22.5.2012 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 143/74 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EMIR) über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister“
COM(2011) 652 final — 2011/0296 (COD)
2012/C 143/14
Hauptberichterstatter: Edgardo Maria IOZIA
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 25. November bzw. am 15. November 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
"Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung [EMIR] über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister"
COM(2011) 652 final - 2011/0296 (COD).
Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 25. Oktober 2011 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 478. Plenartagung am 22./23. Februar 2012 (Sitzung vom 22. Februar) Edgardo Maria IOZIA zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 99 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Verordnungsvorschlag der Kommission und spricht sich für dessen baldige Annahme aus, um den Anlegerschutz wirksamer zu gestalten und die in dieser Richtlinie enthaltenen Prinzipien auf alle Finanzinstrumente auszudehnen (1).
1.2 Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass der Vorschlag darauf abzielt:
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die Transparenz der Transaktionen und die Meldung von Transaktionsdaten an die zuständigen Behörden zu verbessern; |
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den Handel mit Derivaten nur an organisierten Handelsplätzen zuzulassen; |
— |
Barrieren zu beseitigen, die einen diskriminierungsfreien Zugang zu Clearing-Einrichtungen verhindern; |
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die Aufsicht in Bezug auf Finanzinstrumente und Derivatepositionen zu verstärken; |
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die Erbringung von Dienstleistungen durch Drittlandfirmen ohne Zweigniederlassung zu überwachen; |
— |
die Auswirkungen des automatisierten und algorithmischen Handel zu überwachen und einzudämmen. |
1.3 Die vorgeschlagene Verordnung bewirkt mehr Markttransparenz und beinhaltet Maßnahmen zur Verringerung der Fragmentierung. Durch einheitliche Anwendung der Rechtsvorschriften wird das im Falle der Finanzmärkte sehr hohe Risiko von Aufsichtsarbitrage gebannt, wobei die Endnutzer von der (zumindest theoretisch) zu erwartenden Verringerung der Transaktionskosten profitieren.
1.4 Die Kommission sollte in ihren Legislativvorschlägen deutlich herausstellen, welche Vorteile den einzelnen von der Rechtsvorschrift betroffenen Akteuren (Einzelkunden von Finanzdienstleistungen, KMU, Betreibern und Behörden) daraus entstehen.
1.5 Ein allgemeiner Aspekt, den die Kommission entschieden verfolgen sollte, betrifft die Programme zur Vermittlung von Finanzwissen. Der Ausschuss hat dieses Thema erst unlängst wieder in einer Initiativstellungnahme angesprochen (2).
1.6 Auch wenn die durch die neue Verordnung entstehenden Kosten nicht sehr erheblich zu sein scheinen, äußert der EWSA doch Bedenken hinsichtlich der möglichen makroökonomischen Kosten für das Finanzsystem, die in der Folgenabschätzung offenbar nicht angemessen bewertet wurden. In dieser Frage fordert der EWSA bereits seit längerem eine Studie, um "zur Vermeidung negativer Auswirkungen […] die Regulierungsmaßnahmen in ihrer Gesamtheit in Bezug auf die notwendigen Maßnahmen für das Finanzsystem und den Kapitalmarkt genau zu untersuchen. Ein stabiles und effizientes System sollte für Finanzstabilität und Liquidität für die Realwirtschaft sorgen" (3). Der Ausschuss begrüßt, dass die Kommission nun die Einleitung dieser Untersuchung beschlossen hat, die für das Verständnis der Gesamtauswirkungen der Regulierungsmaßnahmen unverzichtbar ist, und spricht sich für deren baldige Veröffentlichung aus.
1.7 Der Ausschuss wirft die Frage auf, inwieweit Artikel 40 der Verordnung über delegierte Rechtsakte mit Artikel 290 AEUV vereinbar ist. Die delegierten Rechtsakte stimmen in Zahl, Inhalt und Bedingungen nicht mit den Bestimmungen des Vertrags überein und entziehen zu viele für die Struktur der Verordnung grundlegende Themen dem üblichen Rechtsetzungsverfahren. Der Ausschuss empfiehlt daher eine sorgfältige Überlegung im Hinblick auf die Herstellung der vollständigen Übereinstimmung zwischen AEUV und Artikel 40.
2. Vorschlag für eine Verordnung
2.1 Die Finanzmärkte haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Neue Produkte und Handelsplätze sind in Erscheinung getreten und technische Innovationen wie der Hochfrequenzhandel haben die Finanzwelt revolutioniert.
2.2 Die Vorschläge stellen auf eine Erhöhung der Effizienz, Belastbarkeit und Transparenz der Märkte sowie auf die Stärkung des Anlegerschutzes ab. Der neue Rechtsrahmen räumt den Regulierungsbehörden größere Aufsichtsbefugnisse ein und legt klare Regeln für die Funktionsweise aller Handelstätigkeiten fest.
2.3 Kernelemente des Vorschlags
2.3.1 |
Robustere und effizientere Marktstrukturen: Die multilateralen Handelssysteme und geregelten Märkte werden bereits in der geltenden Fassung der MiFID abgedeckt. Die überarbeitete Fassung bezieht nun aber eine neue Form von Handelsplätzen in den Rechtsrahmen ein: die "organisierten Handelssysteme" (OTF). Dabei handelt es sich um organisierte Plattformen, die derzeit keiner Regulierung unterliegen, jedoch eine immer wichtigere Rolle spielen. So werden beispielsweise standardisierte Derivatkontrakte zunehmend auf diesen Plattformen gehandelt. Die vorgeschlagenen neuen Rechtsvorschriften sollen die Lücke schließen. Die überarbeitete MiFID wird auch künftig unterschiedliche Geschäftsmodelle zulassen, gleichzeitig aber gewährleisten, dass für alle Handelsplätze dieselben Transparenzvorschriften gelten und dass Interessenkonflikten entgegengewirkt wird. |
2.3.2 |
Berücksichtigung technologischer Innovationen: In der überarbeiteten MiFID sind darüber hinaus neue Schutzvorkehrungen für den algorithmischen Handel und den Hochfrequenzhandel vorgesehen. Letztere haben zu einer gewaltigen Beschleunigung des Handels geführt und bergen potenzielle systemische Risiken. |
2.3.3 |
Die Schutzvorkehrungen beinhalten die Verpflichtung, den gesamten algorithmischen Handel einer angemessenen Regulierung zu unterwerfen, ausreichend Liquidität bereitzustellen und Vorschriften einzuführen, die verhindern, dass die An- und Verkäufe der betreffenden Händler die Volatilität zusätzlich erhöhen. Schließlich werden die vorgeschlagenen Rechtsvorschriften für bessere Zugangsregelungen bei wichtigen Nachhandelsdienstleistungen wie beispielsweise dem Clearing sorgen, wo anderenfalls der Wettbewerb zwischen verschiedenen Handelsplätzen beeinträchtigt zu werden droht. |
2.4 Erhöhung der Transparenz: Durch Einführung der Kategorie der OTF soll die Transparenz der Handelstätigkeiten auf den Aktienmärkten erhöht werden, auch was die sogenannten "Dark Pools" (Handelsvolumen oder Liquidität, die nicht auf öffentlichen Plattformen bereitgestellt werden) anbelangt. Ausnahmen wären nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Außerdem ist ein neues Transparenzregime für Märkte, an denen andere Finanzinstrumenten als Aktien gehandelt werden, vorgesehen (dies sind Schuldverschreibungen, strukturierte Finanzprodukte, Derivate). Aufgrund der neuen Anforderung, sämtliche Marktdaten an einem einzigen Handelsplatz verfügbar zu machen, wird es zudem den Anlegern erleichtert, sich einen Überblick über alle Handelsaktivitäten in der EU zu verschaffen und eine Entscheidung in voller Sachkenntnis zu treffen.
