14.12.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 339/24


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Weiterverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik“

KOM(2009) 362 endg. — 2009/0099 (COD)

(2010/C 339/06)

Hauptberichterstatter: Peter MORGAN

Der Rat beschloss am 10. September 2009 gemäß Artikel 47 Absatz 2 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Weiterverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik“

KOM(2009) 362 endg. – 2009/0099 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 29. September 2009 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 459. Plenartagung am 20./21. Januar 2010 (Sitzung vom 20. Januar) gemäß Artikel 57 der Geschäftsordnung Peter MORGAN zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 162 gegen 4 Stimmen bei 18 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Den Hintergrund für die vorgeschlagene Richtlinie (im Folgenden als „Richtlinie“ bezeichnet) bilden die Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Berichts der De-Larosière-Gruppe. Der EWSA hat bereits eine Stellungnahme zu diesem Bericht abgegeben und darin seine weitgehende Zustimmung zum Ausdruck gebracht (1). Die Richtlinie wurde im Zusammenhang mit den internationalen Basel-II-Vorschriften über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Banken erarbeitet. Der Text wurde von der Ratsformation „Wirtschaft und Finanzen“ nach dem Treffen der G20 in Pittsburgh nachgebessert. Der EWSA unterstützt die Zielrichtung dieser Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2006/48/EG über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und der Richtlinie 2006/49/EG über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten.

1.2   In dieser Stellungnahme wird dargestellt, welch große Rolle die Banken in der Finanzkrise spielten und inwiefern Regulierung und Aufsicht versagten. Nach Auffassung des EWSA werden mit der Richtlinie zahlreiche Regulierungslücken behoben und ein Beitrag dazu geleistet, die größten Fehlerquellen im Geschäftsbetrieb und in der Geschäftsführung der Banken zu beseitigen. Diese Bestimmungen allein dürften allerdings noch nichts am Verhalten der „Banker“ ändern, das hauptsächlich am Eigeninteresse ausgerichtet ist und die Krise ganz wesentlich mit ausgelöst hat. Immer noch werden die Interessen der Bankaktionäre, der Bankangestellten, der Kunden und der gesamten Gesellschaft nicht ausreichend gewürdigt. Die soziale Verantwortung der Großbanken muss viel stärker in den Mittelpunkt gestellt und darf nicht als nebensächlich betrachtet werden.

1.3   Folgende Hauptursachen lösten die Krise aus:

Die Kreditinstitute haben Kredite an Kunden vergeben, die nicht kreditwürdig waren.

In vielen Fällen erhielten die Mitarbeiter der Banken im Kundengeschäft unangemessene Vergütungen und Finanzanreize.

Die Schaffung von Kreditverbriefungen durch Banken geschah ohne die erforderliche Umsicht.

Die Banken erwarben die entsprechenden Wertpapiere, ohne dabei die erforderliche Umsicht walten zu lassen.

Es gab nur unzureichende Eigenkapitalreserven, insbesondere für die Risiken in den Handelsbüchern der Banken.

Es wurden außerbilanzmäßige Handelsinstrumente kreiert, die unterkapitalisiert waren.

Perverse finanzielle Anreize und unangemessene Vergütungsstrukturen führten zu kurzfristigem Denken und exzessiver Risikoübernahme.

Die Rechtsetzung war prozyklisch.

Es gab ein systemisches Versagen beim Risikomanagement hinsichtlich der Qualität der gehaltenen Wertpapiere, der Angemessenheit der Eigenkapitalreserven und der Auswirkungen variabler Vergütungen auf die Risikoaggregation der Kreditinstitute.

Die Transparenz der Bankgeschäfte war mangelhaft, was die Kreditgeber und -nehmer, Kontrahenten, Investoren, Analysten und sogar Aufsichtsratsmitglieder zu einem den Finanzmärkten nicht angemessenen Verhalten verleitete.

Die Makroaufsicht und die internationale Koordination waren unzureichend.

