser Maßnahmen und Verfahren darf keine Behinderung des im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht abgewickelten Kapitalverkehrs zur Folge haben.“
Nationales Recht
6. Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Dividendensteuer (Wet op de dividendbelasting) vom 23. Dezember 1965 (im Folgenden: Wet DB) sieht vor:
„Unter der Bezeichnung ‚Dividendensteuer‘ wird eine direkte Steuer von denjenigen erhoben, die – unmittelbar oder mittels Wertpapieren – Anspruch haben auf Erträge von Anteilen an in den Niederlanden ansässigen Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, offenen Kommanditgesellschaften und anderen Gesellschaften, deren Kapital ganz oder teilweise in Anteile zerlegt ist, oder auf Erträge von Genussscheinen oder Darlehen im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d des Gesetzes über die Körperschaftsteuer 1969 [Wet op de vennootschapsbelasting 1969, im Folgenden: Wet Vpb] für solche Gesellschaften.“
7. In Art. 4 Wet DB heißt es:
„(1) Von der Einbehaltung der Steuer auf Erträge von Anteilen, Genussscheinen und Darlehen im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d [Wet Vpb] kann abgesehen werden,
a) wenn für die Gewinne des Ertragsberechtigten aus diesen Anteilen, Genussscheinen und Darlehen die Freistellung von Beteiligungen im Sinne von Art. 13 [Wet Vpb] oder die Verrechnung von Beteiligungen im Sinne von Art. 13aa dieses Gesetzes gilt und die Beteiligung zum Vermögen seines in den Niederlanden betriebenen Unternehmens gehört;
…
(2) Von der Einbehaltung der Steuer wird abgesehen bei Erträgen von Anteilen, Genussscheinen und Darlehen im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d [Wet Vpb], wenn der Ertragsberechtigte eine in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässige Körperschaft ist und folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Der Ertragsberechtigte und der Steuerpflichtige haben eine der Rechtsformen, die im Anhang der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6) aufgeführt oder in einem Ministerialerlass bezeichnet sind;
2. der Ertragsberechtigte besitzt zu dem Zeitpunkt, zu dem die fraglichen Erträge bereitgestellt werden, mindestens 5 % des eingezahlten Nennkapitals des Steuerpflichtigen oder eine Beteiligung an dem Steuerpflichtigen, auf die Art. 13 Abs. 5 oder 14 [Wet Vpb] anwendbar wäre, wenn er in den Niederlanden ansässig wäre;
3. der Ertragsberechtigte und der Steuerpflichtige sind in dem Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind, ohne Wahlmöglichkeit der Steuer auf Gewinnausschüttungen gemäß Art. 2 Buchst. c der Richtlinie unterworfen, ohne davon befreit zu sein;
4. in dem Mitgliedstaat, in dem der Ertragsberechtigte und der Steuerpflichtige ansässig sind, gelten sie nicht aufgrund eines Abkommens mit einem Drittstaat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässig;
…“
8. Art. 13 Wet Vpb bestimmt:
„(1) Für die Ermittlung der Gewinne bleiben unberücksichtigt die Gewinne aus einer Beteiligung sowie die Kosten des Erwerbs oder der Veräußerung dieser Beteiligung (Freistellung von Beteiligungen).
(2) Eine Beteiligung besteht, wenn der Steuerpflichtige
a) Anteile in Höhe von mindestens 5 % des eingezahlten Nennkapitals einer Gesellschaft hält, deren Kapital ganz oder teilweise in Anteile zerlegt ist;
…“
9. Hinsichtlich Gesellschaften, die in Island oder Norwegen ansässig sind, gibt es im niederländischen Recht keine besondere Bestimmung, durch die Berücksichtigung fände, dass sie sich auf Art. 40 des EWR-Abkommens berufen können. Auf der Grundlage von bilateralen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, die mit diesen Vertragsstaaten des EWR-Abkommens geschlossen wurden, wird die Dividendensteuer nicht erhoben, wenn eine Kapitalbeteiligung an einer niederländischen Gesellschaft in Höhe von mindestens 10 % (Art. 10 des am 25. September 1997 unterzeichneten Abkommens über die Einkommen- und Vermögensteuer zwischen dem Königreich der Niederlande und der Republik Island) oder mindestens 25 % (Art. 10 des am 12. Januar 1990 unterzeichneten Abkommens über die Einkommen- und Vermögensteuer zwischen dem Königreich der Niederlande und dem Königreich Norwegen) besteht.
