19.9.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 271/97


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Einreise-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union —

COM(2013) 95 final — 2013/0057 (COD);

Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 in Bezug auf die Nutzung des Einreise-/Ausreisesystems (EES) und des Programms für registrierte Reisende (RTP) —

COM(2013) 96 final — 2013/0060 (COD);

Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Registrierungsprogramm für Reisende —

COM(2013) 97 final — 2013/0059 (COD)

2013/C 271/18

Hauptberichterstatter: Cristian PÎRVULESCU

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 14. März und 16. April 2013 bzw. am 27. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Einreise-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union

COM(2013) 95 final - 2013/0057 (COD)

Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 in Bezug auf die Nutzung des Einreise-/Ausreisesystems (EES) und des Programms für registrierte Reisende (RTP)

COM(2013) 96 final - 2013/0060 (COD)

Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Registrierungsprogramm für Reisende

COM(2013) 97 final - 2013/0059 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft am 19. März 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai), Cristian PÎRVULESCU zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 125 gegen 4 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der Legislativvorschlag ist Teil des Pakets „Nächste Generation der Grenzkontrollen“, das als strategische Initiative im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2012 enthalten ist. Laut Kommission wird mit diesem Paket auf zwei große und miteinander verbundene Herausforderungen reagiert: die effiziente Überwachung der Reiseströme und der Bewegungen von Drittstaatangehörigen über die Außengrenzen des Schengen-Raums als Ganzem und die Sicherstellung, dass die zunehmende Zahl der regelmäßig Reisenden, die ja die große Mehrheit aller Reisenden ausmachen, rasch und ohne Komplikationen einreisen kann.

1.2

In ihrer Mitteilung mit dem Titel „Vorbereitung der nächsten Schritte für die Grenzverwaltung in der Europäischen Union“ vom 13. Februar 2008 schlug die Kommission die Schaffung eines Einreise-/Ausreisesystem (EES) vor.

1.3

Der Vorschlag wurde in das Stockholmer Programm aufgenommen, auf das sich der Rat im Dezember 2009 einigte und in dem auf den potenziellen Nutzen eines Einreise-/Ausreisesystems für den wirksamen Datenaustausch unter den Mitgliedstaaten unter Beachtung der Datenschutzanforderungen hingewiesen wurde.

1.4

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 23./24. Juni 2011 wurde für eine Beschleunigung der Arbeiten zu „intelligenten Grenzen“ plädiert. Daraufhin nahm die Kommission am 25. Oktober 2011 eine neue Mitteilung zu den verschiedenen Optionen und den nächsten Schritten an.

1.5

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss in einer Reihe von Stellungnahmen, die für die Umsetzung der beiden komplementären Systeme von Belang sind (1), den Mehrwert des Engagements und der Instrumente der EU zur Bewältigung der Herausforderungen einer zunehmenden grenzüberschreitenden Mobilität unterstrichen. Bei der Gewährleistung der Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten kommt der EU eine wesentliche Rolle und Verantwortung zu. Angesichts der jüngsten Herausforderungen in Bezug auf Mobilität und Migration hat sich der EWSA für die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Wirksamkeit eingesetzt. Ebenso hat er die zentrale Bedeutung der Gewährleistung der Grundrechte bei der Konzipierung und Umsetzung von Maßnahmen und Programmen hervorgehoben.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Angesichts der erwarteten Zunahme der Mobilität über die EU-Außengrenzen hinweg muss beschleunigt auf die Schaffung verlässlicher und wirksamer Systeme zur Grenzverwaltung und -kontrolle hingearbeitet werden.

2.2

Der EWSA begrüßt den Ansatz, der dem Paket „Intelligente Grenzen“ zugrunde liegt, mit dem ein Gleichgewicht zwischen der nötigen Förderung von Mobilität und dem in den letzten Jahren EU-weit anscheinend gewachsenen Sicherheitsbedürfnis hergestellt werden soll.

