28.10.2020 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 364/160 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Umsetzung von Freihandelsabkommen 1. Januar 2018-31. Dezember 2018“
(COM(2019) 455 final)
(2020/C 364/23)
Berichterstatterin:
Tanja BUZEKMitberichterstatter:
Alberto MAZZOLA
Befassung |
Kommission, 19.12.2019 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 32 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Außenbeziehungen |
Annahme in der Fachgruppe |
16.6.2020 |
Verabschiedung auf der Plenartagung |
16.7.2020 |
Plenartagung Nr. |
553 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
203/0/7 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
COVID-19 hat tiefgreifende und beispiellose Auswirkungen auf unsere globalisierte Welt und ihre Bevölkerung sowie auf Handel und Investitionen. Nach Schätzungen der Welthandelsorganisation (WTO) wird der Welthandel 2020 um 13 % bis 32 % einbrechen (1). Wenn es darum geht, nach der Krise eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung zu fördern und den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihre gestörten Wertschöpfungsketten wiederaufzubauen und neu zu organisieren, kommt dem Handel als zentrale Kraft für Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und nachhaltige Entwicklung eine Schlüsselrolle zu. Europa braucht dringend ein starkes, soziales, nachhaltiges und inklusives EU-Konjunkturprogramm, das Unternehmen und Menschen darin unterstützt, diese Krise zu überwinden und akzeptable Arbeitsplätze zu sichern, auch durch Stimulierung des internationalen Handels. Dieser Plan sollte über Eurobonds oder andere gemeinsame europäische langfristige Anleihen finanziert werden. |
1.2. |
Die aktuelle Krise macht deutlich, wie wichtig die globale Zusammenarbeit und die Reform der WTO sind, damit ihre Stärke und Handlungsfähigkeit gewährleistet bleiben und sie gegen Protektionismus und Unilateralismus vorgehen kann. Es ist an der Zeit, dass die WTO ihrer Rolle gerecht wird und aktiv für die Kernarbeitsnormen und das Übereinkommen von Paris eintritt (2). |
1.3. |
Bei der angekündigten baldigen Überprüfung der EU-Handelsstrategie müssen wichtige Lehren aus der aktuellen Krise gezogen werden. Die EU ist kein Selbstversorger und braucht den Zugang zu den internationalen Märkten. Die globalen Lieferketten müssen widerstandsfähiger, diversifizierter und verantwortungsvoller werden. Stärkere Instrumente müssen dazu dienen, eine nachhaltige Handels- und Investitionsagenda in all ihren Facetten zu verwirklichen. Sie muss mit dem Grünen Deal in Einklang stehen und mit Blick auf die wirksame Umsetzung und Durchsetzung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen genauso ambitioniert sein. Die Empfehlungen, die der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) in der jüngsten Vergangenheit in einer Reihe aktueller Schlüsselstellungnahmen zum EU-Handel ausgesprochen hat (3), sollten in diese Überprüfung einfließen. Die neue EU-Handelsstrategie sollte alte Handelsmodelle hinter sich lassen und ein neues Modell entwickeln, das wirtschaftlich widerstandsfähig, umweltfreundlicher, sozial nachhaltig und verantwortungsvoll ist. |
1.4. |
Die Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung für die Umsetzung der EU-Handelspolitik. Sie kann dabei helfen, ihre Vorteile zu vermitteln, und ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, Bedenken anzumelden und Mängel aufzuzeigen. Daher bedauert der EWSA insbesondere, dass im Umsetzungsbericht so gut wie gar nicht auf die Arbeit und die Aussagen der Internen Beratungsgruppen (DAG) eingegangen wird. Die Arbeitsprogramme der Internen Beratungsgruppen und die gemeinsamen Erklärungen mit den Internen Beratungsgruppen in den Partnerländern sollten in künftigen Berichten als Beitrag eine stärkere Berücksichtigung finden. |
1.5. |
In künftigen Abkommen wird sich die Beobachtung durch die Internen Beratungsgruppen auf das gesamte Abkommen erstrecken, wobei den Auswirkungen auf den Handel und die nachhaltige Entwicklung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Die Empfehlungen der Internen Beratungsgruppen müssen insbesondere — aber längst nicht nur — bei der Untersuchung von Verstößen gegen Handel und nachhaltige Entwicklung mehr Gewicht bekommen. Die Expertengruppe mit den Mitgliedstaaten zum Thema Handel und nachhaltige Entwicklung, der neue leitende Handelsbeauftragte und die entsprechenden Organe der EU sollten anschließend in einen strukturierten Austausch mit den Internen Beratungsgruppen treten; gemeinsame Sitzungen verschiedener Interner Beratungsgruppen sollten Teil der Verhandlungen über Abkommen sein. |
1.6. |
Freihandelsabkommen bieten Unternehmen einen Rahmen, langfristige Beziehungen zu neuen Kunden und Lieferanten aufzubauen, Chancen in neuen Ländern zu nutzen und lokale Kapazitäten entsprechend ihrem Bedarf aufzubauen. Die Grundlage dafür sind eine ehrgeizige bi- und multilaterale Handelsagenda, in der die genannten Lehren berücksichtigt werden, sowie die vollständige Umsetzung der bestehenden Freihandelsabkommen der EU. |
1.7. |
Der jährliche Bericht über die Umsetzung der Freihandelsabkommen gibt einen umfassenden und deutlichen Überblick über das Handelsnetz der EU. Die Fortschritte und Errungenschaften der einzelnen Freihandelsabkommen werden bewertet, und es wird auf Mängel bei der Umsetzung hingewiesen. Das Informationspotenzial muss jedoch ausgebaut und besser mit früheren Berichten und dem gesamten Lebenszyklus der Politik zur Bewertung des Handels verknüpft werden. Nachhaltigkeitsprüfungen sollten insbesondere als Informationsquellen genutzt werden. Künftig sollte die Europäische Kommission bei der Ausarbeitung dieser Berichte vor allem die Zivilgesellschaft konsultieren. |
