Wenn das Londoner Duo Jungle auf die vergangenen zehn Jahre zurückblickt, dann mit einer gewissen Ungeduld: Ein Jahrzehnt nach Beginn ihrer Karriere wollen Josh Lloyd-Watson und Tom McFarland vor allem Zeit aufholen. Die beiden Musiker haben das Gefühl, dass sie sich nach ihrem selbstbetitelten und für den Mercury nominierten Debüt 2014 etwas zu viel Zeit für die Folgewerke genommen hatten. „For Ever“ folgte vier Jahre später und ihr drittes Werk „Loving In Stereo“ erschien 2021. Letzteres war von einer kreativen Unruhe geprägt – einer aufregenden Dringlichkeit, die sich nun auch auf „Volcano“ fortsetzt. „Wir kamen gerade von der Tour und gingen direkt wieder ins Studio“, erzählt Lloyd-Watson gegenüber Apple Music. „Das Album wurde in Rekordzeit produziert: Wir haben es zwischen November und Dezember 2022 fertiggestellt und im Januar abgeschlossen, was eine der schnellsten Umsetzungen ist, die wir je gemacht haben. Das spürt man in der Musik.“ In diesem Werk schärft das Duo seine melodischen Hooks und verfeinert den Nu-Disco- und souligen Pop-Swagger. Dabei entfernen sich die beiden weiter vom Band-Charakter und vertiefen sich in jener kollektiven Musiksphäre, in der sie sich selbst immer gesehen haben: „Es geht zurück zur Basis, die ein Production-Duo ausmacht“, sagt Lloyd-Watson. „Es ist ein Kollektiv – ohne die Tänzer:innen, ohne die unglaublichen Sänger:innen, ohne all die Leute, die zusammenkommen, um etwas Vollständiges zu erschaffen, wären wir nicht da, wo wir sind. Aber letztendlich fühlt es sich so an, als ob Teile davon mehr in Richtung Justice oder Daft Punk gehen, also eher in Richtung Dance.“ Während „Volcano“ Themen wie das Finden der Liebe, Verlust, Herzschmerz und die eigene Wiederentdeckung behandelt, besteht das Album vor allem darauf, dass du dich zu seinem Rhythmus bewegst. Es versprüht die Essenz von Jungle in seiner lebendigsten und ansteckendsten Form. Lloyd-Watson spricht mit uns Track für Track über das Album. „Us Against The World“ Der Anfang ist fast chaotisch. Wir mögen das, weil es ein wenig verwirrt und man nicht wirklich weiß, was los ist. Es ist hektisch und ein bisschen verrückt. Aber dann kehrt Ruhe ein und es dauert eine Weile, bis man jene solide Harmonie findet, für die Jungle bekannt ist. Wir sind tief in die Harmonie eingebettet. Es ist wie ein Breakbeat-Track, ein wenig abgedreht. Ich nehme an, der Track kann als „Wir sind dabei, diesen Berg gemeinsam zu besteigen, diesen Vulkan“ verstanden werden. Es ist ein Aufbruchsong: wir gegen die Welt. „Holding On“ Dieser Track wurde nicht unbedingt für Jungle gemacht. Er entstand mit [dem Dubliner DJ/Producer] Krystal Klear und [der Singer-Songwriterin/Producerin] Lydia Kitto aus Essex. Das Stück hat einen wesentlich clubbigeren Touch, mit härteren Kicks und 909 Drums, etwas, das wir bisher nie wirklich benutzt haben. Es setzt die agilere Seite dessen fort, was wir machen wollten, um eben ein bisschen mehr von dem Disco-Punk-Element darin zu haben, à la ESG [Punk-Funk-Pioniere der South Bronx aus den frühen 1980er-Jahren]. Es ist quasi ein Gegenstück zum weichen Midtempo-Jungle, den wir kennen und lieben. Stellenweise ist es etwas stroboskopisch und mündet schließlich in diesen Refrain, der wie ein altes Soul-Sample klingt, das wir mal gemacht haben. Es ist wohl die Stelle, an der man denkt: „Okay, das ist ein Jungle-Album. Ich weiß, was hier los ist.