Der neu ernannte französische Premierminister Michel Barnier stellte am späten Samstagabend (21. September) seine Regierung vor. Der politische Kurs der bisherigen Pro-Macron-Regierungen wird weitgehend beibehalten, doch es gibt Zugeständnisse an die Rechtspopulisten.
Die Ankündigung der neuen Regierung beendet eine 67-tägige Wartezeit, die längste in der modernen politischen Geschichte Frankreichs. Sie deutet eher auf eine klare politische Kontinuität hin als auf den Wandel, auf den viele nach den vorgezogenen Parlamentswahlen in diesem Sommer gehofft hatten.
Die endgültige Liste der Minister, die am vergangenen Donnerstag (19. September) fertiggestellt worden sein soll, wurde noch bis zum frühen Samstagmorgen überarbeitet. Denn die konservativen Kräfte befürchteten, die neue Regierung könnte zu weit nach rechts rücken und sich dem rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) beugen.
Letztendlich sind die meisten der wichtigsten Ministerposten in der liberalen Partei Ensemble pour la République (EPR) von Präsident Macron verblieben. Die Partei landete in nach den Wahlen jedoch hinter dem Linksbündniss und dem rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) auf dem dritten Platz.
Der langjährige Verteidigungsminister Sébastien Lecornu wird in seiner Funktion bleiben, während der ehemalige EU-Minister Jean-Noël Barrot das Außenministerium übernehmen wird.
Agnès Pannier-Runacher, die als französische Energieministerin in Brüssel für die Kernenergie eintrat, wird mit einem umfangreichen Ressort zurückkehren, das den grünen Wandel, Energie, Klima und Risikominderung umfasst.
Einige von Macrons engsten Verbündeten, Antoine Armand und Laurent Saint-Martin, treten als Wirtschafts- sowie Haushaltsminister in die Regierung ein. Damit übernehmen sie die Nachfolge von Bruno Le Maire, der letzte Woche seinen Wechsel in die Wissenschaft ankündigte.
Unterdessen sicherte sich Michel Barniers eigene konservative Partei Les Républicains (LR) das strategische Innenministerium. Bei den Wahlen hatte die Partei mit 47 Abgeordneten nur den fünften Platz belegte (gegenüber 112 im Jahr 2017).
Bruno Retailleau, ein langjähriger Les Républicains Senator und als Hardliner im Bereich der Einwanderungspolitik bekannt, wird für die Bereiche Polizei und Einwanderung zuständig sein. Seine Ernennung wird als Versuch gewertet, einige der Bedenken der Rechtspopulisten zu zerstreuen und ihre stillschweigende Unterstützung zu sichern.
Einige andere Führungskräfte der Les Républicains hatten sich ebenfalls durch sehr konservative Standpunkte zu Einwanderung und Familienwerten hervorgetan. Sie werden eher untergeordnete Positionen besetzen, unter anderem in den Bereichen Staatsbürgerschaft, Handel und Überseegebiete.
Bis zur letzten Minute war die Zusammensetzung der neuen Regierung unklar. Macrons Verbündete drohten mit einem Rückzug, falls der Les Républicains Führung zu viel Spielraum einräumt würde oder Barnier die Steuern erhöhen sollte. Letzteres gilt als ein Schritt, den Barnier als Möglichkeit zur Kompensation der immer größer werdenden Defizite in Betracht zog.
Stattdessen sieht die neue Regierung mehr oder weniger gleich aus und signalisiert, dass Macrons Schlüsselreformen – ganz zu schweigen von seinem Rentengesetz von 2023 – bestehen bleiben werden.
Haushaltskrise
Nach nur zwei Wochen im Amt, weiß Barnier, dass er sich auf einem schmalen Grat bewegt, da ihm ein Misstrauensvotum droht, wenn die Abgeordneten am 1. Oktober ihre Arbeit wieder aufnehmen.
Sollte es dazu kommen, wäre er der Premierminister mit der kürzesten Amtszeit seit Einführung der neuen Verfassung von 1958.
Er musste seine Verhandlungsfähigkeiten wie schon beim Brexit voll ausschöpfen, um den politischen Parteien entgegenzukommen und sich ihre Unterstützung zu sichern. Gleichzeitig muss er sich nun dringenden Reformen stellen, wie dem Haushaltsentwurf für 2025.
