URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

30. April 2024 ( *1 )

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 259 AEUV – Richtlinie 2014/49/EU – Einlagensicherungssysteme – Art. 14 Abs. 3 – Übertragung der Tätigkeiten eines Kreditinstituts von dem Einlagensicherungssystem eines Mitgliedstaats auf das Einlagensicherungssystem eines anderen Mitgliedstaats – Übertragung der Beiträge, die in den zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten an das Einlagensicherungssystem des Herkunftsmitgliedstaats gezahlt wurden, auf das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats – Verpflichtung – Keine Übertragung der Beiträge – Praktische Wirksamkeit – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“

In der Rechtssache C‑822/21

betreffend eine Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 259 AEUV, eingereicht am 30. Dezember 2021,

Republik Lettland, vertreten durch J. Davidoviča, K. Pommere und I. Romanovska als Bevollmächtigte,

Klägerin,

unterstützt durch

Republik Estland, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,

Republik Litauen, vertreten durch K. Dieninis und V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte,

Europäische Kommission, vertreten durch E. Ljung Rasmussen, A. Nijenhuis, K. Simonsson und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,

Streithelferinnen,

gegen

Königreich Schweden, vertreten durch H. Shev und O. Simonsson als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb (Berichterstatter) und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. September 2023

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klage beantragt die Republik Lettland, festzustellen, dass das Königreich Schweden gegen seine Verpflichtungen aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (ABl. 2014, L 173, S. 149) sowie aus Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

2

Die Erwägungsgründe 3 und 37 der Richtlinie 2014/49 lauten:

„(3)

Diese Richtlinie trägt sowohl unter dem Aspekt der Niederlassungsfreiheit als auch unter dem Aspekt des freien Dienstleistungsverkehrs im Finanzdienstleistungssektor wesentlich zur Verwirklichung des Binnenmarkts für Kreditinstitute bei und erhöht gleichzeitig die Stabilität des Bankensystems und den Schutz der Einleger. Im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Ausfalls eines Kreditinstitutes und dessen negative Auswirkungen auf die Finanzstabilität und das Vertrauen der Einleger ist es wünschenswert, nicht nur Bestimmungen zur Entschädigung von Einlegern vorzusehen, sondern den Mitgliedstaaten auch ausreichende Flexibilität einzuräumen, um die Einlagensicherungssysteme in die Lage zu versetzen, Maßnahmen durchzuführen, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Forderungen gegen Einlagensicherungssysteme verringern. Diese Maßnahmen sollten stets mit den Bestimmungen über staatliche Beihilfen im Einklang stehen.

(37)

Die Einlagensicherung ist ein wichtiger Aspekt der Vollendung des Binnenmarkts und aufgrund der Solidarität, die sie unter allen Kreditinstituten eines bestimmten Finanzmarktes bei Ausfall eines dieser Institute schafft, eine unentbehrliche Ergänzung des Systems der Bankenaufsicht. Daher sollten die Mitgliedstaaten gestatten können, dass die Einlagensicherungssysteme einander auf freiwilliger Basis Kredite gewähren.“

3

Art. 10 („Finanzierung von Einlagensicherungssystemen“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/49 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Einlagensicherungssysteme über angemessene Systeme zur Feststellung ihrer potenziellen Verbindlichkeiten verfügen. Die verfügbaren Finanzmittel von Einlagensicherungssystemen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Verbindlichkeiten stehen.

Einlagensicherungssysteme bringen die verfügbaren Finanzmittel aus Beiträgen auf, die ihre Mitglieder mindestens jährlich zu entrichten haben. Einer zusätzlichen Finanzierung aus anderen Quellen steht dies nicht entgegen.

(2)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die verfügbaren Finanzmittel eines Einlagensicherungssystems bis zum 3. Juli 2024 mindestens einer Zielausstattung von 0,8 % der Höhe der gedeckten Einlagen seiner Mitglieder entsprechen.

Fällt die Finanzierungskapazität unter die Zielausstattung, so werden die Beitragszahlungen zumindest so lange wiederaufgenommen, bis die Zielausstattung wieder erreicht ist.

Wurden nach erstmaligem Erreichen der Zielausstattung die verfügbaren Finanzmittel auf weniger als zwei Drittel der Zielausstattung verringert, wird der regelmäßige Beitrag in einer Höhe festgesetzt, die es ermöglicht, die Zielausstattung innerhalb von sechs Jahren zu erreichen.

Bei dem regelmäßigen Beitrag werden die jeweilige Phase des Konjunkturzyklus und die möglichen Auswirkungen prozyklischer Beiträge bei der Festsetzung jährlicher Beiträge im Rahmen dieses Artikels gebührend berücksichtigt.

Die Mitgliedstaaten können den anfänglichen, in Unterabsatz 1 genannten Zeitraum bis zu maximal vier Jahren ausdehnen, wenn das Einlagensicherungssystem insgesamt Auszahlungen in Höhe von über 0,8 % der gedeckten Einlagen vorgenommen hat.“

4

Art. 14 („Zusammenarbeit innerhalb der Union“) Abs. 3 und 4 der Richtlinie lautet:

„(3)   Verlässt ein Kreditinstitut ein Einlagensicherungssystem und schließt sich einem anderen Einlagensicherungssystem an, so werden die Beiträge, die in den zwölf Monaten vor Ende der Mitgliedschaft gezahlt wurden, auf das andere Einlagensicherungssystem übertragen; ausgenommen davon sind Sonderbeiträge nach Artikel 10 Absatz 8. Diese Regelung kommt nicht zur Anwendung, wenn ein Kreditinstitut von einem Einlagensicherungssystem gemäß Artikel 4 Absatz 5 ausgeschlossen wurde.

Wenn ein Teil der Tätigkeiten eines Kreditinstituts auf einen anderen Mitgliedstaat übertragen wird und somit einem anderen Einlagensicherungssystem unterliegt, werden die Beiträge dieses Kreditinstituts, die in den zwölf Monaten vor der Übertragung gezahlt wurden, proportional zur Höhe der übertragenen gedeckten Einlagen auf das andere Einlagensicherungssystem übertragen; ausgenommen davon sind Sonderbeiträge nach Artikel 10 Absatz 8.

(4)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Einlagensicherungssysteme des Herkunftsmitgliedstaats die in Artikel 4 Absatz 7 oder Artikel 4 Absätze 8 und 10 genannten Informationen mit den Einlagensicherungssystemen von Aufnahmemitgliedstaaten austauschen. Hierbei finden die in jenem Artikel niedergelegten Einschränkungen Anwendung.

Beabsichtigt ein Kreditinstitut, gemäß dieser Richtlinie von einem Einlagensicherungssystem in ein anderes zu wechseln, so muss es diese Absicht mindestens sechs Monate im Voraus mitteilen. Während dieses Zeitraums bleibt das Kreditinstitut weiterhin verpflichtet, Beiträge an sein bisheriges Einlagensicherungssystem nach Artikel 10 zu entrichten, und zwar sowohl Ex-ante- als auch Ex-post-Beiträge.“

Schwedisches Recht

5

Art. 13 des Lag om insättningsgaranti (Gesetz über die Einlagensicherung, SFS 1995, Nr. 1571) bestimmt, dass die schwedische Einlagensicherungsbehörde die Höhe der fälligen Beiträge jährlich durch Entscheidung bestimmt und dass diese innerhalb eines Monats nach dem Zeitpunkt dieser Entscheidung zu entrichten sind.

