CRASH

CRASH

„Im Grunde bin ich noch immer sehr rastlos“, sagt Charli xcx gegenüber Apple Music. „Denn ich weiss, dass ich ein hervorragender Popstar wäre. Aber ich weiss leider auch, dass die Leute eine gewisse Vorstellung von mir haben. Um ehrlich zu sein, zerbreche ich mir darüber ziemlich den Kopf. Ich bin zwar eine sehr eigensinnige Person, am Ende bin ich aber auch nur ein Mensch. Manchmal möchte ich einfach nur akzeptiert werden, und ich verstehe nicht, warum das nicht immer der Fall ist – auch wenn ich mich manchmal daran erfreue, dass ich es nicht bin.“ Charlotte Aitchison ist eine der selbstironischsten und selbstkritischsten Künstlerinnen der Popmusik. „CRASH“ ist ihr fünftes Studioalbum und das letzte, das im Rahmen eines langjährigen Plattenvertrags veröffentlicht wird. Es ist teilweise, wie Charli sagt, ein Experiment. Eine Gelegenheit, die Möglichkeiten eines Major-Labels zu nutzen und ihren linksgerichteten Pop in etwas sehr Luxuriöses zu kleiden. Es ist ein mutiger und erfrischend transparenter Versuch, ein paar Stufen hinaufzusteigen, und gleichzeitig auch ein wohlüberlegter Schritt, der dazu dient, einige von Charlis quälenden Was-wäre-wenn-Fragen zu beantworten. „Ich habe schon immer an mir gezweifelt“, sagt sie. „Das ist der Grund, warum ich dieses ganze Album gemacht habe. Ich frage mich: Bin ich eine sympathische Künstlerin? Bin ich zu eigensinnig? Sehe ich zu schräg aus? Bin ich zu nervig? Wenn ich die Klappe halte und bestimmte Songs herausbringe und die richtigen Features mache, werde ich dann mehr akzeptiert, mehr gemocht und kommerzieller?“Natürlich würde Charlis notorisch engagierte Fangemeinde, mit der sie für das 2020er-Quarantäne-Album „how i’m feeling now“ online Ideen und Songtexte ausgetauscht hat, behaupten, dass sie keine solche Bestätigung braucht. „Es ist ein Segen und ein Fluch, um ganz ehrlich zu sein“, sagt sie über ihre sogenannten Angels. „Ich habe das grosse Glück, dass ich eine so grosse Fangemeinde habe, mit der ich buchstäblich jeden Atemzug teilen kann. Sie sind sehr lautstark und sehr smart, was mich zu ihnen hinzieht, da sie einen guten Geschmack und grossartige Ideen haben – wie ich bei ‚how i’m feeling now‘ herausgefunden habe. Aber man kann es nun mal nicht allen recht machen. Ich habe so viele verschiedene Sachen gemacht, dass die Leute immer eine Vorliebe für bestimmte Phasen haben werden. Ausserdem glaube ich, dass sie sich gerne für einen Aussenseiter oder eine Randfigur wie mich starkmachen. Und weil wir das Gefühl haben, schon sehr lange dabei zu sein, kann der Online-Diskurs echt heftig sein. Ich kann nicht leugnen, dass es manchmal etwas schwierig ist, damit umzugehen. Denn obwohl ich meine Fans absolut verehre, mache ich die Musik nicht speziell für sie, wenn ich im Studio sitze – ich mache sie für mich. Und ich glaube nicht, dass sie mich als die Künstlerin bewundern würden, die ich bin, wenn ich ihnen immer nur das geben würde, was sie erwarten.“ Es ist an der Zeit, selbst hineinzuhören. Entdecke Charlis hochwertigen Pop mit ihrem eigenen Track-by-Track-Guide.„Crash“Bis etwa eine Woche vor der Aufnahme dieses Songs sollte das Album „Sorry If I Hurt You“ heissen. Aber eines Tages fuhr ich in meinem Auto, während ich an „CRASH“ denken musste, und rief schliesslich A. G. Cook an. Auch wenn er nicht wesentlich an diesem Album beteiligt war, ist er immer noch mein kreativer Vertrauter. Er stimmte mir zu, da ich ständig auf Autos anspiele – und ich mag die Lautmalerei, ich mag die Anspielung auf [die Single von 2014] „Boom Clap“ und ich mag es, dass der Titel viel druckvoller und direkter ist als how i’m feeling now. Ausserdem hatte ich das Gefühl, dass der Albumtitel einen Song braucht, also sind A. G. und ich ziemlich schnell ins Studio gegangen und wussten, dass er extrem nach den 80ern klingen muss. Wenn man das Album in einen Song packen könnte, dann ist es dieser. Wir – und der Co-Produzent des Songs, George Daniel – hatten uns viele New Jack Swing-Beats hin- und hergeschickt und ich wusste, dass ich dieses Gitarrensolo haben und diese verrückten Janet-esken Einsätze hinzufügen wollte.