„Was ist normal? Nichts ist normal!“ Diese Zeile ist das zentrale Mantra von „Normalize“, dem furiosen Herzstück des neunten Albums von Mother Mother. Teils Punk-Rave-up, teils Opernchoral, ist der Song eine Hymne an die selbstbewusste nonkonformistische Band aus Vancouver und ihre abgefahrenen Fans. Die unkonventionelle Essenz von Mother Mother spiegelt sich sowohl in ihrem genreübergreifenden Sound wider – einer wilden Mischung aus Vintage-Glam Rock-Attitüde, modernem Alt Pop-Pomp und erdiger Indie Folk-Ästhetik – als auch in ihrem überraschenden TikTok-Kick Anfang der 2020er-Jahre: Der machte sie zu einer der wenigen Gruppen, die an der Schwelle zu ihrem 20-jährigen Bestehen ihre Fangemeinde massiv vergrößern konnten. Und nichts davon nehmen sie als selbstverständlich hin. Ein oberflächlicher Blick auf die Songtexte von „Grief Chapter“ offenbart eine ausgeprägte Beschäftigung mit dem Sterben – wenn du ein Trinkspiel spielen und jedes Mal, wenn Sänger/Gitarrist Ryan Guldemond den Tod erwähnt, einen Schluck trinken würdest, wärst du schon beim dritten Song betrunken. Aber „Grief Chapter“ ist kein Nebenprodukt einer düsteren, postpandemischen Depression. Vielmehr verpacken Mother Mother ernsthafte Auseinandersetzungen mit der Sterblichkeit in energiegeladene, beschwingte Songs und zeigen so, wie wichtig es ist, das Leben in vollen Zügen zu genießen. „In den letzten Jahren haben Mother Mother neuen Erfolg und eine höhere Lebensqualität erreicht“, sagt Guldemond gegenüber Apple Music. „Ich habe das Gefühl, dass das Thema Tod ganz natürlich auftaucht, wenn das Leben gut ist, und das finde ich gut. Der Tod ist ein hervorragender Anreiz, um aus jeder Krise herauszukommen, in der man sich vielleicht befindet. Wir betrachten den Tod als ein Mittel, um das Leben zu feiern, um zu schätzen, was um uns herum passiert, und um den Tag zu nutzen.“ Hier erklärt Guldemond Track für Track, warum man sich lebendiger fühlt, wenn man über das Sterben singt. „Nobody Escapes“ Ich liebe den Spagat zwischen fröhlich und traurig, das scheinbar Zuckersüße gemischt mit dem Verrückten. Das Schöne am Songwriting ist, dass man auf grausame Weise hart zu sich selbst sein kann, und das funktioniert. Dadurch wird der Song oft besser. Ursprünglich war dieser Song einfach zu kurz – er war etwa anderthalb Minuten lang. Und er brauchte keine weiteren Strophen oder Refrains. Er fühlte sich komplett an. Aber es wäre auch irgendwie sträflich gewesen, nicht zu versuchen, noch etwas anderes zu sagen, also sind wir ein bisschen abgeschweift – oder auch drei Mal. „To My Heart“ Dieser Song entstand, als ich in meiner Wohnung rumhing, Akustikgitarre spielte und traurig war. Ursprünglich wollte ich ihn für mein Soloprojekt verwenden, aber dann hatte ich das Gefühl, dass er gut zu Mother Mother passen und die Mädels [Molly Guldemond und Jasmin Parkin] ihn aufwerten würden. Die Formulierung „zurück zu meinem Herzen“ bedeutet, dass ich mich bemühen werde, die Fiktion meines toxischen Verstandes zu überwinden und zu einer gefühlsbetonten Lebensweise zurückzukehren. „Explode!“ Hier geht es um die Art von Menschen, die viel zu sehr versuchen, hinter allem einen Sinn und eine Inspiration zu vermuten. Und dabei verpassen sie ironischerweise die ganze subtile Schönheit des Alltäglichen. Wir kennen diese Art von Menschen. Ich war auch schon so einer. Und das ist hart für alle um uns herum – du gerätst in einen übertriebenen, manischen, entfremdenden Zustand, wenn du nur nach dem Kick suchst. Es ist wie bei diesen Kaltblütern – entspann dich einfach! Schnapp dir eine Decke und lies ein Buch. „Head Shrink“ Dieser Song entstand aus einer schlimmen Rückenverletzung, mit der ich immer noch zu kämpfen habe. Eine Verletzung des unteren Rückens hat etwas sehr Emotionales an sich. Es fühlt sich an, als wäre das mehr als nur eine physiologische Angelegenheit. Es gibt definitiv eine Denkweise, die besagt, dass unsere Verletzungen Ausdruck emotionaler Traumata sind. Du gehst in dich und fängst an, dich zu analysieren, und „Head Shrink“ ist genau daraus entstanden. Aber ich mochte es, diese Idee auf den Kopf zu stellen und den Nutzen davon, so tief zu graben und sich selbst so intensiv zu betrachten, anzuzweifeln. Manchmal muss man einfach loslassen und nicht hinschauen, sondern den Tag betrachten und versuchen, etwas Gutes daraus zu machen. Wenn wir nur damit beschäftigt sind, uns selbst wieder in Ordnung zu bringen, verpassen wir einfach das Leben. Und ein großer Teil des Lebens besteht darin, sich halt mit der Tatsache abzufinden, dass es zutiefst unvollkommen ist. „Days“ In diesem Lied geht es darum, dass du irgendwann einem dieser schlechten Tage zum Opfer fällst und er dich fertigmachen wird. Darin steckt eine suizidale Komponente. Aber mir gefällt, wie die letzte Zeile des Liedes all das entkräftet und sagt: „I’ll never let it take me out“ („Ich werde es nie zulassen, dass es mich umbringt“). Ich finde, wenn man beim Songwriting düster ist, sollte es auch einen Silberstreif geben. Sonst wird es einfach nur ein Schwelgen in der Dunkelheit. „Forever“ Ich bin nicht religiös im traditionellen Sinn. Aber in diesem Song geht es um eine Person, die eine spirituelle Ader hat, und die sich mit der Erkenntnis auseinandersetzen muss, dass das Leben einfach vorbei ist – puff, weg. Am Ende dieses fleischlichen Abenteuers, das uns geschenkt wird, ist alles vorbei. „Normalize“ Das Stück war mit Abstand das schwierigste. Wir sind alle noch ein bisschen traumatisiert von der Entstehung. Manche Lieder wollen einfach nicht raus aus dem Mutterleib und man hat das Gefühl, dass man ein unnatürliches Experiment durchführt, indem man sie herausreißt und in die Welt zwingt. Und mit „Normalize“ fühlte sich das ein wenig so an. „Goddamn Staying Power“ Es ist schön, Kinder unschuldig auf einem Spielplatz glucksen zu hören, während man über dunkle Themen singt. Dieses Nebeneinander von Licht und Dunkelheit hat etwas, das wirklich funktioniert. Und ich finde es einfach schön, die Atmosphäre mit Texturen zu füllen, die keine Musik sind. Es wird irgendwie langweilig, wenn es nur Instrumente gibt und Schlagzeug und Dinge, die von Natur aus schon Musik sind. Ich mag es, Aufnahmen im Freien zu machen und diese Art von Geräuschkulisse in die Musik zu integrieren. „The Matrix“ Hier geht es weniger darum, dass man in einem Job gefangen ist, sondern eher darum, dass man in einer Geisteshaltung gefangen ist, die einen einschränkt und davon abhält, sein Potenzial auszuschöpfen oder seine Energie und Inspiration zu steigern. Wir alle müssen arbeiten, und es ist ziemlich idealistisch zu sagen: „Kündige deinen Job und werde glücklich!“ Aber einen großen Teil des Tages verbringt man nicht damit, für den Boss zu arbeiten, sondern mit sich selbst. Und genau in diesen Momenten will der Song die Menschen dazu ermutigen, aufzuwachen und zu erkennen, was sie wirklich wollen. „God’s Plan“ Erst nachdem wir den Song geschrieben hatten, habe ich im Internet nach „God’s Plan“ gesucht und festgestellt: „Oh, wow, das ist ein großer [Drake-]Song!“ Ich weiß nicht, ob uns das nutzen oder schaden wird. Aber es geht nicht um den Tod, sondern darum, wie unvollkommen die menschliche Rasse ist, und darum, einen Witz darüber zu machen, dass, wenn es eine Schöpferfigur gibt, sie auf Drogen gewesen sein muss, als sie uns geschaffen hat. So denke ich eigentlich nicht – ich finde, dass die Menschen schön und fremdartig sind. Es gibt immer noch eine Menge Schönheit in der Welt. Aber es macht Spaß, mit dieser extremen Respektlosigkeit zu spielen. „End of Me“ Als Kind habe ich mich an der Vorstellung berauscht, meine eigene Beerdigung zu erleben, aber die Ironie dabei ist, dass man denkt: „Oh, das wird so toll sein! Es wird eine Menge weinender Menschen geben, die mich feiern!“ Und dann wachst du auf und merkst, dass du gar nicht dabei sein kannst. Es ist eine Abschiedsfeier: Sie bleiben, du gehst. Deine Beerdigung ist nicht für dich. Das war eine wirklich verstörende Erkenntnis für mich. Sie hat mich aufgerüttelt. Und jetzt kann ich mir nicht einmal mehr vorstellen, überhaupt eine Beerdigung zu haben – nach dem Motto: „Wie peinlich, ich hoffe wirklich, dass das nicht stattfindet!“ „Grief Chapter“ Ich glaube, das ist mein Lieblingssong auf der Platte. Er kam nicht durch Songwriting zustande, sondern er entstand aus dem Leben und ist eine Reaktion auf das, was im Leben passiert ist. Ich kümmerte mich um meinen Freund John, der um seinen verstorbenen Vater trauerte, und baute im Grunde eine Reihe von Textnachrichten in diesen Song ein. Ich liebe es, wenn Lieder auf diese Weise entstehen. Das ist viel besser als „Ich gehe heute ins Studio und schreibe die letzten Tracks des Albums!“ Stattdessen heißt es dann: „Oh, verdammt, ich kann heute nicht ins Studio gehen, weil ich für meinen Freund da sein muss, weil sein Vater tot ist.“ Und wenn dein Herz offen ist für diese Erfahrung, entsteht einer deiner Lieblingssongs.
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