6

Nach Art. 14 dieses Gesetzes werden dann, wenn ein Kreditinstitut ganz oder zum Teil übertragen und einem anderen Einlagensicherungssystem angehören wird, die Beiträge, die von ihm in den zwölf Monaten vor der Übertragung entrichtet wurden, auf das andere Einlagensicherungssystem übertragen.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

7

Die Nordea Bank AB ist ein europäischer Finanzdienstleistungskonzern mit Sitz in Schweden und Mitglied des schwedischen Einlagensicherungssystems. Dieser Konzern war bis zum 30. September 2017 in Estland, Lettland und Litauen mittels Zweigstellen tätig.

8

Am 1. Oktober 2017 übertrug die Nordea Bank die Tätigkeiten ihrer Zweigstellen in diesen drei Mitgliedstaaten auf die in diesen Staaten ansässigen Tochtergesellschaften der DNB Banka AS. Am selben Tag wurden die Tätigkeiten dieser Zweigstellen vom schwedischen auf das estnische, auf das lettische und auf das litauische Einlagensicherungssystem übertragen.

9

Mit Entscheidung vom 3. Oktober 2017 beschloss die schwedische Einlagensicherungsbehörde, Beiträge, die die Nordea Bank für Einlagen im Zusammenhang mit den Tätigkeiten ihrer lettischen Zweigstellen an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt hatte, nicht auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen (im Folgenden: Entscheidung der schwedischen Einlagensicherungsbehörde vom 3. Oktober 2017). In dieser Entscheidung führte diese Behörde aus, dass die Nordea Bank in den zwölf Monaten vor dem Zeitpunkt der Übertragung der Tätigkeiten ihrer Zweigstelle an das lettische Einlagensicherungssystem, d. h. im Zeitraum vom 1. Oktober 2016 bis zum 30. September 2017, keine Beiträge an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt habe, so dass die Voraussetzungen für die Übertragung von Beiträgen gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 nicht erfüllt seien.

10

Nach schwedischem Recht verfügte die Nordea Bank über eine Frist von einem Monat, um ihren jährlichen Beitrag ab der jeweiligen Entscheidung der schwedischen Einlagensicherungsbehörde zu zahlen. Für das Jahr 2016 erfolgte die jährliche Entscheidung der Behörde am 2. September 2016, und die Nordea Bank entrichtete ihre Beiträge am 30. September 2016 an das schwedische Einlagensicherungssystem. Für das Jahr 2017 zahlte die Nordea Bank ihren Beitrag gemäß der jährlichen Entscheidung der Behörde vom 14. September 2017 am 13. Oktober 2017. Das schwedische Einlagensicherungssystem erhielt damit vom 1. Oktober 2016 bis zum 30. September 2017, d. h. in den zwölf Monaten vor der betreffenden Übertragung, keine Beiträge.

11

Mit vergleichbaren Entscheidungen wie den in Rn. 9 des vorliegenden Urteils genannten beschloss die schwedische Einlagensicherungsbehörde ferner, die von der Nordea Bank an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlten Beiträge für Einlagen im Zusammenhang mit den Tätigkeiten ihrer estnischen und ihrer litauischen Zweigstellen nicht auf das estnische und das litauische Einlagensicherungssystem zu übertragen.

12

Die Republik Lettland focht die Entscheidung der schwedischen Einlagensicherungsbehörde vom 3. Oktober 2017 vor den schwedischen Gerichten nicht an.

13

Mit Schreiben vom 27. März 2019 ersuchte die lettische Einlagensicherungsbehörde die Europäische Kommission jedoch, zur Auslegung von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 Stellung zu nehmen.

14

Die Kommission legte in ihrer mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 übermittelten Antwort dar, dass diese Bestimmung unvollständig formuliert sei und keine spezifischen Szenarien zum Tätigwerden in den Fällen vorsehe, in denen eine nationale Einlagensicherungsbehörde entscheide, die Frist für die Zahlung der Beiträge zu verlängern, so dass Raum für unterschiedliche Auslegungen dieser Bestimmung verbleibe.

15

Die Einlagensicherungsbehörden der drei baltischen Staaten leiteten zusammen mit der schwedischen Einlagensicherungsbehörde ein Vermittlungsverfahren bei der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) ein, die die Angelegenheit im Laufe des Jahres 2019 ohne Einigung der Parteien abschloss.

Vorverfahren

16

Am 10. Mai 2021 reichte die Republik Lettland bei der Kommission gemäß Art. 259 Abs. 2 AEUV eine Beschwerde ein und forderte die Kommission auf, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu erlassen. Zur Begründung führte sie aus, dass das Königreich Schweden dadurch gegen Unionsrecht und insbesondere gegen Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 verstoßen habe, dass es sich geweigert habe, die Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen, die die lettische Zweigstelle der Nordea Bank für den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigstelle gezahlt habe.

17

Die Kommission forderte das Königreich Schweden nach Art. 259 Abs. 3 AEUV auf, sich zu dieser Beschwerde zu äußern.

18

Am 22. Juni 2021 übermittelte das Königreich Schweden der Kommission seine schriftliche Äußerung.

19

Am 1. Juli 2021 hörte die Kommission die Republik Lettland und das Königreich Schweden an. Das Königreich Schweden gab an, dass sich die Höhe der auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragenden Beiträge auf rund 500000 Euro belaufen hätte, wenn die Beiträge in den zwölf Monaten vor dem Wechsel der Zugehörigkeit zum Einlagensicherungssystem gezahlt worden wären.

20

Am 30. Juli 2021 erließ die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie feststellte, dass das Königreich Schweden zum einen gegen Art. 14 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2014/49 verstoßen habe und zum anderen nicht gegen Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen habe.

Verfahren vor dem Gerichtshof

21

Mit Schriftsatz, der am 30. Dezember 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Republik Lettland gemäß Art. 259 AEUV die vorliegende Vertragsverletzungsklage erhoben.

22

In ihrer Klageschrift beantragt sie,

festzustellen, dass das Königreich Schweden gegen seine Verpflichtungen aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 verstoßen hat, indem es durch seine Weigerung, gemäß dieser Bestimmung die Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen, die die lettische Zweigstelle der Nordea Bank für den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigstelle an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt hatte, dem Ziel der Richtlinie zuwidergehandelt und die praktische Wirksamkeit ihrer Bestimmungen nicht gewährleistet hat;

festzustellen, dass das Königreich Schweden gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen hat, indem es durch seine Weigerung, gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 die Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen, die die lettische Zweigstelle der Nordea Bank für den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigstelle an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt hatte, die Integration des Binnenmarkts beeinträchtigt und somit das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das eine Voraussetzung für die grenzüberschreitende Integration ist, untergräbt.

