40 Jahre – so lange ist es her, dass ein paar Schüler aus dem schwäbischen Bietigheim-Bissingen zueinanderfanden und eine Band gründeten. Diese hieß zwar nicht von Anfang an, aber schon bald: Pur – dieser Name schrieb deutsche Musikgeschichte und „musiksozialisierte“ mehrere Generationen von Menschen in diesem Land. Und es gibt sie bis heute. Den Beweis tritt die nachfolgende Liedersammlung an, die nicht nur unzählige legendäre Songs aus vier Jahrzehnten versammelt, sondern auch einige Lieder enthält, auf denen Pur das machen, was sie seit jeher am besten können: Menschen zusammenbringen – auch in Zeiten, in denen das so schwer wie vielleicht noch nie ist. Über die neuen, aber auch die alten Zeiten sprachen wir mit Hartmut Engler von Zoom-Kachel zu Zoom-Kachel.Hartmut, wie schafft man es, 40 Jahre lang als Gruppe von Menschen zusammenzubleiben? Und wie hast du es geschafft, 40 Jahre lang vom selben Projekt, von derselben Idee begeistert zu sein?Das ist eine sehr interessante Frage! Ich war ja tatsächlich gerade erst 15, als eine Schülerband einen Sänger suchte, der dann ich wurde. Wir probten damals dreimal die Woche. Das war unser Hobby und noch überhaupt nicht mit dem grossen Traum verbunden, dass dieses Projekt mal ein ganzes Leben füllen würde.Aber dann kam das Abitur und wir waren inzwischen so fest zusammengewachsen – wir waren eine Jungsgang mit einem gemeinsamen Ziel geworden –, dass wir uns sagten: Lass uns das Ganze so weit treiben wie möglich. Vielleicht so weit, dass wir ein paar Jahre lang beruflich in einer Band sind. Deshalb suchten wir uns dann alle Studiengänge – bei mir Deutsch und Englisch auf Lehramt –, die es zuliessen, dass wir örtlich zusammenblieben. Und dann studierten wir also alle in Stuttgart sowie um die Stadt herum und machten semiprofessionell mit der Musik weiter. Und natürlich stellten wir uns mit der Zeit die Frage: Was wollen wir eigentlich mit unseren Leben machen? Wollen wir wirklich Lehrer werden? Wir erkannten: Es gibt nichts, was uns so viel Spass macht, wie Musik zu machen – und da traf es sich natürlich gut, dass wir 1987 unseren ersten Plattenvertrag angeboten bekamen. Da haben wir umgestellt. Offiziell waren wir weiterhin Bettelstudenten – das war einfach eine gute Erklärung für die Eltern und das Umfeld, weil man ja weiterhin kein Geld verdiente. Inoffiziell waren wir aber Profimusiker. Ich schmiss mein Studium und dann haben wir einfach Gas gegeben. Was bedeutete das damals?Man kann sich das so vorstellen: Wir haben wirklich jedes Wochenende unseren 7,5-Tonner-Kastenwagen, den wir von unserem Ferienjob bezahlt hatten, rausgeholt und sind mit dem durch die Lande getingelt. Hinten drin war unsere eigene Anlage, die reichte für bis zu 2’000er-Hallen. Wir haben wirklich überall gespielt – auf Studentenfeten, aber auch in US-amerikanischen Soldaten-Klubs. Dort spielten wir vor allem Coverversionen von AC/DC bis Frank Zappa. Unsere Priorität lag aber immer darauf, unsere eigenen Lieder nach vorn zu bringen. Von 1987 bis 1992 litten wir aber eher noch Hunger – auch wenn wir irgendwann immerhin so weit waren, dass sich jeder von uns 1’500 Mark im Monat auszahlen konnte. Und dann kam unser Aha-Erlebnis, unser Livealbum. Das war im Grunde schon so etwas wie ein Best-of, weil es die damals bereits für unsere Fans bekannten Songs von uns versammelte, eben in Live-Versionen. Wir waren zu der Zeit auch schon im Radio, sind ein paarmal im Fernsehen aufgetreten und hatten auch bereits die Vorband für Tina Turner am Hockenheimring gemacht – vor 104’000 Leuten! Und knapp eine Woche später war dann zum ersten Mal ein Album von uns in den Charts. Das wurde dann, zum Glück, direkt ein Millionenseller – damit sind wir also voll durchgestartet. Der Umstand, dass ein Livealbum unser erster Erfolg wurde, war wohl auch etwas, was uns von anderen Bands unterschied. Und danach befanden wir uns dann an einem Scheideweg: Wenn wir es nicht hinbekommen hätten, im Anschluss ein gutes Studioalbum nachzulegen, dann wär’s das wohl gewesen. Tja, dann kam aber die „Seiltänzertraum“-Platte, die dann alle Rekorde brach, über zwei Jahre lang in den Charts blieb und uns annähernd zwei Millionen verkaufte Alben bescherte.Und dann kam „Abenteuerland“.Ja, normalerweise hätte ja auch ich gesagt: Dem Druck hält man nicht stand. Nach so einem Erfolg kann das nächste Album nicht so gut werden wie das letzte, aber dann verkauften wir knapp 2,5 Millionen Alben und spielten eine Tour, die annähernd so gross war wie die im selben Jahr stattfindende Rolling Stones-Tour. Zu der Zeit hielt ich diese Zahlen gerne