6.4.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 152/13


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Bedeutung der Unternehmenssteuern für die Corporate Governance“

(Initiativstellungnahme)

(2022/C 152/03)

Berichterstatter:

Krister ANDERSSON

Beschluss des Plenums

25.3.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

 

Entschließung

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

23.11.2021

Verabschiedung im Plenum

8.12.2021

Plenartagung Nr.

565

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

223/4/11

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass die Reaktion des Privatsektors auf den Aufbauplan und das Programm NextGenerationEU für die erfolgreiche Verwirklichung einer umweltfreundlicheren und digitalisierten Wirtschaft von entscheidender Bedeutung ist. Die Politik muss daher angemessene Anreize bieten. Die Wirtschaftspolitik, insbesondere die Steuerpolitik und die politischen Maßnahmen, die sich auf die Unternehmensführung auswirken, müssen effiziente Entscheidungsprozesse und eine effiziente Ressourcenallokation ermöglichen und die Verwirklichung sozialer Ziele fördern.

1.2.

Nach Ansicht des EWSA muss zur Schaffung einer nachhaltigen, grünen und digitalisierten Wirtschaft das Problem der Bevorzugung der Fremd- gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung im Bereich der Besteuerung beseitigt werden.

1.3.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Steuersysteme in Bezug auf Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung neutraler zu gestalten. Dies würde die Diversifizierung von Finanzierungsquellen fördern und die europäische Wirtschaft widerstandsfähiger machen.

1.4.

Der EWSA begrüßt die Ankündigung der Kommission, das Problem der Bevorzugung der Fremd- gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung bei der Besteuerung der Unternehmen durch entsprechende Maßnahmen im ersten Quartal 2022 anzugehen.

1.5.

Der EWSA betont, dass für neue Unternehmen und für Investoren auf der Suche nach grünen und digitalisierten Investitionsmöglichkeiten ein gut funktionierender Kapitalmarkt entscheidend ist. Der EWSA fordert daher weitere Schritte zur Vollendung der Kapitalmarktunion.

1.6.

Investitionen in neue, umweltfreundliche Technologien werden als sehr riskant angesehen, weshalb dafür häufig auf Eigenkapital zurückgegriffen wird. Dividenden erhöhen die Liquidität auf dem Markt, auch wenn sie z. T. als zu kurzfristig empfunden werden, und sind eine wichtige Finanzierungsquelle.

1.7.

Nach Auffassung des EWSA können die Kapitalmärkte und private Fonds entscheidend dazu beitragen, Unternehmen auf den Pfad einer nachhaltigen, umweltfreundlicheren und digitalisierten Wirtschaft zu führen. Jedwede politische Maßnahme des EU-Gesetzgebers bezüglich Besteuerung, Gesellschaftsrecht und Corporate Governance sollte diese Rolle fördern.

1.8.

Der EWSA stellt fest, dass das nationale Gesellschaftsrecht — unter dem Einfluss der Richtlinien und Verordnungen der EU — integraler Bestandteil des Rechtssystems der einzelnen Mitgliedstaaten ist und dass die Rechte und Pflichten den entsprechenden Ebenen der Rechtsstruktur zugewiesen sind. Die Vorschriften bezüglich der Zusammensetzung des Vorstands müssen länderspezifisch sein, und die Entscheidung darüber muss bei den Anteilseignern liegen.

1.9.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, konkrete Initiativen für die Einführung vergleichbarer CO2-Steuern in den Mitgliedstaaten zu ergreifen, um die Anstrengungen für eine wirksame Verringerung der CO2-Emissionen zu harmonisieren. Ein ideales Ergebnis wäre die Schaffung einheitlicher Bedingungen bezüglich der zu besteuernden Emissionen/Verringerungen im gesamten Binnenmarkt und der Festlegung spezifischer Besteuerungsmethoden und -sätze für eine gleich starke Wirkung auf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre.

1.10.

Der EWSA bekräftigt, dass die Mitgliedstaaten insbesondere eine umfassende und symmetrische Umweltsteuerpolitik mit Blick auf die Auswirkungen von CO2 auf die Erderwärmung beschließen sollten. Es muss eine Besteuerung sowohl mit positiven als auch mit negativen Steuersätzen eingeführt werden. Die mit Hilfe der Steuern auf CO2-Emissionen erzielten Einnahmen sollten für die Finanzierung lokaler, regionaler und nationaler Anreize für Verfahren zur CO2-Reduzierung eingesetzt werden.