Sollte der Gerichtshof feststellen, dass das Königreich Schweden gegen seine Verpflichtungen aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 und aus Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen hat, beantragt die Republik Lettland,

anzuordnen, dass das Königreich Schweden den festgestellten Verstoß abstellt, indem das schwedische Einlagensicherungssystem die von der lettischen Zweigstelle der Nordea Bank gezahlten Beiträge, die gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 für den Zeitraum vom zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigestelle zu berechnen sind, in voller Höhe auf das lettische Einlagensicherungssystem überträgt;

für den Fall, dass Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 eng ausgelegt werden kann, festzustellen, dass diese Auslegung mit dem Ziel der Richtlinie vereinbar ist und das schwedische Einlagensicherungssystem verpflichtet ist, die von der lettischen Zweigstelle der Nordea Bank gezahlten Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen;

dem Königreich Schweden die Kosten aufzuerlegen.

23

Mit Entscheidungen vom 19., 25. und 30. Mai 2022 wurden die Republik Estland, die Republik Litauen und die Kommission als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Republik Lettland zugelassen.

24

Die Republik Estland unterstützt den ersten, den dritten und den fünften Klageantrag.

25

Die Republik Litauen unterstützt sämtliche Klageanträge.

26

Die Kommission unterstützt den ersten Klageantrag.

27

Das Königreich Schweden beantragt,

die Klage der Republik Lettland abzuweisen und

der Republik Lettland die Kosten aufzuerlegen.

Zur Klage

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

28

Als Erstes trägt das Königreich Schweden vor, die Klage sei insgesamt unzulässig. Es ist im Wesentlichen der Ansicht, dass im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 259 AEUV die Auslegung von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 nicht in Frage gestellt werden könne. Zum einen sehe diese Richtlinie nur eine Mindestharmonisierung vor. Zum anderen räumt das Königreich Schweden zwar ein, dass gemäß Art. 259 AEUV keine Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs erforderlich sei, doch habe die Republik Lettland die Entscheidung der schwedischen Einlagensicherungsbehörde vom 3. Oktober 2017 nicht vor einem schwedischen Gericht angefochten.

29

Des Weiteren ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Vertragsverletzungsklage darauf gerichtet sei, Verstöße eines Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht festzustellen und abzustellen, und dass eine Klage unzulässig sei, wenn sie mit dem Antrag lediglich um Auslegung des Unionsrechts ersuche. Die von der Republik Lettland erhobene Klage ziele aber in erster Linie darauf ab, die Auslegung von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 zu klären.

30

Als Zweites führt das Königreich Schweden zum ersten Klageantrag, der einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 betrifft, aus, dass sich die Republik Lettland zwar in der von der Kommission durchgeführten Anhörung vom 1. Juli 2021 auf Art. 14 Abs. 3 und Art. 10 der Richtlinie 2014/49 berufen habe, doch in ihren Klageanträgen habe sie nicht geltend gemacht, dass das Königreich Schweden gegen seine Verpflichtungen aus der letztgenannten Bestimmung verstoßen habe. Der Gerichtshof könne daher nicht prüfen, ob das Königreich Schweden gegen seine Verpflichtungen aus dieser Bestimmung verstoßen habe.

31

Zum zweiten Antrag betreffend einen Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV und zu der Begründung dieses Antrags weist das Königreich Schweden darauf hin, dass die Republik Lettland im Verwaltungsverfahren einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung mit der Begründung geltend gemacht habe, dass sie sich in einer ähnlichen Situation wie die Republik Finnland befunden habe. Diese soll sich daraus ergeben haben, dass die Nordea Bank am 1. Oktober 2018 ihren Gesellschaftssitz nach Finnland verlegt habe und die Beiträge, die in den zwölf Monaten vor dieser Verlegung an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt worden seien, durch eine Entscheidung der schwedischen Einlagensicherungsbehörde auf das finnische Einlagensicherungssystem übertragen worden seien. In ihrer Klageschrift stütze die Republik Lettland diesen Antrag jedoch darauf, dass das Königreich Schweden durch eine falsche Auslegung der Richtlinie 2014/49 gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen habe. Das Königreich Schweden ist daher der Ansicht, dass die Republik Lettland ihr Vorbringen gegenüber ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren geändert habe und der genannte Antrag, so wie er formuliert sei, daher als unzulässig zurückzuweisen sei.

32

Was schließlich den dritten Antrag betrifft, mit dem die Republik Lettland beantragt, anzuordnen, dass das Königreich Schweden die fraglichen Beiträge vom schwedischen auf das lettische Einlagensicherungssystem überträgt, bringt das Königreich Schweden vor, dass dieser dritte Antrag darauf hinauslaufe, das Königreich Schweden zur Zahlung einer Entschädigung zu verurteilen. Da eine Vertragsverletzungsklage einen solchen Antrag aber nicht zum Gegenstand haben könne, sei dieser zurückzuweisen.

33

Die Republik Lettland entgegnet erstens, das Vorbringen des Königreichs Schweden, die Richtlinie 2014/49 sehe nur eine Mindestharmonisierung vor, betreffe nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit der Klage.

34

Zweitens verlange keine Bestimmung des Unionsrechts, vor Erhebung einer Vertragsverletzungsklage beim Gerichtshof den innerstaatlichen Rechtsweg zu erschöpfen.

35

Drittens sei der Antrag der Republik Lettland auf Feststellung einer Vertragsverletzung auf einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2014/49 gestützt. In ihrer Beschwerde vom 10. Mai 2021 habe sie die Kommission um eine mit Gründen versehene Stellungnahme im Sinne von Art. 259 Abs. 3 AEUV ersucht, und zwar in Bezug auf die Verpflichtung des schwedischen Einlagensicherungssystems, die von der lettischen Zweigstelle der Nordea Bank gezahlten Beiträge, berechnet gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 für den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigestelle, auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen. Folglich habe sie den Gegenstand des Rechtsstreits in ihrer Klageschrift weder erweitert noch geändert.

36

Viertens beantrage sie mit ihrem dritten Antrag nicht, das Königreich Schweden zur Zahlung einer Entschädigung zu verurteilen, sondern, ihm aufzugeben, den festgestellten Verstoß abzustellen. Die dem Königreich Schweden vorgeworfene Vertragsverletzung müsse nämlich nicht nur festgestellt werden, sondern auch beendet werden. Diese Beendigung könne vorliegend aber nur in der Form geschehen, dass die verweigerten Beiträge an das lettische Einlagensicherungssystem gezahlt würden, was keine Entschädigung darstelle.

Würdigung durch den Gerichtshof

37

Was als Erstes die Zulässigkeit der vorliegenden Klage insgesamt betrifft, ist erstens zu dem Vorbringen des Königreichs Schweden, die Richtlinie 2014/49 sehe nur eine Mindestharmonisierung vor, festzustellen, dass dieses Vorbringen, das sich auf die Frage der Auslegung der Richtlinie bezieht, die Begründetheit der Vertragsverletzungsklage betrifft. Dieses Vorbringen bezieht sich folglich nicht auf die Zulässigkeit dieser Klage.

38

Was zweitens den Umstand angeht, dass die Republik Lettland die Entscheidung der schwedischen Einlagensicherungsbehörde vom 3. Oktober 2017 nicht vor einem schwedischen Gericht angefochten hat, genügt der Hinweis, dass die Zulässigkeit einer auf der Grundlage von Art. 259 AEUV erhobenen Vertragsverletzungsklage nicht von der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs abhängt.