„New Shapes“ (feat. Caroline Polachek & Christine and the Queens)Caroline, Christine und ich hatten schon verschiedentlich zusammengearbeitet. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis wir drei uns verbündeten. Dieser Song wurde eigentlich schon vor langer Zeit aufgenommen – noch vor der Pandemie. Mir gefällt, dass er so etwas wie ein Anti-Helden-Song ist. Wir sagen der geliebten Person: „Ich habe nicht das, was du von mir brauchst, denn ich bin nicht der Durchschnitt. Ich funktioniere nicht so, wie du es von mir erwartest. Ich will mehrere Partner. Ich will jemand anderen. Ich will keine Normen in Sachen Sex und Liebe.“ Mit gefällt das als Aussage, insbesondere direkt nach den Geräuschen eines Auto-Crashs im vorherigen Song. Diesen Song mit ihnen zu machen – also zwei Künstlerinnen, die meiner Meinung nach eine so einzigartige, mutige und eigenwillige Vision von Popmusik haben –, fühlte sich einfach richtig für uns an. Jetzt gibt es eine echte Verbindung zwischen uns, sowohl in der Musik als auch in unserem persönlichen Leben.„Good Ones“Ich finde, dieser Song hätte es verdient, erfolgreich zu werden, aber das werde ich wohl immer von meiner Arbeit denken. Er ist die die Kurzfassung des Albums – er hat eine dunkle Seite und ist dabei sehr poppig. Mir gefällt, wie drastisch der Sprung von „how i’m feeling now“ zu diesem Album war, sowohl klanglich als auch in der Art, wie es gemacht wurde. „how i’m feeling now“ war mein Quarantäne-Album, das ich in meinem Wohnzimmer in fünf Wochen mit zwei vertrauten Kolleg:innen aufgenommen habe. Dieser Song wurde von Oscar Holter produziert – einem sehr aktiven Teil des Max Martin-Lagers – und stammt nicht wirklich aus meiner eigenen Feder, sondern aus der von zwei fantastischen Texterinnen, Caroline Ailin und Noonie Bao. Es ist also das absolute Gegenteil.„Constant Repeat“In diesem Song geht es um ein Szenario, das ich mir ausgedacht habe: Ich verliebe mich in jemanden, stelle mir aber vor, dass derjenige mich nicht will – was aber nicht der Fall war. Doch es war diese Befürchtung, die ich hatte, und meine Vorahnung in dieser Situation. Ich finde es interessant, dass man sich das selbst einreden kann. Wenn du dich in jemanden verknallst, glaube ich jedenfalls, erdrückt dich die menschliche Natur einfach und sagt dir, dass du nicht gut genug bist, und erfüllt dich mit Zweifeln und Angst und all diesen Dingen. Dieser Song ist erst sehr spät während der Arbeit am Album aus mir herausgesprudelt, und er fühlte sich so echt und natürlich an.„Beg For You“ (feat. Rina Sawayama)Rina wollte, dass wir zusammen etwas Schnelleres machen und unseren Fans einen besonderen Moment bieten. Ich habe sie sofort angerufen, als diese Songidee aufkam. Sie hat die zweite Strophe umgeschrieben und klang dabei unglaublich gut. Es ist ein perfekter Moment, denn wir sind zwei Künstlerinnen, die sich in der Pop-Sphäre bewegen, diese aber immer wieder herausfordern und dabei etwas aus der Reihe tanzen. Ausserdem hat sie eine eingeschworene Fanbase – es gibt viele Überschneidungen. Auch wenn einige von ihnen vielleicht etwas Experimentelleres von uns erwartet haben, denke ich, dass dies in gewisser Weise der perfekte Song für uns ist, da dies auch eine Hommage an eine Gay-Hymne ist [„Cry For You“ von September]. Sie ist queer, ich bin eine Verbündete der LGBTQ+ Community und wir kommen zusammen, um unser bestes Leben zu leben – und einen kultigen Popsong zu singen.