URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)
8. Oktober 2020 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 – Zollkodex der Gemeinschaften – Art. 121 Abs. 1 – Aktiver Veredelungsverkehr – Zollrechtlich freier Verkehr – Entstehung einer Zollschuld – Berechnung der Schuld – Begriff ‚Bemessungsgrundlagen‘ – Berücksichtigung einer Zollpräferenzmaßnahme“
In der Rechtssache C‑330/19
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 19. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 23. April 2019, in dem Verfahren
Staatssecretaris van Financiën
gegen
Exter BV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin (Berichterstatter) sowie der Richter T. von Danwitz und P. G. Xuereb,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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der Exter BV, vertreten durch M. Boekhoud, |
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der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und M. H. S. Gijzen als Bevollmächtigte, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Clotuche-Duvieusart und P. Vanden Heede als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 121 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex). |
2 |
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen, Niederlande) und der Exter BV über die Anwendung einer Zollpräferenzmaßnahme. |
Rechtlicher Rahmen
3 |
Der Zollkodex wurde mit Wirkung vom 1. Mai 2016 durch die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, berichtigt durch ABl. 2013, L 287, S. 90, und ABl. 2016, L 267, S. 2) aufgehoben und ersetzt. In Anbetracht des für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Zeitpunkts findet der Zollkodex in der vorliegenden Rechtssache jedoch weiterhin Anwendung. |
4 |
Art. 20 des Zollkodex bestimmte: „(1) Die bei Entstehen einer Zollschuld gesetzlich geschuldeten Abgaben stützen sich auf den Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften. … (3) Der Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften umfasst:
…
…“ |
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In Art. 114 unter D („Aktive Veredelung“) des Zollkodex hieß es: „(1) Im aktiven Veredelungsverkehr können unbeschadet des Artikels 115 folgende Waren im Zollgebiet der Gemeinschaft einem oder mehreren Veredelungsvorgängen unterzogen werden:
(2) Im Sinne dieser Verordnung sind oder ist
…
…“ |
6 |
Art. 120 dieses Kodex sah vor: „Nach dem Ausschussverfahren kann festgelegt werden, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen die unveränderten Waren oder die Veredelungserzeugnisse als in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt gelten.“ |
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Art. 121 des Zollkodex lautete: „(1) Vorbehaltlich des Artikels 122 wird bei Entstehen einer Zollschuld die Höhe dieser Zollschuld anhand der Bemessungsgrundlagen berechnet, die für die Einfuhrwaren in dem Zeitpunkt maßgebend waren, in dem die Anmeldung zur Überführung dieser Waren in den aktiven Veredelungsverkehr angenommen wurde. (2) Wenn die Einfuhrwaren zu dem in Absatz 1 genannten Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Zollpräferenzbehandlung im Rahmen von Zollkontingenten oder Zollplafonds erfüllten, so kann auf sie die Zollpräferenzbehandlung angewandt werden, die gegebenenfalls für gleiche Waren in dem Zeitpunkt galt, in dem die Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angenommen wurde.“ |
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
8 |
Exter ist ein Unternehmen der Lebensmittelindustrie, das Proteinhydrolysate (im Folgenden: Hydrolysate) zu einer Komponente verarbeitet, die als Grundlage für die Herstellung von Brühen dienen soll. |
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In dieser Eigenschaft hatte sie vom 23. Mai 2012 bis zum 23. Mai 2015 für Hydrolysate eine Bewilligung für die Inanspruchnahme des Zollverfahrens der aktiven Veredelung unter Anwendung des Nichterhebungsverfahrens. Zwischen dem 12. November 2012 und dem 17. Juni 2013 überführte sie mehrere Sendungen Hydrolysate mit Ursprung in Thailand in das Zollverfahren der aktiven Veredelung (im Folgenden: in Rede stehende Erzeugnisse). |