1.8. |
Die größte Herausforderung scheint in der Feststellung und Aufschlüsselung von Daten zu bestehen. Die nationalen Daten sollten in künftigen Berichten kohärenter genutzt und die unterschiedlichen Gegebenheiten nach den einzelnen Mitgliedstaaten oder Regionen der EU aufgeschlüsselt werden; gegebenenfalls sollte in eine aktive Datenerhebung investiert werden. Die Festlegung von Kriterien macht Vergleiche leichter nachvollziehbar. Das Bild sollte durch die Nutzung weiterer Quellen wie der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) (zu Verstößen gegen Arbeitnehmerrechte) ergänzt werden. |
1.9. |
In künftigen Berichten sollte systematischer auf den Handel mit Dienstleistungen und dessen Entwicklung eingegangen werden. Es werden mehr granulare Daten nach Branche und Art der Erbringung der Dienstleistung benötigt, um zu bewerten, inwieweit Unternehmen jeder Größe die Möglichkeiten von Freihandelsabkommen der EU nutzen. Zur Unterstützung von Dienstleistungsexporteuren sollte die überarbeitete Marktzugangsdatenbank Dienstleistungen in kohärenter Weise berücksichtigen und durch einen EU-Leitfaden für europäische Dienstleistungsexporteure und Investoren ergänzt werden. |
1.10. |
Um allen Interessenträgern einen Mehrwert zu bieten, sollte im jährlichen Bericht bestimmten Bereichen und Gruppen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Den Verbrauchern müssten die konkreten Vorteile, die eine Vergrößerung der Handelsströme bewirken kann, vor Augen geführt werden. Der Zusammenhang zwischen den ehrgeizigen Verhandlungszielen für die Verbraucher und ihrer späteren Umsetzung muss in den Daten deutlicher herausgestellt werden. |
1.11. |
Die Präferenznutzungsrate ist ein wichtiger Indikator für die Umsetzung von Freihandelsabkommen. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Präferenznutzungsrate für Exporte der EU in Partnerländer im Allgemeinen niedriger ist als für Importe in die EU. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten müssen sich gemeinsam dafür einsetzen, die Nutzung von Handelspräferenzen zu verbessern und das Bewusstsein für Handelsvorteile, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), zu schärfen. In Zusammenarbeit mit der Wirtschaft der EU sollten sie die Freihandelsabkommen in der jeweiligen Landessprache bekanntmachen und nationale Aktionspläne für die Umsetzung jedes Freihandelsabkommens ausarbeiten. Bei der Öffentlichkeitsarbeit müssen auch die Importeure in den Partnerländern berücksichtigt werden. |
1.12. |
Transparenz ist ein entscheidender Punkt zur Verbesserung des Zugangs europäischer Unternehmen zum Markt für öffentliche Aufträge in den Partnerländern der Freihandelsabkommen. Die Veröffentlichung von Ausschreibungen von Drittländern in einem speziellen Abschnitt der Datenbank „TED — Tenders Electronic Daily“ der EU würde es europäischen Unternehmen aller Größen erheblich erleichtern, Nutzen aus dem Kapitel über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu ziehen. Darüber hinaus sollte die EU im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge bewährte Verfahren für die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Kriterien fördern. |
1.13. |
Mit Blick auf EU-Exporte von Agrarerzeugnissen bieten Freihandelsabkommen ein enormes Potenzial; gleichzeitig verbessern geografische Angaben die Wettbewerbsfähigkeit der Agrar- und Lebensmittelerzeuger in der EU sowohl innerhalb als auch außerhalb der Union. Die Umsetzung der Bestimmungen für Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse scheint jedoch hinter den ehrgeizigen Zielen zurückzubleiben. Lebensmittel in guter Qualität sowie eine sichere Versorgung mit diesen Lebensmitteln kann nur gewährleistet werden, wenn die Rückverfolgbarkeit von Produkten und die Durchsetzung des Vorsorgeprinzips sichergestellt sind. Zu einer effizienten Überwachung der Gesundheits- und Pflanzenschutznormen gehören Inspektionen mit angemessenen Ressourcen. |
1.14. |
Selbst Jahre nach Abschluss von Freihandelsabkommen sind in einigen Partnerländern immer noch keine Fortschritte bei der Einhaltung der Verpflichtungen in Bezug auf Handel und nachhaltige Entwicklung zu beobachten. Der EWSA unterstützt uneingeschränkt die rechtlichen Schritte, die in der Streitfrage über die Arbeitnehmerrechte in Korea endlich von der Europäischen Kommission ergriffen werden, hegt aber Zweifel daran, welche Auswirkungen der Panelbericht tatsächlich haben wird, da es in den Kapiteln über Handel und nachhaltige Entwicklung derzeit an verbindlichen Durchsetzungsinstrumenten mangelt. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA mit Blick auf eine effektive Durchsetzbarkeit von Arbeits- und Umweltbestimmungen klare Fortschritte bei der Überarbeitung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) (4). In die Überprüfung sollten die Internen Beratungsgruppen beider Seiten eng einbezogen und konsultiert werden. |
1.15. |