39

Was drittens das Vorbringen des Königreichs Schweden betrifft, die vorliegende Vertragsverletzungsklage sei unzulässig, da sie in erster Linie darauf abziele, die Auslegung von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 zu klären, ist darauf hinzuweisen, dass das mit Art. 259 AEUV geschaffene Verfahren darauf abzielt, ein unionsrechtswidriges Verhalten eines Mitgliedstaats feststellen und beenden zu lassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2012, Ungarn/Slowakei, C‑364/10, EU:C:2012:630, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Zwar ist eine Klage nach dieser Bestimmung, die sich gegen zukünftige und mögliche Verstöße richtet oder mit der lediglich um eine Auslegung des Unionsrechts ersucht wird, unzulässig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2012, Ungarn/Slowakei, C‑364/10, EU:C:2012:630, Rn. 68).

41

Die Republik Lettland ersucht mit ihrer Klage jedoch nicht lediglich um eine Auslegung von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49. Wie der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, beantragt sie nämlich, festzustellen, dass das Königreich Schweden durch seine Weigerung, die Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen, die die lettische Zweigstelle der Nordea Bank für den in dieser Bestimmung genannten Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigstelle an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt hatte, gegen seine Verpflichtungen aus dieser Bestimmung verstoßen hat, damit das Königreich Schweden die vorgeworfene Vertragsverletzung abstellt, und nur zu diesem Zweck macht die Republik Lettland vor dem Gerichtshof geltend, dass die schwedische Einlagensicherungsbehörde diese Bestimmung falsch ausgelegt habe.

42

Dieses dritte Argument des Königreichs Schweden, mit dem die Zulässigkeit der Vertragsverletzungsklage insgesamt in Abrede gestellt wird, ist daher zurückzuweisen.

43

Was als Zweites die Zulässigkeit der Anträge oder des Vorbringens der Republik Lettland angeht, ist erstens in Bezug auf den Vortrag des Königreichs Schweden, wonach die Republik Lettland ihre Klage nicht auf einen Verstoß gegen Art. 10 der Richtlinie 2014/49 stützen könne, darauf hinzuweisen, dass eine Klage nach Art. 259 AEUV durch das in diesem Artikel vorgesehene vorprozessuale Verfahren eingegrenzt wird und auf die gleichen Gründe sowie das gleiche Vorbringen gestützt sein muss wie diejenigen, die in diesem Verfahren vorgetragen wurden, so dass eine Rüge, die nicht in der bei der Kommission eingereichten Beschwerde erhoben wurde, im Verfahren vor dem Gerichtshof unzulässig ist (vgl. entsprechend Urteile vom 10. Mai 2012, Kommission/Niederlande,C‑368/10, EU:C:2012:284, Rn. 78, und vom 17. April 2018, Kommission/Polen [Wald von Białowieża], C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Dieses Erfordernis kann aber nicht so weit gehen, dass in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen der Darlegung der Rügen in der bei der Kommission eingereichten Beschwerde und in den Anträgen in der Klageschrift bestehen muss, sofern nur der Gegenstand, wie er in dieser Beschwerde umschrieben ist, nicht erweitert oder geändert worden ist (vgl. entsprechend Urteil vom 17. April 2018, Kommission/Polen [Wald von Białowieża], C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Vorliegend ist, wie der Generalanwalt in Nr. 48 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, festzustellen, dass, wie aus der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission hervorgeht, die Republik Lettland in dem Verwaltungsverfahren vor der Kommission Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2014/49 nur zur Stützung ihrer Auslegung von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie herangezogen hat, um einen Verstoß gegen die letztgenannte Bestimmung nachzuweisen. Ebenso macht die Klägerin in der Klageschrift Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2014/49 als Bestandteil des Kontexts geltend, in den sich Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie einfügt. Dieser Bestandteil bestätige ihre Auslegung der letztgenannten Bestimmung. Ihr erster Antrag ist darauf gerichtet, dass der Gerichtshof einen Verstoß gegen die letztgenannte Bestimmung feststellt.

46

Folglich hat die Republik Lettland den Streitgegenstand, der im Verwaltungsverfahren vor der Kommission festgelegt wurde, nicht dadurch erweitert, dass sie sich in ihrer Klagebegründung zur Bestätigung ihre Auslegung von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2014/49 auf Art. 10 Abs. 1 berufen hat.

47

Was zweitens das Vorbringen des Königreichs Schweden betrifft, wonach der zweite Klageantrag, wie er in der Klageschrift formuliert sei, als unzulässig zurückzuweisen sei, weil die Republik Lettland in ihrer Klageschrift ihr Vorbringen zur Stützung dieses Antrags gegenüber ihrem Vorbringen vor der Kommission geändert habe, ist darauf hinzuweisen, dass die Republik Lettland mit diesem Antrag im Wesentlichen vorbringt, dass die Weigerung des schwedischen Einlagensicherungssystems, die von der lettischen Zweigstelle der Nordea Bank an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlten Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen, dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und dem Gleichheitsgrundsatz zuwiderlaufe, da das schwedische Einlagensicherungssystem bei einer vergleichbaren Rechtslage die erhaltenen Beiträge gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 auf das finnische Einlagensicherungssystem übertragen habe.

48

Die Republik Lettland machte in ihrer Beschwerde vom 10. Mai 2021 aber auch geltend, dass das Königreich Schweden durch seine Weigerung, die fraglichen Beiträge zu übertragen, gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 AEUV und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Einlagensicherungssysteme der Mitgliedstaaten verstoßen habe.

49

Entgegen dem Vorbringen des Königreichs Schweden hat die Republik Lettland folglich in ihrer Klageschrift ihr Vorbringen zur Stützung dieses Antrags gegenüber ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor der Kommission nicht geändert.

50

Drittens ist zum Vorbringen des Königreichs Schweden, wonach der dritte Antrag, der auf die Verurteilung des Königreichs Schweden zur Zahlung einer Entschädigung gerichtet sei, unzulässig sei, festzustellen, dass die Republik Lettland mit diesem Antrag im Wesentlichen begehrt, anzuordnen, dass das Königreich Schweden den festgestellten Verstoß dadurch abstellt, dass das schwedische Einlagensicherungssystem die Beiträge, die die lettische Zweigstelle der Nordea Bank für den in Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 genannten Zeitraum von zwölf Monaten an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt hat, in voller Höhe auf das lettische Einlagensicherungssystem überträgt.

51

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich jedoch, dass mit einer Vertragsverletzungsklage nichts anderes als die Feststellung des Vorliegens der behaupteten Vertragsverletzung verlangt werden kann, damit sie beendet wird. So kann z. B. im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage nicht beantragt werden, einem Mitgliedstaat aufzugeben, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, um dem Unionsrecht nachzukommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 2020, Kommission/Polen, Ungarn und Tschechische Republik [Vorübergehender Umsiedlungsmechanismus für internationalen Schutz beantragende Personen], C‑715/17, C‑718/17 und C‑719/17, EU:C:2020:257, Rn. 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Da die Republik Lettland mit dem dritten Antrag beantragt, anzuordnen, dass das Königreich Schweden die fraglichen Beiträge an sie zahlt, geht dieser Antrag folglich, wie der Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge im Wesentlichen festgestellt hat, über das hinaus, was im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage beantragt werden kann, und ist daher für unzulässig zu erklären.