„Move Me“Dieser Song entstand bei einem Schreibcamp, zu dem mich [der US-Produzent und Songwriter] Ian Kirkpatrick eingeladen hatte. Ich hatte schon eine Weile kein klassisches Camp mehr gemacht. Aber nicht, weil ich sie ablehne – ich fühle mich dabei sehr wohl und geniesse sie. Am Ende habe ich ihn mit [der US-amerikanischen Songwriterin und Produzentin] Amy Allen geschrieben. Wir sind vom Stil her sehr gegensätzlich, deshalb ist der Song auch so schön geworden – die aggressiven Teile des Songs, in denen ich in ein Mikrofon schreie, sind genau mein Ding, und daneben Amys wunderschöne Strophen. Als wir den Song machten, sagten alle, dass er ein toller Song für Halsey wäre. Ich sagte: „Nein, ich liebe Halsey, aber das ist ein grossartiger Song für mich und ich werde ihn behalten.“ Manche sagen, dass Songs aus einem Schreibcamp unecht sind, wie aus der Retorte entstanden oder so. Doch sie sind sehr real. Wir schreiben aus unserer eigenen Realität heraus. Und deshalb sind wir gute Songwriterinnen.„Baby“Das war einer der ersten Tracks, die ich für dieses Album gemacht habe, noch vor der Pandemie und mit Justin Raisen – der ein sehr wichtiger Teil meines ersten Albums „True Romance“ [2013] war. Es fühlte sich also richtig gut an, wieder mit ihm in demselben Haus zu arbeiten, in dem wir einen Teil des ersten Albums aufgenommen haben. Ich fand „Baby“ schon immer sehr leidenschaftlich, scharf und sexy. Ich glaube, die Arbeit an diesem Song hat mir geholfen, mich stark zu fühlen und die sexy Seite der Popmusik und meiner Kunst zu erkunden. Es ist auch der Song, der mich dazu gebracht hat, für die Promotion zu tanzen, denn ich konnte einfach nicht aufhören, mich dazu zu bewegen, während wir ihn gemacht haben.„Lightning“Es begann alles mit diesen halbfertigen Demos, mit denen ich mich beschäftigt habe, bevor ich Ariel Rechtshaid anrief, der neben Justin Raisen ebenfalls prägend für das erste Album war. Ich sagte ihm: „Also … ich habe hier einen Song, und ich möchte ‚True Romance à la 2022‘ daraus machen.“ Ich weiss, dass er nicht wirklich auf dem Hype ist, sondern der König der 80er-Jahre, aber ich vertraue ihm, wenn er findet, dass es in diese Richtung gehen muss, denn er hat einen tadellosen Geschmack. Er schickte es mir zurück und da stand ein Fragezeichen hinter dem spanischen Gitarrenmoment, der in einen Refrain übergeht. Ich schickte es an A. G., um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Er sagte: „Das ist der Wahnsinn. Ich habe laut gelacht.“ Daher sagte ich: „Okay, grossartig. Dann behalten wir es.“„Every Rule“Hier geht’s um die wahre Geschichte, wie ich meinen früheren Partner kennengelernt habe und wir beide noch in Beziehungen waren, aber wussten, dass wir füreinander bestimmt waren. Ich glaube, das ist eine Geschichte, die viele meiner Freund:innen auch erlebt haben – und natürlich sorgt dieser Umstand für eine Menge Kontroversen. Die Menschen haben Angst, darüber zu sprechen. Die Leute schämen sich. Aber es ist eben auch sehr real. Ich glaube, man muss schon sehr mutig sein, um sich einzugestehen, dass man vielleicht nicht in die Person verliebt ist, mit der man gerade zusammen ist, sondern in jemand anderen. Es ist auf beiden Seiten grausam, und ich denke, das kann man wirklich heraushören. Es war ein Song, den ich nur mit A. G. machen konnte. Er würde mich nie dafür verurteilen, dass ich über diese Dinge rede. Es ist ein weiterer Song aus der Zeit vor der Pandemie, während A. G. in einer Wohnung lebte mit einem Studio in seiner Garage. Draussen stand ein Baum, aus dem immer Grillen zu hören waren. Du kannst die Grillen sogar in der Aufnahme hören, was ich wirklich süss und charmant finde. Nachdem wir etwa ein Jahr lang mit dem Song gelebt hatten, hatte A. G. die Idee, Oneohtrix Point Never zu bitten, ein paar Elemente dem Song hinzuzufügen, was mir sehr gefiel.