Der EWSA begrüßt nachdrücklich die jüngsten Initiativen der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten zur Intensivierung der Anstrengungen in den Bereichen Handel und Nachhaltigkeit. Mit der Gewährleistung dauerhaft gleicher Wettbewerbsbedingungen und der Anwendung des allgemeinen Kapitels über den Zugang zu Rechtsbehelfen hat die EU in den Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich einen neuen Weg eingeschlagen, was dem besonderen Verhältnis zwischen den beiden Seiten gerecht wird. In der Mitteilung zum Grünen Deal wird die Forderung erhoben, dass das Übereinkommen von Paris ein wesentlicher Bestandteil aller künftigen umfassenden Handelsabkommen sein sollte. Dies ist ein positiver Schritt, der auf die von allen EU-Mitgliedstaaten ratifizierten Kernübereinkommen der IAO in ihrer aktualisierten Fassung ausgeweitet werden sollte. Als renommiertes Gremium auf internationaler Ebene sollte die IAO in die Überwachung der Umsetzung der IAO-Übereinkommen in Freihandelsabkommen einbezogen werden. Mit Erwartung sieht der EWSA einer neuen Debatte zwischen den Mitgliedstaaten über die Frage entgegen, wie die Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung gestärkt werden können, damit sie ihre rechtsverbindliche Wirkung in vollem Umfang entfalten können (5). Der gleiche hohe Stellenwert bei der Um- und Durchsetzung kommt im Rahmen dieser Debatte den Umwelt- und Arbeitsnormen zu. |
2. Hintergrund
2.1. |
In ihrer Mitteilung „Handel für alle“ aus dem Jahr 2015 hat sich die Europäische Kommission verpflichtet, jedes Jahr einen Bericht über die Umsetzung der wichtigsten Handelsabkommen der EU vorzulegen. Es handelt sich um den dritten Bericht dieser Art, und es ist das erste Mal, dass der EWSA Empfehlungen dazu ausgesprochen hat. |
2.2. |
Freihandelsabkommen machen einen wachsenden Anteil am Handel der EU aus. 2018 wurden 31 % des Warenhandels der EU mit der übrigen Welt im Rahmen von Präferenzhandelsabkommen abgewickelt. Dieser Anteil dürfte unter Berücksichtigung der seither geschlossenen Handelsabkommen auf über 40 % steigen. |
2.3. |
Mit 44 Präferenzhandelsabkommen für 76 Länder hat die EU derzeit das größte Handelsnetz der Welt. Der jährliche Durchführungsbericht deckt verschiedene Arten von Handelsabkommen der EU ab:
|
2.4. |
Seit 2015 hat die EU Ex-post-Bewertungen ihrer Handelsabkommen mit Mexiko, Chile und Südkorea abgeschlossen. Derzeit werden Ex-post-Bewertungen der Abkommen mit den CARIFORUM-Staaten und mit sechs Mittelmeerländern sowie der Abkommen zwischen der EU und der Republik Moldau, der EU und Georgien, der EU und Kolumbien, Ecuador und Peru sowie des Abkommens mit Zentralamerika durchgeführt. |
2.5. |
Der Bericht 2019 enthält eine Bestandsaufnahme der Umsetzung von 35 wichtigen Handelsabkommen mit 62 Partnerländern, einschließlich des ersten vollständigen Jahres des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA). Außerdem enthält er eine Beschreibung der Vorarbeiten zum Inkrafttreten des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens EU-Japan und spezielle Kapitel über KMU, Dienstleistungen und den Handel mit Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen. |
2.6. |
In dem Bericht sollen die Auswirkungen der Bestimmungen in den speziellen Kapiteln über Handel und nachhaltige Entwicklung untersucht werden, die Bestandteil aller EU-Handelsabkommen der neuen Generation sind. Außerdem soll über die im Rahmen von Handelsabkommen der EU ergriffenen rechtlichen Durchsetzungsmaßnahmen berichtet werden. Der Bericht wird durch eine umfassende Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen mit detaillierten Informationen zu jedem einzelnen Abkommen ergänzt. |
3. Die COVID-19-Pandemie und der globale und europäische Handel
3.1. |
COVID-19 wird tiefgreifende und beispiellose Auswirkungen auf unsere globalisierte Handelswelt haben. Bisher wird es nach Schätzungen der Europäischen Kommission im Jahr 2020 im Welthandel zu einem Rekordrückgang um 9,7 %, bei Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen aus der EU-27 zu einem möglichen Rückgang um 9,2 % und bei Einfuhren aus Drittländern in die EU-27 zu einem Rückgang um 8,8 % kommen (6). Es sind weitreichende Störungen der Lieferketten, Ad-hoc-Ausfuhrbeschränkungen für krisenrelevante Waren wie medizinische Güter, verschärfte Zoll- und Grenzkontrollen sowie Beschränkungen der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Dienstleistern zu beobachten. Die Krise hat gezeigt, wie besorgniserregend zerbrechlich und mit welchen Risiken stark fragmentierte und nicht diversifizierte Lieferketten behaftet sind. Auch zeigt sich, wie wichtig es ist, dass Volkswirtschaften von gut funktionierenden und finanziell starken öffentlichen Stellen (dies gilt insbesondere für die öffentlichen Gesundheitsdienste) gestützt werden, damit der Handel „gesund“ und in Bewegung bleibt. |
3.2. |
Diese Krise unterstreicht die Bedeutung der globalen Zusammenarbeit und zeigt, dass nationale und einseitige Lösungen weder auf europäischer noch auf globaler Ebene die Antwort sind. Daher muss der Reformprozess der WTO fortgesetzt werden, damit ihre Stärke und Handlungsfähigkeit gewährleistet ist und sie gegen Protektionismus und Unilateralismus vorgehen kann. Es ist an der Zeit, dass die WTO ihrer Rolle gerecht wird und aktiv für die Kernarbeitsnormen und das Übereinkommen von Paris (7) eintritt. |
3.3. |
Der EWSA stellt fest, dass der Handel im richtigen politischen Rahmen das Wachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die nachhaltige Entwicklung wirksam vorantreiben kann. Im Jahr 2017 war jeder siebte Arbeitsplatz in der EU im Bereich Export angesiedelt. Das sind 36 Mio. Stellen bzw. 15,3 % der Arbeitsplätze in der EU. Die Bedeutung des Binnenmarktes für den Handel in der EU und seine positiven „Spill-Over-Effekte“ lassen sich darüber hinaus daran ablesen, dass ein Fünftel der exportgestützten Arbeitsplätze in einem anderen Mitgliedstaat angesiedelt ist (8). |
3.4. |
