Die Bundesregierung plant, den Geltungsbereich des deutschen Lieferkettengesetzes zu reduzieren, indem sie dieses vorzeitig durch eine kürzlich verabschiedete EU-weite Richtlinie ersetzt. Dies könnte nach Ansicht von Juristen jedoch mit EU-Recht kollidieren.
In einem der Punkte ihrer „Wachstumsinitiative“, die Teil der Haushaltseinigung letzter Woche ist, hat sich die Bundesregierung darauf geeinigt, den Anwendungsbereich des nationalen Lieferkettengesetzes deutlich zu reduzieren.
Dies soll durch die vorzeitige Einführung der EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) geschehen, die europaweit ab 2027 angewandt werden soll.
Ulrich Hagel, ein Rechtsanwalt, der mehrere Artikel und ein Buch zu diesem Thema verfasst hat, erklärte gegenüber Euractiv jedoch, dass die Verwendung des EU-Lieferkettengesetzes zur Einschränkung des Geltungsbereichs des nationalen Gesetzes gegen eine wichtige Bestimmung des EU-Lieferkettengesetzes selbst verstoßen könnte.
Der Text des EU-Lieferkettengesetzes besagt, dass es „nicht als Rechtfertigung für eine Senkung des in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten […] vorgesehene Niveaus des Schutzes“ von Klima, Arbeitsrechten, Menschenrechten oder sozialen Rechten dienen dürfe.
„Das heißt, wo schon ein Schutzniveau besteht, darf es nicht unter Bezugnahme auf die CSDDD abgesenkt werden“, erklärte Hagel.
Die Legislaturperiode der Bundesregierung endet im Herbst 2025.
Die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP haben sich vor diesem Hintergrund darauf verständigt, „die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) noch in dieser Legislaturperiode 1:1 durch Änderung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) so bürokratiearm wie möglich umsetzen.“
Einschränkung des Geltungsbereichs nationaler Vorschriften
Letztlich würde dies bedeuten, die Änderungen schneller als vorgeschrieben umzusetzen. Gleichzeitig würden zusätzliche Verpflichtungen für Unternehmen zum spätestmöglichen Zeitpunkt in Kraft treten.
Für einige der Unternehmen, welche die nationalen Vorschriften bereits seit diesem Jahr einhalten müssen, würden die Anforderungen bis zum Jahr 2029 aufgehoben – dem Jahr, indem das EU-Lieferkettengesetz vollständig in Kraft tritt.
Ab der Änderung, welche die Bundesregierung in den nächsten 12 Monaten einführen will, müssten nur noch Unternehmen mit mindestens 5000 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 1,5 Milliarden Euro die Maßnahmen zur Vermeidung von Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette einhalten.
Dies wäre eine deutliche Reduzierung des Anwendungsbereichs des nationalen Lieferkettengesetzes. Dieses galt ab 2023 für Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland, die mehr als 3000 Beschäftigte haben, und ab Januar dieses Jahres für Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten.
In der Praxis würde die Zahl der deutschen Unternehmen, die unter das nationale Lieferkettengesetz fallen, von derzeit 5200 auf „weniger als 1000“ schrumpfen, wie aus der Vereinbarung der Bundesregierung hervorgeht.
Darüber hinaus enthält das nationale Recht im Gegensatz zu den EU-Vorschriften derzeit keinen Schwellenwert für den Jahresumsatz.
Die doppelte Bedingung des EU-Lieferkettengesetzes könnte dazu führen, dass noch mehr deutsche Unternehmen – dauerhaft – von den Regeln verschont blieben.
FDP-Ministerium spielt rechtliches Risiko herunter
Auch Anne-Christin Mittwoch, Juraprofessorin an der Universität Halle-Wittenberg, sieht einen Verstoß gegen EU-Recht.