„Yuck“Ich mag diesen krassen Tempowechsel hier. Ich mag es, dass es dich zum Lachen bringt. Denn ich mag diese überraschenden Momente auf Alben und in Liveshows, in denen man vom intimsten, ruhigen Song zum lustigsten oder poppigsten wechselt. Das war der Grund, warum ich „Every Rule“ und „Yuck“ hintereinander gesetzt habe. Ich habe echt mit dem Gefühl zu kämpfen, erdrückt zu werden. Das ist wahrscheinlich ein Einzelkind-Ding oder so. Wenn ich sage: „Geh weg von mir, lass mir etwas Freiraum“ – dann fühle ich mich tatsächlich die Hälfte der Zeit so. Es erinnert mich auch an den Gang-Gesang in „Boom Clap“ und „Boys“. Nicht vom Sound her, sondern eher in Bezug auf die Art, wie ich den Song singe. Ich bin technisch definitiv nicht die beste Sängerin – wenn du mich neben Ariana Grande stellen würdest und wir beide den gleichen Song singen würden, würde ich total bekloppt klingen, während sie absolut umwerfend klingen würde –, aber wenn es darum geht, so zu singen, fühle ich mich aus technischer Sicht ziemlich sicher. Es macht echt Spass, zu sagen: „Ja. Wisst ihr was? Ich kann dieses Lied singen.“ Ich weiss, das klingt blöd, weil ich eine professionelle Sängerin bin.„Used To Know Me“Bei „Fancy“ habe ich versucht, mir selbst wieder nahezukommen – oder mich in diesen Geisteszustand zu versetzen. Ich weiss noch genau, wie ich nach der Melodie des Refrains von „Fancy“ gesucht habe, wie ich es vorher noch nie getan habe. Normalerweise bin ich sehr instinktiv und spontan, wenn es um Melodien geht, aber bei „Fancy“ musste ich mein Hirn wirklich um verschiedene Ecken manövrieren, um die Melodie herauszuarbeiten – und um die Notenstruktur zu verstehen. Ich habe den Song allein in den Stargate-Studios geschrieben, was mir wahrscheinlich das Gefühl gab, einen richtig grossen Popsong schreiben zu müssen. Als ich ihn dann in noch einmal in meinem Auto hörte, fing ich einfach an, die Synth-Line zu „Show Me Love“ von Robin S. zu singen. Und alle sagten: „Ja, aber willst du es veröffentlichen?“ Und ich entgegnete: „Ich glaube nicht.“ Es fühlt sich für mich wie ein grosser Song an – es geht darum, wie du dich nach einer Trennung neu sortierst.„Twice“Ich hatte erst Bedenken, diesen Song zum letzten zu machen, weil er mit dem Tonartwechsel und dem Outro eine so offensichtliche Wahl ist. Und generell bin ich gegen das Offensichtliche. Aber dann sagte George Daniel, der sich sehr gut mit Tracklisting auskennt: „Du wärst dumm, wenn du diesen Song nicht als letzten nimmst.“ Der Text ist wirklich interessant, denn es geht um das Ende der Welt und darum, dass man nicht zweimal über intime oder spontane Momente nachdenken sollte. Im Wesentlichen geht es darum, dass man nur einmal lebt und man sich gerne in diese einmaligen Situationen begibt, in die jeder gerät. Ich habe mir die Szene aus [Lars von Triers Film] „Melancholia“ aus dem Jahr 2011 vorgestellt, in der Kirsten Dunsts Figur auf einem Hügel sitzt und auf das Ende der Welt wartet. Es ist also ein perfekter Abschluss – und ausserdem finde ich, dass es ein sehr schönes Lied ist.

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