1.4   Der EWSA begrüßt, dass die Kommission auf gleicher Linie mit dem Gremium für Finanzstabilität (Financial Stability Board - FSB) und dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht daran arbeitet, ausgefeiltere Vorschläge für Vergütungen und Eigenkapitalanforderungen vorzulegen. Dem Bankwesen kommt eine grundlegende wirtschaftliche Bedeutung in der EU zu. Gleichzeitig ist es aber auch eine potenziell mobile Wirtschaftsbranche. Um den Schaden vom Bankwesen in der EU abzuwenden, der durch die Ausnutzung divergierender Rechtsbestimmungen entstehen könnte, müssen globale Lösungen gefunden werden, bei denen die EU gegebenenfalls und im Idealfall eine Vorreiterrolle einnehmen müsste. Die EU kann sich keine Bestimmungen leisten, die zu stark von den anderenorts geltenden Vorschriften abweichen.

1.5   Der EWSA unterstützt die vorgeschlagenen Leitgrundsätze für die Formulierung und die Umsetzung der Vergütungspolitik. Hätte es einige dieser Grundsätze bereits vor der Krise gegeben, dann wäre es nicht zu den zahlreichen skandalösen und Anstoß erregenden Zahlungen gekommen.

1.6   In den meisten Wirtschaftsbranchen errechnet sich die absolute Höhe der Bonuszahlungen für Führungskräfte aus einem maximalen Prozentsatz des Gehalts. Der EWSA spricht sich für die Anwendung ähnlicher Konzepte auf die variablen Vergütungssysteme im Bankwesen aus, da die Rolle der Bankangestellten kein Freibrief für unkontrollierte Vergütungssysteme ist. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die an bedeutende Kreditinstitute und Wertpapierfirmen gerichtete Forderung nach Einrichtung von Vergütungsausschüssen.

1.7   Dem EWSA ist klar, dass in dieser Richtlinie eher auf die Struktur der Vergütungen als auf ihre Höhe abgehoben wird. Gleichwohl möchte er seine Sorge über die Höhe der Vergütungen zum Ausdruck bringen. Der EWSA geht davon aus, dass durch die neuen Eigenkapitalanforderungen und die aufsichtsseitige Analyse der Vergütungspolitiken und –pläne die exzessiven variablen Vergütungen, die in der Vergangenheit üblich waren, einschränkt werden. Der EWSA weiß um die Tatsache, dass die Frage nach der Höhe der Vergütungen nicht in die Zuständigkeit der EU fällt.

1.8   Der EWSA stellt mit Zufriedenheit fest, dass die Bestimmungen über die Vergütung nicht mit Artikel 137 Absatz 5 des Vertrages, den allgemeinen Grundsätzen des einzelstaatlichen Vertrags- und Arbeitsrechts sowie, sofern anwendbar, den Rechten der Sozialpartner bei Tarifverhandlungen kollidieren.

1.9   Der EWSA stellt sich uneingeschränkt hinter die Anhebung der Eigenkapitalanforderungen, die in dieser Richtlinie festgeschrieben wird. Dazu gehören insbesondere:

Bestimmungen zur Verschärfung der Eigenkapitalunterlegung für Vermögenswerte, die die Banken für den kurzfristigen Weiterverkauf im Handelsbuch halten;

die Aktualisierung der Eigenkapitalvorschriften für komplexe Verbriefungen sowohl im Bank- als auch im Handelsbuch.

1.10   Der Ausschuss stellt fest, dass dem Vorschlag zufolge bei den besonders komplexen Weiterverbriefungen kein strengeres Aufsichtsverfahren mehr zur Anwendung kommen soll. Der EWSA erwartet aber von den Aufsichtsinstanzen diesbezügliche Umsicht und stellt fest, dass die Aufsichtsinstanzen weiterhin auf das volle Instrumentarium der Sanktionen zurückgreifen können.