“ „Candle Flame“ (feat. Erick the Architect) Track drei war schon immer der große Wurf für uns – [Durchbruchshit 2014] „Busy Earnin’“ war Track drei [auf dem Debütalbum]. Diesen Hook gab es schon seit langer Zeit. Er lag bei 104 BPM und irgendwann wurde es uns in diesem Tempo zu langweilig. Also erhöhten wir das Tempo, so dass man diese beschleunigten, souligen Vocals bekommt. Wir wollten etwas, das wirklich Spaß macht, unbeschwert ist und das Gefühl einer Party verbreitet. Für mich geht es in „Candle Flame“ im Wesentlichen um das Feuer und die Leidenschaft der frühen Liebe. Erick the Architect von den Flatbush Zombies hat eine Strophe beigesteuert, die mich an den jungen Snoop Dogg erinnert. Es hatte diese feurige Energie und setzte das Stück echt in Brand … wie die Flamme einer Kerze! „Dominoes“ „Dominoes“ ist ein weiterer Song, der diesen Old-Soul-Vibe hatte – ursprünglich war er mit 85 BPM viel langsamer. „Dominoes“ ist eine Metapher für das Verlieben und all die dramatischen Ereignisse, die passieren, wenn man sein Dasein an dieses immer tiefer werdende Gefühl anpasst und sein ganzes Leben verändert. Der Song enthält ein Sample des Songs „Love Is a Hurtin’ Thing“ der [US-amerikanischen R&B-Sängerin] Gloria Ann Taylor. Wir haben es genommen und mit den Vocals unseres Songs gemischt, wie eine Art Mashup. Es hat diesen entspannten The-Avalanches-Vibe und ist ein echter Sommer-Jam. Für mich ist es das erste Mal, dass man auf dem Album ein wenig zur Ruhe kommt und es nicht so explosiv zugeht. „I’ve Been In Love“ (feat. Channel Tres) Dieser Song, auf dem Channel Tres zu hören ist, stammt aus einer Session, die wir vor einiger Zeit gemacht haben – also bevor Channel Tres überhaupt als Künstler bekannt war. Wir haben es über einen anderen Track geschrieben, der „I’m Dying to Be in Your Arms“ hieß und den man in der Mitte von „I’ve Been In Love“ hören kann. Der Originaltitel wurde neu gesampelt und bildet die mittlere Acht. Erzählt wird hier die Geschichte einer vergangenen Liebe und der Vorstellung, aus diesem Gefühl der Liebe herauszukommen. „Back On 74“ „Back On 74“ trägt eine gewisse Nostalgie in sich, jenem Gefühl, einen Ort in deinem Leben zu haben, an dem du aufgewachsen bist und an den du diese wirklich schönen Erinnerungen hast. Die 74 ist fiktiv, aber für uns ist es wie die 74th Avenue oder 74th Street, ein Ort eben, an dem man in seiner Vorstellung oder als Kind auf der Straße gespielt hat. Man ist dorthin zurückgekehrt und hat dieses nostalgische Gefühl, aber alles ist nicht mehr ganz so wie früher. Bei „I’ve Been In Love“ und „Back On 74“ hat man dieses Verlangen, nach Hause zu gehen, zurück an einen Ort, der sich sicher anfühlt. „You Ain’t No Celebrity“ (feat. Roots Manuva) Das hier ist wahrscheinlich der roheste und ehrlichste Track des Albums, eine Art Warnung an die Menschen in deinem Leben, die sich für eine Prinzessin oder eine Diva halten – wenn sie anspruchsvoll oder ein bisschen selbstgerecht werden oder erwarten, dass bestimmte Dinge ihren Weg gehen. Roots Manuva konnte das Gefühl vielleicht nachvollziehen. Er hatte diese Lyrics, die ursprünglich auf einem anderen Track waren – etwas, das wir 2016 oder so mit ihm gemacht haben. Er brachte diese fast schon kinderreimartigen Hooks im Stil von Mr. Motivator ein, die nicht einmal eine Strophe lang waren und fast wie ein Mantra klingen. Der Song erklärt den Kompromiss, den man in einer Beziehung mit einer Person eingehen muss, jenes Drängen und Ziehen, mal leicht und mal zu stark, ein ständiges Hin und Her. „Coming Back“ Dies ist eine Fortsetzung von „You Ain’t No Celebrity“ und dabei eher wie eine ausgelassene Feier. Es nimmt den Groll und die Wut und verwandelt sie in diese freche, quirlige, karnevalistische Stimmung. Der Song beginnt mit geschrienen Vocals wie „I don’t miss you“, also Selbsterkenntnissen über sich selbst. Im Refrain heißt es dann, dass die Person immer wieder zurückkommt, um mehr zu bekommen – wenn man mal losgelassen hat, will die andere Person immer mehr von einem. Es geht um die Idee der Erwartung in Beziehungen, aber wir enden mit diesem fast karnevalistischen Ende, bei dem alle mitmachen und man mit Spaß alles übersteht. „Don’t Play“ (feat. Mood