2.5 Stärkung der Aufsichtsbefugnisse und strengere Regelungen für Warenderivatemärkte: Die Vorschläge sehen eine Stärkung der Rolle und der Befugnisse der Regulierungsbehörden vor. In Abstimmung mit der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) werden die Aufsichtsbehörden unter genau festgelegten Bedingungen über die Möglichkeit verfügen, bestimmte Produkte, Dienstleistungen oder Praktiken zu verbieten, wenn eine Gefahr für den Anlegerschutz, die Finanzstabilität oder das ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte besteht.
2.6 Verbesserung des Anlegerschutzes: Aufbauend auf den bereits bestehenden umfassenden Vorschriften sieht die überarbeitete MiFID strengere Anforderungen an Portfolioverwaltung, Anlageberatung und das Anbieten komplexer Finanzprodukte, wie strukturierter Produkte, vor. Zur Vermeidung potenzieller Interessenkonflikte wird es unabhängigen Beratern und Portfoliomanagern untersagt sein, Zahlungen an Dritte zu leisten oder Zahlungen Dritter oder sonstige finanzielle Vorteile anzunehmen. Schließlich sollen für alle Wertpapierfirmen geltende Regeln zur Corporate Governance und Verantwortung des Managements eingeführt werden.
3. Bemerkungen und Anregungen
3.1 Nach Angaben der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist der Nominalwert aller im Umlauf befindlichen Derivate von 601,046 Billionen US-Dollar im Dezember 2010 auf 707,569 Billionen US-Dollar im Juni 2011 gestiegen (BIS QuarterlyReview, Dezember 2011).
3.2 Mit den vorgeschlagenen neuen Rechtsvorschriften sollen die Effizienz, Integrität und Transparenz der Märkte, insbesondere der kaum geregelten, erhöht und damit der Anlegerschutz gestärkt werden.
3.3 In den letzten zwanzig Jahren ist das Volumen des Finanzhandels weltweit explosionsartig angestiegen und hat riesige Mengen an Liquidität auf die Finanzmärkte gespült. Dieses beispiellose Wachstum, das hauptsächlich durch kurzfristige Spekulationen verursacht wurde, ging nicht mit einem entsprechenden Wachstum der Realwirtschaft, der Beschäftigung und der Löhne und Gehälter einher. Der EWSA hält den Verordnungsvorschlag für notwendig und geeignet, zur Eindämmung dieser Marktauswirkungen beizutragen.
3.4 Die ursprüngliche Funktion der Finanzmärkte besteht darin, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und dabei Informationsasymmetrien abzubauen, wodurch ein effizienter Ressourceneinsatz gefördert wird. Die Krise hat bekanntlich deutlich gemacht, dass die Märkte nicht richtig funktioniert haben, da die Marktteilnehmer sich in ihrem Handeln nicht von Erwägungen der informationsbasierten Wirtschaft leiten ließen und die Finanzmärkte für rein spekulative Ziele auf kurze und kürzeste Sicht benutzten.
3.5 Die europäischen Märkte wurden dabei mit äußerst kurzfristiger Liquidität förmlich überschwemmt, wobei gleichzeitig Anreize fehlten (und immer noch fehlen), anstelle der Finanzwirtschaft die Realwirtschaft zu fördern. Durch dieses Verhalten werden Wirtschaft und Finanzmärkte, die normalerweise zusammenhängen, noch stärker voneinander entkoppelt, wobei immer undurchschaubare, abstraktere und komplexere Instrumente kreiert werden.
3.6 Spekulation ist Teil der Marktlogik und marktinhärent. Sie gewährleistet Liquidität und zeigt Störungen auf. Spekulationsgeschäfte auf kürzeste Sicht dagegen bringen keinen wirtschaftlichen oder sozialen Nutzen und tragen entscheidend zur Bildung von Finanzblasen bei. Die derzeitige Tendenz muss dringend umgekehrt werden, indem die Investitionen der Anleger wieder auf das Wachstum der Realwirtschaft gelenkt werden.