Dem Handel kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, nach der Krise eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung zu fördern und den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihre gestörten Wertschöpfungsketten wiederaufzubauen und neu zu organisieren. Ein Konjunkturprogramm der EU muss solide, sozial, nachhaltig und inklusiv sein und Unternehmen die Möglichkeit bieten, ihre Position im internationalen Handel zu stärken und gute Arbeitsplätze zu sichern. Dieser Plan sollte über Eurobonds oder andere gemeinsame europäische langfristige Anleihen finanziert werden. |
3.5. |
In den Berichten für die Jahre 2020 und 2021 sollte eine umfassende politische Bewertung der Handelsbedingungen nach COVID-19 und der Frage vorgenommen werden, wie sichergestellt werden kann, dass alle profitieren. Bei ihren künftigen Berichten über die Umsetzung von Freihandelsabkommen sollte die Europäische Kommission vor allem die Zivilgesellschaft konsultieren. Der EWSA ist bereit, mit seinen Erfahrungen vor Ort dazu beizutragen. Bei der neuen, auf die wirtschaftliche Erholung nach COVID-19 und die Stärkung des Welthandels abzielenden Handelsstrategie sollten die krisenbedingte Faktoren, aber auch das Engagement der EU für eine CO2-neutrale Wirtschaft berücksichtigt werden. Die europäische Industriepolitik muss die industrielle Souveränität in Schlüsselsektoren wie Arzneimittel und medizinische Ausrüstung stärken. Dies muss auf Ebene der EU geschehen. |
3.6. |
Die Empfehlungen, die der EWSA in der jüngsten Vergangenheit in einer Reihe aktueller Schlüsselstellungnahmen zum EU-Handel ausgesprochen hat (9), sollten in diese frühzeitige Überprüfung der Handelsstrategie einfließen. Bei den laufenden bilateralen Verhandlungen und den Verhandlungen der WTO sollte dringend eine Bestandsaufnahme der Auswirkungen von COVID-19 vorgenommen werden, um den damit verbundenen Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Ausfuhrbeschränkungen und der Nachhaltigkeit der Lieferketten, zu begegnen und die Handelsmandate insgesamt zu überprüfen. |
3.7. |
Zwar bietet das große Netz präferenzieller Handelsregeln der EU den Unternehmen in der Union eine große Vorhersehbarkeit und Sicherheit, aber die Krise macht deutlich, dass dringend stärkere Instrumente benötigt werden, die die Nachhaltigkeit des Handels in all seinen Facetten, d. h. in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht, umfassen. In diesem Zusammenhang möchte der EWSA auf die laufenden Arbeiten an seiner Stellungnahme zu nachhaltigen Lieferketten verweisen (10)‚ die im September 2020 verabschiedet werden soll. |
3.8. |
Die globalen Lieferketten müssen widerstandsfähiger und verantwortungsvoller werden. Diversifizierte Handelsbeziehungen sind ein wichtiges Element wirtschaftlicher Nachhaltigkeit, da sie helfen, Störungen in einzelnen Ländern und Regionen abzufangen. In diesem Zusammenhang kommt der Handelspolitik der EU eine zentrale Rolle zu. Freihandelsabkommen bieten den Unternehmen die nötigen Rahmenbedingungen, um langfristige Beziehungen zu neuen Lieferanten aufzubauen, in neuen Ländern geschäftlich tätig zu werden und lokale Kapazitäten entsprechend ihrem Bedarf aufzubauen. |
3.9. |
Die Wiederbelebung der Handelsströme muss auf einem starken Engagement für Sozial- und Arbeitsnormen und deren wirksamer Durchsetzung gründen. Die Unterbrechung der Versorgungs- und Produktionsprozesse hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass es Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gibt und dass sie auch umgesetzt werden und dass die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleistet ist, damit sie die Welt mit Waren und Dienstleistungen versorgen können. Die Ratifizierung, Umsetzung und Durchsetzung der Kernübereinkommen der IAO über Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen sind neben den anderen grundlegenden und aktuellen Übereinkommen der IAO ein zentraler Weg zur Gewährleistung sicherer und akzeptabler Arbeitsbedingungen. |
3.10. |
Angesichts der enormen Maßnahmen, die zur finanziellen Erholung in der EU und weltweit ergriffen werden, darf der Grüne Deal nicht ins Hintertreffen geraten, sondern sollte mit Blick auf einen sozial und ökologisch gerechten Wandel zu einer vorrangigen Priorität in den bestehenden und künftigen Handelsbeziehungen der EU werden. Die Maßnahmen im Rahmen des Grünen Deals müssen in alle Aspekte der Freihandelsabkommen einfließen, auch in die Förderung bewährter Verfahren zur Berücksichtigung ökologischer und sozialer Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe. |
4. Allgemeine Anmerkungen zum Jahresbericht
4.1. |
Im Großen und Ganzen begrüßt der EWSA den Jahresbericht über die Umsetzung der Freihandelsabkommen (den die Europäische Kommission erstmals 2017 vorgelegt hat), da er einen umfassenden und sichtbaren Überblick über das EU-Handelsnetz bietet. Er ermöglicht eine Bewertung der Fortschritte und Leistungen der einzelnen Freihandelsabkommen. Es sollten Mängel bei der Umsetzung aufgezeigt werden, auch solche, die — wie in den Kapiteln über Handel und nachhaltige Entwicklung — mit Wirtschaftsstatistiken nicht messbar sind. Daher sollte in den Berichten in Zukunft ein klarerer Bezug auf die Schlussfolgerungen früherer Berichte genommen werden und rückverfolgbare Folgemaßnahmen enthalten sein. |
4.2. |