53

Die in der vorstehenden Randnummer getroffene Feststellung gilt unbeschadet der Verpflichtung des Mitgliedstaats aus Art. 260 Abs. 1 AEUV, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, wenn der Gerichtshof feststellt, dass dieser Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat.

54

Schließlich beantragt die Republik Lettland mit ihrem vierten Antrag, „für den Fall, dass Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 eng ausgelegt werden kann, festzustellen, dass diese Auslegung mit dem Ziel der Richtlinie vereinbar ist und das schwedische Einlagensicherungssystem verpflichtet ist, die von der lettischen Zweigstelle der Nordea Bank gezahlten Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen“.

55

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klage und die mit ihr erhobenen Rügen gemäß Art. 150 seiner Verfahrensordnung von Amts wegen prüfen kann, da sie zwingendes Recht sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2010, Kommission/Deutschland, C‑160/08, EU:C:2010:230, Rn. 40).

56

Der vierte Klageantrag geht jedoch über das hinaus, was nach der in Rn. 51 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage beantragt werden kann.

57

Der vierte Klageantrag ist daher ebenfalls für unzulässig zu erklären.

Zur Begründetheit

58

Die Republik Lettland stützt ihre Klage auf zwei Rügen. Mit ihrer ersten Rüge beanstandet sie, das Königreich Schweden habe gegen seine Verpflichtungen aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 verstoßen. Mit der zweiten Rüge wirft sie dem Königreich Schweden einen Verstoß gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit vor.

Zur ersten Rüge: Verstoß gegen Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49

– Vorbringen der Parteien

59

Die Republik Lettland weist zunächst darauf hin, dass sie nicht bestreite, dass die Richtlinie 2014/49 in schwedisches Recht umgesetzt worden sei, doch habe das Königreich Schweden die Anforderungen von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie nicht korrekt angewandt, indem es sich geweigert habe, die von der lettischen Zweigstelle der Nordea Bank an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlten Beiträge, berechnet für den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigestelle auf das lettische Einlagensicherungssystem, auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen.

60

Insoweit macht die Republik Lettland mit Unterstützung der Streithelferinnen zunächst geltend, dass diese Bestimmung nicht eng zu verstehen und dahin auszulegen sei, dass ein Einlagensicherungssystem, dem ein Kreditinstitut als neues Mitglied beitrete, die Beiträge dieses Kreditinstituts erhalten müsse, die für den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung auf dieses Einlagensicherungssystem berechnet und entrichtet worden seien, unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich gezahlt worden seien. Entscheidend sei somit die Tatsache, dass die an das bisherige Einlagensicherungssystem gezahlten Beiträge des Kreditinstituts für den fraglichen Zeitraum berechnet und eingefordert worden seien, und nicht der Zeitpunkt, zu dem die eingeforderten Beiträge gezahlt oder in der Buchführung dieses Einlagensicherungssystems erfasst worden seien.

61

Sodann bringt die Republik Lettland, ebenfalls mit Unterstützung der Streithelferinnen, vor, das Königreich Schweden habe dadurch, dass es eine wörtliche Auslegung von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 bevorzugt und sich geweigert habe, die betreffenden Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen, die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung nicht sichergestellt und die Verwirklichung der Ziele dieser Richtlinie beeinträchtigt, die nach ihrem dritten Erwägungsgrund die Niederlassungsfreiheit und den freien Finanzdienstleistungsverkehr erleichtern sowie zur Stabilität des Bankensystems und zum Schutz der Einleger beitragen solle.

62

Ferner beeinträchtige die Herangehensweise des Königreichs Schweden das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, da das Einlagensicherungssystem eines Mitgliedstaats, dem ein Mitglied eines Einlagensicherungssystems eines anderen Mitgliedstaats beizutreten beabsichtige, nicht mehr mit einer Übertragung von Beiträgen des Einlagensicherungssystems dieses anderen Mitgliedstaats rechnen könne.

63

Die Republik Lettland macht schließlich geltend, dass sich eine allgemeine Verpflichtung zu jährlichen Beitragszahlungen auch aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2014/49 ergebe, wonach die Einlagensicherungssysteme der Mitgliedstaaten verpflichtet seien, ihre verfügbaren Finanzmittel aus Beiträgen aufzubringen, die ihre Mitglieder mindestens jährlich zu entrichten hätten. Wie jedoch die Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme ausgeführt habe, beeinträchtige die vom Königreich Schweden vorgenommene Auslegung von Art. 14 Abs. 3 und Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2014/49 die Rechte des Einlagensicherungssystems des Aufnahmemitgliedstaats, das ab dem Zeitpunkt der Übertragung die Haftung für die gedeckten Einlagen des Kreditinstituts übernehmen müsse.

64

Die Republik Estland führt zunächst aus, zwar ergebe sich aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, festzulegen, wie oft und wann die Beiträge zu entrichten seien, doch sei klar, dass diese Beiträge mindestens einmal jährlich erhoben und entrichtet werden müssten. Wenn also ein Mitgliedstaat nicht dafür sorge, dass die Beiträge mindestens jährlich erhoben und entrichtet würden, könne er seiner Verpflichtung aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie, sicherzustellen, dass dann, wenn ein Kreditinstitut sein Einlagensicherungssystem verlässt und sich einem Einlagensicherungssystem eines anderen Mitgliedstaats anschließt, die Beiträge, die es in den zwölf Monaten vor dem Ende seiner Mitgliedschaft an sein bisheriges Einlagensicherungssystem gezahlt hat, auf das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats übertragen werden, nicht nachkommen.

65

Vorliegend seien jedoch die Beiträge an das schwedische Einlagensicherungssystem unregelmäßig entrichtet worden, da an dieses in den zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten der lettischen Zweigstelle der Nordea Bank auf das lettische Einlagensicherungssystem keine Beiträge gezahlt worden seien. Das Königreich Schweden hätte daher, um seinen Verpflichtungen aus Art. 10 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 nachzukommen, davon ausgehen müssen, dass in diesen zwölf Monaten Beiträge gezahlt worden seien.

66

Sodann macht die Republik Estland geltend, in Anbetracht von Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie, wonach ein Kreditinstitut, das beabsichtige, gemäß der Richtlinie von einem Einlagensicherungssystem in ein anderes zu wechseln, diese Absicht mindestens sechs Monate im Voraus mitteilen müsse, habe die schwedische Einlagensicherungsbehörde lange vor der Übertragung über die Information verfügen müssen, dass die Tätigkeiten der Zweigstelle der Nordea Bank vom schwedischen auf das lettische Einlagensicherungssystem übertragen würden. Sie hätte daher nach Auffassung der Republik Estland dafür sorgen können, dass die Beiträge so erhoben würden, dass die Verpflichtung aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 erfüllt werden könne.

67

Schließlich weist die Republik Estland darauf hin, dass die EBA in ihrer auf ihrer Website abrufbaren Stellungnahme vom 8. August 2019 zur Erstattungsfähigkeit von Einlagen, zur Deckungssumme und zur Zusammenarbeit zwischen Einlagensicherungssystemen ausgeführt habe, dass der Zeitpunkt, zu dem ein Kreditinstitut entscheide, seine Beiträge zu zahlen, in der Praxis Probleme bereite. Die EBA habe daher in dieser Stellungnahme vorgeschlagen, Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 zu ändern – ein Vorschlag, den die Republik Estland unterstützt –, um Rechtsklarheit zu gewährleisten und ähnliche Probleme wie in der vorliegenden Rechtssache zu vermeiden.