1.11.

Der EWSA stellt fest, dass der Verkauf von forstwirtschaftlichen Erzeugnissen zwar als Einkommen für den Besitzer besteuert wird. Allerdings verringert die Anpflanzung von Bäumen und der Zuwachs von Wäldern das CO2 in der Atmosphäre und sollte deshalb mit einem symmetrischen Steueransatz zur Bekämpfung der Erderwärmung mit einer negativen CO2-Steuer gefördert werden. Dies wäre eine wichtige Maßnahme zur Erreichung der Klimaziele.

1.12.

Der EWSA betont, dass eine allgemeine Einigung über das Steuerpaket der OECD/G20 erzielt und dieses weltweit koordiniert umgesetzt werden muss. Um die Digitalisierung der europäischen Wirtschaft voranzutreiben, dürfen unilaterale EU-Vorschriften keinesfalls eine weitere Anpassung neuer Geschäftsmodelle verhindern.

2.   Einleitung

2.1.

Die COVID-19-Krise bedeutete für die europäische Wirtschaft nicht nur einen Angebotsschock infolge der Unterbrechung von Lieferketten, sondern auch einen Nachfrageschock aufgrund der gesunkenen Verbrauchernachfrage. Infolgedessen gingen die Investitionen europäischer Unternehmen während der Pandemie erheblich zurück, während der Gesamtbetrag der Bankeinlagen gestiegen ist.

2.2.

Die Erholung nimmt jedoch an Fahrt auf und kommt gut voran. Damit die europäische Wirtschaft im Einklang mit den von der Kommission festgelegten Zielen zu einer stärker nachhaltigen, umweltfreundlichen und digitalisierten Wirtschaft umgestaltet wird, müssen die Investitionen Umweltziele unterstützen und muss die Digitalisierung unter Berücksichtigung des Wandels des Arbeitsmarktes zu einer Steigerung der Produktivität beitragen. Es bedarf sowohl privater als auch öffentlicher Initiativen, um die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Ziele zu erreichen.

2.3.

Mit dem langfristigen EU-Haushalt, einschließlich des Aufbauplans und der Instrumente im Rahmen von NextGenerationEU, wird das größte, jemals in Europa finanzierte öffentliche Konjunkturpaket umgesetzt.

2.4.

Die Reaktion des Privatsektors ist für die Verwirklichung einer umweltfreundlicheren und digitalisierten Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Die Politik muss daher angemessene Anreize bieten. Die Wirtschaftspolitik, insbesondere die Steuerpolitik und die politischen Maßnahmen, die sich auf die Unternehmensführung auswirken, müssen einen effizienten Entscheidungsprozess und eine effiziente Ressourcenallokation ermöglichen.

2.4.1.

Es müssen Schlüsselindikatoren für die den Mitgliedstaaten im Zuge der COVID-19-Pandemie zugewiesenen Mittel festgelegt werden, um nachzuverfolgen, wie die bereitgestellten Mittel in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgegeben werden (1).

2.5.

Die internationale Steuerlandschaft erfährt derzeit den seit hundert Jahren größten Umbruch. Der steuerpflichtige Gewinn einiger der größten Unternehmen wird vom Land des Steuersitzes in das Land verlagert, in dem der Verkauf stattfindet und die Güter und Dienstleistungen geliefert werden. Zudem haben etwa 136 Länder im inklusiven Rahmen der OECD einen effektiven Körperschaftsteuer-Mindestsatz von 15 % vereinbart. Eine weitere wichtige Änderung besteht darin, dass die Mehrwertsteuer in Europa nach einem Bestimmungslandprinzip erhoben werden soll.

3.   Die Bedeutung geeigneter Anreize

3.1.

Um die Umweltziele zu erreichen, müssen Firmen, Haushalte und Investoren angemessene Anreize in Form von Preisen erhalten, die die Knappheit und externen Effekte einrechnen. Die Wirtschaftspolitik und ihre wirtschaftlichen oder sozialen Ziele sollten sich in den Marktpreisen für private und öffentliche Investoren widerspiegeln.

3.2.