Vorgerichtliches Verfahren
10. Da die Kommission der Auffassung war, dass das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 EG und Art. 40 des EWR-Abkommens verstoße, dass in den Niederlanden Dividenden, die an in diesem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaften ausgeschüttet würden, günstiger behandelt würden als Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten und in Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ansässige Gesellschaften ausgeschüttet würden, forderte sie diesen Mitgliedstaat mit Mahnschreiben vom 18. Oktober 2005 zur Stellungnahme auf.
11. Nachdem das Königreich der Niederlande hierauf nur eine vorläufige Antwort erteilt hatte, ohne in der Sache Stellung zu nehmen, erließ die Kommission am 6. Juli 2006 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, die die gleichen Beanstandungen enthielt und mit der sie das Königreich der Niederlande aufforderte, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der mit Gründen versehenen Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, um dieser nachzukommen.
12. Das Königreich der Niederlande antwortete hierauf in einem Schreiben vom 7. September 2006 mit dem Hinweis, dass die Wet DB ab 1. Januar 2007 hinsichtlich Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Gesellschaften ausgeschüttet würden, geändert werde. Diese Änderung, die vor der Erhebung der vorliegenden Klage vorgenommen wurde, hat zum Inkrafttreten des Art. 4 Abs. 2 Wet DB in der oben in Randnr. 7 wiedergegebenen Fassung geführt.
13. Hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen Art. 40 des EWR-Abkommens hingegen machte das Königreich der Niederlande geltend, dass die niederländischen Rechtsvorschriften keine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs bildeten und dass es sich, selbst wenn dies der Fall wäre, um eine gerechtfertigte Beschränkung handelte.
14. Die Kommission erkannte zwar an, dass durch die Änderung des Art. 4 Wet DB die Vereinbarkeit der niederländischen Rechtsvorschriften mit dem EG-Vertrag im Hinblick auf in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Gesellschaften sichergestellt worden sei, entschied sich jedoch dafür, hinsichtlich des Verstoßes gegen Art. 40 des EWR-Abkommens das Vertragsverletzungsverfahren fortzuführen und die vorliegende Klage zu erheben.
Zur Klage
Vorbringen der Parteien
15. Die Kommission macht geltend, dass der Gerichtshof im Urteil vom 23. September 2003, Ospelt und Schlössle Weissenberg (C‑452/01, Slg. 2003, I‑9743, Randnrn. 28, 29 und 32), entschieden habe, dass Art. 40 und Anhang XII des EWR-Abkommens dieselbe rechtliche Tragweite hätten wie die im Wesentlichen identischen Bestimmungen des Art. 56 EG. Die Kommission weist darauf hin, dass der EFTA-Gerichtshof in seinen Urteilen vom 23. November 2004, Fokus Bank/Norway (E‑1/04, EFTA Court Report, S. 22, Randnr. 23), und vom 1. Juli 2005, Paolo Piazza (E‑10/04, EFTA Court Report, S. 100, Randnr. 33), in gleichem Sinne entschieden habe.
16. Die niederländischen Rechtsvorschriften führten zu einer Diskriminierung bei der steuerlichen Behandlung von Dividenden, die an eine in den Niederlanden oder – mittlerweile – einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft ansässige Gesellschaft ausgeschüttet würden, und Dividenden, die an eine in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaft ausgeschüttet würden.
17. Dividenden einer niederländischen Gesellschaft, die an eine andere niederländische Gesellschaft oder an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft ausgeschüttet würden, seien nämlich vom Quellenabzug der Dividendensteuer bei der niederländischen Gesellschaft befreit, wenn die andere Gesellschaft mindestens 5 % vom Kapital der niederländischen Gesellschaft besitze, während Dividenden einer niederländischen Gesellschaft, die an eine in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaft ausgeschüttet würden, hiervon nur dann befreit seien, wenn die andere Gesellschaft (im Fall einer isländischen Gesellschaft) mindestens 10 % oder (im Fall einer norwegischen Gesellschaft) mindestens 25 % vom Kapital der niederländischen Gesellschaft besitze.
