Nachdem am Mittwochmorgen (31. Juli) ein hochrangiger Hamas-Funktionär im Iran ermordet wurde, wachsen Befürchtungen vor einem umfassenden regionalen Krieg. Die EU-Kommission hat alle Parteien im Nahen Osten dazu aufgerufen, „größtmögliche Zurückhaltung“ zu üben.
„Wir verfolgen aufmerksam die Berichte über die Ermordung des politischen Oberhaupts der Hamas, Ismail Haniyeh, in der vergangenen Nacht in Teheran“, teilte der Sprecher der Europäischen Kommission für auswärtige Angelegenheiten, Peter Stano, Euractiv mit.
„Wir rufen alle Parteien dazu auf, größtmögliche Zurückhaltung zu üben und jede weitere Eskalation zu vermeiden. Kein Land und keine Nation kann von einer weiteren Eskalation im Nahen Osten profitieren.“
Das Bundesaußenministerium schloss sich den Worten Stanos an.
„Es gilt, eine weitere Eskalation und einen regionalen Flächenbrand zu verhindern“, erklärte ein Sprecher Berlins am Mittwoch vor Journalisten. „Wir rufen alle Akteure zu größtmöglicher Zurückhaltung auf. Die Logik gegenseitiger Vergeltungsschläge ist ein Irrtum.“
Der Sprecher fügte hinzu, Deutschland werde seine „Bemühungen um eine Deeskalation der Lage mit Hochdruck fortsetzen.“
Israel hat sich nicht offiziell zu der Ermordung von Ismail Haniyeh bekannt. Wenige Stunden zuvor hatte Israel in einem dicht besiedelten Vorort von Beirut Fuad Shukur, einen hochrangigen Kommandeur der libanesischen Hisbollah, einer vom Iran unterstützten militanten islamistischen Gruppe, getötet.
In einem Beitrag in den sozialen Medien lobte Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant die „präzise und professionelle Operation.“ Er sagte, Shukur habe „das Blut vieler Israelis an seinen Händen.“
Der Angriff auf die libanesische Hauptstadt folgte auf einen Raketenangriff auf ein Fußballfeld auf den israelisch besetzten Golanhöhen am Samstag. Zwölf Kinder wurden dabei getötet.
Seit dem Überraschungsangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, der den derzeitigen Krieg im Gazastreifen auslöste, hat die Hisbollah immer wieder Raketen mit Israel über dessen Nordgrenze hinweg ausgetauscht. Die Hisbollah weist die Verantwortung für den Angriff vom Samstag „entschieden zurück.“
Das Gesundheitsministerium des Gazastreifens schätzt, dass während der israelischen Vergeltungsoffensive in der belagerten Enklave fast 40.000 Palästinenser getötet und etwa 90.000 verletzt worden sind.
Nach Angaben der israelischen Behörden tötete die Hamas am 7. Oktober rund 1.200 Israelis und nahm etwa 240 Geiseln.
Iran und Hamas schwören „Rache“
Während die Europäer zur Zurückhaltung aufriefen, kündigten Teheran und die Hamas ausdrücklich Rache an.
„Wir betrachten es als unsere Pflicht, Rache für [Haniyehs] Blut zu nehmen, da er auf dem Territorium der Islamischen Republik Iran den Märtyrertod erlitten hat“, erklärte das Oberhaupt des Landes, Ayatollah Ali Khamenei, in von den staatlichen Medien des Landes veröffentlichten Äußerungen.
Der neue iranische Präsident Masoud Pezeshkian, zu dessen Amtseinführung Haniyeh nach Teheran geflogen war, schrieb auf X: „Die Islamische Republik Iran wird ihre territoriale Integrität [und] ihre Ehre verteidigen und die terroristischen Angreifer ihr feiges Vorgehen bereuen lassen.“
Der militärische Flügel der Hamas, die Qassam-Brigaden, kündigte ebenfalls Vergeltung an.
„Der Feind wird für seine Aggression mit seinem eigenen Blut im Gazastreifen, im Westjordanland und innerhalb seiner Grenzen bezahlen, was auch immer unsere Kämpfer nach Gottes Willen erreichen“, hieß es in einer Mitteilung.
Verurteilung in der ganzen Region und weltweit
Der israelische Angriff auf den Iran wurde von anderen Parteien im Nahen Osten verurteilt. Dazu gehörte auch Katar, das als wichtiger Vermittler bei den Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der Hamas und Israel fungierte.
„Politische Attentate und fortgesetzte Angriffe auf Zivilisten im Gazastreifen, während die Gespräche weitergehen, werfen für uns die Frage auf, wie eine Vermittlung gelingen kann, wenn eine Partei den Unterhändler der anderen Seite ermordet“, schrieb der katarische Premierminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani auf X.
„Der Frieden braucht ernsthafte Partner und eine globale Haltung gegen die Missachtung von Menschenleben“, fügte er hinzu.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verurteilte den „abscheulichen Akt.“ Bereits zuvor hatte er den israelischen Angriff auf den Gazastreifen wiederholt als „Völkermord“ bezeichnet und den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit Adolf Hitler verglichen.
„Der Terror, den Israel in unserer Geografie ausübt, insbesondere die Unterdrückung und der Völkermord in Gaza, wird definitiv ein Ende haben und unsere Region und unsere Welt werden Frieden finden“, schrieb Erdoğan auf X.
Die Tötung Haniyehs wurde auch von anderen Weltmächten, darunter Russland und China, kritisiert.
„Dies ist ein absolut inakzeptables politisches Attentat, das zu einer weiteren Eskalation der Spannungen führen wird“, erklärte der stellvertretende russische Außenminister Michail Bogdanow gegenüber RIA Novosti.
USA haben „keine Kenntnis von oder Beteiligung an“ Attentat
US-Außenminister Antony Blinken wies jede Verantwortung für die Ermordung Haniyehs zurück und erklärte, dass „wir nichts davon wussten noch daran beteiligt waren.“
Blinken betonte auch, wie wichtig es sei, einen Waffenstillstand im Gazastreifen zu erreichen. Dies liege „eindeutig im Interesse der Geiseln und ihrer Heimkehr.“
Der Angriff auf Teheran am Mittwoch war nicht das erste Mal, dass Israel und der Iran in den letzten Monaten am Rande eines ausgewachsenen Krieges gestanden haben. Im April führte Israel Luftangriffe auf ein S-300-Langstrecken-Luftabwehrsystem in der Nähe von Isfahan, einer Großstadt etwa 450 Kilometer südlich von Teheran, durch.
Der Angriff auf Isfahan erfolgte nach dem ersten direkten Raketenangriff des Iran auf Israel am 13. April, der wiederum auf einen israelischen Angriff auf ein iranisches Konsulat in Damaskus folgte.
*Nick Alipour hat zur Berichterstattung beigetragen.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic]