Rechtssache C‑480/12
Minister van Financiën
gegen
X BV
(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden)
„Zollkodex der Gemeinschaft — Anwendungsbereich der Art. 203 und 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 — Externes Versandverfahren — Entstehung der Zollschuld wegen Nichterfüllung einer Pflicht — Verspätete Gestellung der Waren bei der Bestimmungsstelle — Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie — Art. 10 Abs. 3 — Zusammenhang zwischen der Entstehung der Zollschuld und der Entstehung der Mehrwertsteuerschuld — Begriff der steuerbaren Umsätze“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 15. Mai 2014
Zollunion – Entstehung einer Zollschuld wegen Nichterfüllung einer Pflicht zur Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens – Verfehlungen ohne Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens – Bedeutung – Nichteinhaltung der Frist für die Gestellung der Waren – Keine angemessene Frist – Ausschluss
(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung, Art. 203 und 204; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission in der durch die Verordnung Nr. 444/2002 geänderten Fassung, Art. 356 und 859 Abs. 2 Buchst. c)
Zollunion – Entstehung einer Zollschuld wegen Nichterfüllung einer Pflicht zur Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens – Verfehlungen ohne Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens – Bedeutung – Nichteinhaltung der Frist für die Gestellung der Waren – Ausschluss – Keine Angaben zu den Gründen der Überschreitung der Frist oder dem Ort der Waren – Keine Auswirkung
(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung, Art. 203 und 204; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission in der durch die Verordnung Nr. 444/2002 geänderten Fassung, Art. 356 und 859 Abs. 2 Buchst. c)
Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Lieferung von Gegenständen – Begriff – Verkauf von Waren, die nicht mehr dem Zollverfahren unterliegen – Einbeziehung – Ausschließlich auf der Grundlage von Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92 entstandene Zollschuld – Keine Auswirkung
(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung, Art. 204; Richtlinie 77/388 des Rates in der durch die Richtlinie 2004/66 geänderten Fassung, Art. 2 und 7 Abs. 3 Unterabs. 1)
Die Art. 203 und 204 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 859 Nr. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 444/2002 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass das bloße Überschreiten der gemäß Art. 356 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 in der geänderten Fassung festgelegten Gestellungsfrist nicht zu einer Zollschuld wegen Entziehens der betreffenden Waren aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne von Art. 203 der Verordnung Nr. 2913/92 in der geänderten Fassung führt, sondern zu einer Zollschuld, die Art. 204 des Zollkodex zur Grundlage hat.
Denn die Art. 203 und 204 der Verordnung Nr. 2913/92 haben einen unterschiedlichen Anwendungsbereich. Während der erstgenannte Artikel die Handlungen betrifft, die dazu führen, dass die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, bezieht sich der zweitgenannte auf Pflichtverletzungen und die Nichterfüllung von Voraussetzungen im Zusammenhang mit den verschiedenen Zollverfahren, die sich auf die zollamtliche Überwachung nicht ausgewirkt haben. Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92 findet nach seinem Wortlaut nur in den Fällen Anwendung, die nicht unter Art. 203 dieser Verordnung fallen.
Gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2913/92 entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, es sei denn, dass sich diese Verfehlung nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat. Für jeden Fall, der nicht unter diese Ausnahme fällt, gilt Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92.
Gleichwohl sieht Art. 859 Nr. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 2454/93 ausdrücklich vor, dass dann, wenn die gemäß Art. 356 dieser Verordnung festgelegte Frist überschritten wurde und die verspätete Gestellung der Ware nicht nach dessen Abs. 3 gerechtfertigt werden kann, davon auszugehen ist, dass sich die Überschreitung der Gestellungsfrist auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat, da die Ware der Bestimmungsstelle dennoch innerhalb eines vertretbaren Zeitraums gestellt wurde.
(vgl. Rn. 31, 32, 39, 41, 45, Tenor 1)
Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 859 Nr. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 444/2002 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das Entstehen einer Zollschuld gemäß diesem Art. 204 nicht erfordert, dass die Betroffenen den Zollbehörden Angaben zu den Gründen der Überschreitung der gemäß Art. 356 der Verordnung Nr. 2454/93 in der geänderten Fassung festgelegten Frist oder dazu machen, an welchem Ort sich die Waren in dem Zeitraum zwischen dem Ablauf dieser Frist und der tatsächlichen Gestellung der Waren bei der Bestimmungszollstelle befunden haben.
Werden Waren der Bestimmungsstelle erst nach Ablauf der von der Abgangsstelle gesetzten Frist gestellt, so gilt diese Frist als gewahrt, sofern gegenüber der Bestimmungsstelle glaubhaft gemacht wird, dass die Nichteinhaltung auf vom Beförderer oder Hauptverpflichteten nicht zu vertretende Umstände zurückzuführen ist.
(vgl. Rn. 43, 45, Tenor 1)
Art. 7 Abs. 3 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in der durch die Richtlinie 2004/66 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Mehrwertsteuer geschuldet wird, wenn die betreffenden Waren nicht mehr den in diesem Artikel genannten Regelungen unterliegen, und zwar auch dann, wenn eine Zollschuld ausschließlich auf der Grundlage von Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung entstanden ist.
In dem Fall jedoch, in dem diese Waren zum Zeitpunkt ihrer Wiederausfuhr aufgrund des Entstehens einer Zollschuld diesen Regelungen bereits nicht mehr unterliegen, ist davon auszugehen, dass sie Gegenstand einer Einfuhr im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Sechsten Richtlinie waren.
Nach diesem Art. 2 unterliegt u. a. die Einfuhr von Gegenständen der Mehrwertsteuer.