2.3

Der EWSA erkennt den Mehrwert eines Engagements, einer Verwaltung und von Investitionen auf der Ebene der EU an und hofft, dass die Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen koordinieren werden, um eine erfolgreiche Umsetzung der vorgesehenen Programme sicherzustellen.

2.4

Der EWSA möchte betonen, dass die Identität der Europäischen Union explizit und implizit mit Offenheit und Vernetzung nicht nur innerhalb ihrer Grenzen, sondern auch über die Grenzen hinweg in Zusammenhang gebracht wird. Die EU ist ein lebendiger kultureller, sozialer, politischer und wirtschaftlicher Raum, und grenzüberschreitende Mobilität leistet einen Beitrag, um die Bedeutung Europas in der Welt zu bewahren. Vor diesem Hintergrund sollten die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die neuen Systeme die Mobilität von Drittstaatsangehörigen und deren Bereitschaft zu Reisen in die EU nicht beeinträchtigen.

2.5

Desgleichen sollte der öffentlichen Wahrnehmung der beiden Systeme und ihrer Funktionsweise viel Aufmerksamkeit gewidmet und Drittstaatsangehörige angemessen über die Bestimmungen informiert werden. Die EU und die Mitgliedstaaten sollten Kontakt zu den Behörden in Drittstaaten aufnehmen, um sicherzustellen, dass Reisewillige Zugang zu Informationen und Unterstützung insbesondere bezüglich ihrer Rechte haben. Angemessene Mittel für Kommunikation müssen Teil des Pakets sein.

2.6

Der EWSA fordert alle relevanten Akteure und Institutionen auf, bei der Weiterentwicklung und Umsetzung der beiden Systeme die Grundrechte zu berücksichtigen. Trotz ihrer eher technischen Natur haben die beiden Systeme erhebliche Folgen für die Grundrechte und –freiheiten des Einzelnen bzw. aller Drittstaatsangehörigen, die in die EU einreisen. Der EWSA begrüßt, dass die Fragen des Schutzes personenbezogener Daten und der Privatsphäre berücksichtigt werden, und hofft, dass dem Schutz aller relevanten Grundrechte die nötige Aufmerksamkeit gewidmet und die Einhaltung sorgfältig überwacht wird.

2.7

Der EWSA lenkt die Aufmerksamkeit auf die erheblichen Unterschiede bei den institutionellen Rahmen und Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, von denen einige ihre eigenen Versionen der beiden Systeme umsetzen. Eine Änderung in einer solchen Größenordnung, an der eine erhebliche Zahl von Organen und Personen beteiligt sind, stellt eine Herausforderung, wenn nicht gar ein Risiko dar. Die beteiligten Organe sollten darauf achten, dass die Umstellung die Reisenden in keiner Weise beeinträchtigt.

2.8

Angesichts der bisherigen Erfahrungen möchte der EWSA auf das Problem der Kosten und ihrer Schätzung aufmerksam machen. Solche Systeme sind sehr kostenintensiv, weshalb sichergestellt werden muss, dass die entsprechenden Ausgaben verhältnismäßig und wirksam sind. Des Weiteren sollten die ersten Schätzungen so genau wie möglich sein.

2.9

Der EWSA möchte zu weiteren Überlegungen hinsichtlich der Differenzierung der Reisenden anregen, die einen Schwerpunkt des Programms „Intelligente Grenzen“ bildet. Eine solche Differenzierung könnte in der Praxis fast einer Diskriminierung gleichkommen. Der Zugang zum Programm für registrierte Reisende (RTP) wird von Status, Einkommen, Sprachkenntnissen und Bildung abhängen. Diese Gefahr kann gemindert werden, wenn die zuständigen Behörden eine offene Haltung gegenüber den Arten akzeptabler Tätigkeiten und Zugehörigkeiten Reisewilliger einnehmen.

