Die estnische Premierministerin Kaja Kallas warnte am Dienstag (19. März) in Berlin davor, dass sich Unternehmen zunehmend auf staatliche Subventionen verlassen. Dies berge das Risiko, dass die Steuerzahler für die Verluste von Unternehmen aufkommen müssten, während die Gewinne privat blieben.
Während der Corona-Pandemie und der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gaben die europäischen Regierungen Milliarden von Euro aus, um Unternehmen über Wasser zu halten und Haushalten zu helfen, die mit höheren Energiepreisen zu kämpfen hatten.
Nach Ansicht von Kallas seien die europäischen Regierungen dabei möglicherweise übers Ziel hinausgeschossen und hätten bei Unternehmen die Erwartung geweckt, dass jeder Verlust durch staatliche Unterstützung abgefedert würde.
„Wir sind verständlicherweise in den Krisenmodus übergegangen“, sagte die liberale Politikerin auf einer Konferenz anlässlich des 80. Jahrestages der Veröffentlichung des Klassikers „Der Weg zur Knechtschaft“ des liberalen Philosophen und Ökonomen Friedrich August von Hayek.
Sie wies darauf hin, dass dies zu einer Aufhebung der EU-Schuldenregeln und einer unkontrollierten Zunahme der nationalen Subventionen geführt habe, während die Zinsen für lange Zeit besonders niedrig gehalten wurden.
„Ein unglücklicher Nebeneffekt war eine wachsende Kultur der Abhängigkeit“, sagte Kallas. „Die Erwartung, dass Verluste verstaatlicht werden können, während Gewinne privatisiert bleiben, [hat] allmählich an Boden gewonnen“.
Viele Unternehmen würden heutzutage gleichzeitig Subventionen fordern und Steuererhöhungen ablehnen, so Kallas weiter.
„Im Zeitalter des billigen Geldes werden solide öffentliche Finanzen zunehmend als ein überholtes Dogma aus einer vergangenen Ära angesehen“, sagte sie.
Ihre Warnungen kommen inmitten einer Debatte über die Zukunft der EU-Regeln für nationale Subventionen, den sogenannten Beihilferegeln. Große EU-Länder wie Frankreich und Deutschland fordern, dass einige der vorübergehenden Lockerungen, die während der Krise eingeführt wurden, beibehalten werden sollen.
Da die europäische – und insbesondere die deutsche – Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den globalen Konkurrenten stark gelitten hat, argumentieren einige Wirtschaftsvertreter und Politiker, darunter Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dass mehr schuldenfinanzierte Subventionen notwendig seien, um alle Industriezweige im Land zu halten.
Eine Gruppe kleinerer EU-Staaten, darunter auch Estland, hat jedoch kürzlich ein Schreiben in Umlauf gebracht, in dem sie eine Rückkehr zu den strengen EU-Regeln für staatliche Beihilfen fordern. Sie argumentierten, dass die EU stattdessen andere Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ergreifen sollte, beispielsweise schnellere Genehmigungsverfahren und Investitionen in Bildung und Forschung.
„Das Problem mit den staatlichen Beihilfen ist […], dass selbst den reichen Staaten das Geld der Steuerzahler ausgeht“, sagte Kallas. Sie warnte vor einem „Wettbewerb auf der Grundlage dessen, wer am meisten subventioniert.“
Sie fügte hinzu: „Dann ist das Geld der europäischen Steuerzahler aufgebraucht, und wir haben immer noch nicht die Probleme gelöst, die wir heute haben, nämlich Innovation und mehr Unterstützung für Forschung und Entwicklung, damit wir einen Wettbewerbsvorteil ohne staatliche Subventionen haben.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der nach Kallas auf der von der Hayek-Stiftung organisierten Konferenz sprach, betonte, er könne „nur zustimmen“, wenn es darum gehe, keine dauerhaften Abhängigkeiten von Subventionen zu schaffen.
Er fügte hinzu, dass Branchen wie die erneuerbaren Energien, die derzeit von einer breiten staatlichen Unterstützung profitieren, in Zukunft auch ohne Subventionen auskommen müssten.
Mit der Schaffung des Corona-Wiederaufbaufonds („Next Generation EU“) und den als Reaktion auf die hohen Energiepreise gewährten Hilfen habe Europa eine „unglaubliche fiskalische Expansion“ erlebt, so Scholz.
„Trotzdem ist es so, dass wir auch wieder landen müssen, davon wegkommen müssen. Das ist meine feste Überzeugung“, sagte er und fügte hinzu, dass eine solche „Landung“, also ein Auslaufen der Subventionen, zu einigem „Ruckeln“ führen würde.
Dennoch verteidigte Scholz die Verwendung staatlicher Gelder, um Unternehmen während der Covid-Pandemie zu helfen. Die Rettung der deutschen Fluggesellschaft Lufthansa habe sogar eine positive Rendite für den deutschen Staatshaushalt gebracht, da die Regierung Aktien gekauft habe, die sie später mit Gewinn verkaufen konnte, führte er aus.
[Bearbeitet von Anna Brunetti/Rajnish Singh]