18. Diese Ungleichbehandlung verstoße gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs, denn sie bewirke, dass es für in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaften weniger vorteilhaft sei als für in den Niederlanden oder in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Gesellschaften, in niederländische Gesellschaften zu investieren. Außerdem mache sie es für eine niederländische Gesellschaft schwerer, Kapitalmittel aus Island und Norwegen anzuziehen als Kapitalmittel aus den Niederlanden oder einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft.
19. Dass eine solche Ungleichbehandlung gegen Art. 56 EG verstoße, habe der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 8. November 2007, Amurta (C‑379/05, Slg. 2007, I‑9569, Randnr. 28), im Hinblick auf Dividenden entschieden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet worden seien, denen zu der für dieses Urteil maßgeblichen Zeit nicht die gleiche Steuerbefreiung wie niederländischen Gesellschaften zuteil geworden sei.
20. Die Kommission meint, dass die hier fragliche steuerrechtliche Regelung ebenso wie in jener Rechtssache nur dann als mit dem Gemeinschaftsrecht und damit auch mit dem EWR-Abkommen vereinbar angesehen werden könnte, wenn die Ungleichbehandlung entweder objektiv nicht vergleichbare Situationen betreffe oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt werde.
21. Die Kommission, der das Königreich der Niederlande hierin widerspricht, ist der Auffassung, dass die Situation isländischer und norwegischer Gesellschaften hinsichtlich der Gefahren einer Doppelbesteuerung der Gewinne niederländischer Gesellschaften, an deren Kapital sie beteiligt seien, mit der Situation niederländischer Gesellschaften objektiv vergleichbar sei.
22. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich, dass in einem solchen Fall Maßnahmen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung auf alle ausländischen Gesellschaften auszudehnen seien, die sich auf die Vorschriften über den freien Kapitalverkehr berufen könnten. Insoweit sei auf das Urteil vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France (C‑170/05, Slg. 2006, I‑11949, Randnr. 37), hinzuweisen.
23. Zwar dürfe der nationale Gesetzgeber Maßnahmen erlassen, um Missbräuche der Freiheiten des Binnenmarkts zu bekämpfen, so im Fall des freien Kapitalverkehrs gemäß Art. 58 EG sowie hier gemäß Art. 4 der im Anhang XII des EWR-Abkommens genannten Richtlinie 88/361, wonach die Mitgliedstaaten berechtigt seien, „auf … steuerrechtlichem … Gebiet die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verhindern“.
24. Jedoch müssten solche Maßnahmen im Hinblick auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig sein. Das Königreich der Niederlande habe jedoch nicht erläutert, welche Missbräuche dadurch bekämpft werden sollten, dass für Dividenden, die an in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaften ausgeschüttet würden, eine Befreiung vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle versagt werde.
25. Das Königreich der Niederlande macht geltend, dass die Verpflichtungen, die sich aus dem freien Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergäben, nicht ohne Weiteres auf die Beziehungen zwischen diesen und EFTA-Staaten wie der Republik Island und dem Königreich Norwegen übertragen werden könnten. Das beruhe darauf, dass in den beiden letztgenannten Staaten die Richtlinie 77/799/EG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern und der Steuern auf Versicherungsprämien (ABl. L 336, S. 15) in der durch die Richtlinie 2004/106/EG des Rates vom 16. November 2004 (ABl. L 359, S. 30) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 77/799) nicht gelte.
26. Die Bekämpfung der Gefahren der Steuerhinterziehung und von Missbräuchen sei nicht die einzige Rechtfertigung dafür, dass Dividenden, die an in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Gesellschaften ausgeschüttet würden, und D ividenden, die an in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaften ausgeschüttet würden, nach niederländischem Recht unterschiedlich behandelt würden.
27. Außer der Voraussetzung, dass eine Kapitalbeteiligung in Höhe von mindestens 5 % bestehen müsse, seien für die fragliche Befreiung vom Dividendenempfänger selbst noch zwei weitere Voraussetzungen zu erfüllen, die ebenso für rein inländische Sachverhalte gälten und nicht diskriminierend seien. So müsse der Empfänger erstens einer Steuer auf Gewinnausschüttungen unterliegen und zweitens der Endempfänger der Dividenden sein.