2.10

Der EWSA nimmt den Mangel an relevanten und spezifischen Daten zur Mobilität zur Kenntnis. Neben dem Mangel an genauen Zahlen zu Reisenden, die nach der Einreise für einen Kurzaufenthalt auch nach Ablauf der zulässigen Aufenthaltsdauer in der EU bleiben („Overstayers“), fehlen qualitative Angaben, die für das Verständnis dieses Phänomens hilfreich sein könnten. Im Rahmen der Maßnahmen sollte man sich nicht nur auf die quantitativen Angaben verlassen, die gesammelt werden, wenn die Systeme einmal vorhanden sind. Es werden mehr Ressourcen benötigt, um den Nutzen und den Missbrauch des derzeitigen Systems zu untersuchen.

2.11

Der EWSA ruft die EU und die Mitgliedstaaten dazu auf, sorgfältig auf die Ausbildung der Mitarbeiter zu achten, die bei ihrer Arbeit in unmittelbaren Kontakt mit den Reisenden treten, insbesondere Konsularbedienstete und Grenzbeamte. Diese sollten sehr gut ausgebildet und fähig sein, die Reisenden beim Durchlaufen von Verfahren zu begleiten, die technisch herausfordernd sind und psychisch belastend sein können.

2.12

Der EWSA sieht zwar die Vorteile der Erhebung biometrischer Daten, verweist jedoch auf die Folgen, die das Abnehmen von Fingerabdrücken für regelmäßig und gelegentlich Reisende hat. Die psychologischen Auswirkungen lassen die Reisebereitschaft sinken und sind generell schädlich für die Beziehung des Einzelnen zum Gastgeberland. Außerdem wird das Abnehmen von Fingerabdrücken traditionell mit kriminellen Aktivitäten und mit Polizeiarbeit in Verbindung gebracht. Der EWSA plädiert für weitere Überlegungen bezüglich der Erhebung biometrischer Daten als Teil der beiden Programme und der Frage, wie die negativen Folgen begrenzt werden können.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass für die Wirksamkeit des Rechts auf Auskunft gesorgt werden sollte, insbesondere wo es um die Verwendung persönlicher Daten geht. Drittstaatsangehörige müssen über ihre Rechte informiert werden. In bestimmten Situationen können Sprachbarrieren dazu beitragen, die wirksame Wahrnehmung dieses Rechts zu behindern. Bestehenden und künftigen Datenbanken im Bereich Justiz und Inneres sollte standardmäßig der Ansatz der Nichtdiskriminierung zugrunde liegen, eng verbunden mit der Gewährleistung, dass Grundsätze des Datenschutzes (Recht auf Auskunft, wirksame Abhilfemaßnahmen und die individuelle Zustimmung zur Verarbeitung der Daten) gegenüber Drittstaatsangehörigen eingehalten werden, wobei besondere Aufmerksamkeit den Kategorien von Drittstaatsangehörigen gelten muss, die hinsichtlich der Datenerhebung schutzbedürftig sind.

3.2

Der EWSA ist der Meinung, dass man sich ein genaueres Bild von den Datenbanken und Informationssystemen im Bereich Justiz und Inneres machen muss. Die Europäische Kommission sollte regelmäßig – möglichst jährlich – einen konsolidierten Monitoringbericht über die Aktivitäten aller Systeme vorlegen, mit denen im Bereich Justiz und Inneres Daten- und Informationsaustausch betrieben wird; hierin sollte angegeben werden, welche Art von Information zu welchem Zweck ausgetauscht wird.

3.3

Die EU sollte die nationalen Regierungen dazu anhalten, die Organe angemessen auszustatten, denen die Zuständigkeit für die Überwachung und die Aufsicht über das Einreise-/Ausreisesystem übertragen werden soll.