68

Die Kommission fügt hinzu, dass die Beiträge, die die Mitglieder eines Einlagensicherungssystems diesem gemäß Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2014/49 jährlich zu entrichten haben, als Gegenleistung für die Einlagensicherung während eines bestimmten Zeitraums angesehen werden könnten. Die Verpflichtung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49, die Beiträge zu übertragen, wenn ein Teil der Tätigkeiten eines Kreditinstituts auf ein anderes Einlagensicherungssystem übergehe, beruhe somit auf der in Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie genannten Grundregel für die Finanzierung des Systems. Der Unionsgesetzgeber habe nämlich beabsichtigt, dass im Fall der Umstrukturierung einer Bank immer Mittel zur Verfügung stünden, die auf das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats übertragen werden könnten, um diesem die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus diesem System zu ermöglichen.

69

Zudem soll nach Auffassung der Kommission Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 die Erhöhung des finanziellen Risikos für das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats in dem Fall ausgleichen, dass die finanzielle Haftung für einen Teil der gedeckten Einlagen eines Kreditinstituts von einem Einlagensicherungssystem auf ein anderes übergehe, z. B. durch die Umstrukturierung des Kreditinstituts. Jede andere Auslegung hätte nach Auffassung der Kommission schwerwiegende Folgen für die Vollendung des Binnenmarkts und würde das Vertrauen in das Einlagensicherungssystem sowie die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

70

Das Königreich Schweden entgegnet erstens, dass der Wortlaut von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 klar und eindeutig sei. Er sehe vor, dass die Beiträge, die in den zwölf Monaten gezahlt worden seien, bevor die Übertragung an das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats stattgefunden habe, auf dieses Einlagensicherungssystem übertragen würden. Diese Bestimmung erfasse somit den Gesamtbetrag der in diesem Zeitraum gezahlten Beiträge unabhängig davon, auf welchen Zeitraum sie sich bezögen.

71

Zweitens stütze der Kontext, in den sich Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 einfüge, ebenso wenig die von der Republik Lettland und den Streithelferinnen vertretene Auslegung.

72

Der Umstand, dass nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie die Beiträge mindestens jährlich zu entrichten seien, bedeute nicht, dass ein gezahlter Beitrag als auf einen bestimmten Zeitraum von zwölf Monaten bezogen betrachtet werden könne. Auch treffe es nicht zu, dass Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2014/49 für einen Zeitraum von zwölf Monaten einen bestimmten Zahlungstermin vorschreibe.

73

Ferner müssten die Mitgliedstaaten gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie dafür sorgen, dass die verfügbaren Finanzmittel eines Einlagensicherungssystems bis zum 3. Juli 2024 mindestens einer Zielausstattung von 0,8 % der Höhe der gedeckten Einlagen seiner Mitglieder entsprächen. Somit räume diese Richtlinie den Mitgliedstaaten einen großen Handlungsspielraum bei der Festlegung der Höhe der Beiträge und darüber hinaus die Möglichkeit ein, keine Beiträge zu erheben, nachdem die Zielausstattung erreicht worden sei. Die Anwendung der Möglichkeit, keine Beiträge mehr zu erheben, nachdem die Zielausstattung erreicht worden sei, könne tatsächlich zu dem Fall führen, dass die Beiträge bei einer Übertragung der Tätigkeit nicht übertragen werden müssten. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2014/49 gewährleiste daher entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht, dass stets Mittel zur Übertragung an das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats zur Verfügung stünden.

74

Drittens sprächen allgemeine und systematische Gründe dafür, Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 wortgetreu anzuwenden. Eine solche Anwendung schaffe nämlich Klarheit darüber, welche Mittel übertragen werden könnten. Dagegen beinhalte eine Auslegung, wonach diese Bestimmung Zahlungen erfasse, die nicht in den zwölf Monaten vor der Übertragung getätigt worden seien, eine Reihe von Unklarheiten und sei schwer anzuwenden.

75

Viertens trägt das Königreich Schweden vor, aus der in Rn. 67 des vorliegenden Urteils angeführten Stellungnahme der EBA vom 8. August 2019 gehe hervor, dass die Erhebung der Beiträge von Mitgliedern eines Einlagensicherungssystems nach der Richtlinie 2014/49 nicht vollständig der Haftung Rechnung trage, die zwischen verschiedenen Einlagensicherungssystemen übertragen werden könne. Aus dieser Stellungnahme ergebe sich auch, dass Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie keine abschließende Lösung für die Übertragung von Mitteln vorsehe und die EBA in diesem Zusammenhang eine Änderung dieser Bestimmung empfohlen habe. Die Lücken dieser Bestimmung könnten daher nicht durch eine Auslegung der bestehenden Bestimmungen behoben werden.

76

Fünftens bringt das Königreich Schweden vor, dass, wie aus der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission hervorgehe, die Kommission bei einem Austausch im Oktober 2020 zwischen ihr und den Einlagensicherungsbehörden der drei baltischen Staaten darauf hingewiesen habe, dass die Richtlinie 2014/49 eine Mindestharmonisierung im Hinblick auf die Übertragung von Beiträgen vorsehe. Die fragliche Bestimmung sei daher nicht anders als nach ihrem Wortlaut auszulegen.

77

Sechstens habe zum einen entgegen der Auffassung der Kommission die wörtliche Auslegung von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 keine schwerwiegenden Folgen für die Vollendung des Binnenmarkts. Die Beiträge, die nach dieser Richtlinie übertragen werden könnten, dürften nämlich selten so hoch sein, dass sie als wesentlich dafür angesehen werden könnten, dass das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats seine Verpflichtungen erfüllen könne. Somit habe der Umstand, dass das schwedische Einlagensicherungssystem keine Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem übertragen habe, nicht zu einer entsprechenden Erhöhung der vom lettischen Einlagensicherungssystem erhobenen Beiträge geführt.

78

Zum anderen bedeute die von dem Königreich Schweden befürwortete Auslegung keinen ungerechtfertigten Vorteil für das schwedische Einlagensicherungssystem. Die Übertragung der Tätigkeiten der Nordea Bank vom schwedischen auf das finnische Einlagensicherungssystem habe dazu geführt, dass Beiträge vom schwedischen an das finnische Einlagensicherungssystem gezahlt worden seien, da das schwedische Einlagensicherungssystem in den zwölf Monaten vor dieser Übertragung Beiträge erhalten habe. Die kohärente Anwendung von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie habe lediglich je nach den unterschiedlichen tatsächlichen Umständen zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt.

– Würdigung durch den Gerichtshof

79

Mit ihrem ersten Klagegrund beanstandet die Republik Lettland mit Unterstützung der Streithelferinnen, das Königreich Schweden habe gegen seine Verpflichtungen aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 verstoßen, indem es sich auf der Grundlage einer fehlerhaften Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung geweigert habe, auf das lettische Einlagensicherungssystem die Beiträge, die die Nordea Bank für Einlagen im Zusammenhang mit den Tätigkeiten der lettischen Zweigstelle für die zwölf Monate vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigestelle an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt habe, zu übertragen.