28. Indessen könne die Einhaltung dieser Voraussetzungen wegen der Bindungswirkung der Richtlinie 77/799 zwischen Mitgliedstaaten leicht überwacht werden, während es die bilateralen Abkommen mit der Republik Island und dem Königreich Norwegen, weil sie keine Gemeinschaftsrechtsakte seien, einem Mitgliedstaat oder der Kommission nicht erlaubten, die Erfüllung der sich aus ihnen ergebenden Verpflichtungen vor dem Gerichtshof einzufordern.
29. Das Fehlen eines Gemeinschaftsrechtsakts in den Beziehungen des Königreichs der Niederlande zur Republik Island und zum Königreich Norwegen rechtfertige es, dass die Befreiung vom Quellensteuerabzug bei Dividenden für Beteiligungen, die in Island und Norwegen ansässigen Gesellschaften gehörten, anderen Voraussetzungen unterliege.
30. In diesem Punkt betont demgegenüber die Kommission, dass die fraglichen bilateralen Abkommen für die genannten Staaten rechtlich bindend seien. Auch wenn die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen schwerer durchzusetzen sei als im Rahmen der Gemeinschaft die Einhaltung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen, bedeute dies nicht, dass diese Abkommen für die Beantwortung der Frage unerheblich seien, ob die Ungleichbehandlung isländischer und norwegischer Gesellschaften im Hinblick auf das verfolgte Ziel, die Erhebung der Dividendensteuer, verhältnismäßig sei.
31. Im Übrigen habe das Königreich der Niederlande weder belegt noch auch nur behauptet, dass die Republik Island oder das Königreich Norwegen ihre Verpflichtungen aus diesen Abkommen nicht erfüllt hätten oder dass bei deren Anwendung auch nur Schwierigkeiten oder ungerechtfertigte Verzögerungen aufgetreten seien.
Würdigung durch den Gerichtshof
32. Eines der Hauptziele des EWR-Abkommens ist die möglichst umfassende Verwirklichung der Freizügigkeit und des freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs im gesamten EWR, so dass der innerhalb des Gemeinschaftsgebiets verwirklichte Binnenmarkt auf die EFTA-Staaten ausgeweitet wird. Im Hinblick darauf dienen mehrere Bestimmungen des genannten Abkommens dazu, dessen möglichst einheitliche Auslegung im gesamten EWR sicherzustellen (vgl. Gutachten 1/92 vom 10. April 1992, Slg. 1992, I‑2821). In diesem Rahmen ist es Sache des Gerichtshofs, darüber zu wachen, dass die Vorschriften des EWR-Abkommens, die im Wesentlichen mit denen des Vertrags identisch sind, innerhalb der Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt werden (Urteil Ospelt und Schlössle Weissenberg, Randnr. 29).
33. Sind Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs zwischen Staatsangehörigen von Vertragsstaaten des EWR-Abkommens anhand von Art. 40 und Anhang XII des EWR-Abkommens zu beurteilen, haben diese Vorschriften folglich dieselbe rechtliche Tragweite wie die im Wesentlichen identischen Bestimmungen des Art. 56 EG (vgl. in diesem Sinne Urteil Ospelt und Schlössle Weissenberg, Randnr. 32).
34. Im Übrigen bleiben die Mitgliedstaaten in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen befugt, unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil Amurta, Randnrn. 16 und 17).
35. Diese Befugnis erlaubt es ihnen nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom Vertrag oder von gleichartigen Bestimmungen des EWR-Abkommens garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen (vgl. in diesem Sinne Urteil Amurta, Randnr. 24).
36. Im vorliegenden Fall sehen die Art. 4 und 4a Wet DB in Verbindung mit Art. 13 Wet Vpb für Dividenden, die an Empfängergesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat ausgeschüttet werden, eine Befreiung vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle vor. Nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 Wet DB gilt dies für Dividenden zugunsten von Empfängergesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, die Anteile in Höhe von mindestens 5 % des eingezahlten Nennkapitals der die Dividenden ausschüttenden gebietsansässigen Gesellschaft besitzen.