3.4

Der EWSA begrüßt die schrittweise Verschiebung bei dem Programm für registrierte Reisende (RTP) vom länderbasierten Ansatz hin zum personenbezogenen Ansatz. Er empfiehlt, dass ein Gespräch mit dem Antragsteller die Regel sein sollte, insbesondere in Situationen, in denen es einer weiteren Klärung bedarf. Der EWSA lenkt die Aufmerksamkeit auch auf die Logik, die hinter der Profilerstellung (automatisierte Entscheidungen) und der Datendurchsuchung in Bezug auf Datenbanken von Justiz und Inneres und Intelligente Grenzen steht, und hält die mögliche Nutzung von Kriterien wie Rasse, ethnische Zugehörigkeit oder andere sensible Bereiche als Grundlage für statistische „Dataveillance“ (den systematischen Einsatz von Personendatensystemen bei der Überwachung von Personen) für schwer vereinbar mit den Grundsätzen des Diskriminierungsverbots, dem Sekundärrecht und den Verpflichtungen, die aus den Grundrechten erwachsen.

3.5

Der EWSA plädiert für eine weiter gefasste Definition von Vielreisenden, die jegliche kulturelle, wirtschaftliche und soziale Aktivität abdeckt. Er ruft die Mitgliedstaaten auf, die ganze Vielfalt des sozialen Lebens zu berücksichtigen. Eine Vorzugsbehandlung irgendeiner gesellschaftlich-beruflichen Kategorie sollte vermieden werden.

3.6

Drittstaatsangehörige können bei einem Konsulat, gemeinsamen Antragsbearbeitungsstellen oder an jeder Außengrenzübergangsstelle einen Antrag auf Aufnahme in das RTP stellen. Dies ist für den Antragsteller hilfreich, stellt jedoch auch eine verwaltungstechnische Herausforderung dar. Alle beteiligten Mitarbeiter sollten über die Funktionsweise des Systems informiert und diesbezüglich gut ausgebildet werden.

3.7

Nach Ansicht des EWSA könnte der Nachweis einer Kostenübernahme und/oder einer privaten Unterkunft ein Hindernis darstellen. Wird dieses Verfahren aufrechterhalten, so sollte hierfür wenigstens EU-weit ein Mindeststandard gelten. Auf diese Weise wird der Nachweis von den Mitgliedstaaten nicht zur Abschreckung eingesetzt.

3.8

Grundsätzlich sollte das Ausstellen der Belege, die für das Ausfüllen des Antrags auf Aufnahme in das RTP benötigt werden, keine unnötigen und übermäßigen Kosten für den Antragsteller und die beteiligten Organisationen mit sich bringen. Die Kosten, die auf die einzelnen Antragsteller und die sie unterstützenden Organisationen zukommen, sollten im Rahmen der Zwischenbewertung berechnet werden.

3.9

In Bezug auf den Zeitraum, innerhalb dessen die entsprechenden Behörden eine Entscheidung treffen müssen, empfiehlt der EWSA, eine Höchstdauer von 25 Tagen festzulegen, ruft die Behörden jedoch auf, ihre Entscheidung so schnell wie möglich zu treffen.

3.10

Die Kriterien für die Ablehnung eines RTP-Antrags sollten präzisiert werden. Es ist nicht klar, auf welcher Grundlage das Niveau der Bedrohung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit bestimmt wird. Dies ebnet den Weg für willkürliche Entscheidungen. Diese Bewertung wird von Tausenden von Individuen vorgenommen, deren Hintergrund, Ausbildung und Informationsstand über den Reisenden, seine Aktivitäten und sein Heimatland sehr unterschiedlich ist. Außerdem ist es fragwürdig, die Gefahr für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats als Grund für eine Ablehnung zu nennen.

3.11

Sehr wichtig ist, dass abgelehnte Antragsteller (Antrag unzulässig/abgelehnt) einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einlegen können. Der EWSA ermutigt die Kommission und die Mitgliedstaaten, denjenigen, die ihr Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs wahrnehmen wollen, Unterstützung zu gewähren.

Brüssel, den 22. Mai 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 37–40), ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 29–35), ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80–88), ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 162–166), ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 74–80), ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 108–114).


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