3.7 Vor diesem Hintergrund bietet der Vorschlag für eine Verordnung sicherlich geeignete Maßnahmen und Instrumente, um den offensichtlichen Schwächen und Unausgewogenheiten des Systems zu begegnen.
3.8 Der neue Rechtsrahmen für die Systeme des organisierten Handels schreibt für alle Handelstätigkeiten konkretere Regeln für ihre Funktionsweise vor. Für die Portfolioverwaltung, die Anlageberatung und das Anbieten von Finanzprodukten werden strenge Vorschriften eingeführt. Mit den neuen Bestimmungen werden neue Pflichten zur Verantwortung des Managements eingeführt und die Regeln zur Corporate Governance überarbeitet, was die Finanzhändler zu einer erheblichen Neuorganisation ihrer Unternehmensstruktur zwingen wird. Nach Ansicht des EWSA sind die durch die neuen Rechtsvorschriften eingeführten Pflichten zwar aufwändig, aber im Hinblick auf die Ziele der Verordnung durchaus angebracht und konsequent.
3.9 Mit dem Vorschlag für eine Verordnung wird eine neue Form von Handelsplätzen eingeführt, nämlich die "organisierten Handelssysteme" (OTF). Der EWSA befürwortet diese Bestimmung, da sie die Integration der unterschiedlichen Handelssysteme, die von den verschiedenen Gegenparteien verwendet werden, ermöglicht. Dieses System wird dem Markt insgesamt helfen, die Möglichkeiten zu vergleichen, die der Einsatz unterschiedlicher, in Konkurrenz zueinander stehender Instrumente bietet, wobei letztere auch weiterhin die bestmögliche Ausführung (best execution) gewährleisten müssen.
3.10 Die Rechtsvorschrift erstreckt sich zudem auch auf die Zuständigkeiten der Behörden und räumt diesen besondere Befugnisse im Bereich des Verkaufs von Produkten und Dienstleistungen ein, die die Anlegerinteressen sowie die Marktstabilität schwer beeinträchtigen können.
3.11 Überdies kommt der Transparenzgrundsatz nicht nur für die Märkte, sondern auch auf der Ebene der Aufsichtsbehörden zur Anwendung. Die zuständigen Behörden können demnach Transaktionsdaten untereinander austauschen, um die Gefahr von Marktmissbrauch zu bannen. Der EWSA befürwortet ausdrücklich diese Aspekte des Verordnungsvorschlags, da es sich dabei um wichtige Maßnahmen zur Stärkung des Anlegerschutzes handelt.
3.12 Nach Ansicht maßgeblicher Marktteilnehmer "hat die neue Regulierung grundsätzliche Bedeutung und wird die Struktur der europäischen Finanzmärkte verändern". So gilt es zum Beispiel ein inhärentes systemisches Risiko zu berücksichtigen, das in der jüngsten Finanzkrise zu Tage getreten ist. Eine Bankeninsolvenz kann die Erfüllung der im Zusammenhang mit OTC-Transaktionen eingegangenen Verpflichtungen gefährden und damit auf die jeweiligen Gegenparteien, auf andere Institute überspringen. Die neue Regulierung verringert das Gegenparteirisiko auf dem OTC-Markt. Die vorgeschlagene Verordnung wird eine erhebliche Verminderung der OTC-Transaktionen herbeiführen.
3.13 Ein weiteres Ziel der neuen Verordnung, dem der EWSA nur zustimmen kann, ist die Zusammenführung von Daten über alle OTC-Transaktionen und nicht nur über diejenigen, die über zentrale Clearingstellen abgewickelt werden. Die Daten müssen den Aufsichtsbehörden übermittelt werden, die damit eine wirksame Marktüberwachung gewährleisten können. Eine solche ist nämlich derzeit mangels Daten nicht möglich. Im Hinblick auf diese Aspekte wird in der Verordnung jedoch eine offene, vorab nicht festgelegte Struktur vorgeschlagen. So soll erst in späteren Entscheidungen der Betreiber oder der ESMA festgelegt werden, welche Kategorien von Derivaten über ein zentrales Clearing abgewickelt werden müssen. Aus diesem Grund kann bislang nicht konkret abgeschätzt werden, welcher Anteil des derzeitigen Handels in Zukunft auf diesem Weg abgewickelt wird.