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Zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldungen betrug der normale Zollsatz für die Tarifunterposition, in die diese Erzeugnisse eingereiht wurden, 12,8 %. Bis zum 31. Dezember 2013 galt jedoch abweichend von diesem Regelsatz für Hydrolysate eine Zollpräferenzmaßnahme, auf deren Grundlage der Regelsatz für diese Erzeugnisse, wenn sie ihren Ursprung in einem begünstigten Land wie Thailand hatten, nach Art. 6 Abs. 3 und Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 732/2008 des Rates vom 22. Juli 2008 über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2011 und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 552/97 und (EG) Nr. 1933/2006 sowie der Verordnungen (EG) Nr. 1100/2006 und (EG) Nr. 964/2007 der Kommission (ABl. 2008, L 211, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 512/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 (ABl. 2011, L 145, S. 28) geänderten Fassung auf 8,9 % herabgesetzt wurde. |
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Exter entschied nach der Veredelung, einen Teil der in Rede stehenden Erzeugnisse nicht wieder auszuführen, sondern insoweit das Zollverfahren der aktiven Veredelung zu beenden. Zwischen dem 4. Februar 2014 und dem 26. August 2014 meldete sie diese Erzeugnisse pro Sendung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. |
12 |
In den betreffenden Anmeldungen gab Exter an, dass die in Rede stehenden Erzeugnisse unter das Zollverfahren der aktiven Veredelung nach dem Nichterhebungsverfahren fielen, beschrieb diese Erzeugnisse als „Proteinhydrolysate“ und führte die Tarifunterposition 21069092 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. 1987, L 256, S. 1) in den sich nacheinander aus der Verordnung (EU) Nr. 1006/2011 der Kommission vom 27. September 2011 (ABl. 2011, L 282, S. 1) und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom 9. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 304, S. 1) ergebenden Fassungen an. Zudem ersuchte Exter die zuständige niederländische Zollbehörde (im Folgenden: Zollbehörde), bei der Berechnung der Zollschuld den in der Verordnung Nr. 732/2008 geregelten Präferenzzollsatz von 8,9 % zugrunde zu legen. |
13 |
Die in Rn. 10 des vorliegenden Urteils genannte Zollpräferenzmaßnahme war im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2016 ausgesetzt. Diese Aussetzung war also in Kraft, als Exter die in Rede stehenden Erzeugnisse zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr anmeldete. Deshalb wandte die Zollbehörde den Präferenzzollsatz von 8,9 % nicht an, sondern setzte Zölle unter Berücksichtigung des Satzes von 12,8 % fest. |
14 |
Der Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam, Niederlande) wurde mit einem Rechtsstreit über die Frage befasst, ob die Zollbehörde die für die Jahre 2012 und 2013 geltende Zollpräferenzmaßnahme bei der Berechnung der aufgrund der Überführung der in Rede stehenden Erzeugnisse in den zollrechtlich freien Verkehr für das Jahr 2014 fälligen Zollschuld hätte berücksichtigen müssen. Er stellte fest, in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens habe der Betrag der Zollschuld gemäß Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex anhand der Bemessungsgrundlagen, die für die Einfuhrwaren in dem Zeitpunkt maßgebend gewesen seien, in dem die jeweilige Anmeldung zur Überführung dieser Waren in den aktiven Veredelungsverkehr angenommen worden sei, berechnet werden müssen. Insbesondere sei zwischen den Parteien unstreitig, dass Exter zum Zeitpunkt der Überführung der in Rede stehenden Erzeugnisse in den aktiven Veredelungsverkehr alle Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Präferenzzollsatzes von 8,9 % erfüllt hätte, falls sie die Erzeugnisse zu diesem Zeitpunkt zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet und die Anwendung des betreffenden Präferenzzollsatzes beantragt hätte. Der Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam) schloss daraus, dass die Zollbehörde in diesem Fall verpflichtet gewesen wäre, bei der Berechnung der Zollschulden, die sich aus den Anmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ergäben, den Präferenzzollsatz von 8,9 % anzuwenden. |
