„Das kommt weg“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag (22. Oktober) in Bezug auf das deutsche Lieferkettengesetz. Die Regierung will das Gesetz durch eine EU-Richtlinie ersetzen, die zunächst für deutlich weniger Firmen gilt.
Auf dem jährlichen Gipfel der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin sagte Scholz, dass die Regierung „fast jede Woche“ eine gesetzliche Maßnahme zu den Punkten ihrer Wachstumsinitiative vom Juli verabschiede.
Viele der angesprochenen Maßnahmen der Wachstumsinitiative, auf die sich die Ampel im Rahmen der Haushaltsverhandlungen geeinigt hatte, müssen noch in Gesetzesvorschlägen umgesetzt werden.
„Wir haben vor, alles durchzuziehen bis zum Ende dieses Jahres“, sagte Scholz auf dem Arbeitgebergipfel. Zu den wichtigsten wachstumsfördernden Maßnahmen gehört laut Scholz der „Abbau überflüssiger Bürokratie“. Das soll unter anderem durch die Abschaffung des Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetzes (LkSG) bis zum Jahresende erfolgen.
Als Teil des Kompromisspakets vom Juli einigte sich die Regierung, den Geltungsbereich des nationalen Gesetzes, das Unternehmen dazu verpflichtet, soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards in ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu überwachen, zu verkleinern.
Dies soll durch die frühzeitige Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) geschehen, mit der das nationale Gesetz ersetzt werden soll. Die europäische Lieferkettenrichtlinie wurde Anfang des Jahres beschlossen, eine schrittweise Einführung ist jedoch erst ab 2027 vorgesehen.
Die Regierung erwartet, dass durch diesen Schritt die Zahl der betroffenen deutschen Unternehmen von derzeit 5.200 auf „weniger als 1.000“ sinken würde.
Im Juli hatten Rechtsexperten gegenüber Euractiv dazu erklärt, dass die Rechtmäßigkeit der Maßnahme fraglich sei, da die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) besagt, dass sie nicht dazu verwendet werden darf, das Schutzniveau zu senken, wenn bereits ähnliche nationale Gesetze existieren.
Die internationale NGO Oxfam kritisierte Scholz‘ Zugeständnisse an die Arbeitgeberlobby.
„Das Lieferkettengesetz ist kein nice-to-have und keine unnütze Bürokratie. Es schützt die schwächsten Glieder in den internationalen Lieferketten vor Ausbeutung“, sagte Steffen Vogel, Referent für Gerechte Lieferketten bei Oxfam Deutschland, in einer Stellungnahme.
„Wenn ein Gesetz die Möglichkeit schafft, dass Arbeiter*innen endlich gerecht bezahlt statt mit Hungerlöhnen abgespeist werden, sollte ein Bundeskanzler und SPD-Politiker dieses Gesetz verteidigen – und nicht dem Störfeuer der Wirtschaftsverbände nachgeben“, führte Vogel weiter aus.
Brüssel-Effekt
Widerstand aus Deutschland gegen die EU-Lieferkettenrichtlinie war bereits während der Verhandlungen laut geworden und deutsche Industrieverbände versuchten an vorderster Front, das Gesetz zu verhindern.
Nach Ansicht der EU-Kommission hat das Gesetz jedoch bereits internationale Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit von Unternehmen.
Zsofia Kerecsen, Teamleiterin für Unternehmensführungspolitik in der Generaldirektion Justiz der EU-Kommission (DG JUST), sagte letzte Woche, dass die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) „einen sogenannten Brüssel-Effekt hat“, wonach sich andere Länder EU-Gesetzen anpassen, um auf einem globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.
Auf einer Veranstaltung des Global Labour Institute der Cornell University am Donnerstag (16. Oktober) in Brüssel sagte Kerecsen, dass Drittstaaten wie Indien, Peru und Chile die Verabschiedung ähnlicher Gesetze in Betracht ziehen oder zumindest mehr internationale Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifizieren könnten, die für die Lieferketten von Unternehmen gelten würden.
Aus Kommissionskreisen hieß es am Dienstag (14. Oktober) gegenüber Euractiv, dass man „kein Land kenne, das zwischen Mai und Oktober 2024 bereits ähnliche Gesetze verabschiedet hat“.
Jedoch sei „der CSDDD-Vorschlag, die anschließenden Verhandlungen und seine Verabschiedung weltweit auf großes Interesse gestoßen und haben diesem Trend neuen Schwung verliehen.“ Dabei wurde auf einen „rechtsverbindlichen internationalen Vertrag der Vereinten Nationen“ verwiesen, über den derzeit verhandelt werde.
„Wir beobachten auf internationaler Ebene einen breiteren Trend zur Förderung von Nachhaltigkeit in Geschäftspraktiken“, hieß es. „Mit der Annahme des CSDDD setzt die EU effektiv […] einen Standard auf internationaler Ebene“, führt die Quelle weiter aus.
Ein veröffentlichter Bericht der New York University (NYU) am Montag (21. Oktober) fordert die US-Gesetzgeber auf, ähnliche Maßnahmen wie das EU-Gesetz zu verabschieden.
„Die USA sollten nicht passiv zusehen, wie ein neues globales Regulierungssystem Gestalt annimmt, mit ihrem wichtigsten Handelspartner an der Spitze“, schrieb die Forscherin Cecely Richard-Carvajal in dem Bericht.
„US-Unternehmen, die in Europa Geschäfte tätigen, werden nach den Bestimmungen dieser neuen europäischen Gesetzgebung reguliert“, sagte sie. „Es liegt in ihrem Interesse, dem US-Recht zu unterliegen.“
Insgesamt schlug Richard-Carvajal vor, dass Regierungen und Unternehmen bei der Umsetzung der EU-Vorschriften den „schwerwiegendsten“ Risiken Vorrang einräumen sollten.
„Unternehmen haben oft das Gefühl, dass sie alles auf einmal tun müssen, aber das ist nicht der beste Weg nach vorne“, schrieb Richard-Carvajal.
„Die CSDDD verlangt nicht, dass Unternehmen ‘risikofreie‘ Aktivitäten oder Lieferketten haben, sondern dass sie Maßnahmen ergreifen, um diese Risiken zu identifizieren, zu mindern und zu verhindern“, ergänzte sie.
[Bearbeitet von Anna Brunetti/Owen Morgan/Kjeld Neubert]