37. Auf der Grundlage der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen dem Königreich der Niederlande einerseits und der Republik Island sowie dem Königreich Norwegen, die dem EWR angehören, andererseits kann die Befreiung vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle hingegen für Dividenden, die an isländische oder norwegische Gesellschaften ausgeschüttet werden, nur gewährt werden, wenn Letztere, je nach Land, 10 % oder 25 % der Anteile der die Dividenden ausschüttenden niederländischen Gesellschaft besitzen. Insoweit ist festzustellen, dass damit diese Gesellschaften im Gegensatz zu Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat gegen die Gefahr der Doppelbesteuerung nicht geschützt sind, wenn sie mehr als 5 %, aber weniger als 10 % oder 25 % der Anteile der die Dividenden ausschüttenden niederländischen Gesellschaft besitzen.
38. Dieser Unterschied zwischen den steuerrechtlichen Vorschriften, die einerseits für in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Gesellschaften gelten und andererseits für in diesen beiden EWR-Staaten ansässige Gesellschaften, zu deren Gunsten Art. 40 des EWR-Abkommens in gleicher Weise gilt wie Art. 56 EG zugunsten der erstgenannten Gesellschaften, benachteiligt bei der Besteuerung von Dividenden isländische Gesellschaften, die zwischen 5 % und 10 % des Kapitals einer niederländischen Gesellschaft besitzen, und norwegische Gesellschaften, die zwischen 5 % und 25 % des Kapitals einer niederländischen Gesellschaft besitzen.
39. Eine solche Ungleichbehandlung hinsichtlich der Art und Weise der Besteuerung von Dividenden, die an in Island und Norwegen ansässige Empfängergesellschaften ausgeschüttet werden, im Vergleich zu Dividenden, die an in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Empfängergesellschaften ausgeschüttet werden, ist geeignet, Gesellschaften, die in den beiden erstgenannten Staaten ansässig sind, von Investitionen in den Niederlanden abzuhalten. Sie macht es außerdem für eine niederländische Gesellschaft schwerer, Kapitalmittel aus Island oder Norwegen anzuziehen als aus den Niederlanden oder einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft. Folglich bildet sie eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, die grundsätzlich durch Art. 40 des EWR-Abkommens verboten wird.
40. Es ist jedoch zu prüfen, ob diese Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nach Bestimmungen des Vertrags, die im Wesentlichen in das EWR-Abkommen übernommen worden sind, gerechtfertigt sein kann.
41. Nach Auffassung des Königreichs der Niederlande befinden sich Empfängergesellschaften in Island und Norwegen in einer der unterschiedlichen Situationen, auf die Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG abzielt, wonach Art. 56 EG nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort unterschiedlich behandeln.
42. Nach ständiger Rechtsprechung kann eine nationale Steuerregelung nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die sich aus ihr ergebende unterschiedliche Behandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. Urteil Amurta, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
43. Daher ist zu prüfen, ob sich im Hinblick auf die Befreiung vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle Empfängergesellschaften, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind, und solche, die in Island und Norwegen ansässig sind, in vergleichbaren Situationen befinden.
44. Nach Ansicht des Königreichs der Niederlande ergeben sich die unterschiedlichen Situationen, denen es Rechnung getragen habe, daraus, dass durch die bilateralen Abkommen mit den beiden fraglichen EWR-Staaten nicht gewährleistet werden könne, dass die betreffenden Empfängergesellschaften wirklich die Voraussetzungen erfüllten, die Art. 4 Abs. 2 Wet DB für Gesellschaften der Mitgliedstaaten vorschreibe, nämlich zum einen ihre Errichtung in einer der Rechtsformen, die im Anhang der Richtlinie 90/435 aufgeführt oder durch Ministerialerlass bezeichnet seien, und zum anderen die in ihrem Niederlassungsstaat ohne Wahlmöglichkeit bestehende Verpflichtung zur Entrichtung der Steuer auf Gewinnausschüttungen, ohne davon befreit zu sein.
45. Das Königreich der Niederlande stützt seine Überlegungen auf die Bestimmungen der Richtlinie 77/799. Nach dieser Richtlinie, mit der Steuerhinterziehung und Steuerflucht bekämpft werden sollen, haben die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einander alle Auskünfte zu erteilen, die geeignet sind, ihnen die zutreffende Festsetzung u. a. der Einkommensteuer zu erlauben.
