Frankreich bleibt auch unter dem neuen Premierminister Michel Barnier bei seiner Ablehnung des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens, wie Euractiv exklusiv aus seiner Koalition erfuhr. Damit sind Hoffnungen auf einen Abschluss beim G20-Gipfel in Brasilien zunichtegemacht worden.
Die Gespräche über das Mercosur-Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay begannen 1999 und wurden 2019 im Grundsatz vereinbart, aber nie ratifiziert.
Das Abkommen, das eine Bevölkerung von über 780 Millionen Menschen umfasst, würde rund 93 Prozent der EU-Zölle abschaffen. Damit wäre es das bisher größte Handelsabkommen der EU in Bezug auf den Zollabbau.
Einige Medienberichte hatten die Möglichkeit gesehen, dass das Abkommen bis zum G20-Gipfel in Brasilien am 18. November unterschrieben werden könnte. Doch in seiner derzeitigen Form bleibt das Abkommen für die neue französische Regierung nicht akzeptabel.
Barnier und Macron „sind dafür, eine Sperrminorität zu finden, um die Unterzeichnung des Abkommens zu verhindern“, sagte der liberale Abgeordnete Pascal Lecamp (Mouvement démocrate, Renew). Am Mittwoch (11. September) hatte er Barnier direkt zu diesem Thema befragt, sagte er gegenüber Euractiv.
Einen Weg zu finden, die Unterzeichnung zu blockieren, sei „eine Priorität“ für Barnier, der „sehr an den Spiegelklauseln hängt“, sagte Lecamp. Er bezog sich dabei auf die seit langem bestehende rote Linie Frankreichs, die verlangt, dass südamerikanische Länder in den Bereichen Landwirtschaft oder die Umwelt an ähnlich strenge Auflagen gebunden sind, wie Europa.
Das Abkommen sei „doppelt verriegelt“, sagte auch der konservative Abgeordnete Antoine Vermorel-Marques (EVP), ein enger Vertrauter von Barnier, gegenüber Euractiv.
Mit einer Sperrminorität könnte das Verhandlungsmandat, das der Europäischen Kommission im Namen der Mitgliedsstaaten erteilt wurde, widerrufen werden, sagte der Wirtschaftswissenschaftler und Co-Vorsitzende des französischen Kollektivs Stop CETA-Mercosurs Maxime Combes Euractiv gegenüber.
Barniers Vorschlag einer Sperrminorität „ist eine Weiterentwicklung der französischen Position, da [Emmanuel] Macron sich nie auf diese Weise geäußert hat“, so Combes weiter.
20 Jahre Blockade
Zuvor hatte Frankreich das Abkommen aus Protest gegen die Abholzungspolitik des damaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro blockiert. Nach der Wahl des sozialistischen Präsidenten Lula Ende 2022 hatte Frankreich seine Forderung nach Spiegelklauseln weiterhin nicht berücksichtigt gesehen.
Die brasilianische Regierung berichtete jedoch von „bedeutenden Fortschritten“ bei Treffen mit ihren europäischen Amtskollegen in der vergangenen Woche. Aufgrund dessen erwägen sie, die Verhandlungen „vor Ende des Jahres“ abzuschließen, wie Reuters berichtete.
Auf Seiten der EU haben elf Staaten, darunter Deutschland und Spanien, ein Schreiben an die Europäische Kommission geschickt. Darin fordern sie diese auf, die Gespräche zu beschleunigen, wie die Financial Times am 6. September berichtete.
Die Gegner des Abkommens, allen voran die französischen Landwirte, sind seither in Aufruhr und fordern die französische Regierung zum Handeln auf.
Frankreichs schwache Position
Letztendlich „ist die Frage nicht so sehr, wie die französische Exekutive positioniert ist, sondern ob sie in der Lage ist, diese Position zu vertreten“, sagte Lecamp. Er hatte bereits eine parlamentarische Resolution gegen das Abkommen initiiert, die von den französischen Abgeordneten schließlich angenommen wurde.
Frankreichs Verhandlungsmacht in der EU und auf internationaler Ebene scheint jedoch durch die politische Krise nach den Parlamentswahlen im Juli geschwächt worden zu sein. Da keine Partei eine Mehrheit im Parlament hatte und Macrons Anhänger bei den Wahlen den zweiten Platz belegten, brauchte der französische Regierungschef 60 Tage, um den konservativen Barnier zu ernennen.
„Was wird [Emmanuel Macron] angesichts seines geschwächten Zustands tun?“, spottete ein von Le Figaro zitierter EU-Beamter.
Dennoch sei es möglich, „dass die EU ohne [Frankreich] nicht vorankommt“, sagte Vermorel-Marques. Er fügte hinzu, Barnier werde versuchen, eine „Sperrminorität“ zu bilden.
Was bedeutet eine blockierende Minderheit?
Eine Sperrminorität ist möglich, denn nach den EU-Vorschriften erfordert die Ratifizierung eines Freihandelsabkommens wie des EU-Mercosur-Abkommens ein einstimmiges Votum im EU-Rat und grünes Licht von den nationalen Parlamenten.
In der Praxis könnte die EU-Kommission das Abkommen aufteilen, um das Handelskapitel (95 Prozent des Abkommens) zu isolieren. Das EU-Parlament und der Rat müssten nur noch mit qualifizierter Mehrheit darüber abstimmen – ein Szenario, das möglicherweise nicht zu Gunsten des Abkommens ausfällt.
„Im Moment haben sich elf Staaten eindeutig für das Abkommen ausgesprochen, was sowohl viel als auch wenig ist, da wir weit von einer qualifizierten Mehrheit entfernt sind“, erklärte Combes. Er bezog sich dabei auf die qualifizierte Mehrheit, die für eine Abstimmung erforderlich ist und 15 Mitgliedstaaten, die 35 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, erfordert.
Wenn Frankreich weiterhin im Weg steht, wie Barnier hofft, ist es zweifelhaft, dass beim G20-Gipfel Ende November eine Einigung erzielt werden kann, denn dann besteht die Gefahr einer „diplomatischen Explosion“, so Combes.
Auf jeden Fall sei man „noch nicht bereit, die Verhandlungen abzuschließen“, die noch andauerten, so der EU-Kommissionssprecher gegenüber Euractiv.
[Bearbeitet von Daniel Eck/Alice Taylor-Braçe/Nick Alipour]