Journalisten vor, die mir krumm gekommen sind – ein kleiner Anflug von Arroganz, den wir uns gleich danach aber wieder gespart haben (lacht). Danach war dann aber wirklich klar: Höher, schneller, weiter, das geht jetzt wirklich nicht mehr. Was macht man da? Wir stellten fest: Die Musik macht uns einfach immer noch so unfassbar viel Spass, dass wir versuchen wollten, auf diesem hohen Niveau weiterzuarbeiten. Von da an verkauften wir zwar – dem Markt entsprechend – nach und nach immer ein bisschen weniger Platten, im allgemeinen Vergleich aber natürlich weiterhin sehr viel, während unsere Tourneen weiterhin ausverkauft waren. Und unser Ziel zu dieser Zeit war es ohnehin nicht mehr, noch erfolgreicher zu werden. Nein, wir wollten es eigentlich vor allem schaffen, ein Privatleben zu haben. Das hatten wir bis dahin ja einfach nicht. Von 1978 bis 1996 hatten wir keinen wirklichen Urlaub – als Studenten arbeiteten wir in den Ferien, um uns Equipment zu kaufen, danach waren wir die ganze Zeit unterwegs –, aber dann gönnten wir uns ein Jahr Pause. Und in diesem fanden wir einen neuen Rhythmus: Wir überlegten uns, dass wir nur noch alle drei Jahre ein Album machen würden, damit uns genug Zeit für unsere Familien bleibt – ich wurde nach der „Abenteuerland“-Tour zum ersten Mal Papa. Das heisst, wir haben uns so eingerichtet, dass wir alle mit dieser Band glücklich sein und zusammenbleiben konnten, ohne dass Pur weiterhin unser einziger Lebensinhalt war. Wie hat sich eigentlich euer Anspruch an das Songschreiben über die Jahre verändert?Das Arbeiten an sich hat sich grundsätzlich verändert, ja. Aber die Grundhaltung hinter der Musik, die hat sich seit unseren Anfängen nicht geändert. Als wir als unbekannte Band die ersten Male im Studio waren, da war der Anspruch stets ausschliesslich, dass die dort entstehende Musik uns gefällt, dass wir selbst sagen konnten: Dies ist das beste Album, was wir in diesem Jahr machen konnten. Diesen Anspruch haben wir bei jeder neuen Platte. Wenn wir uns also im Januar 2021 wieder im Studio versammeln, um unser neues Album aufzunehmen, dann ist das die Vorgabe – so wie am Anfang. Wir brauchen keine hundert Testhörer – wir vertrauen schon darauf, dass die Art und Weise, wie wir Songs machen, die uns gefallen, am Ende auch dem Publikum gefällt. Irgendwann trafen wir einfach einen Nerv, obwohl wir uns selbst nie „mainstreamig“ gefühlt haben. Es kam für uns ja auch einfach sehr überraschend, dass wir auf einmal eine Zeit lang die Nummer-eins-Band im Land waren. Auch weil diese Entwicklung von den ersten Erfolgen bis nach ganz oben ja einen relativ kurzen Zeitraum einnahm – das geschah ja alles innerhalb von drei, vier Jahren.Bevor wir die Hörerinnen und Hörer mit „100% das Beste aus 40 Jahren“ alleine lassen, würde ich dich gerne noch nach den neuen Songs auf der Platte fragen. Als Erstes ausgekoppelt habt ihr ja „Keiner will alleine sein“ – ein Song, der sehr zeitgeistig wirkt. Sind diese unbekannten Songs also in den letzten Monaten erst entstanden?„Keiner will alleine sein“ ist natürlich unter dem Eindruck von Corona entstanden. Und überhaupt sind alle neuen Songs auf der Platte im vergangenen Sommer geschrieben und aufgenommen worden. „Keiner will alleine sein“ im Speziellen spiegelt einfach meine Befindlichkeit im vergangenen Sommer wider. Ich habe mich so gefühlt, wie ich das in dem Text beschrieben habe – dass ich mich natürlich emotional ärmer fühle, wenn ich Freunde und Familienmitglieder nicht so herzen kann, wie ich das gern würde. Ich bin da schon ein sehr physischer Mensch. Davon handelt die erste Strophe. In der zweiten wiederum beschreibe ich, was Corona mit mir als Musiker macht, der natürlich die Bühne vermisst. Damals sprach aus mir vielleicht auch noch Vorfreude, weil ich die Hoffnung hatte, dass wir vielleicht im November/Dezember wieder auf der Bühne stehen können. Der Song ist natürlich schon aus einer kleinen Verzweiflung heraus geschrieben, aber trotzdem mit der grossen Hoffnung darauf verbunden, dass es wieder so werden wird, wie es war – und dass wir alle nur durchhalten müssen. Am Ende von „Keiner will alleine sein“ gibt es ja diese schöne Stelle, wo das Publikum jubelt. Die bringt diese Hoffnung auf den Punkt und noch mal ganz nah an uns alle heran. Ich hoffe natürlich, dass der Pur-Fan zu Hause beim Hören dieses Songs daran denkt, wie es einmal war und wie es auch in der Zukunft wieder sein wird.
Disc 1
Disc 2
Disc 3
- 2022
- 2000
- Johannes Oerding
- Revolverheld
- Heinz Rudolf Kunze
- Matthias Reim
- Christina Stürmer
- Münchener Freiheit
- Roland Kaiser