Im Diskurs um einen robusten und akzeptanzseitig abgesicherten Infrastrukturausbau bildet das Verhaeltnis zwischen Dezentralitaet und dem zukuenftigen Bedarf an Stromnetzinfrastrukturen einen kritischen Bereich. Dies betrifft sowohl die ganze Bandbreite der relevanten Zusammenhaenge als auch die vielfaeltigen Spannungsfelder und Abwaegungsfragen von Zentralitaet, Dezentralisierung und zellularen Ansaetzen. Das oft sehr vage und (zu) oft auf der Ebene von eher groben Narrativen bleibende Thema Dezentralitaet bedarf einer Abschichtung. Auf der ersten, qualitativen Untersuchungsebene der hier vorgelegten Studie werden die verschiedenen Dimensionen und Bewertungsaspekte von Dezentralitaet auf der Basis von Literaturauswertungen betrachtet. Dabei ergibt sich zunaechst, dass mit Blick auf den Zusammenhang zwischen Dezentralitaet und Netzausbau die rein technische Sicht (Klein- vs. Grossanlagen, angeschlossene Spannungsebene) keine tragfaehige Perspektive bildet. Einen entscheidenden Faktor hinsichtlich des Netzausbaus bildet erstens die Verbrauchsnaehe der Erzeugungsanlagen. Ein grosser Anteil von verbrauchsnahen Anlagen koennte den Netzbedarf naturgemaess verringern. Zweitens ist aber auch Verbrauchsnaehe der Flexibilitaetsoptionen (z.B. Nachfrageflexibilitaet, Speicher, Backup-Kapazitaeten) von erheblicher Bedeutung, da diese Flexibilitaetsoptionen in einem regenerativ gepraegten Stromsystem eine elementare Rolle spielen werden. Auf einer zweiten Untersuchungsebene wurden ergaenzende Datenanalysen zu den raeumlich hoch aufgeloesten Grenzen der Potenziale fuer die absolute Solar- und Windstromerzeugung sowie zu den entsprechenden raeumlichen Nachfragestrukturen (jeweils auf Ebene der Landkreise) durchgefuehrt. Diese Analysen blenden zunaechst Kosten- oder Verfuegbarkeitsfragen der Flexibilitaetsoptionen vollstaendig aus und umfassen allein raeumlich hoch aufgeloeste Mengenbilanzen. Sie zeigen, dass erstens eine erhebliche Konzentration der Nachfrage in den Industrieregionen im Westen und Sueden Deutschlands sowie in den Metropolregionen vorliegt. Auf einer dritten Untersuchungsebene wurde eine grosse Bandbreite von verschieden ausgerichteten und methodisch sehr unterschiedlich angelegten Modellierungen des deutschen Stromsystems einer vergleichenden Analyse unterzogen. Szenarien, die einen um 20 bis 50% geringeren Netzausbaubedarf errechnen, sind durch die folgenden Punkte charakterisiert. 1. Sie unterstellen oder ermitteln einen starken Ausbau der Onshore-Windenergie in der Zone Sued. Die Groessenordnungen dieses Mehrausbaus fuer den Zeithorizont 2030 und 2035 liegen beim Drei- bis Vierfachen, im Extremfall beim Sechsfachen der in den Netzentwicklungsplaenen angenommenen Werte. 2. Ganz ueberwiegend wird ein ebenfalls ueberproportionaler Ausbau der Onshore- Windenergie in den Zone West unterstellt oder errechnet. Hier liegt der Mehrausbau um den Faktor 2 bis 3, in zwei Extremfaellen um den Faktor 7 ueber den Annahmen der Netzentwicklungsplaene. 3. Ueberwiegend, wenn auch nicht durchgaengig, liegt ein sehr starker Ausbau der solaren Stromerzeugung in der Zone Sued zu Grunde. Das Kapazitaetsniveau der PVAnlagen in der Zone Sued uebertrifft das der Netzentwicklungsplaene fuer den Zeithorizont 2030 und 2035 um den Faktor 2 bis 3. (4.) Fuer den Zeithorizont 2030 haengen die Zusammenhaenge zwischen dem Umfang der verbliebenen Kohlekraftwerkskapazitaeten und dem notwendigen Netzausbau massgeblich davon ab, nach welchem Muster die (zusaetzliche) erneuerbare Stromerzeugung regionalisiert wird. Fuer den Zeithorizont 2035 hat der Umfang der Kohleverstromung keinen Erklaerungswert fuer die Dimensionierung des Netzausbaus mehr. In der Zusammenschau der drei Untersuchungsebenen laesst sich neben den genannten Erkenntnissen eine Reihe von Handlungsbedarfen und Handlungsempfehlungen ableiten. Diese betreffen erstens einen strukturierten Diskurs zur Klaerung der Frage, ob und in welchem Modell bzw. mit welchen Zeithorizonten dezentrale (zellulare) Steuerungsansaetze jenseits der Eigenverbrauchsoptimierung eingefuehrt bzw. als Variante fuer die Netzausbauplanung beruecksichtigt werden koennten. Zweitens beduerfen die Annahmen zu Ausbaugrenzen der regenerativen Stromerzeugung einer Validierung. Dies gilt fuer die Onshoreund Offshore-Windkraftkapazitaeten wie auch die PV-Stromerzeugung in hoher raeumlicher Aufloesung, zumindest aber auf Ebene der verschiedenen Zonen und insbesondere mit Blick auf die Zonen Sued und West. Die reale Flaechenerschliessbarkeit und Akzeptanz sollten hier in besonderem Masse Beruecksichtigung finden. Drittens sollten dringend einheitliche Bewertungsraster fuer die Bilanzierung aller Kosten und Flaechenbedarfe (jeweils fuer Erzeugungsanlagen, Flexibilitaetsoptionen und Infrastrukturen) entwickelt werden, um fuer zukuenftige Analysen auch hier Vergleichbarkeiten zu ermoeglichen. Viertens waere fuer bessere Vergleichbarkeit zukuenftiger Analysen die Entwicklung einer pragmatischen Metrik hilfreich, mit der unter Beruecksichtigung der unterschiedlichen Modellierungsansaetze der Umfang des Netzausbaubedarfs in vergleichbarer Weise beschrieben werden kann. Die hier vorgelegte Metastudie bildet einen ersten umfassenden Versuch, die komplexe, an vielen Stellen von Narrativen gepraegte sowie konzeptionell und datenseitig anspruchsvolle Materie im Spannungsfeld von Dezentralitaet und Netzausbau aufzuarbeiten. Eine Weiterfuehrung dieses Analysestrangs erscheint dringend geboten.