3.14 Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass die vorgeschlagene EU-Verordnung keinerlei Hinweis auf die Marktstruktur der künftigen zentralen Gegenparteien enthält. Daher können entweder die derzeit bestehenden Strukturen (z.B. die Cassa di compensazione e garanzia der italienischen Börse) ausgebaut oder einige wenige europaweit tätige große Clearingstellen neu geschaffen werden. Das sind dann jedoch nur Vermutungen, die Verordnung selbst sagt nichts darüber aus. Neben der Entscheidung für eine konkrete Struktur müssen jedoch noch weitere Fragen von grundlegender Bedeutung herausgestellt werden: Wie erfolgt das Risikomanagement und wie effizient sind die Überwachungsinstrumente im Hinblick auf die Vermeidung weiterer verheerender Insolvenzen.
3.15 Darüber hinaus dürfte die Vereinheitlichung des Handels durch die vorgeschriebene Abwicklung über zentrale Gegenparteien die Kosten verringern. Der Konzentrationsprozess könnte durchaus solche Auswirkungen haben, wobei hierüber keine Gewissheit besteht. Die neuen Vorschriften ermöglichen, sofern sie richtig umgesetzt werden, eine bessere Bemessung der Risiken, die in der jüngeren Vergangenheit von den Kreditmaklern häufig unterbewertet wurden, um die Umsätze und kurzfristigen Profite zu maximieren.
4. Einige Schwachstellen
4.1 Anlass zur Sorge geben die Kosten für die Umsetzung der vorgeschlagenen Verordnung, die offenbar unterbewertet wurden und zu einem Zeitpunkt anfallen, zu dem die Finanzinstitute bereits hohe gesetzliche Anforderungen hinsichtlich ihrer Rentabilität und Kosten erfüllen müssen und daher unter Druck stehen. Die Finanzinstitute müssen effizient und zur Förderung der Wirtschaft arbeiten, aber auch angemessene Renditen erwirtschaften, weshalb befürchtet wird, dass diese Kosten lediglich an die Anleger und Kunden weitergegeben werden. Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass die Nutzer und Unternehmen, insbesondere die KMU, davor geschützt werden sollten.
4.2 Nach Schätzungen der Kommission werden die einmaligen Befolgungskosten 512 bis 732 Mio. EUR und die laufenden Kosten 312 bis 586 Mio. EUR betragen. Diese Kosten scheinen zu niedrig angesetzt. So sind die operativen Kosten für die Einrichtung der technischen Infrastruktur zur Erfüllung allein der Anforderungen hinsichtlich der Meldung von Daten mit einem Fragezeichen zu versehen; diese Kosten allein könnten bereits die genannte Gesamtkostensumme überschreiten. Die Kommission hat nun endlich die vom EWSA seit längerem geforderte und gewünschte Untersuchung eingeleitet, die für ein Verständnis der zeitlichen und finanziellen Gesamtauswirkungen der Regulierungsmaßnahmen erforderlich ist, wobei sich der Ausschuss für deren baldige Veröffentlichung ausspricht.
4.3 Werden den Finanzinstituten im Zuge der weltweiten rechtlichen Änderungen weiter Kosten und immer komplexere Anforderungen auferlegt, werden sie ernsthaft erwägen, welche Geschäftsbereiche sie aufgeben oder in andere Rechtsgebiete verlagern müssen.