In einem von den NGOs Germanwatch und Oxfam in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten, das am Mittwoch (10. Juli) veröffentlicht wurde, erklärte Mittwoch, dass der Vorschlag der Bundesregierung, das EU-Lieferkettengesetz zu nutzen, um nationale Vorschriften zu lockern, „europarechtswidrig“ wäre.
Im von FDP-Minister Marco Buschmann geführten Justizministerium sieht man das jedoch anders.
„Die CSDDD ist nicht die Rechtfertigung für die in der Wachstumsinitiative dargelegten Anpassungen des Anwendungsbereichs des LkSG [Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes]“, so eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber Euractiv.
„Grund für die Anpassung ist vielmehr die Notwendigkeit des Bürokratieabbaus“, sagte die Sprecherin mit Blick auf die Vereinbarung der Bundesregierung.
Umsetzung offen
Während Buschmann in der Debatte als lautstarker Kritiker der EU-Richtlinie zu Wort gekommen war, wird die tatsächliche Umsetzung der Regeln vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales von SPD-Minister Hubertus Heil durchgeführt.
Auf das Rechtsgutachten angesprochen, erklärte das BMAS gegenüber Euractiv, dass „die konkrete Ausgestaltung der Umsetzung der Beschlüsse vom 5. Juli abzuwarten“ sei.
Hagel wies darauf hin, dass es zwar unterschiedliche Rechtsauffassungen gebe, aber „es spricht viel dafür, dass es unter das Verschlechterungsverbot fallen würde und so gar nicht zulässig wäre.“
Allerdings wies er auch darauf hin, dass ein mögliches rechtliches Vorgehen der EU-Kommission gegen Deutschland – für den Fall, dass sie der Ansicht ist, dass die Maßnahme gegen die Bestimmung des EU-Lieferkettengesetzes verstößt – viel Zeit in Anspruch nehmen würde.
„Bis dahin sind wir wahrscheinlich sowieso wieder bei den 1.000 Mitarbeitenden“, fügte er hinzu.
Abstriche bei den Abstrichen
Das EU-Lieferkettengesetz wird ab 2027 schrittweise über drei Jahre hinweg eingeführt.
Unternehmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und einem Gesamtumsatz von über 1,5 Milliarden Euro werden ab Juli 2027 betroffen sein. Unternehmen mit 3000 Beschäftigten und einem Gesamtumsatz von über 900 Millionen Euro werden ab Juli 2028 betroffen sein.
Im Juli 2029 wird die EU-Richtlinie ihren vollen Umfang erreichen und Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Umsatz von mindestens 450 Millionen Euro erfassen.
Aufgrund eines faktischen Vetos von Buschmann musste sich die Bundesregierung in der Sitzung der EU-Minister im Mai bei der Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz der Stimme enthalten.
Die angekündigte Stimmenthaltung Deutschlands führte dazu, dass das Gesetz zunächst nicht die erforderliche Mehrheit fand.
Die belgische Regierung, die zu diesem Zeitpunkt die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehatte, konnte jedoch in letzter Minute eine Reihe von Änderungen am Gesetzentwurf aushandeln. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass das Gesetz später eine ausreichende „qualifizierte“ Mehrheit erhielt.
Dazu gehörte eine drastische Verringerung der Zahl der betroffenen Unternehmen gegenüber der ursprünglichen Vereinbarung zwischen dem Rat der EU und dem Europäischen Parlament. Dadurch wurde die Zahl der von dem Gesetz betroffenen Unternehmen um 67 Prozent verringert.
Das überarbeitete Gesetz wurde schließlich Ende April vom EU-Parlament und im Mai vom Rat gebilligt und am 5. Juli im Amtsblatt der EU veröffentlicht.
Trotz seines engeren Geltungsbereichs ist das EU-Gesetz in einigen wichtigen Aspekten strenger als sein deutsches Pendant. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung für Unternehmen, die die Anforderungen nicht erfüllen.
[Bearbeitet von Anna Brunetti/Rajnish Singh]