Zeit ist ein wesentlicher Faktor für die Umsetzung und Messung der Leistung von Freihandelsabkommen. In diesem Zusammenhang sind Jahresberichte lediglich Momentaufnahmen längerer Entwicklungen, die im Laufe der Zeit eintreten könnten oder genauer beobachtet werden müssten und im Rahmen einer enger verflochtenen Bewertungspolitik behandelt werden sollten. Jedes Handelsabkommen wird zu verschiedenen Zeitpunkten seines Lebenszyklus einer umfassenden Bewertung unterzogen. Der EWSA schlägt dementsprechend vor, bei den Berichten ganzheitlicher vorzugehen und auch Ergebnisse früherer Folgenabschätzungen, die vor und während der Verhandlungen durchgeführt wurden, zu berücksichtigen. Nachhaltigkeitsprüfungen sollten vor Allem als Informationsquelle genutzt und mit den Arbeiten im Rahmen der Umsetzung abgeglichen werden. |
4.3. |
Für die Feinabstimmung der Handels- und Investitionspolitik der EU und die Maximierung ihrer Vorteile sind Informationen der zentrale Faktor. Die größte Herausforderung scheint in der Feststellung und Aufschlüsselung von Daten zu bestehen. Die EU sollte die nationalen Daten dementsprechend kohärenter nutzen und die unterschiedlichen Gegebenheiten nach den einzelnen Mitgliedstaaten oder Regionen der EU aufgliedern. Gegebenenfalls sollte sie in eine aktive Datenerhebung investieren. Durch die Festlegung von Kriterien können die Ergebnisse besser miteinander verglichen werden. Mit Blick auf den Handel und die nachhaltige Entwicklung und insbesondere die Situation bei den Arbeitsnormen in den verschiedenen Ländern müssen zur Vervollständigung des Bildes andere Datenquellen wie die IAO herangezogen werden. |
4.4. |
Die Präferenznutzungsrate ist ein wichtiger Indikator für die Umsetzung. Allerdings wird dabei lediglich der Warenhandel analysiert. Nicht alle Vorteile — bspw. der Marktzugang im Beschaffungswesen — finden ihren Niederschlag in Zollpräferenzen. Die durchschnittliche Präferenznutzungsrate für Einfuhren in die EU aus Partnerländern mit einem Präferenzabkommen lag 2018 bei 87 %; für Ausfuhren EU in Partnerländer war sie im Allgemeinen niedriger. Eine genaue Berechnung der durchschnittlichen Präferenznutzungsrate ist jedoch nicht verfügbar, da sich die EU auf die vom Einfuhrland erhobenen Daten stützt und diese statistischen Daten nicht harmonisiert sind. Ein umfassenderes Bild ergibt sich lediglich, wenn weitere Indikatoren entwickelt werden, um zu bewerten, inwieweit Unternehmen jeder Größe die Möglichkeiten von Freihandelsabkommen mit der EU nutzen. |
4.5. |
Im Jahr 2018 machten die Dienstleistungsexporte 32 % des Gesamtwerts der EU-Ausfuhren aus und fast 59 %, wenn sie als Handel auf Wertschöpfungsbasis (TiVA) betrachtet werden. (11) Bedauerlicherweise gibt der Teil des Berichts über den Handel mit Dienstleistungen die große Bedeutung des Handels mit Dienstleistungen für die EU (25,2 % ihres BIP) nicht angemessen wieder und enthält keine detaillierten Angaben. In Zukunft sollte in den Berichten systematischer auf den Handel mit Dienstleistungen und seine Entwicklung eingegangen werden, und zwar nicht nur im Rahmen einer Zusammenschau, sondern auch auf sektoraler Ebene und nach Art ihrer Erbringung. So fallen beispielsweise immer mehr freiberufliche Dienstleistungen unter Handelsabkommen. Freie Berufe wie Rechtsanwälte, Ingenieure oder Architekten bieten hochspezialisierte Dienstleistungen an, die häufig mit anderen Dienstleistungen und öffentlichen Ausschreibungen verknüpft sind, aber im Bericht keine Berücksichtigung finden. |
4.6. |
Der EWSA fordert, dass in künftigen Berichten stärker auf bestimmte Bereiche und Gruppen eingegangen wird, die im vorliegenden Bericht weitgehend fehlen. Die Vorteile der EU-Handelsabkommen für KMU und den Agrar- und Lebensmittelhandel werden dagegen deutlich hervorgehoben. In Hinblick auf den Bereich Landwirtschaft ist es wichtig, die kumulativen Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf bestimmte Branchen zu untersuchen und vor Aufnahme neuer Verhandlungen zu berücksichtigen. Insbesondere für die Verbraucher muss eine Zunahme der Handelsströme konkrete Vorteile mit sich bringen. Aus diesem Grund hat der EWSA „ein verbraucherspezifisches Kapitel zum Thema ‚Handel und Verbraucher‘ im Rahmen zu Handel und nachhaltige Entwicklung [gefordert] […], in das die einschlägigen internationalen Standards im Bereich Verbraucherschutz aufgenommen werden könnten und das die Zusammenarbeit bei der Durchsetzung von Verbraucherrechten stärken würde“ (12). |
4.7. |
Der EWSA spricht sich mit Nachdruck für die Aufnahme eines eigenen Kapitels über die Umsetzung im Bereich Handel und nachhaltige Entwicklung in den Bericht aus. Dessen Schwerpunkt sollte über die durchgeführten Aktivitäten hinausgehen und auch deren Ergebnisse, Meinungen und Ansichten sowie Folgemaßnahmen darlegen. Der EWSA bedauert insbesondere, dass in dem Bericht die Arbeit und die Stimme der Internen Beratungsgruppen bei der Beobachtung der Auswirkungen der Abkommen auf die Verpflichtungen im Bereich Handel und nachhaltige Entwicklung trotz ihres institutionellen Beitrags im Rahmen aller Abkommen der neuen Generation weitgehend außer Acht gelassen wird. Die Arbeitsprogramme der Internen Beratungsgruppen und die gemeinsamen Erklärungen mit den Internen Beratungsgruppen in den Partnerländern sollten in künftigen Berichten als Beitrag eine stärkere Berücksichtigung finden. |
5. Besondere Bemerkungen zur Umsetzung von Freihandelsabkommen
5.1. |
Die Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle bei der Schärfung des Bewusstseins für die Umsetzung der EU-Handelspolitik, sie kann dabei helfen, die Vorteile dieser Politik zu vermitteln, und ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, Bedenken anzumelden und Mängel aufzuzeigen. Der EWSA nimmt durch seine Stellungnahmen und als Mitglied der Internen Beratungsgruppen aktiv daran teil. Die Ausdehnung der Zuständigkeit künftiger Interner Beratungsgruppen auf die Überwachung aller Aspekte des Abkommens unter besonderer Berücksichtigung des Handels und der nachhaltigen Entwicklung könnte die Bemühungen der Europäischen Kommission um eine bessere Umsetzung künftiger Freihandelsabkommen der EU ergänzen. Der EWSA befürwortet eine derartige Ausdehnung (13). |