46. Da diese Richtlinie nicht für die Republik Island und das Königreich Norwegen gilt, gibt es nach Auffassung des Königreichs der Niederlande keine bindende Regelung, aufgrund deren es die geeigneten Auskünfte einholen könne, um die Erfüllung der in Art. 4 Abs. 2 Wet DB festgelegten Voraussetzungen nachzuprüfen.
47. Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es eine solche unterschiedliche Regelung der Verpflichtungen der in Frage stehenden Staaten auf steuerrechtlichem Gebiet im Verhältnis zu denen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zwar rechtfertigen könnte, dass das Königreich der Niederlande die Befreiung vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle für isländische und norwegische Gesellschaften von dem Nachweis abhängig macht, dass diese die im niederländischen Recht festgelegten Voraussetzungen tatsächlich erfüllen, sie es aber nicht zu rechtfertigen vermag, dass diese Befreiung nach den niederländischen Rechtsvorschriften vom Besitz einer höheren Kapitalbeteiligung an der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft abhängt.
48. Dieses Erfordernis weist nämlich keinen Zusammenhang mit den Voraussetzungen auf, die im Übrigen alle Gesellschaften für die fragliche Steuerbefreiung erfüllen müssen, nämlich ihre Errichtung in einer bestimmten Gesellschaftsform, ihre Verpflichtung zur Entrichtung der Steuer auf Gewinnausschüttungen sowie ihre Eigenschaft als Endempfänger der ausgeschütteten Dividenden, und deren Erfüllung die niederländischen Steuerbehörden tatsächlich nachprüfen können müssen.
49. Hinsichtlich des letztgenannten Aspekts weist nichts in den Akten darauf hin und ist vom Königreich der Niederlande nicht dargetan worden, dass der Besitz einer Kapitalbeteiligung an einer Gesellschaft von weniger als 10 % oder 25 % in irgendeiner Hinsicht von Bedeutung sein könnte für die Gefahr, dass den zuständigen Behörden unrichtige Auskünfte insbesondere zur steuerrechtlichen Lage der Gesellschaften in den beiden fraglichen Staaten erteilt würden, und dass aus diesem Grund das Erfordernis von Beteiligungen in dieser Höhe gerechtfertigt wäre, das für in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Gesellschaften nicht gilt.
50. Folglich kann sich das Königreich der Niederlande nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sich Gesellschaften mit Sitz in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einerseits und isländische und norwegische Gesellschaften andererseits in unterschiedlichen Situationen befänden, um es zu rechtfertigen, dass von Letzteren als Voraussetzung für die Befreiung der an sie von niederländischen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden vom Quellensteuerabzug eine höhere Kapitalbeteiligung an diesen niederländischen Gesellschaften verlangt wird als von Gesellschaften mit Sitz in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft.
51. Dieses Ergebnis wird implizit dadurch bestätigt, dass die bilateralen Abkommen des Königreichs der Niederlande mit der Republik Island und dem Königreich Norwegen die Befreiung vom Quellensteuerabzug für an isländische und norwegische Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden allein davon abhängig machen, dass an der die Dividenden ausschüttenden niederländischen Gesellschaft eine Kapitalbeteiligung in bestimmter Höhe besteht, ohne zu verlangen, dass sie auch die anderen in Art. 4 Abs. 2 Wet DB festgelegten Voraussetzungen erfüllen.
52. Nach alledem hat das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 40 des EWR-Abkommens verstoßen, dass es Dividenden, die von niederländischen Gesellschaften an in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, nicht unter den gleichen Voraussetzungen vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle befreit hat wie Dividenden, die an niederländische Gesellschaften oder an in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden.
Kosten
53. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission einen solchen Antrag gestellt hat und das Königreich der Niederlande mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Königreich der Niederlande hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 verstoßen, dass es Dividenden, die von niederländischen Gesellschaften an in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, nicht unter den gleichen Voraussetzungen vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle befreit hat wie Dividenden, die an niederländische Gesellschaften oder an in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden.
2. Das Königreich der Niederlande trägt die Kosten.