1.11   Die Sicht des EWSA ist durch die Missstände beeinflusst, die bei der Untersuchung des Wertverfalls von hypothekenbesicherten Wertpapieren, von CDO (Collateralised Debt Obligations) und ähnlichen Papieren durch die US-Wertpapieraufsichtsbehörde ans Licht kamen (2). An der unverantwortlichen Schaffung „giftiger“ Vermögenswerte, durch die in den Industrienationen ein Schaden von hunderten Milliarden Dollar entstand, trugen die Ratingagenturen eine Teilschuld. Die Investmentbanken haben Ratingagenturen bei ihrem Vorgehen unterstützt und sie geradezu dazu angestiftet, während die meisten Banken das Risiko, das mit dem Besitz solcher Wertpapiere verbunden ist, nicht einmal verstanden. Die De-Larosière-Gruppe merkte hierzu an: „Diese regulatorischen Änderungen müssen mit einer sorgfältigeren Prüfung und Beurteilung durch die Anleger und einer besseren Aufsicht einhergehen“. Der EWSA unterstützte diese Empfehlung in seiner Stellungnahme zu den Ratingagenturen und spricht sich nun für die vorgeschlagene Richtlinie aus, da sie Banken und Aufsichtsgremien zu einem entsprechenden Handeln verpflichtet.

1.12   In Anhang I Nummer 4 der Richtlinie werden neue und umfassende Offenlegungspflichten dargelegt. Der EWSA begrüßt diese Anforderungen. Wären sie bereits vor der Krise eingeführt worden, so hätten viele der darauf folgenden Probleme vermieden werden können. Die Schwerpunkte in Anhang II, Liquidität und Ereignisrisiko, werden ebenso begrüßt. Zwar konnte keine technische Analyse der Bestimmungen vorgenommen werden, doch hat der EWSA von der Kommission die Zusicherung erhalten, dass eine Liquiditätskrise auf den Märkten wie diejenige, die den Kern der Bankenkrise bildete, durch diese Maßnahmen in Zukunft abgewendet werden kann.

1.13   Nach Informationen, die dem EWSA vorliegen, wird beabsichtigt, Liquiditätsprobleme auf Ebene der Unternehmen in der nächsten (Vierten) Eigenkapitalrichtlinie anzugehen. Nach dieser Krise handelt es sich dabei um eine fundamentale Notwendigkeit.

1.14   Der EWSA stellt fest, dass im Richtlinienentwurf nicht auf die Problematik der außerbilanzmäßigen Zweckgesellschaften (SPV - Special Purpose Vehicles) eingegangen wird. Diese Problematik wurde in der Tat in der Richtlinie der Kommission 2009/83/EG vom Juli 2009 aufgegriffen. Bereits in Artikel 95 der Eigenkapitalrichtlinie wird den Banken auferlegt, bei der Verbriefung von Forderungen die zu unterlegenden Eigenkapitalbeträge zu ermitteln, es sei denn, das Kreditrisiko wurde zu einem großen Teil weitergegeben. In der Richtlinie vom Juli wird die Auslegung dieser Bestimmung auf zwei wichtige Weisen gestrafft. Hätte es diese Klarstellung bereits vor der Krise gegeben, dann hätten die SPV in weitaus geringerem Umfang zu der Krise beigetragen.

1.15   Der EWSA erblickt in der fragwürdigen Kreditvergabepraxis im Privatkundenbereich einen Faktor, der wesentlich zum Entstehen der Krise beigetragen hat. In der Mitteilung „Anlageprodukte für Kleinanleger“ (3) scheint man dieses Problem durch die Regulierung der Verkaufsbedingungen und insbesondere durch die Kontrolle des in diesem Zusammenhang auftretenden Interessenkonflikts anzugehen. Dies knüpft an den Rahmen an, der von der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente geschaffen wurde.

1.16   Offenlegung ist der Schlüssel für die Sanierung der Finanzmärkte. Der EWSA begrüßt den Umfang der vorgeschlagenen Offenlegungen. Interessenträger haben nun ausreichende Zugangsmöglichkeiten zu den Informationen, die sie für ihre Geschäfte mit Finanzinstituten benötigen. Die Offenlegung, die in der Richtlinie gefordert wird, muss im Zusammenhang mit Artikel 147 der Eigenkapitalrichtlinie 2006/48/EG verstanden werden, durch die die Kreditinstitute zur Veröffentlichung der geforderten Angaben veranlasst werden.