(vgl. Rn. 47, 54, 55, Tenor 2)
Rechtssache C‑480/12
Minister van Financiën
gegen
X BV
(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden)
„Zollkodex der Gemeinschaft — Anwendungsbereich der Art. 203 und 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 — Externes Versandverfahren — Entstehung der Zollschuld wegen Nichterfüllung einer Pflicht — Verspätete Gestellung der Waren bei der Bestimmungsstelle — Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie — Art. 10 Abs. 3 — Zusammenhang zwischen der Entstehung der Zollschuld und der Entstehung der Mehrwertsteuerschuld — Begriff der steuerbaren Umsätze“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 15. Mai 2014
Zollunion — Entstehung einer Zollschuld wegen Nichterfüllung einer Pflicht zur Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens — Verfehlungen ohne Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens — Bedeutung — Nichteinhaltung der Frist für die Gestellung der Waren — Keine angemessene Frist — Ausschluss
(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung, Art. 203 und 204; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission in der durch die Verordnung Nr. 444/2002 geänderten Fassung, Art. 356 und 859 Abs. 2 Buchst. c)
Zollunion — Entstehung einer Zollschuld wegen Nichterfüllung einer Pflicht zur Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens — Verfehlungen ohne Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens — Bedeutung — Nichteinhaltung der Frist für die Gestellung der Waren — Ausschluss — Keine Angaben zu den Gründen der Überschreitung der Frist oder dem Ort der Waren — Keine Auswirkung
(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung, Art. 203 und 204; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission in der durch die Verordnung Nr. 444/2002 geänderten Fassung, Art. 356 und 859 Abs. 2 Buchst. c)
Harmonisierung des Steuerrechts — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem — Lieferung von Gegenständen — Begriff — Verkauf von Waren, die nicht mehr dem Zollverfahren unterliegen — Einbeziehung — Ausschließlich auf der Grundlage von Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92 entstandene Zollschuld — Keine Auswirkung
(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung, Art. 204; Richtlinie 77/388 des Rates in der durch die Richtlinie 2004/66 geänderten Fassung, Art. 2 und 7 Abs. 3 Unterabs. 1)
Die Art. 203 und 204 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 859 Nr. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 444/2002 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass das bloße Überschreiten der gemäß Art. 356 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 in der geänderten Fassung festgelegten Gestellungsfrist nicht zu einer Zollschuld wegen Entziehens der betreffenden Waren aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne von Art. 203 der Verordnung Nr. 2913/92 in der geänderten Fassung führt, sondern zu einer Zollschuld, die Art. 204 des Zollkodex zur Grundlage hat.
Denn die Art. 203 und 204 der Verordnung Nr. 2913/92 haben einen unterschiedlichen Anwendungsbereich. Während der erstgenannte Artikel die Handlungen betrifft, die dazu führen, dass die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, bezieht sich der zweitgenannte auf Pflichtverletzungen und die Nichterfüllung von Voraussetzungen im Zusammenhang mit den verschiedenen Zollverfahren, die sich auf die zollamtliche Überwachung nicht ausgewirkt haben. Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92 findet nach seinem Wortlaut nur in den Fällen Anwendung, die nicht unter Art. 203 dieser Verordnung fallen.
Gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2913/92 entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, es sei denn, dass sich diese Verfehlung nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat. Für jeden Fall, der nicht unter diese Ausnahme fällt, gilt Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92.
Gleichwohl sieht Art. 859 Nr. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 2454/93 ausdrücklich vor, dass dann, wenn die gemäß Art. 356 dieser Verordnung festgelegte Frist überschritten wurde und die verspätete Gestellung der Ware nicht nach dessen Abs. 3 gerechtfertigt werden kann, davon auszugehen ist, dass sich die Überschreitung der Gestellungsfrist auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat, da die Ware der Bestimmungsstelle dennoch innerhalb eines vertretbaren Zeitraums gestellt wurde.
(vgl. Rn. 31, 32, 39, 41, 45, Tenor 1)
Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 859 Nr. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 444/2002 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das Entstehen einer Zollschuld gemäß diesem Art. 204 nicht erfordert, dass die Betroffenen den Zollbehörden Angaben zu den Gründen der Überschreitung der gemäß Art. 356 der Verordnung Nr. 2454/93 in der geänderten Fassung festgelegten Frist oder dazu machen, an welchem Ort sich die Waren in dem Zeitraum zwischen dem Ablauf dieser Frist und der tatsächlichen Gestellung der Waren bei der Bestimmungszollstelle befunden haben.
Werden Waren der Bestimmungsstelle erst nach Ablauf der von der Abgangsstelle gesetzten Frist gestellt, so gilt diese Frist als gewahrt, sofern gegenüber der Bestimmungsstelle glaubhaft gemacht wird, dass die Nichteinhaltung auf vom Beförderer oder Hauptverpflichteten nicht zu vertretende Umstände zurückzuführen ist.
(vgl. Rn. 43, 45, Tenor 1)
Art. 7 Abs. 3 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in der durch die Richtlinie 2004/66 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Mehrwertsteuer geschuldet wird, wenn die betreffenden Waren nicht mehr den in diesem Artikel genannten Regelungen unterliegen, und zwar auch dann, wenn eine Zollschuld ausschließlich auf der Grundlage von Art. 204 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung entstanden ist.
In dem Fall jedoch, in dem diese Waren zum Zeitpunkt ihrer Wiederausfuhr aufgrund des Entstehens einer Zollschuld diesen Regelungen bereits nicht mehr unterliegen, ist davon auszugehen, dass sie Gegenstand einer Einfuhr im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Sechsten Richtlinie waren.
Nach diesem Art. 2 unterliegt u. a. die Einfuhr von Gegenständen der Mehrwertsteuer.
(vgl. Rn. 47, 54, 55, Tenor 2)