4.4 Dem Grundsatz der Risikoverminderung durch mehr Transparenz werden viele zustimmen, doch es gilt, besser zu begreifen, welche Gesamtauswirkungen die Rechtsvorschriften auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf dem weltweiten Markt für Finanzdienstleistungen haben werden.
4.5 Auch stellt sich die Frage, wer denn nun von den neuen rechtlichen Maßnahmen im Hinblick auf mehr Transparenz unmittelbar und tatsächlich profitiert. Die bessere Informationslage kommt nämlich sicherlich den Investmentbanken und den Hedgefunds zugute, gilt das aber auch für das Geschäftsbankensegment?
4.6 Der Ausschuss wirft die Frage auf, ob die sehr zwingenden Vorschriften zu den sogenannten "Dark Pools" nicht auch die Fähigkeit der Verwaltungsgesellschaften für Spareinlagen beeinträchtigt, optimale Geschäfte im Interesse ihrer Kunden (letztendlich der Sparer) zu tätigen.
4.7 Ein Ziel der vorgeschlagenen Verordnung besteht darin, die Finanzmärkte zu vereinheitlichen, zu harmonisieren und zusammenzuführen. Kleinanleger kennen sich häufig kaum mit den Finanzinstrumenten aus, die ihnen in ihrem Referenzmarkt zur Verfügung stehen. Deshalb unterstützt der Ausschuss zwar einerseits die angestrebte Konsolidierung der verschiedenen Handelsplattformen, empfiehlt der Kommission aber zugleich, möglichst bald Programme für die Vermittlung von Finanzwissen zu fördern. Ohne ein angemessenes Wissen und Bewusstsein bei den Anlegern könnten die erwarteten Auswirkungen des eingeleiteten Harmonisierungsprozesses nämlich ausbleiben.
4.8 Zu den wichtigsten Konsequenzen der neuen Regelung zählt auch die Ausweitung der Kategorien von Anlageinstrumenten, für die die Bestimmungen gelten: neben Aktien sollen zugleich auch alle anderen Finanzinstrumente unter die Verordnung fallen. Der von der vorgeschlagenen Verordnung ausgehende Impuls hin zu einem wettbewerbsorientierten Handel auf der Grundlage des Clearings börsengehandelter Derivate wird sich, so er weiter verfolgt wird, sehr nachhaltig auf die Struktur des Marktes auswirken. Rasche Fortschritte in dieser Richtung werden höchstwahrscheinlich zuerst bei den Rentenmärkten erzielt, von denen einige bereits auf mehreren elektronischen Plattformen arbeiten.
4.9 In der vorgeschlagenen Verordnung ist in Artikel 40 eine lange Liste delegierter Rechtsakte enthalten, zu denen die Kommission befugt wird. Inhaltlich erstrecken sich diese Rechtsakte auf einen eher großen Bereich (u.a. Festsetzung der Geld-Brief-Kurse, Art und Ausmaß der Aufträge, Inhalt der Daten, die geregelte Märkte und Wertpapierfirmen für jede Kategorie der betreffenden Finanzinstrumente veröffentlichen müssen usw. usf.). Der Ausschuss wirft die Frage auf, inwieweit Artikel 40 der Verordnung mit Artikel 290 AEUV in der im Lissabon-Vertrag enthaltenen geänderten Fassung vereinbar ist. Laut Vertrag kann nämlich "in Gesetzgebungsakten […] der Kommission die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen". Ausgehend von der Prüfung der Inhalte, die in der vorgeschlagenen Verordnung für delegierte Rechtsakte vorgesehen sind, schätzt der Ausschuss ein, dass es sich dabei durchaus um wesentliche und nicht um zweitrangige Vorschriften handelt. Deshalb ist er der Auffassung, dass die in Artikel 40 der Verordnung enthaltene Liste delegierter Rechtsakte zu umfangreich und nicht mit dem AEUV vereinbar ist.
Brüssel, den 22. Februar 2012
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 44.
(2) ABl. C 318 vom 29.10.2011, S.24.
(3) ABl. C 107 vom 6.4.2011, S.21.