80

Nach Ansicht des Königreichs Schweden begründet diese Weigerung keine Vertragsverletzung, da es gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 erforderlich sei, dass die zu übertragenden Beiträge während der zwölf Monate vor der Übertragung gezahlt worden seien. Die Nordea Bank habe in diesem Zeitraum aber keine Beiträge für die Tätigkeiten ihrer lettischen Zweigstelle gezahlt, so dass die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht erfüllt gewesen seien.

81

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 21. Dezember 2023, G. K. u. a. [Europäische Staatsanwaltschaft], C‑281/22, EU:C:2023:1018, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82

Was den Wortlaut von Art. 14 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/49 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach diesem Unterabs. 2, dann, wenn ein Teil der Tätigkeiten eines Kreditinstituts auf einen anderen Mitgliedstaat übertragen wird und somit einem anderen Einlagensicherungssystem unterliegt, die Beiträge dieses Kreditinstituts, die in den zwölf Monaten vor der Übertragung gezahlt wurden, proportional zur Höhe der übertragenen gedeckten Einlagen auf das andere Einlagensicherungssystem übertragen werden; ausgenommen davon sind bestimmte Sonderbeiträge.

83

Aus dem Ausdruck „Beiträge …, die … gezahlt wurden“ ergibt sich, dass diese Bestimmung auf der Prämisse beruht, dass Beiträge grundsätzlich in diesen zwölf Monaten gezahlt wurden und daher im Fall der Übertragung von Tätigkeiten in einen anderen Mitgliedstaat auf das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats zu übertragen sind. Diese Auslegung wird durch den Ausdruck „proportional“ gestützt, der einen sehr klaren Zusammenhang zwischen der Übertragung der Beiträge und der Einlagensicherung herstellt.

84

Somit kann nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht ausgeschlossen werden, dass Beiträge, die sich auf den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung beziehen, aber vom schwedischen Einlagensicherungssystem außerhalb dieses Zeitraums erhalten wurden, auf das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats zu übertragen sind.

85

Zum Kontext, in den sich Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 einfügt, ist festzustellen, dass diese Bestimmung unter Berücksichtigung von Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie auszulegen ist, der die Modalitäten der Finanzierung von Einlagensicherungssystemen festlegt.

86

Nach Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie bringen Einlagensicherungssysteme die verfügbaren Finanzmittel aus Beiträgen auf, die ihre Mitglieder mindestens jährlich zu entrichten haben. Wie die Kommission ausführt, ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass die von den Mitgliedern an das Einlagensicherungssystem gezahlten Beiträge als Gegenleistung für die Einlagensicherung in einem bestimmten Zeitraum angesehen werden können.

87

Es entspräche daher der Systematik des Einlagensicherungssystems, wenn bei der Übertragung bestimmter Tätigkeiten eines Kreditinstituts in einen anderen Mitgliedstaat und dem damit einhergehenden Übergang der Haftung für die gedeckten Einlagen auf das Einlagensicherungssystem dieses anderen Mitgliedstaats auch die Gegenleistung für die Einlagensicherung auf das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats übertragen würde.

88

Die praktische Wirksamkeit von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 erfordert somit, dass die schwedische Einlagensicherungsbehörde, um der Verpflichtung aus dieser Bestimmung nachzukommen, die Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem übertragen muss, die von der Nordea Bank an sie gezahlt wurden und sich auf die zwölf Monate vor der Übertragung der Tätigkeit der Nordea Bank auf das lettische Einlagensicherungssystem beziehen, und zwar unter Berücksichtigung der Zeiträume, auf die sich die Beiträge der Nordea Bank beziehen, und nicht des genauen Zeitpunkts, an dem ihr diese Beiträge gezahlt wurden.

89

Zwar müssen gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie, auf den sich das Königreich Schweden in seinen Schriftsätzen beruft, die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die verfügbaren Finanzmittel eines Einlagensicherungssystems bis zum 3. Juli 2024 mindestens einer Zielausstattung von 0,8 % der Höhe der gedeckten Einlagen seiner Mitglieder entsprechen. Daher können die Mitgliedstaaten entscheiden, keine Beiträge mehr zu erheben, sobald und solange die Zielausstattung erreicht ist. Würde ein Mitgliedstaat eine solche Entscheidung treffen, könnte es jedoch sein, dass sein Einlagensicherungssystem im Fall einer Übertragung der Tätigkeit eines seiner Mitglieder auf das Einlagensicherungssystem eines anderen Mitgliedstaats über keinen Beitrag zur Übertragung auf das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats verfügt, da es selbst keinen Beitrag erhalten hat.

90

Die vom Königreich Schweden vertretene Auslegung von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2014/49 setzt jedoch zum einen voraus, dass die Zielausstattung erreicht wird, und zum anderen, dass ein Mitgliedstaat – abweichend von dem Grundsatz, dass ein Kreditinstitut mindestens jährlich einen Beitrag an das Einlagensicherungssystem entrichtet, dem es angehört – entscheidet, keine Beiträge zu erheben. Der Umstand, dass in einem solchen Fall in den zwölf Monaten vor der Übertragung keine Beiträge gezahlt worden wären und keine Beiträge übertragen werden könnten, wäre eine logische Folge einer solchen Entscheidung, die Zahlung dieser Beiträge nicht zu fordern, und ist in den Fällen irrelevant, in denen ein Mitgliedstaat im Gegenteil keine solche Entscheidung getroffen hat und die Zahlung von Beiträgen in den zwölf Monaten vor der Übertragung gefordert hat.

91

Was das mit Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 verfolgte Ziel betrifft, ist festzustellen, dass mit dieser Bestimmung das finanzielle Risiko für das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats im Zusammenhang mit der Übertragung der gedeckten Einlagen des Kreditinstituts ausgeglichen werden soll. Dieses Ziel stützt die Auslegung, wonach das Königreich Schweden die Zeiträume, auf die sich die von der Nordea Bank gezahlten Beiträge beziehen, und nicht den genauen Zeitpunkt der Zahlungen hätte berücksichtigen müssen. Nur diese Auslegung stellt nämlich sicher, dass ein bisheriges Einlagensicherungssystem, das nicht mehr das Risiko der gedeckten Einlagen trägt, die in einen anderen Mitgliedstaat als den des bisherigen Einlagensicherungssystems übertragen wurden, nicht wie im vorliegenden Fall gezahlte Beiträge, die sich auf den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung beziehen, nur deshalb einbehält, weil sie nach diesem Zeitraum an dieses Einlagensicherungssystem gezahlt wurden.

