Palmölbarometer 2022

Während Palmöl-Kleinbäuer*innen häufig in Armut leben, erwirtschaftet die 282 Milliarden Dollar schwere Palmölindustrie jährlich riesige Gewinne. Die Politik konzentriert sich auf diese großen Industrieplantagen﹘obwohl Kleinbäuer*innen im Palmölsektor derzeit rund 30 % der weltweiten Produktion ausmachen und eine enorme Rolle für die Nachhaltigkeit des Sektors spielen. Und aufgrund der hohen Rentabilität des Palmölanbaus wird der Anteil der Kleinbäuer*innen voraussichtlich weiter steigen. Damit spielen die Kleinbäuer*innen eine immer zentralere Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung im ländlichen Raum und den Erhalt der biologischen Vielfalt. Palmöl ist ein wichtiger Bestandteil der Ernährung der ärmsten Menschen auf der Welt, und auch in Produkten wie Margarine, Shampoo und Biodiesel weit verbreitet﹘die Einbeziehung von Kleinbäuer*innen in die Lieferkette ist für eine nachhaltigere Palmölproduktion von entscheidender Bedeutung.

Mann kippt Anhänger voller Palmölfrüchten auf den Boden.

Das erste globale Palmöl-Barometer von Solidaridad und kleinbäuerlichen Erzeuger*innenorganisationen aus Asien, Afrika und Lateinamerika wirft ein neues Licht auf die weitgehend negative öffentliche Debatte über Palmöl in westlichen Ländern. Das Barometer zeigt auf, dass Kleinbäuer*innen an maßgeblichen Anteil an einer nachhaltigeren Palmölproduktion haben und macht deutlich: Die umstrittene Kulturpflanze birgt mehr Chancen und Themen, als den meisten Menschen bewusst ist.

WER DIE ABHOLZUNG VON WÄLDERN VERHINDERN WILL, MUSS DIE ARMUT DER KLEINBÄUER*INNEN BEKÄMPFEN

Die Palmölproduktion wird in den Medien immer wieder als Ursache für die Abholzung von Wäldern, für den Verlust der biologischen Vielfalt und für den Klimawandel genannt. Diese Betrachtung isoliert die Auswirkungen auf die Umwelt von der Armutskrise, mit der sie direkt verbunden ist﹘was dazu führt, dass die Rolle der Kleinbäuer*innen bei der Palmölproduktion übersehen wird. Neben den großen Unternehmen, die Ölpalmen in riesigen Monokulturen anbauen, produzieren mehr als drei Millionen Kleinbäuer*innen und ihre Familien etwa 30 Prozent des weltweiten Palmöls. Und eine Vielzahl von Arbeitnehmer*innen findet in der Palmölproduktion Arbeit. Allein in Indonesien arbeiten rund 16 Millionen Menschen im Palmölsektor, die Mehrheit davon in kleinbäuerlicher Produktion. Es ist zu erwarten, dass der Anteil der Kleinbäuer*innen an der Gesamtproduktion von Palmöl noch zunehmen wird, wenn die Industrieunternehmen ihre Expansion aufgrund der Verpflichtung zur Vermeidung von Abholzung in Zukunft einschränken.

Kleinbäuer*innen produzieren nicht einmal 2 % des zertifizierten nachhaltigen Palmöls auf dem Markt, obwohl sie 30 % des weltweiten Marktes ausmachen. Regierungen und Unternehmen müssen die Einbeziehung von Kleinbäuer*innen in ihre Nachhaltigkeitskriterien mit aufnehmen.

Shatadru Chattopadhayay, Geschäftsführer von Solidaridad Asien

DIE MILLIARDENSCHWERE PALMÖLINDUSTRIE VERWEIGERT DEN KLEINBÄUER*INNEN IHREN GERECHTEN ANTEIL

2020 wurden 17 Mrd. USD der insgesamt 282 Mrd. USD des Gesamtjahresumsatzes der Palmölindustrie von Kleinbäuer*innen erwirtschaftet – doch viele von ihnen verdienen nicht genug, um die Lebenshaltungskosten ihrer Familien zu decken. Trotzdem ziehen viele Kleinbauern den Anbau von Ölpalmen anderen Nutzpflanzen wie Kautschuk oder Kaffee vor, weil sie die Ölpalme das ganze Jahr über ernten und so ein höheres und beständigeres Einkommen erzielen können. Für viele Kleinbauern bietet der Anbau von Ölpalmen bessere Perspektiven und lindert ihre Armut.

Bei all diesen Preisschwankungen wird es für die Landwirt*innen immer schwieriger. Manche haben das Gefühl, dass sie 50 Prozent ihres Lebensunterhalts verloren haben, weil die Preise für die frischen Fruchtbüschel gesunken sind und gleichzeitig die Preise für Düngemittel und Pestizide um mehr als 100 Prozent gestiegen sind.