1.17   Im November 2009 äußerten sich die Führungsspitzen der HSBC und Standard Chartered Bank besorgt über die von den Regulierungsbehörden vorgeschlagenen Eigenkapitalanforderungen, die sie als überzogen und geschäftsschädigend und als einen Bremsklotz für die Erholung und Entwicklung ansehen. Zwar ist dieser Standpunkt von den Vorständen der Banken mehr oder weniger zu erwarten, doch handelt es sich hier insofern nicht um „gewöhnliche“ Banken, als sie keine staatliche Unterstützung erhalten haben. Führungskräfte der Standard Chartered standen mit hinter dem britischen Rettungsplan für das Bankwesen. Der EWSA ersucht die Kommission sicherzustellen, dass – die notwendigen Due-Diligence-Vorschriften und eine angemessene Risikokontrolle vorausgesetzt – die vorgeschlagenen Eigenkapitalanforderungen gegenüber dem Risiko in einem vernünftigen Verhältnis stehen.

1.18   Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission eine Analyse durchführen, um zu verstehen, welche Auswirkungen sich aus dem derzeit erwogenen Richtlinienentwurf ergeben, und zwar nicht nur in Bezug auf den Eigenkapitalbestand der Banken, sondern auch auf das Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die allgemeine Wirtschaftserholung.

2.   Einleitung

2.1   Durch einen kurzen Überblick über die Krise im Bankensystem wird die Richtlinie in den richtigen Zusammenhang gestellt. Weitere Aspekte der Bankenkrise können dem Bericht von Lord Turner, Vorsitzender der britischen Finanzaufsichtsbehörde (4), entnommen werden.

2.2   Zu der Geschäftstätigkeit der Universalbanken gehört die Vergabe von Krediten mit langen Laufzeiten, die auf Grundlage von Bankeinlagen mit kurzen Laufzeiten erfolgt. Dieser Vorgang wird als Fristentransformation („maturity transformation“) bezeichnet und ist mit einem Risiko behaftet. Würden alle Einleger ihre Einlagen kurzfristig abziehen, wäre die Liquidität der Bank unzureichend. Ebenfalls würde es zu einem Schwund des Bankkapitals mit drohender Insolvenz kommen, wenn die Kreditnehmer ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen würden. Um dies zu verhindern, weisen Geschäftsbanken liquide Rücklagen in ihrer Bilanz aus und bilden Sicherheitsnetze mit anderen Banken. Die Zentralbank kann als Kreditgeber der letzten Instanz fungieren. Die Bestimmungen für das Kreditwesen schreiben die Höhe des Eigenkapitals vor, das den Verbindlichkeiten einer Bank gegenüberstehen muss, um einen Schutz vor Kreditausfall zu bieten.

2.3   Die Banken betreiben überdies einen Eigenhandel, für den sie ebenfalls Kapital zurückstellen. Diese Eigenkapitalreserven waren in der Vergangenheit eher begrenzt, da man potenzielle Verluste im Handelsbuch als klein einschätzte, ging man doch bei den gehandelten Vermögenswerten von einer leichten Einlösbarkeit aus. Das zur Besicherung des Handelsbuchs erforderliche Kapital wurde durch eine Formel für den Wert des Risikopotenzials („value at risk“) ermittelt. Überdies kreierten die Banken spezielle Zweckgesellschaften, die sogenannten SPV („Special Purpose Vehicles“), die außerbilanzmäßige Geschäfte tätigen. Trotz ihres hohen Fremdfinanzierungsanteils und ihres potenziellen Risikos wurden die SPV von den Regulierungsbehörden als unabhängige Entitäten eingestuft, da ihre Geschäfte normalerweise nicht in der Bilanz erschienen. Bei Ausbruch der Krise nahmen die Banken aus Sorge um ihren Ruf jedoch viele SPV wieder in ihre Bilanzen hinein, obwohl für ein solches Ereignis kein entsprechendes Eigenkapital zurückgestellt worden war.