Gleichwohl wird Fremdfinanzierung in den Körperschaftsteuersystemen gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung begünstigt, da Zinszahlungen steuerlich abzugsfähig sind, nicht aber die Kosten der Eigenkapitalfinanzierung. Dies führt zu einer erhöhten Hebelwirkung (höhere Verschuldung) und somit zu einer größeren Anfälligkeit der Unternehmen in wirtschaftlich turbulenten Zeiten.

3.3.

Zur Schaffung einer nachhaltigen, grünen und digitalisierten Wirtschaft muss das Problem der Bevorzugung der Fremd- gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung angegangen werden. Dividenden werden doppelt besteuert (zunächst auf Unternehmensebene und dann auf der Ebene der Anteilseigner), sind jedoch von großer Bedeutung, nicht nur als Einkommen für Rentner und für die Finanzierung von Forschungseinrichtungen, sondern insbesondere auch als Finanzierungsquelle für neue Investitionsvorhaben.

3.4.

Investitionen in neue, umweltfreundlichere Projekte gelten als sehr risikobehaftet. Daher werden sie vorzugsweise aus Eigenkapital finanziert. Ein Schlüsselfaktor für eine stärkere Beteiligung des Privatsektors an grünen und digitalen Investitionen ist die Beseitigung von Hindernissen für die Nutzung neuer Quellen von Investitionskapital.

3.5.

Für junge Unternehmen und für Investoren auf der Suche nach grünen und digitalisierten Investitionsmöglichkeiten ist ein gut funktionierender Kapitalmarkt entscheidend. Die Verfügbarkeit von Kapital ist für ein erfolgreiches Ergebnis entscheidend, und Dividenden können die Marktliquidität erhöhen.

3.6.

Nachhaltigkeit ist bereits ein marktorientierter Wettbewerbsfaktor, der sich entscheidend darauf auswirkt, wie attraktiv ein Unternehmen für Kunden, Arbeitnehmer und Investoren ist. Für Nachhaltigkeit zu sorgen bedeutet, den langfristigen Bestand des Unternehmens zu sichern. Regulierungsinstrumente müssen so konzipiert sein, dass sie die Realisierung dieser Ziele unterstützen und mit den Grundprinzipien der Unternehmenstätigkeit im Einklang stehen.

3.7.

Eingriffe in die Dividendenpolitik oder unzulässige Einflussnahme auf die Zusammensetzung der Vorstände und Verwaltungsräte oder die Durchsetzung einer Haftung der Mitglieder der Geschäftsleitung gegenüber dem Unternehmen sollte es nicht geben, doch angemessene Anreize für eine umweltfreundlichere Wirtschaft sind durchaus erforderlich. Bei der Unternehmensführung müssen die soziale Verantwortung der Unternehmen, die einschlägigen EU-Rechtsvorschriften und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen berücksichtigt werden.

3.8.

Die Erderwärmung ist ein Problem, das uns alle angeht. Deshalb sollten die Unternehmen einen angemessenen Marktpreis für Emissionen und die Reduzierung von CO2 in der Atmosphäre bezahlen. Das bedeutet nicht nur die Besteuerung von CO2-Emissionen, sondern auch die Unterstützung solcher Aktivitäten, die CO2 in der Atmosphäre reduzieren.

3.9.

Des Weiteren ist die Besteuerung zunehmend digitalisierter Unternehmen für die Verwirklichung der Ziele einer umweltfreundlicheren und digitalisierten Wirtschaft wichtig. Es bedarf einer weltweiten einvernehmlichen Lösung, und es wird erwartet, dass noch vor Jahresende eine umfassende Vereinbarung geschlossen wird. Steuern auf digitale Dienstleistungen sollten Innovationen nicht beeinträchtigen oder Investitionen in digitale Technologien abschrecken.

4.   Das Problem der Bevorzugung der Fremd- gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung bei der Unternehmensbesteuerung

4.1.

Das Problem der Bevorzugung der Fremd- gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung bei der Unternehmensbesteuerung schlägt sich in den sozioökonomischen Kosten, aber auch in der Unternehmensverschuldung und Unternehmensführung nieder. Eine übermäßige Fremdfinanzierung gefährdet die Verwirklichung der Ziele der Europäischen Kommission, da Unternehmen dadurch finanziell geschwächt werden und dies die Möglichkeiten für neue und riskante umweltorientierte Investitionsvorhaben beeinträchtigt. Dabei wird die Fähigkeit eingeschränkt, Dividenden zu zahlen, und damit die Möglichkeit, dass Investoren diese Dividendenzahlungen in neue Projekte reinvestieren.

4.2.

Nach den derzeitigen Steuervorschriften sind für Darlehen gezahlte Zinsen von der Steuerbemessungsgrundlage abzugsfähig, während dies für Gewinnausschüttungen an Anteilseigner nicht gilt. Die Gewinnausschüttungen bestehen aus zwei Teilen: Dividendenzahlungen und Kapitalerträgen. Diese nationalen Vorschriften begünstigen eindeutig die Fremdkapitalfinanzierung gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung.

4.3.

Ein entsprechender Freibetrag, mit dem Unternehmen für eigenkapitalfinanzierte Investitionen eine ähnliche steuerliche Behandlung erfahren wie bei fremdkapitalfinanzierten Investitionen, könnte die Anfälligkeit der Unternehmen verringern und ein sinnvolles Mittel zur Förderung nachhaltiger, umweltfreundlicherer und digitaler Investitionen sein.

4.4.

Sollten die gesetzlichen Körperschaftsteuersätze angehoben werden, sind kreditfinanzierte Investitionen für die Unternehmen wirtschaftlich vorteilhafter, was die Unternehmen ermutigen wird, Fremdfinanzierung noch stärker in Anspruch zu nehmen. Eine höhere Inflationsrate und höhere Zinssätze hätten eine ähnliche Wirkung, sie erhöhen die Anreize für kreditfinanzierte Investitionen.

4.5.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Steuersysteme in Bezug auf Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung neutraler zu gestalten. Dies würde die Diversifizierung von Finanzierungsquellen fördern und die europäische Wirtschaft widerstandsfähiger machen.

4.6.

In dem 2016 vorgelegten Vorschlag für eine überarbeitete Richtlinie über eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage wurde ein Freibetrag für Wachstum und Investitionen („FWI“) aufgenommen, um die Begünstigung der Fremd- gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung zu verringern und Investitionen in FuE zu fördern. Der FWI würde gewährt, indem eine Erhöhung des Eigenkapitals unter bestimmten Bedingungen von der Steuerbemessungsgrundlage abzugsfähig gemacht wird (2).

4.7.

Die EU-Kommission hat für das erste Quartal 2022 einen Richtlinienentwurf zur Lösung des Problems der verschuldungsfreundlichen Unternehmensbesteuerung angekündigt (3). Der EWSA sieht der Vorlage eines detaillierten Vorschlags erwartungsvoll entgegen und wird dann dazu Stellung nehmen.

5.   Corporate Governance im Gesellschaftsrecht

5.1.

Neben Steuern können auch Vorschriften die Wirkung von auf anderem Wege eingeführten Anreizen verstärken oder verringern. Werden das Eigentum an Unternehmen und die Fähigkeit, Mittel so zu verwenden, wie es die Anleger und Unternehmensvorstände für richtig halten, durch unmittelbar geltende Vorschriften geregelt, könnte dies die Verwirklichung einiger erstrebenswerter Ziele erschweren.

5.2.

Für eine gut funktionierende Wirtschaft ist es wichtig, dass es geeignete Regeln und Vorschriften für das Funktionieren von Unternehmen und Märkten gibt. Die Anteilseigner sollten die Leitung eines Unternehmen zur Rechenschaft ziehen können, wenn Mittel zum persönlichen Nutzen und nicht so eingesetzt werden, dass sie den Wert des Unternehmens erhöhen (4). Akzeptables Unternehmensverhalten in Bezug auf die Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuervermeidung und Geldwäsche (5) wird in einer Reihe von Gesetzen geregelt, ebenso wie in umfassenden Vereinbarungen über Marktkodizes in Bezug auf das Unternehmensverhalten in den Mitgliedstaaten. Wie im europäischen Grünen Deal und in der Mitteilung der Kommission zum (postpandemischen) Aufbauplan angekündigt, muss Nachhaltigkeit in den Corporate-Governance-Rahmen eingebettet werden. Die Kommission hat dazu eine öffentliche Konsultation eingeleitet, um die Standpunkte der Interessenträger zu einer möglichen Initiative für eine nachhaltige Unternehmensführung einzuholen (6).

5.3.

Der EWSA teilt die Vision einer umweltfreundlicheren und digitalisierten europäischen Wirtschaft der Zukunft, die von Gerechtigkeit, Wachstum und effektiver Besteuerung geprägt ist. Denn dadurch wird ein investitionsfreundliches Umfeld und beschäftigungswirksames Wachstum geschaffen. Damit Investitionsströme umgelenkt werden können, ist die Verfügbarkeit von Kapital für die neue grüne Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Neben einer sicheren Rechtslage und der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ist Verfügbarkeit von Mitteln für Investitionen ein wichtiger Faktor für den erfolgreichen Übergang der europäischen Wirtschaft.

5.4.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Unternehmen zur Verwirklichung einer umweltfreundlicheren, nachhaltigen und digitalisierten Wirtschaft beitragen und sich dabei auf langfristige Ziele und eine gerechte Verteilung zwischen den Ländern und den Bürgern konzentrieren sollten.

5.5.

Der EWSA ist fest der Überzeugung, dass die Kontrolle über die Unternehmenstätigkeit und die Rechenschaft dafür letztendlich bei den Aktionären liegen sollte. Die Eigentümer eines Unternehmens sollten diesbezüglich in die Pflicht genommen werden. Das derzeitige System aus einzelstaatlichen Corporate-Governance-Kodizes und Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten beruht nämlich auf den Anteilseignern als den Eigentümern des Unternehmens, die den Vorstand ernennen und damit letztlich die Kontrolle über die Unternehmensstrategien und -prioritäten ausüben. Dies bedeutet auch, dass die Aktionäre die Unternehmensfinanzen und das Unternehmensverhalten mit verantworten und daher Kapital verlieren sollten, wenn das Unternehmen Verluste schreibt. Dieses fest etablierte Grundprinzip sollte nicht geändert oder untergraben werden.

5.6.

Langfristige Ziele und positive soziale externe Effekte sollten von den Unternehmen selbstverständlich angemessen berücksichtigt werden, und zwar sowohl bei ihrer täglichen Geschäftstätigkeit als auch bei ihren Investitionsentscheidungen. Dies wird immer stärker durch die Marktstandards, durch sektorspezifische Vorschriften zur Regulierung der Produktion und durch die Investoren in der ganzen Welt gefordert, die häufig verlangen, dass die Unternehmen ESG-Standards eingeführt haben (7).

5.7.

Der EWSA stellt fest, dass das nationale Gesellschaftsrecht — unter dem Einfluss der Richtlinien und Verordnungen der EU — integraler Bestandteil des Rechtssystems der einzelnen Mitgliedstaaten ist und dass die Rechte und Pflichten den entsprechenden Ebenen der Rechtsstruktur zugewiesen sind. Die Vorschriften müssen auch bezüglich der Zusammensetzung des Vorstands länderspezifisch sein. Die Governance und die Empfehlungen der EU sollten einen fairen Wettbewerb und faire Werte in Bezug auf das Verhalten der Unternehmen gewährleisten.

5.8.

Um den erforderlichen Einsatz privater Mittel bei der Verwirklichung der Prioritäten der Kommission zu erleichtern, ist es von entscheidender Bedeutung, dass das Kapital nicht in den Unternehmen blockiert ist und dass Mittel problemlos in die von der EU festgelegten Schlüsselsektoren investiert werden können.

5.9.

Ein gut funktionierender Kapitalmarkt in der EU ist insbesondere für Neuinvestitionen von entscheidender Bedeutung. Der EWSA fordert daher weitere Schritte zur Vollendung der Kapitalmarktunion (8).

5.10.

Die Liquidität des Kapitalmarkts ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Investitionen getätigt werden. Dividendenzahlungen erhöhen die insgesamt für neue Investitionen im grünen und digitalen Sektor verfügbaren Mittel, auch wenn sie z. T. als zu kurzfristig empfunden werden (9). Sie sind daher für einen gut funktionierenden Kapitalmarkt entscheidend, wenn sie in neue Unternehmungen oder in das die Dividende zahlende Unternehmen reinvestiert werden. Werden Dividenden an den Investor ausgeschüttet, entscheidet sich dieser möglicherweise für eine Reinvestition dieser Beträge in das bestehende Unternehmen oder in ein anderes Unternehmen. Werden Gewinne jedoch einbehalten, kann der Investor neue Investitionen in Unternehmungen nur dadurch realisieren, dass er Aktien bzw. Anteile verkauft. Es mag für etablierte Unternehmen und Investoren vorteilhaft sein, wenn einbehaltenes Kapital im Wert wächst, es werden dadurch jedoch keine neuen Mittel für neue Unternehmungen oder neue Investitionsvorhaben verfügbar gemacht.

5.11.

Dividendenzahlungen ermöglichen den Investoren, ihre Anlagestrategie kontinuierlich zu verfeinern und so zu grünen, nachhaltigen, ethischen und digitalen Projekten beizutragen. Dies war bereits oft auf den Kapitalmärkten und im Private-Equity-Bereich zu beobachten (z. B. Investitionen in die Batterieherstellung für Elektroautos oder in eine kohlenstofffreie Stahlproduktion).

5.12.

Neuen Unternehmen sollte es uneingeschränkt gestattet sein, zu wachsen und Finanzmittel aus Dividendenzahlungen an Aktionäre etablierter Unternehmen einzuwerben, um eine neue Kapitalallokation im Einklang mit den Prioritäten der Kommission zu ermöglichen. Steueranreize für neue, umweltorientierte Investitionen könnten in Betracht gezogen werden.

5.13.

Nach Auffassung des EWSA können die Kapitalmärkte und private Fonds entscheidend dazu beitragen, Unternehmen auf den Pfad einer nachhaltigen, umweltfreundlicheren und digitalisierten Wirtschaft zu führen. Jedwede politische Maßnahme des EU-Gesetzgebers bezüglich Gesellschaftsrecht und Corporate Governance sollte diese Rolle fördern.

6.   Anreize für die CO2-Reduzierung

6.1.

Die Steuersysteme sollten zur Umgestaltung der europäischen Wirtschaft und zur Erreichung der Klimaziele beitragen (10). Für Unternehmen und Haushalte müssen dieselben Anreize gelten, damit Kohlendioxid in der Atmosphäre zu möglichst geringen Kosten verringert werden kann.

6.2.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, konkrete Initiativen für die Einführung vergleichbarer CO2-Steuern in den Mitgliedstaaten zu ergreifen, um die Anstrengungen für eine wirksame Verringerung der CO2-Emissionen zu harmonisieren. Ein ideales Ergebnis wäre die Schaffung einheitlicher Bedingungen bezüglich der zu besteuernden Emissionen/Verringerungen im gesamten Binnenmarkt und der Festlegung spezifischer Besteuerungsmethoden und -sätze für eine gleich starke Wirkung auf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre.

6.3.

Die Mitgliedstaaten sollten insbesondere eine umfassende und symmetrische Umweltsteuerpolitik mit Blick auf die Auswirkungen von CO2 auf die Erderwärmung beschließen. Es muss eine Besteuerung sowohl mit positiven als auch mit negativen Steuersätzen eingeführt werden. Die mit Hilfe der Steuern auf CO2-Emissionen erzielten Einnahmen sollten für die Finanzierung lokaler, regionaler und nationaler Anreize für Verfahren zur CO2-Reduzierung eingesetzt werden.

6.4.

Der Verkauf von forstwirtschaftlichen Erzeugnissen wird zwar als Einkommen für den Besitzer besteuert. Allerdings verringert die Anpflanzung von Bäumen und der Zuwachs von Wäldern das CO2 in der Atmosphäre und sollte deshalb in einem symmetrischen Steueransatz zur Bekämpfung der Erderwärmung mit einer negativen CO2-Steuer gefördert werden. Dies wäre eine wichtige Maßnahme zur Erreichung der Klimaziele.

6.5.

Ein ideales Ergebnis wäre die Schaffung einheitlicher Bedingungen bezüglich der zu besteuernden Emissionen/Verringerungen überall auf der Welt und der Festlegung spezifischer Besteuerungsmethoden und -sätze für eine gleich starke Wirkung auf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre.

7.   Vermeidung negativer Anreize für die Digitalisierung

7.1.

Im Zuge der Verwendung von Daten und neuen Geschäftsmodellen ist es erforderlich geworden, die internationalen Besteuerungsgrundsätze dahingehend zu überprüfen, wie die Steuereinnahmen auf die einzelnen Länder aufgeteilt werden können. Hier muss ein globaler Konsens erzielt und umgesetzt werden (11).

7.2.

Das Steuerpaket enthält einen Vorschlag für einen effektiven Körperschaftsteuer-Mindestsatz von 15 %. Die Vereinbarung auf Ebene der OECD/G20 soll Steuerwettbewerb einschränken, insbesondere seitens jener Länder, deren Steuersätze unter dem Schwellenwert liegen. Laut der Vereinbarung sind die Vertragsparteien gemäß dem multilateralen Übereinkommen (MLC) verpflichtet, sämtliche Steuern auf digitale Dienstleistungen und andere vergleichbare relevante Maßnahmen in Bezug auf alle Unternehmen zu beseitigen und solche Maßnahmen künftig nicht einzuführen. Eine genaue Definition dessen, was unter vergleichbaren relevanten Maßnahmen zu verstehen ist, erfolgt im Rahmen der Annahme des MLC und in dessen Präambel (12).

7.3.

Nach Ansicht des EWSA müssen geeignete Vorschriften zur Förderung der weiteren Digitalisierung der europäischen Wirtschaft eingeführt werden, damit das Ziel einer umweltfreundlicheren und digitalisierten Wirtschaft verwirklicht werden kann.

Brüssel, den 8. Dezember 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Um wirksam zu sein, muss das Geld kosteneffizient aufgebracht und in den Mitgliedstaaten gut ausgegeben werden und zu Investitionen beitragen, die ohne diese Mittel nicht getätigt worden wären.

(2)  Ein Betrag in Höhe des definierten Ertrags aus der Erhöhung der Eigenkapitalbasis des FWI ist von der Bemessungsgrundlage abzugsfähig. Der definierte Ertrag soll der Benchmark-Rendite für zehnjährige Staatsanleihen des Euro-Währungsgebiets im Dezember des dem relevanten Steuerjahr vorausgehenden Jahres entsprechen. Siehe Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (COM(2016) 685 final — 2016/0337(CNS).

(3)  Freibetrag als Anreiz gegen eine Bevorzugung der Fremd- gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung (DEBRA), Mitteilung „Eine Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert“, COM(2021) 251 final.

(4)  So muss es zum Beispiel verboten sein, dass Führungskräfte Ausgaben für Luxuszwecke tätigen, die nicht mit wirtschaftlichen Zielen im Zusammenhang stehen.

(5)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuervermeidung und Geldwäsche“ (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 6).

(6)  Konsultation zur nachhaltigen Unternehmensführung, Zeitraum: 26. Oktober 2020-8. Februar 2021.

(7)  ESG-Kriterien beziehen sich auf Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungskriterien, die bei Investitionen in ein Unternehmen berücksichtigt werden. Diese Kriterien bestehen zwar seit mehreren Jahrzehnten, sind aber in den letzten Jahren zu einem festen Bestandteil sozialverantwortlicher Investitionen geworden.

(8)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema Eine Kapitalmarktunion für die Menschen und Unternehmen — neuer Aktionsplan (ABl. C 155 vom 30.4.2021, S. 20).

(9)  Die Behauptung, die Dividendenpolitik sei von kurzfristigen Überlegungen geprägt, wurde von vielen Forschern in Frage gestellt, siehe z. B. Corporate Governance and Short-Termism: An in-depth Analysis of Swedish data (Unternehmensführung und Kurzfristigkeit: eine eingehende Analyse der Daten aus Schweden), (2021) von Martin Carlsson-Wall u. a., Stockholm School of Economics. Die empirischen Ergebnisse des Zeitraums 2000-2019 für 786 Einzelunternehmen und 7 389 Unternehmensjahre geben keine Anhaltspunkte für kurzfristig angelegte Finanzpolitik.

(10)  Siehe Stellungnahme des EWSA „Besteuerungsverfahren zur Verringerung der CO2-Emissionen“ (ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 21).

(11)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert“ (ECO/558).

(12)  Vorhaben der OECD/G20 zu Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung: Erklärung zur Zwei-Säulen-Lösung für die steuerlichen Herausforderungen der Digitalisierung der Wirtschaft, 8. Oktober 2021, S. 7 (auf Englisch).


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