Talk) „Don’t Play“ ist ein Sample von „Faith Is the Key“, einem wirklich außergewöhnlichen Album von Enlightment, einer Washingtoner Soul- und Gospelgruppe. Das Werk kam 1984 heraus, aber dann ging die Plattenfirma und ihr Vertrieb unter, was dieses Album ziemlich wertvoll machte, quasi ein heiliger Gral für Sammler:innen. Im Jahr 2000 tauchte es wieder auf, und Kopien werden nun für etwa 800 Pfund [ca. 930 Euro] gehandelt. Es gibt darauf diesen erstaunlichen kleinen Hook und mein Cousin Mood Talk hat den Beat zusammengestellt und ihn gesampelt. Wir haben ihn auf unserem Album gefeaturt und über das Sample gesungen. „Don’t Play“ bedeutet so etwas wie „Hör auf, diese Spiele zu spielen, es interessiert mich nicht“. Diese Botschaft kann sowohl am Anfang als auch am Ende einer Beziehung angewendet werden. Am Anfang und am Ende gibt es einfach immer Spiele ... „Every Night“ Dieser Track ist gitarrenlastig und macht einfach Spaß. Wir wollten einen Song ohne Snare Drum machen. Heraus kam ein lustiger Track, eine positive Botschaft über die Liebe und er hat bis zu einem gewissen Grad Gospel-Einflüsse. Ein bisschen wie eine Party. „PROBLEMZ“ Der Song erschien ursprünglich 2022 und ich denke, dass „GOOD TIMES“ [mit seiner doppelten A-Seite] in gewisser Weise die Blaupause für den Sound des Albums war. Wir strichen „GOOD TIMES“ vom Album, weil wir das Gefühl hatten, dass die Produktion oder der Vibe nicht ganz zu dieser Platte passte. Aber „PROBLEMZ“ ist eines unserer Lieblingsstücke, die wir je gemacht haben, und wir wollten es nicht als eine Art B-Seite zurücklassen. Es hat lateinamerikanische Vibes, besonders durch die Flöten und den Schwung in der Musik, ein klassisches Disco-Feeling. Am Ende geht es in eine Richtung, die mit den Streichern fast wie Musiktheater ist. „Good At Breaking Hearts“ Dies ist die erste traditionelle Ballade des Albums. Sie geht in die Richtung von: „Ich bin nur gut darin, Fehler zu machen – eine Art Gegenpol dazu, dass du nur gut darin bist, Herzen zu brechen.“ Mit dabei sind [der Londoner Singer-Songwriter] JNR WILLIAMS und 33.3 – das neue Projekt von Lydia und mir. JNR hat eine unglaubliche Stimme: Ich arbeite seit zwei oder drei Jahren mit ihm zusammen und habe viele Songs mit ihm geschrieben. Das hier ist ein Song, den wir eigentlich für sein Album gemacht haben, aber er befand: „Ich will ihn nicht“. Aber als er dann fertig war, meinte er: „Oh, ich wünschte, ich hätte ihn genommen!“. Ich sagte: „Mann, du hättest mir vertrauen sollen!“. Es ist ein wunderschöner Song, seine Stimme hat einen Hauch von Nina Simone, Bill Withers und Stevie Wonder in sich, wirklich ein erstaunlicher Klang. „Palm Trees“ Dieser Track entstand ursprünglich in L.A. Es ging um die Idee, dass man an einen urlaubsmäßigen Ort entfliehen kann, so nach dem Motto „Palmen, wir kommen!“. Es ist dieses Gefühl von „Ich will einfach nur abhauen, ich will irgendwohin, wo es heiß ist, ich will irgendwohin, wo meine Probleme mich nicht beschäftigen und wo ich alles hinter mir lassen kann“. Es wird durch die Geschichte eines Mädchens erzählt, das in einen Club geht und eine Droge nimmt, die sie auf einen wilden Weltraum-Disco-Trip schickt. „Pretty Little Thing“ (feat. Bas) Der Song entstand zur gleichen Zeit wie „PROBLEMZ“ und „GOOD TIMES“ und die Fans werden wissen, dass er am Ende des Musikvideos zu „Good Times / Problemz“ zu hören ist – im Abspann läuft ein kleiner Ausschnitt von „Pretty Little Thing“. Es ist eine Ballade, eine Chance, über Momente nachzudenken und über die alten Erfahrungen zu reflektieren. Der [Queens-via-Paris-Rapper] Bas ist darauf angesprungen und hat seine eigene Geschichte erzählt, was der ganzen Sache auf seltsame Weise einen Sinn gab. Ein absoluter Glückstreffer.
Audio-Extras
Video-Extras
- Little Dragon & April + Vista
- Tom Misch