2.4   Die Behörden spielten bei der Entwicklung der Bankenkrise eine zentrale Rolle. Die Regulierungsbehörden genehmigten das Eigenkapital der Banken. Die Währungsbehörden - mit Ausnahme der EZB - hielten die Leitzinsen zu lange auf einem zu niedrigen Niveau. Auch in der Eurozone bewegten sich die Leitzinsen lange Zeit unter dem Wert, der für einige Volkswirtschaften erforderlich gewesen wäre. Zudem ermunterte die US-amerikanische Regierung die Banken zur großzügigen Vergabe von Hypothekenkrediten an Kunden mit zweifelhafter Kreditwürdigkeit. Die Sparquoten in der westlichen Welt nahmen ab, die Zunahme in der Kreditaufnahme wurde durch Asien finanziert. Diese Faktoren begünstigten die Risikobereitschaft im Bankwesen.

2.5   Die Banken vergaben „Schrotthypotheken“, bündelten diese und verkauften sie weiter. Diese Aktivitäten breiteten sich auch außerhalb der Vereinigten Staaten aus. Mit der Hilfe der Ratingagenturen wurden diese Bündel in Tranchen gestückelt, denen unterschiedliche Bonitäten zugeschrieben wurden; oft warfen sie weitaus höhere Zinserträge ab als die risikofreie Rendite. Durch Weiterverbriefungen wurden bestehende Schuldentranchen „umverpackt“, wodurch die zugrundeliegenden Vermögenswerte unkenntlich gemacht wurden. Forderungs- und hypothekenbesicherte Wertpapiere in Form von „Buchstabensuppen“ tauchten als ein wesentlicher Bestandteil des Eigenhandelsbuchs und des Handels der SPV auf. Das massive Risiko, das in dieser Konzentration verborgen war, blieb unerkannt.

2.6   Aus der Begebung und Verbreitung von forderungs- und hypothekenbesicherten Wertpapieren braute sich ein Finanztsunami zusammen. Wie Lord Turner aufgezeigt hat, stellten die Reichweite und der Umfang der Transaktionen in der „Kasinowirtschaft“ die Wirtschaftsaktivitäten der Realwirtschaft in den Schatten. Die Banken schalteten sogar noch einen Gang höher, indem sie sich nicht mehr um die Einlagen scherten und die Kreditvergabe durch sehr kurzfristige Geldaufnahme auf dem Interbankenmarkt finanzierten. Dies war die Perversion der „Fristentransformation“. Als dann die amerikanische Notenbank die Leitzinsen heraufsetzte, schloss das Kasino seine Türen.

2.7   Unsichere Kreditnehmer konnten ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen. Die Ratingagenturen stuften die an Kredite gekoppelten Wertpapiere drastisch herab. Nun machten sich die Banken überall daran, die entsprechenden Vermögenspositionen aufzulösen, was ein systemisches Versagen nach sich zog. Die Preise brachen ein. Die Liquidität, die auf der Handelbarkeit beruht, kam zum Versiegen. Die Banken wussten nicht, in welchem Zustand sich die anderen Banken befanden, sodass das Vertrauen schwand und der Interbankengeldmarkt zum Erliegen kam. Die mangelnde Liquidität brachte Banken aller Art in Bedrängnis. Während man Lehman bankrott gehen ließ, konnten viele andere Banken in den USA und anderswo ihr Überleben nur durch massive staatliche Hilfe sichern.

2.8   Die Vergütungssysteme trugen dazu bei, die Risikobereitschaft in den Kreditinstituten zu prämieren. Auf allen Ebenen verleiteten die Anreize zu einem kurzfristigen Profitdenken, bei dem das längerfristige Risiko ausgeblendet wurde. Die Spirale des Interbankenhandels schuf eine virtuelle Wirtschaft, die sich losgelöst von der Realwirtschaft entwickelte und in der die Vergütungen ebenfalls jenseits der Normen der Wirklichkeit lagen. Die Qualität der buchmäßigen Darlehensforderungen verschlechterte sich dramatisch. Auch die Trader und andere Akteure mussten unter dem Druck der Kurzfristigkeit agieren. In einigen Fällen wurden sogar die Beschäftigten mit Kundenkontakt durch starke Anreize dazu motiviert, Kunden mit zweifelhafter Kreditwürdigkeit Kreditkarten und Hypotheken anzubieten.