92

Des Weiteren soll diese Richtlinie, wie aus ihrem dritten Erwägungsgrund hervorgeht, allgemein zum einen die Einleger für den Fall schützen, dass die Einlagen bei einem Kreditinstitut, das einem Einlagensicherungssystem angehört, nicht verfügbar sind, und zum anderen die Stabilität des Bankensystems gewährleisten, indem das massive Abheben von Einlagen nicht nur bei dem sich in Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen, sondern auch bei an sich gesunden Unternehmen, wenn das Vertrauen der Einleger in die Stabilität des Bankensystems erschüttert wird, verhindert wird (vgl. entsprechend Urteil vom 25. März 2021, Balgarska Narodna Banka, C‑501/18, EU:C:2021:249, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

93

Doch nur die Auslegung, wonach im Fall der Übertragung der Tätigkeiten eines Kreditinstituts auf einen anderen Mitgliedstaat das bisherige Einlagensicherungssystem, das nicht mehr das Risiko in Verbindung mit den übertragenen gedeckten Einlagen trägt, alle Beiträge, die ihm von diesem Kreditinstitut gezahlt wurden und sich auf den Zeitraum von zwölf Monaten vor dieser Übertragung beziehen, auf das Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats übertragen muss, trägt zur Erreichung dieses doppelten Ziels bei. Denn sie ermöglicht es dem Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats, für das Risiko in Verbindung mit den gedeckten Einlagen, die übertragen wurden, eine Gegenleistung zu erhalten, was zu seiner finanziellen Stabilität und zum Schutz der Einleger der diesem Einlagensicherungssystem angeschlossenen Kreditinstitute beiträgt.

94

Diese Auslegung wird schließlich durch den 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/49 gestützt, in dem von der Solidarität unter allen Kreditinstituten eines bestimmten Finanzmarkts die Rede ist. Der Eintritt eines neuen Kreditinstituts in ein Einlagensicherungssystem erhöht nämlich automatisch die Gesamthöhe der gedeckten Einlagen und führt möglicherweise zu einem Beitragsaufruf innerhalb dieses Einlagensicherungssystems. Der Eintritt dieses neuen Kreditinstituts sollte daher mit der Übertragung der Beiträge einhergehen, die es an das bisherige Einlagensicherungssystem gezahlt hat und sich auf den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung beziehen, damit es zur Solidarität im Einlagensicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats beitragen kann.

95

Nach alledem ist der ersten Rüge stattzugeben und festzustellen, dass das Königreich Schweden durch seine Weigerung, auf das lettische Einlagensicherungssystem die Beiträge, die die lettische Zweigstelle der Nordea Bank an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt hatte und die sich auf den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigstelle auf das lettische Einlagensicherungssystem bezogen, zu übertragen, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 verstoßen hat.

Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 EUV und den Grundsatz der Gleichbehandlung

– Vorbringen der Parteien

96

Die Republik Lettland, die durch die Republik Litauen unterstützt wird, macht geltend, dass die Weigerung des schwedischen Einlagensicherungssystems, auf das lettische Einlagensicherungssystem die Beiträge zu übertragen, die von der lettischen Zweigstelle der Nordea Bank für den in Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 genannten Zeitraum gezahlt wurden, dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und dem Gleichheitsgrundsatz zuwiderlaufe, da das schwedische Einlagensicherungssystem bei einer vergleichbaren Rechtslage von der Nordea Bank erhaltene Beiträge infolge der Verlegung des Sitzes der Nordea Bank nach Finnland gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 auf das finnische Einlagensicherungssystem übertragen habe.

97

Das Königreich Schweden erwidert, dass die Beiträge, da die Verlegung des Sitzes der Nordea Bank nach Finnland am 1. Oktober 2018 erfolgt sei und sie am 13. Oktober 2017 sowie am 28. September 2018 an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt worden seien, in den zwölf Monaten vor der Verlegung, d. h. im Zeitraum vom 1. Oktober 2017 bis zum 30. September 2018, gezahlt worden seien. Somit habe das schwedische Einlagensicherungssystem in diesem Fall auch Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 entsprechend seinem Wortlaut im Einklang mit der Anwendung dieser Bestimmung in der Entscheidung der schwedischen Einlagensicherungsbehörde vom 3. Oktober 2017 angewandt. Der festgestellte Unterschied beim Ergebnis beruhe folglich ausschließlich auf dem Zeitpunkt der Zahlungen. Das Königreich Schweden bestreitet daher das Vorbringen der Republik Lettland, es habe unlauter gehandelt, obwohl es diese Bestimmung einheitlich angewandt habe.

– Würdigung durch den Gerichtshof

98

Nach der Rechtsprechung kann ein Verstoß gegen die allgemeine Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit, die sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergibt, nur festgestellt werden, soweit er sich auf andere Verhaltensweisen als die bezieht, die einen dem Mitgliedstaat zur Last gelegten Verstoß gegen spezifische Verpflichtungen darstellen (Urteil vom 14. Juli 2022, Kommission/Dänemark [Geschützte Ursprungsbezeichnung Feta], C‑159/20, EU:C:2022:561, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

99

Wie jedoch der Generalanwalt in Nr. 80 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, geht aus dem in Rn. 96 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Vorbringen der Republik Lettland hervor, dass die zweite Rüge, mit der ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 EUV geltend gemacht wird, die Weigerung des schwedischen Einlagensicherungssystems betrifft, auf das lettische Einlagensicherungssystem die Beiträge, die von der lettischen Zweigstelle der Nordea Bank für den in Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 genannten Zeitraum gezahlt wurden, zu übertragen, d. h. dasselbe Verhalten wie das, das den Verstoß gegen die in der letztgenannten Bestimmung enthaltene spezifische Verpflichtung darstellt.

100

Daher ist kein Verstoß gegen die allgemeine Verpflichtung gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV festzustellen, der sich von dem bereits festgestellten Verstoß gegen die spezifischere Verpflichtung des Königreichs Schweden nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 unterscheiden würde.

101

Das Vorbringen der Republik Lettland, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung gerügt wird, betrifft ebenfalls die Weigerung des schwedischen Einlagensicherungssystems, die fraglichen Beiträge auf das lettische Einlagensicherungssystem zu übertragen, so dass auch kein gesonderter Verstoß gegen diesen Grundsatz festzustellen ist, wie der Generalanwalt in Nr. 81 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat.

102

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die zweite Rüge zurückzuweisen ist.

103

Nach alledem ist festzustellen, dass das Königreich Schweden durch seine Weigerung, auf das lettische Einlagensicherungssystem die Beiträge, die die lettische Zweigstelle der Nordea Bank an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt hatte und die sich auf den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigstelle auf das lettische Einlagensicherungssystem beziehen, zu übertragen, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49 verstoßen hat.

Kosten

104

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, jede Partei ihre eigenen Kosten, es sei denn, der Gerichtshof hält es in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls für gerechtfertigt, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt.

105

Vorliegend haben sowohl die Republik Lettland als auch das Königreich Schweden beantragt, der anderen Partei die Kosten aufzuerlegen. Im Übrigen ist das Königreich Schweden im Rahmen der ersten Rüge, die die Republik Lettland geltend gemacht hat, unterlegen, und die Republik Lettland ist im Rahmen ihrer zweiten Rüge unterlegen.

106

Daher ist zu entscheiden, dass die Republik Lettland und das Königreich Schweden ihre eigenen Kosten tragen.

107

Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung, wonach die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen, tragen die Republik Estland, die Republik Litauen und die Kommission ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Königreich Schweden hat durch seine Weigerung, auf das lettische Einlagensicherungssystem die Beiträge, die die lettische Zweigstelle der Nordea Bank AB an das schwedische Einlagensicherungssystem gezahlt hatte und die sich auf den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Übertragung der Tätigkeiten dieser Zweigstelle auf das lettische Einlagensicherungssystem bezogen, zu übertragen, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme verstoßen.

 

2.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

3.

Die Republik Lettland, das Königreich Schweden, die Republik Estland, die Republik Litauen und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Schwedisch.

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