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Der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande), bei dem der Staatssekretär für Finanzen Rechtsmittel einlegte, erläutert in der Vorlageentscheidung zwei mögliche Auslegungsvarianten des Wortlauts von Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex. |
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Das vorlegende Gericht erklärt erstens, dass Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex dahin ausgelegt werden könnte, dass der Begriff „Bemessungsgrundlagen“ im Sinne dieser Bestimmung auch die in Art. 20 Abs. 3 des Zollkodex genannten Einfuhrabgaben und Zollpräferenzmaßnahmen umfasse. Bei Zugrundelegung dieser Auslegung werde sowohl in Bezug auf die unveränderten Einfuhrwaren als auch die Veredelungserzeugnisse der Betrag erhoben, der geschuldet wäre, wenn die Einfuhrwaren nicht in das Zollverfahren der aktiven Veredelung nach dem Nichterhebungsverfahren, sondern sofort in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt worden wären. Dies würde im vorliegenden Fall bedeuten, dass die in Rede stehenden Erzeugnisse nach Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex den in dessen Art. 20 Abs. 3 Buchst. c genannten Einfuhrabgaben unterlägen, die zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldungen zur Überführung der Hydrolysate in den aktiven Veredelungsverkehr normalerweise für diese Waren galten, nämlich der Präferenzzollsatz von 8,9 %, und dass Exter für das Jahr 2014 somit in den Genuss der Anwendung dieses Satzes gekommen wäre. |
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Zweitens legt das vorlegende Gericht die Auslegungsvariante dar, wonach der Begriff „Bemessungsgrundlagen“ im Sinne des Zollkodex sich nicht auf Regelsätze und Zollpräferenzsätze beziehe. Zumindest in den Niederlanden werde bei der Festsetzung des Betrags der gesetzlich geschuldeten Zölle, Abgaben oder anderen Steuern begrifflich zwischen einerseits den anwendbaren Tarifen in Form von Regelzollsätzen oder spezifischen Abgaben und etwaigen zolltariflichen Maßnahmen (bzw. Zollpräferenzmaßnahmen) und andererseits den Bemessungsgrundlagen unterschieden, die im Zusammenhang mit diesen Tarifen und zolltariflichen Maßnahmen anzuwenden seien, wie der Warenwert, das Warengewicht oder die Warenmenge. Bei dieser Auslegung werde der Grundsatz gewahrt, dass die Zölle nach Maßgabe der rechtlichen und tatsächlichen Situation bei Entstehung der Zollschuld berechnet würden. Im vorliegenden Fall hätte eine solche Auslegung zur Folge, dass Exter die Anwendung der Zollpräferenzmaßnahme für 2014 nicht hätte beanspruchen können, da zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zollschuld zu berechnen gewesen sei (zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung zum zollrechtlich freien Verkehr), die Zollpräferenzmaßnahme ausgesetzt gewesen sei und folglich wieder der Regelsatz gegolten habe. |
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Das vorlegende Gericht bevorzugt zwar die zweite Auslegung, ist aber der Ansicht, dass es an der Richtigkeit seiner Analyse doch berechtigte Zweifel geben könne. |
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Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Führt Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex dazu, dass eine Zollpräferenzmaßnahme, für die Einfuhrwaren zum Zeitpunkt ihrer Überführung in den aktiven Veredelungsverkehr unter Anwendung des Nichterhebungsverfahrens in Betracht kamen, auch noch bei der Bestimmung des Betrags der Zollschuld, die bei der Überführung dieser Waren in unverändertem bzw. verändertem Zustand in den zollrechtlich freien Verkehr entsteht, berücksichtigt werden kann, wenn diese Maßnahme zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ausgesetzt ist? |
Zur Vorlagefrage
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Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung einer zu einem ermäßigten Zollsatz führenden Zollpräferenzmaßnahme entgegensteht, die zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung zur Überführung der Waren in den aktiven Veredelungsverkehr in Kraft war, aber zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung dieser Waren zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ausgesetzt war. |
21 |
Nach Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex wird im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs bei Entstehen einer Zollschuld die Höhe dieser Zollschuld anhand der Bemessungsgrundlagen berechnet, die für die Einfuhrwaren in dem Zeitpunkt maßgebend waren, in dem die Anmeldung zur Überführung dieser Waren in den aktiven Veredelungsverkehr angenommen wurde. |
22 |
Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob der Begriff „Bemessungsgrundlagen“ im Sinne dieser Bestimmung dahin auszulegen ist, dass er auch die Regel- und die Präferenzzollsätze erfasst, oder dahin, dass er sich auf die Bemessungsgrundlagen beschränkt, auf die diese Sätze anzuwenden sind, wie die zolltarifliche Einreihung, der Zollwert, die Menge, die Art oder der Ursprung der Waren. |
23 |
Vorab ist festzustellen, dass der Begriff „Bemessungsgrundlagen“ im Zollkodex nicht definiert ist und dass der Zollkodex für die Ermittlung des Sinnes und der Bedeutung dieses Begriffs nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist. |
24 |
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich aus dem Erfordernis sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, in der kein ausdrücklicher Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten für die Ermittlung ihrer Bedeutung und ihrer Tragweite enthalten ist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss. Demnach ist der Begriff „Bemessungsgrundlagen“ in Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen und unter Berücksichtigung des mit der betreffenden Regelung verfolgten Zwecks und des Zusammenhangs, in den sich dieser Artikel einfügt, auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Mai 2017, The Shirtmakers,C‑59/16, EU:C:2017:362, Rn. 21 und 22). |
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Was den Zweck des aktiven Veredelungsverkehrs angeht, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 114 Abs. 1 des Zollkodex u. a. vorsieht, dass in diesem Verfahren Nichtgemeinschaftswaren, die zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Union in Form von Veredelungserzeugnissen bestimmt sind, und zwar, ohne dass für diese Waren Einfuhrabgaben erhoben oder handelspolitische Maßnahmen angewandt werden, im Zollgebiet der Union einem oder mehreren Veredelungsvorgängen unterzogen werden können. Nach Art. 114 Abs. 2 Buchst. a des Zollkodex wird diese Form des aktiven Veredelungsverkehrs als „Nichterhebungsverfahren“ bezeichnet. Nach Art. 114 Abs. 2 Buchst. c und d des Zollkodex sind Veredelungserzeugnisse alle Erzeugnisse, die aus Veredelungsvorgängen wie der Be- oder der Verarbeitung von Waren entstanden sind. |
26 |
Die Wiederausfuhr von Waren aus dem Zollgebiet der Union als Veredelungserzeugnisse ist eine Voraussetzung für die Anwendung der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs. Daraus folgt, dass diese Regelung nur dann rechtmäßig angewandt werden kann, wenn die Waren tatsächlich zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft bestimmt sind, wie es Art. 537 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. 1993, L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 993/2001 der Kommission vom 4. Mai 2001 (ABl. 2001, L 141, S. 1) geänderten Fassung vorsieht, wonach der Antragsteller „die Absicht zur Wiederausfuhr“ der fraglichen Waren haben muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juni 2009, Pometon,C‑158/08, EU:C:2009:349, Rn. 23). |
27 |
Dazu hat der Gerichtshof erläutert, dass das Verfahren der aktiven Veredelung, das zur Nichterhebung von Zöllen führt, eine Ausnahmemaßnahme ist, die den Ablauf bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten vereinfachen soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Januar 2010, Terex Equipment u. a.,C‑430/08 und C‑431/08, EU:C:2010:15, Rn. 42). Aus der Gesamtheit der Bestimmungen zum rechtlichen Status des aktiven Veredelungsverkehrs ergibt sich nämlich, dass dieser zum Ziel hat, lediglich solche Waren von Zöllen zu befreien, die nur vorübergehend zur Verarbeitung, Reparatur oder Bearbeitung in das Zollgebiet der Union verbracht und anschließend wiederausgeführt werden. Dadurch wird eine Benachteiligung der Wirtschaftstätigkeit der Mitgliedstaaten der Union verhindert (Urteil vom 4. Juni 2009, Pometon,C‑158/08, EU:C:2009:349, Rn. 24). |
28 |
Aus Art. 120 des Zollkodex ergibt sich allerdings, dass die unveränderten Waren oder die Veredelungserzeugnisse in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt werden können, was nach Art. 121 des Zollkodex zur Entstehung einer Zollschuld führt. |
29 |
Weiter ist zu berücksichtigen, dass Zollpräferenzmaßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Teil eines Schemas allgemeiner Zollpräferenzen sind, das der Rat der Europäischen Union mit einer Verordnung festlegt, die für einen bestimmten Zeitraum gelten soll. Wie die Europäische Kommission aber zu Recht ausführt, könnte sich ein Wirtschaftsteilnehmer, wenn der Begriff „Bemessungsgrundlagen“ in Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex den anwendbaren Zollsatz umfasste, dafür entscheiden, Waren für einen längeren Zeitraum in den aktiven Veredelungsverkehr zu überführen, um sie erst nach Aussetzung oder Aufhebung des Präferenzzollsatzes in den zollrechtlich freien Verkehr zu überführen, so dass diese Waren einem ermäßigten Zollsatz unterliegen würden, während das gleiche, von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer zum Zeitpunkt dieser Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr eingeführte Erzeugnis einem Regelsatz unterliegen würde. Die Möglichkeit, eine solche Wettbewerbsverzerrung hervorzurufen, liefe dem in Rn. 27 des vorliegenden Urteils genannten Ziel des aktiven Veredelungsverkehrs zuwider. |
30 |
Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex ist im Licht von Art. 121 Abs. 2 des Zollkodex zu verstehen. Nach Art. 121 Abs. 2 des Zollkodex kann, wenn die Einfuhrwaren in dem Zeitpunkt, in dem die Anmeldung zur Überführung dieser Waren in den aktiven Veredelungsverkehr angenommen wurde, die Voraussetzungen für eine Zollpräferenzbehandlung im Rahmen von Zollkontingenten oder Zollplafonds erfüllten, auf sie die Zollpräferenzbehandlung angewandt werden, die gegebenenfalls für gleiche Waren in dem Zeitpunkt galt, in dem die Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angenommen wurde. |
31 |
Art. 121 Abs. 2 des Zollkodex wäre aber überflüssig, wenn der Begriff „Bemessungsgrundlagen“ in dessen Art. 121 Abs. 1 dahin auszulegen wäre, dass er die Regel- und Präferenzzollsätze umfasst. |
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Daher ist dieser Begriff dahin auszulegen, dass er nicht die Regel- und Präferenzzollsätze umfasst, sondern nur die Grundlagen, für die diese Sätze gelten. |
33 |
Wie das vorlegende Gericht zu Recht darlegt, steht diese Auslegung des Begriffs „Bemessungsgrundlagen“ im Einklang mit dem Grundsatz, dass die Zölle anhand der Lage zum Zeitpunkt der Entstehung der Zollschuld berechnet werden. |
34 |
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 121 Abs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung einer zu einem ermäßigten Zollsatz führenden Zollpräferenzmaßnahme entgegensteht, die zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung zur Überführung der Waren in den aktiven Veredelungsverkehr in Kraft war, aber zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung dieser Waren zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ausgesetzt war. |
Kosten
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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 121 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung einer zu einem ermäßigten Zollsatz führenden Zollpräferenzmaßnahme entgegensteht, die zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung zur Überführung der Waren in den aktiven Veredelungsverkehr in Kraft war, aber zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung dieser Waren zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ausgesetzt war. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.