2.9   Die Reform des Rechtsrahmens muss von den gelernten Lektionen ausgehen. Quantität und Qualität der bilanzmäßigen Rücklagen bedürfen einer radikalen Verbesserung. Das Eigenkapital, mit dem die Handelsbuchrisiken zu unterlegen sind, sollte grundlegend aufgestockt werden; die Formel für den Wert des Risikopotenzials muss überarbeitet werden. Die Ermittlung des jeweils notwendigen Eigenkapitalanteils muss antizyklisch erfolgen. Die Risikobewertung muss konservativer sein. Die Liquiditätsrisiken, die mit der Fristentransformation einhergehen, müssen einer erneuten Überprüfung unterzogen werden, da in der Krise sowohl die Möglichkeit der Einlösung am Markt als auch die Liquiditätsquellen am Interbankenmarkt versagten.

2.10   Ohne Zweifel werden diese Reformen des Rechtsrahmens nicht ausreichen. Ganz wichtig sind die Marktmechanismen und die stärkere Einbindung der Aktionäre. Der Ausschuss bedauert die fehlende Transparenz, ein ganz wichtiges Thema. Verlässliche Informationen über Bankkredite, Vermögenswerte, Rücklagen und Bankrisikoprofile müssen öffentlich zugänglich sein. Diese Transparenz wird es Darlehensgebern und –nehmern, Aktionären, Vorstandsmitgliedern und Analysten erlauben, sich marktgerecht zu verhalten.

2.11   Das Fehlverhalten der Regierungen in politischer, monetärer und regulatorischer Hinsicht muss dahingehend korrigiert werden, dass eine Rückkehr zu einem risikobewussten Bankbetrieb mit umsichtigen Kunden möglich ist. Privatkunden müssen vor den ausufernden Kreditvergabepraktiken der Banken geschützt werden.

2.12   Die Kreditinstitute müssen ihrer Verantwortung stärker nachkommen. Für das Risikomanagement und die umfassende Aufsicht müssen völlig neue Perspektiven geschaffen werden. Bei den Vergütungen muss langfristig gedacht werden. Sie müssen das Risikomanagement fördern anstatt es zu untergraben, und sie sollten an den langfristigen Interessen der Aktionäre und anderen Interessenträger ausgerichtet werden. Die Vergütung sämtlicher Mitarbeiter, deren Berufsausübung konkrete Auswirkungen auf das Risikoprofil der Bank hat, sollte mit Blick auf dieses Profil festgelegt werden.

2.13   Im Zuge der Bankenkrise zeigte sich, wie problematisch die Kombination von Geschäftsbank und Investmentbank – eines zum Wohl der Allgemeinheit tätigen Unternehmens und eines Spielkasinos - in einem Geldhaus ist, welches dann wiederum als „zu groß zum Scheitern“ betrachtet wird. In vielerlei Hinsicht ist diese Kombination sinnvoll, denn von vielen Investmenttätigkeiten profitieren sowohl die Privatkunden als auch die Unternehmenskunden. Das Kernproblem sind die (impliziten und oftmals expliziten) notwendigen Garantien, die der Staat den Privateinlegern ausstellt. Dadurch wird ein „Moral-Hazard“-Element in das Investmentbanking gebracht und u.U. ein übertriebenes Risikoverhalten begünstigt. Nach dem Börsenkrach von 1929 erzwangen die USA durch das Glass-Steagall-Gesetz die institutionelle Trennung von Geschäftsbankentätigkeit und Investmentbanking. Dieses Gesetz wurde 1999 aufgrund der zahlreichen entstandenen Überlappungen aufgehoben. Falls diese beiden Tätigkeitsbereiche nicht durch zum Beispiel ein neues Glass-Steagall-Gesetz getrennt werden, kommt es wesentlich darauf an, die Bestimmungen hinsichtlich der Eigenkapitalanforderungen so streng zu formulieren, dass eine Investmentbank eine Geschäftsbank nicht in den Abgrund ziehen kann.