Die Staatsverschuldung ist stark angestiegen und wird bis Ende des Jahres voraussichtlich auf 5,6 Prozent des BIP steigen. Dies ist weit entfernt von den 4,9 Prozent, zu denen sich Paris gegenüber der EU-Kommission für 2024 verpflichtet hat (mit dem Ziel, es bis 2027 unter die drei Prozent Schwelle zu senken).
Prognosen gehen davon aus, dass das Defizit im Jahr 2025 sogar 6,2 Prozent erreichen könnte.
Dies erfordert Sofortmaßnahmen, um die schlimmsten Befürchtungen der Kommission zu zerstreuen und den politischen Willen zu signalisieren, die Kontrolle über die öffentlichen Ausgaben zurückzugewinnen.
Wie dies erreicht werden kann, ist jedoch eine andere Geschichte.
Konservative und die Liberalen von Macron haben sich klar dagegen ausgesprochen, einen Teil des Defizits durch Steuererhöhungen für die Mittelschicht auszugleichen. Des Weiteren haben sie mit dem Entzug der Unterstützung gedroht, sollten solche Maßnahmen eingeführt werden. Dies hat politische Beobachter befürchten lassen, dass eine Koalitionsregierung kurz vor dem Scheitern steht. Es kursieren sogar Gerüchte, dass Barnier in der Mitte der Woche zurücktreten könnte.
Es wird bereits damit gerechnet, dass sich die Vorlage des Haushaltsentwurfs, der dem Parlament bis zum 1. Oktober vorgelegt werden muss, verzögert – ein weiteres Novum in der Geschichte Frankreichs.
Da der Druck zunimmt, werden andere potenzielle, noch unerforschte Optionen zur Steigerung der Einnahmen auf den Tisch gelegt. Darunter eine Steuer für Reiche und multinationale Unternehmen, als Teil des Versprechens des Premierministers, „mehr Steuergerechtigkeit“ zu schaffen.
Keine Zeit für Bequemlichkeit
Barniers neue Regierung muss sich nicht nur mit Geldfragen auseinandersetzen.
Er ist sich bewusst, dass sein Überleben von der Entscheidung der rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) abhängt, sich bei der erwarteten Misstrauensabstimmung am 1. Oktober der Stimme zu enthalten.
Wenn das linke Bündnis als Ganzes gegen die Regierung stimmt – wie sie es plant – wird die Rassemblement National letztendlich die Position des Königsmachers in der parlamentarischen Stimmverteilung innehaben.
Marine Le Pen, die Barnier zunächst eine Chance zur Regierungsbildung bot, machte deutlich, dass ihre Unterstützung an Bedingungen geknüpft ist.
„Wir werden uns nicht die Möglichkeit nehmen lassen, für ein Misstrauensvotum zu stimmen, wenn wir der Meinung sind, dass die übergeordneten Interessen des französischen Volkes verletzt werden“, sagte sie am Donnerstag (19. September) der Tageszeitung Le Parisien.
Mit der Ernennung von Bruno Retailleau soll die stillschweigende Unterstützung des Rassemblement National (RN) sichergestellt werden. Damit hat Barnier sich dafür entschieden, der populistischen Rechten einen Knochen zuzuwerfen, indem er eine harte Haltung in der Einwanderungspolitik einnimmt.
Die Tatsache, dass der Premierminister kein Unbekannter in Bezug auf repressive Einwanderungsdiskussionen ist, könnte ebenfalls hilfreich sein.
Im Jahr 2021 setzte er sich für ein Einwanderungsaufschub und eine Verfassungsänderung ein. Diese sollte die Frankreich die Möglichkeit geben, die Anwendung des EU-Einwanderungsrechts nach eigenem Ermessen zu regeln.
Retailleau könnte tatsächlich dazu beitragen, einige dieser Ideen umzusetzen. Diese Möglichkeit hatte unter den Abgeordneten der Ensemble pour la République Panik ausgelöst. Einige schlugen letzte Woche sogar vor, sie könnten die pro-Macron-Fraktion sofort verlassen.
*Laurent Geslin hat zu diesem Bericht beigetragen
[Bearbeitet von Martina Monti]