5.2. |
Die Internen Beratungsgruppen sind eine wichtige Errungenschaft der Freihandelsabkommen der neuen Generation. Sie müssen aber gestärkt werden, damit sie ihre Überwachungsaufgaben, insbesondere in Bezug auf Handel und nachhaltige Entwicklung, in künftigen Freihandelsabkommen der EU und auch noch darüber hinaus, erfolgreich nachkommen können. Bei der Arbeit der Internen Beratungsgruppen sollte ein enger Kontakt zu der Expertengruppe für Handel und nachhaltige Entwicklung mit den Mitgliedstaaten und dem neuen leitenden Handelsbeauftragten bestehen, und es sollten Berichterstattungs- und Austauschstrukturen eingerichtet werden. Ergänzt werden sollte dies durch einen Informationsaustausch mit der IAO über die Umsetzung arbeitsbezogener Maßnahmen im Bereich Handel und nachhaltige Entwicklung. Für mehr Sichtbarkeit und interinstitutionelle Folgemaßnahmen ist ein struktureller Dialog zwischen den Internen Beratungsgruppen der EU, der Europäischen Kommission, dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), dem Europäischen Parlament (EP) und den Mitgliedstaaten erforderlich. Um den Dialog mit der Zivilgesellschaft in den Partnerländern bestmöglich zu nutzen, sind gemeinsame Sitzungen der Internen Beratungsgruppen unerlässlich und sollten Teil der Verhandlungen über den Wortlaut des Abkommens sein. Die Internen Beratungsgruppen könnten durch gemeinsame Projekte und gemeinsame Empfehlungen einen sinnvollen Beitrag dazu leisten. Angesichts der wachsenden Zahl der Freihandelsabkommen und folglich auch der Internen Beratungsgruppen ist es dringend erforderlich, systemische Lösungen mit angemessenen personellen und finanziellen Ressourcen umzusetzen. Hier gibt es kein Patentrezept. Jeder potenzielle neue Ansatz, wie etwa die Regionalisierung der Internen Beratungsgruppen, muss ihr reibungsloses Funktionieren gewährleisten, um die Herausforderungen bei der Umsetzung des jeweiligen Abkommens zu bewältigen, und die Internen Beratungsgruppen selbst in seine Gestaltung einbeziehen. |
5.3. |
Der EWSA begrüßt nachdrücklich die jüngsten fortgesetzten Bemühungen zur Verbesserung der Umsetzung und Durchsetzung von Freihandelsabkommen. Die Ernennung eines leitenden Handelsbeauftragten ist ein klares Signal für das Engagement und die Strategie, die seitens der Politik bestehen, und sollte eine wirksamere Um- und Durchsetzung aller Elemente von Freihandelsabkommen bewirken und die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Abkommen — auch durch die Einreichung von Beschwerden — stärken. Das vor Kurzem vorgelegte Non-Paper der französischen und niederländischen Handelsminister (14) wird als Initiative und Gelegenheit begrüßt, eine neue Debatte darüber anzustoßen, wie sichergestellt werden kann, dass die Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung ihre rechtsverbindlichen Wirkungen in vollem Umfang entfalten. Der gleiche hohe Stellenwert bei der Um- und Durchsetzung kommt im Rahmen dieser Debatte den Umwelt- und Arbeitsnormen zu. Mit dem Entwurf des Textes der EU für ein künftiges Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich wird — entsprechend der besonderen Beziehung zwischen den beiden Seiten — ein neuer Weg eingeschlagen, mit dem gleiche Wettbewerbsbedingungen und Nachhaltigkeit in den Vordergrund gestellt werden. Insbesondere ist bei Verstößen die Anwendung des allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus mit Zugang zu Rechtsbehelfen vorgesehen (15). Die Einhaltung des Übereinkommens von Paris entsprechend der Mitteilung über den Grünen Deal (16) zu einem wesentlichen Bestandteil aller künftigen umfassenden Handelsabkommen zu machen, ist ein positiver Schritt, der auch auf die Einhaltung und Umsetzung der von allen EU-Mitgliedstaaten ratifizierten Kernübereinkommen der IAO in ihrer aktualisierten Fassung ausgeweitet werden muss. Im Einklang mit ihrer neuen Initiative sollte die IAO als international anerkannte Organisation in die Überwachung der Umsetzung der IAO-Übereinkommen in Freihandelsabkommen einbezogen werden. Ihre Aufgabe bestünde darin, zu beobachten, zu unterstützen, Verstöße zu untersuchen und Lösungen vorzuschlagen. |
5.4. |
Selbst Jahre nach Abschluss von Freihandelsabkommen sind in einigen Partnerländern immer noch keine Fortschritte bei der Einhaltung der Verpflichtungen in Bezug auf Handel und nachhaltige Entwicklung zu beobachten. Im Dezember 2018 forderte die EU die Einsetzung eines Panels von Sachverständigen zur Untersuchung der Streitfrage zwischen der EU und Korea über Arbeitnehmerrechte, insbesondere die Nichtratifizierung von Kernübereinkommen der IAO in ihrer aktualisierten Fassung. Der EWSA begrüßt, dass im Zusammenhang mit dem Bereich Handel und nachhaltige Entwicklung zum ersten Mal Rückgriff auf ein Streitbeilegungsverfahren genommen wurde (17); angesichts der vor acht Jahren erfolgten Ratifizierung bedauert er jedoch die Dauer des Verfahrens. Der EWSA hatte daher bereits eine weitere Stärkung der zivilgesellschaftlichen Überwachungsmechanismen empfohlen. Sie sollten „bei Verstößen gegen die im Bereich Handel und nachhaltige Entwicklung eingegangen eindeutigen Verpflichtungen eigenständig Untersuchungen auslösen können“ (18). Bedauerlicherweise lagen zahlreiche weitere Rechtsvorschriften und Verstöße gegen das Recht auf Vereinigungsfreiheit, zu deren Beseitigung die IAO Korea aufgefordert hatte, außerhalb des Zuständigkeitsbereich des Panels (19). Mündliche Darlegungen zivilgesellschaftlicher Akteure sollten neben den schriftlichen Amicus-curiae-Schriftsätzen zu einem festen Bestandteil der Anhörung des Panels sein. Es bleibt abzuwarten, wie der Bericht des Panels letztendlich aussehen und welche Wirkung er haben wird, da es den derzeitigen Kapiteln über Handel und nachhaltige Entwicklung an weiterreichenden Durchsetzungsinstrumenten mangelt. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA mit Blick auf eine effektive Durchsetzbarkeit von Arbeits- und Umweltbestimmungen klare Fortschritte bei der Überarbeitung des CETA (20). In die Überprüfung sollten die Internen Beratungsgruppen beider Seiten eng einbezogen und konsultiert werden (21). |
5.5. |
Mit Blick auf EU-Exporte von Agrarerzeugnissen bieten Freihandelsabkommen ein enormes Potenzial, gleichzeitig verbessern geografische Angaben die Wettbewerbsfähigkeit der Agrar- und Lebensmittelerzeuger in der EU sowohl innerhalb als auch außerhalb der Union. Mit einem Wert der Ein- und Ausfuhren von insgesamt 254 Mrd. EUR im Jahr 2018 ist die EU der weltweit größte Handelspartner für Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse (22). Obwohl der Handel mit Lebensmittelerzeugnissen in Verhandlungen häufig genau unter die Lupe genommen wird, scheint die Umsetzung von Bestimmungen den ehrgeizigen Zielen hinterherzuhinken. Lebensmittel in guter Qualität sowie eine sichere Versorgung mit diesen Lebensmitteln kann nur gewährleistet werden, wenn die Rückverfolgbarkeit von Produkten und die Durchsetzung des Vorsorgeprinzips sichergestellt sind. Zu einer effizienten Überwachung der Gesundheits- und Pflanzenschutznormen gehören Inspektionen mit angemessenen Ressourcen. |
5.6. |
Trotz der erheblichen Chancen für Unternehmen besteht nach wie vor ein mangelndes Bewusstsein für die Vorteile von Freihandelsabkommen, insbesondere in den ersten Jahren ihrer Umsetzung. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten sollten die Abkommen in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft der EU unter potenziellen Exporteuren in der jeweiligen Landessprache bekanntmachen, um Wissenslücken, insbesondere bei KMU, zu schließen. Ein Teil der Maßnahmen könnte in der Ausarbeitung nationaler Aktionspläne für die Umsetzung jedes Freihandelsabkommens vor dessen Inkrafttreten bestehen. |
5.7. |
In den Handelspartnerstaaten sind die Importeure (die unmittelbar von den Zollersparnissen profitieren) die Schlüsselfiguren bei der Nutzung von Zollpräferenzen im Rahmen eines Freihandelsabkommens und sollten bei allen Bemühungen der EU zur Erhöhung der Präferenznutzungsrechte für ihre Ausfuhren berücksichtigt werden. Zu der Öffentlichkeitsarbeit könnten Seminare über die Möglichkeiten des jeweiligen Freihandelsabkommens und über die Beantragung von Zollpräferenzen gehören. Die Öffentlichkeitsarbeit der EU in den Partnerländern der jeweiligen Freihandelsabkommen sollte in enger Zusammenarbeit zwischen EU-Delegationen, nationalen Vertretungen und Wirtschaftsvertretern, einschließlich der Handelskammern, erfolgen. |
5.8. |
Dienstleistungen machen einen Großteil der modernen Bestimmungen von Freihandelsabkommen aus. Die Vorteile sind jedoch schwieriger nachzuvollziehen als Zollsenkungen. Hier ist für eine Erleichterung des Handels Transparenz bei den rechtlichen Anforderungen an Drittmärkte von entscheidender Bedeutung. Die bevorstehende Zusammenführung der EU-Marktzugangsdatenbank und des Handels-Helpdesk bietet die Möglichkeit, nicht nur Waren, sondern auch Dienstleistungen in kohärenter Weise abzudecken. Über ein neues Portal sollten für jeden Code der Zentralen Gütersystematik (CPC) (23) nach Erbringungsart aufgeschlüsselte Informationen über Marktzugang und -beschränkungen bereitgestellt werden. Außerdem sollten, aufgeschlüsselt nach Branchen, Informationen über Dokumentation, Zertifizierung, Lizenzvergabe, Prüfung und andere Anforderungen abrufbar sein. Darüber hinaus könnte ein Leitfaden für europäische Dienstleistungsexporteure und Investoren für die wichtigsten präferenziellen Handelspartner der EU im Bereich Dienstleistungen, wie bspw. Japan oder Kanada, nützlich sein. |
5.9. |
Die EU ist für das öffentliche Beschaffungswesen der offenste Markt der Welt, und Freihandelsabkommen bieten europäischen Unternehmen in Partnerländern umfassende Regeln und beträchtliche Zugangsmöglichkeiten zum Markt für öffentliche Aufträge. Es mangelt jedoch an Transparenz und Kohärenz bei den Maßnahmen zur Berücksichtigung von Arbeitsklauseln bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, sowohl in der Beschaffungspolitik als auch in der entsprechenden Praxis (24)‚ was in den Freihandelsabkommen einen entsprechenden Niederschlag finden sollte. Die Veröffentlichung von Ausschreibungen von Drittländern in einem speziellen Abschnitt der Datenbank „TED — Tenders Electronic Daily“ der EU würde es europäischen Unternehmen aller Größen erheblich erleichtern, Nutzen aus dem Kapitel über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu ziehen. Darüber hinaus könnte ein spezialisiertes automatisches Übersetzungswerkzeug in allen Sprachen der EU für die veröffentlichten Ausschreibungen dazu beitragen, die Sprachbarriere zu überwinden. |
5.10. |
Um in den Genuss von Zollpräferenzen im Rahmen eines Freihandelsabkommens zu kommen, müssen die Waren den Ursprungsregeln entsprechen. Die Verringerung der Verwaltungskosten für die Beantragung von Präferenzzöllen ist als Schlüsselfaktor für die Erhöhung der Präferenznutzungsrate zu betrachten, insbesondere bei Transaktionen mit geringem Wert. Die Vereinfachung und Harmonisierung der Ursprungsregeln in verschiedenen Freihandelsabkommen wäre diesbezüglich von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus kann der in den Freihandelsabkommen mit Kanada und Japan vereinbarte neue Ansatz für die Überprüfung des Ursprungs, bei dem die Einfuhrbehörde prüft, ob die Waren die Ursprungsvoraussetzungen erfüllen, de facto dazu führen, dass der Exporteur sensible Geschäftsinformationen übermittelt. |
5.11. |
Die Investitionskapitel der Freihandelsabkommen bieten Rechtssicherheit für ausländische Direktinvestitionen (ADI) in beide Richtungen und beseitigen Investitionshindernisse. Europäische Unternehmen sind weltweit führend bei nachhaltigen, langfristigen Investitionen. Allerdings ist es nach wie vor schwierig, derartige Investitionen anzuwerben. Die Investitionsoffensive für Drittländer (EIP), deren Schwerpunkt auf nachhaltiger Entwicklung sowie Beschäftigung und Wachstum liegt, ist in dieser Hinsicht ein vielversprechender Schritt, aber geografisch, thematisch und hinsichtlich der verfügbaren Mittel zu beschränkt. Die EU könnte diese Strategie fördern, indem sie bei offiziellen Besuchen, Treffen auf hoher Ebene und Missionen in den jeweiligen Ländern in Abstimmung mit ihren Mitgliedstaaten und der Wirtschaft der EU wichtige Fragen im Zusammenhang mit nachhaltigen Investitionen ganz oben auf die politische Tagesordnung setzt. |
5.12. |
Europäische Unternehmen, die in Drittländern tätig sind, sind für die Verbreitung und Durchsetzung verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns wichtige Kräfte. Der EWSA stellt fest, dass die Bestimmungen über die Verantwortung von Unternehmen in Handels- und Investitionsabkommen zunehmen, sich aber in verschiedene Richtungen entwickeln (25). Da europäische Unternehmen in diesem Bereich weltweit führend sind, ist die EU bestens dazu aufgestellt, mit Blick auf die Sorgfaltspflicht eine Vorreiterrolle einzunehmen. Dementsprechend begrüßt der EWSA, dass die Europäische Kommission seiner Empfehlung folgt und in diesem Bereich Rechtsvorschriften der EU vorschlägt (26). |
Brüssel, den 16. Juli 2020
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Luca JAHIER
(1) Handelsprognose der WTO, April 2020.
(2) ABl. C 159 vom 10.5.2019, S. 15.
(3) Stellungnahmen der jüngeren Vergangenheit, auf die in ABl. C 47 vom 11.2.2020 verwiesen wird. REX/529 „Die Gestaltung eines neuen Modells multilateraler Beziehungen: eine drängende Frage nach der COVID-19-Krise“ (siehe Seite xx dieses Amtsblatts), Laufende Arbeiten zu NAT/791 „Vereinbarkeit der EU-Handelspolitik mit dem europäischen Grünen Deal“ und REX/532 „Nachhaltige Lieferketten und menschenwürdige Arbeit im internationalen Handel“.
(4) Gemeinsames Auslegungsinstrument zum CETA, Oktober 2016.
(5) Non-paper from the Netherlands and France on trade, social economic effects and sustainable development [Non-Paper der Niederlande und Frankreichs zu Handel, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen und nachhaltiger Entwicklung]‚ Mai 2020.
(6) The impact of the COVID-19 pandemic on global and EU trade [Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Welthandel und den Handel der EU], Team des Chefökonomen, GD HANDEL, April 2020.
(7) ABl. C 159 vom 10.5.2019, S. 15.
(8) ABl. C 47vom 11.2.2020, S. 38 .
(9) Siehe Fußnote 3.
(10) Stellungnahme REX/532 „Nachhaltige Lieferketten und menschenwürdige Arbeit im internationalen Handel“ (voraussichtlich im September 2020).
(11) Da auf Dienstleistungen auch ein erheblicher Anteil von 34 % an den Ausfuhren von Industriegütern entfällt. Alle Daten entstammen der Datenbank „Trade in Added Value“ [Handel auf Wertschöpfungsbasis] (TiVA), 2016.
(12) ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 27.
(13) ABl. C 159 vom 10.5.2019, S. 28.
(14) Siehe Fußnote 5.
(15) Draft text of the Agreement on the New Partnership with the United Kingdom [Entwurf des Abkommens über die neue Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich]‚ 18. März 2020].
(16) COM(2019) 640 final.
(17) Im Rahmen des allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus der Freihandelsabkommen werden zwei weitere Streitbeilegungsverfahren zur Kenntnis genommen, die 2019 mit der Ukraine und der südafrikanischen Zollunion eingeleitet wurden.
(18) ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 27.
(19) Amicus curiae for the attention of the Panel of Experts assessing the Republic of Korea‘s adherence to the sustainability chapter [Amicus-curiae-Schriftsatz für das Panel der Sachverständigen zur Bewertung der Einhaltung des Nachhaltigkeitskapitels durch die Republik Korea], Januar 2020.
(20) Siehe Fußnote 4.
(21) Joint Statement EU-Canada DAGs [Gemeinsame Erklärung der DAG EU-Kanada], November 2019.
(22) Agri-food trade in 2018 [Handel mit Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen], GD Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, 2019.
(23) Code der Zentralen Gütersystematik gemäß der WTO-Liste zur Klassifizierung der Dienstleistungssektoren.
(24) ILO General Survey 2008, Labour clauses in public contracts. Integrating the social dimension into procurement policies and practices.
(25) Business Responsibilities and Investment Treaties, Consultation paper by the OECD Secretariat [Verantwortung von Unternehmen und Investitionsabkommen, Konsultationspapier des OECD-Sekretariats]‚ Januar 2020.