3.   Wesentlicher Inhalt der Richtlinie der Kommission

Die Änderungen am Richtlinientext, die nach dem Treffen in Pittsburgh hinzugefügt wurden und der Auffassung des EWSA entsprechen, sind kursiv hinzugefügt.

3.1   Die übermäßige und unvorsichtige Übernahme von Risiken im Bankensektor hat auf mitgliedstaatlicher und globaler Ebene zum Ausfall einzelner Finanzinstitute und zu Systemproblemen geführt. Unter Aufsichtsbehörden und Regulierungsinstanzen, einschließlich der G20 und des Ausschusses der Europäischen Bankaufsichtsbehörden herrscht Einigkeit darüber, dass die unangemessenen Vergütungsstrukturen hierzu beigetragen haben. In diesem Zusammenhang sind die international vereinbarten und bekräftigten Grundsätze und Standards des Gremiums für Finanzstabilität von besonderer Bedeutung.

3.2   Um den potenziell schädlichen Auswirkungen schlecht gestalteter Vergütungsstrukturen entgegenzuwirken, sollten die Kreditinstitute und Wertpapierfirmen ausdrücklich dazu verpflichtet werden, ihre Vergütungsgrundsätze und –praktiken so festzulegen und anzuwenden, dass sie mit einem wirksamen Risikomanagement in Einklang stehen.

3.3   Wichtig ist, dass die neuen Vorschriften für Vergütungspolitik und –praxis einheitlich angewandt werden. Um zu gewährleisten, dass die Vergütungsstruktur keinen Anreiz zur übermäßigen Risikoübernahme darstellt und mit der Risikobereitschaft, den Werten und den langfristigen Interessen des Instituts in Einklang steht, sollten zentrale Grundsätze festgelegt werden.

3.4   Im Folgenden werden einige Kernprinzipien aufgeführt:

Die Vergütungspolitik ist mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement vereinbar und diesem förderlich und ermutigt nicht zur Übernahme von Risiken, die über das von dem Kreditinstitut tolerierte Maß hinausgehen.

Die Vergütungspolitik steht mit Geschäftsstrategie, Zielen, Werten und langfristigen Interessen des Kreditinstituts in Einklang.

Um zu gewährleisten, dass die Beurteilung auf die längerfristige Leistung abstellt und die tatsächliche Auszahlung erfolgsabhängiger Vergütungskomponenten über einen Zeitraum verteilt ist, der dem zugrundeliegenden Geschäftszyklus des Unternehmens Rechnung trägt, erfolgt die Leistungsbeurteilung in einem mehrjährigen Rahmen.

Zahlungen im Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung eines Vertrags spiegeln den Erfolg im Laufe der Zeit wider und sind so gestaltet, dass sie Versagen nicht belohnen.

Garantierte variable Vergütungen sind die Ausnahme und nur bei neuen Mitarbeitern sowie im ersten Jahr der Anstellung möglich.

Mindestens 50 % der variablen Vergütung sollen in Aktien oder geeigneten Nicht-Barleistungen bezahlt werden, die nach einem dafür geeigneten Mechanismus zurückgestellt werden.

Bei einem hohen Bonus wird ein großer Teil der Auszahlung für angemessene Zeit zurückgestellt und an den künftigen Erfolg des Unternehmens gekoppelt. Mindestens 40 %, bei Führungskräften mindestens 60 %, werden für nicht weniger als 3 Jahre zurückgestellt und die Zubilligung erfolgt proportional.

Variable Vergütungen, darunter der zurückgestellte Anteil, werden nur ausbezahlt oder zugebilligt, wenn die Nachhaltigkeit in Bezug auf die Finanzlage des Instituts gewährleistet ist.

3.5   Bedeutenden Kreditinstituten und Wertpapierfirmen wird die Schaffung eines Vergütungsausschusses zur Auflage gemacht. Ob Kreditinstitute und Wertpapierfirmen als „bedeutend“ anzusehen sind, ergibt sich aus ihrer Größe, ihrer internen Organisation sowie aus ihrem Wesen, ihrem Tätigkeitsbereich und der Komplexität ihrer Tätigkeiten.