Valens Andi, Leiter einer Bauerngenossenschaft in West-Kalimantan, Indonesien, gegenüber Al-Jazeera

Mehrere Faktoren beeinflussen die Rentabilität eines landwirtschaftlichen Betriebs, etwa die Größe, die Lohnkosten, der Marktzugang, die Preise und die Kosten für Düngemittel. Schwankende Marktpreise drücken auf die ohnehin geringen Gewinnspannen der Kleinbäuer*innen. Angesichts dieser prekären Bedingungen sind viele Kleinbäuer*innen nicht in der Lage, in Innovationen auf Betriebsebene zu investieren oder sich an Nachhaltigkeitsstandards zu halten. Bis 2030 werden Kleinbäuer*innen rund 60 Prozent der indonesischen Ölpalmen-Anbaufläche ausmachen. Sie bei einer Umstellung auf nachhaltigere Produktionsmethoden zu unterstützen, wird in den kommenden Jahren eine zentrale Herausforderung sein.

Ein Mann spaltet die Früchte der Palmölpflanze.
Palmölbauer in Nigeria bei der Ernte

EINE FAIRE VERTEILUNG ENTLANG DER LIEFERKETTE IST DER SCHLÜSSEL ZU EINER NACHHALTIGEREN PALMÖLPRODUKTION

Während Kleinbäuer*innen darum kämpfen, über die Runden zu kommen, kassieren am anderen Ende der Lieferkette Lebensmittelhersteller*innen, Unternehmen für Haushalts- und Körperpflegeprodukte und der Einzelhandel 66 Prozent der Bruttogewinne aus der Palmölproduktion. Um ihre Profite noch stärker zu maximieren, konzentrieren sich die Unternehmen darauf, ihre Kosten weiter zu senken﹘und handeln dabei in krassem Gegensatz zu ihren eigenen Nachhaltigkeitsverpflichtungen sowie zu den globalen Klima- und UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung. Besorgniserregend ist, dass die globalen Palmölkäufer*innen wenig Bereitschaft zeigen, die Kleinproduzent*innen für ihr nachhaltiges Handeln zu entschädigen, indem sie beispielsweise einen fairen Preis zahlen und in langfristige Handelsbeziehungen investieren. Eine gerechtere Wert- und Risikoverteilung in der Palmöl-Wertschöpfungskette würde es Bäuer*innen ermöglichen, einerseits nachhaltiger zu produzieren und andererseits ein Einkommen zu erzielen, das den Lebensunterhalt ihrer Familien sichert.

STOPPT DEN BOYKOTT, INVESTIERT IN EINE GUTE PALMÖLPRODUKTION

Die Interessen der Kleinbäuer*innen werden nicht nur entlang der Wertschöpfungskette übersehen, sondern auch in der öffentlichen Debatte ignoriert. Nicht-Regierungsorganisationen und Handelsmarken rufen zum Boykott von Palmöl auf, um so den Verlust der biologischen Vielfalt zu bekämpfen. Dabei sind sich viele Wissenschaftler*innen und Naturschutzorganisationen einig: Ein Verbot von Palmöl würde das Problem nur verlagern und andere Lebensräume und Arten bedrohen! Ölplamen sind weitaus ertragreicher als jede andere Ölpflanzelzum Beispiel im Durchschnitt fünf mal produktiver als Soja. Das Ersetzen von Palmöl durch Alternativen würde den Kampf um knappe Anbauflächen verschärfen. Statt Palmöl zu boykottieren, sollte die Industrie in die nachhaltige Palmölproduktion durch Kleinbäuer*innen investieren.

Zwei Frauen tragen Palmölfrüchte und lächeln dabei in die Kamera.
Kleinbäuerinnen in Ghana

KLEINBÄUER*INNEN EINE STIMME GEBEN

Bäuer*innenorganisationen sollten eine Schlüsselrolle in der Debatte über die Zukunft des Ölpalmenanbaus spielen. Eine faire Verteilung entlang der Wertschöpfungskette und die Minimierung der Umweltzerstörung müssen in den Fokus rücken. Es ist an der Zeit, dass der Privatsektor und die Regierungen weg von technischer, kleinteiliger Hilfe, hin zu Programmen übergehen, die die strukturellen Nachteile der Kleinbäuer*innen beheben. Diese Programme und Lösungen werden nicht überall gleich ausgestaltet sein und müssen in einer Kombination aus freiwilligen und verbindlichen Ansätzen gefunden werden.

Unternehmen und Regierungen in Verbraucher*innen- und Erzeuger*innenregionen müssen die Interessen der Kleinbäuer*innen bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen berücksichtigen. Die EU sollte sicherstellen, dass Kleinbäuer*innen unterstützt werden, um die Anforderungen der EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte zu erfüllen und in Partnerschaft mit den Erzeuger*innenländern die tatsächlichen Ursachen der Entwaldung, einschließlich der Armut, zu bekämpfen.

Heske Verburg, Geschäftsführerin von Solidaridad Europa

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