3.6   Die zuständigen Behörden sollten ebenfalls finanzielle oder andere Maßnahmen oder Sanktionen verhängen dürfen, wenn gegen die Anforderung verstoßen wird, wonach die Vergütungspolitik mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement vereinbar sein muss. Diese Maßnahmen und Sanktionen sollten wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

3.7   Um bei der Beurteilung der Vergütungspolitik und –praxis für größere Konvergenz zu sorgen, sollte der Ausschuss der Europäischen Bankaufsichtsbehörden Leitlinien für solide Vergütungsgrundsätze im Bankensektor gewährleisten.

3.8   Da schlecht gestaltete Vergütungs- und Anreizregelungen die Risiken von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen auf ein untragbar hohes Maß anschwellen lassen können, sollten die zuständigen Behörden den betreffenden Unternehmen qualitative oder quantitative Maßnahmen auferlegen. Als qualitative Maßnahme könnte den Kreditinstituten oder Wertpapierfirmen beispielsweise vorgeschrieben werden, das mit ihren Tätigkeiten und Vergütungsstrukturen verbundene Risiko zu senken. Als quantitative Maßnahmen könnten die Behörden zusätzliche Eigenmittel vorschreiben.

3.9   Um dem Markt gegenüber eine angemessene Transparenz ihrer Vergütungsstrukturen und damit verbundenen Risiken zu gewährleisten, sollten Kreditinstitute und Wertpapierfirmen ihre Vergütungspolitik und –praxis für all die Mitarbeiter offenlegen, deren berufliche Tätigkeiten sich konkret auf das Risikoprofil des Instituts auswirken.

3.10   Verbriefungen, bei denen andere Verbriefungen neu zusammengestellt werden und das Kreditrisiko höher ist als bei herkömmlichen Verbriefungen, sollten einer gesonderten Eigenkapitalanforderung unterliegen, die Kreditinstituten und Wertpapierfirmen jeden Anreiz nimmt, in außerordentlich komplexe und risikoreiche Verbriefungen zu investieren.

3.11   Durch Weiterverbriefungen werden Verbriefungspositionen mit mittlerem Risiko in neue Wertpapiere „umverpackt“. Das Kreditrisiko solcher Weiterverbriefungen wurde von den Ratingagenturen und Marktteilnehmern generell als niedrig eingeschätzt. Aufgrund ihrer Vielschichtigkeit und Anfälligkeit für korrelierte Verluste sind solche Weiterverbriefungen jedoch mit höheren Risiken verbunden als herkömmliche Verbriefungen. Deshalb sieht der Vorschlag vor, dass für Weiterverbriefungen höhere Eigenkapitalanforderungen gelten als für einfache Verbriefungspositionen desselben Ratings.

3.12   Angesichts ihrer schwachen Leistung in jüngerer Zeit sollten die Standards für interne Modelle zur Berechnung der Eigenkapitalanforderungen für das Marktrisiko ergänzt werden. Insbesondere die Risikoerfassung sollte mit Blick auf die Kreditrisiken im Handelsbuch vervollständigt werden. Darüber hinaus sollten die Eigenkapitalauflagen eine Komponente für Stresssituationen enthalten, um die Eigenkapitalanforderungen für den Fall sich verschlechternder Marktbedingungen zu stärken und das prozyklische Potenzial zu verringern.

3.13   Unbeschadet der in dieser Richtlinie ausdrücklich vorgeschriebenen Angaben sollten die Offenlegungspflichten darauf abzielen, den Marktteilnehmern präzise und umfassende Angaben zum Risikoprofil einzelner Institute zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund sollte den Instituten für den Fall, dass es zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, die Offenlegung zusätzlicher, in dieser Richtlinie nicht ausdrücklich genannter Angaben vorgeschrieben werden.

3.14   Bei Verbriefungen sollten die Offenlegungspflichten der Institute erheblich verschärft werden. Insbesondere sollten sie insbesondere den Risiken von Verbriefungspositionen im Handelsbuch Rechnung tragen.

Brüssel, den 20. Januar 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 57.

(2)  ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 117.

(3)  KOM(2009) 204 endg.

(4)  The Turner Review, UK Financial Services Authority, März 2009.


  翻译: