Wachsendes Bedauern über TTIP-Scheitern in Brüssel und Berlin

Nach Schätzungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München hätte TTIP das Pro-Kopf-BIP der EU und der USA um 0,5-4 Prozent steigern können. [STEPHANIE LECOCQ/EPA-EFE]

Jahre nachdem die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA zum Erliegen gekommen sind, werden in Brüssel und Berlin nun Stimmen des Bedauerns laut. Hätte ein Freihandelsabkommen die aktuellen Spannungen über den Inflation Reduction Act (IRA) der USA verhindern können?

Laut IRA müssen 40 Prozent der kritischen Rohstoffe, die für Batterien für Elektrofahrzeuge benötigt werden, oder 50 Prozent der Batteriekomponenten in den USA oder in einem Land, mit dem die USA ein Freihandelsabkommen unterzeichnet haben, hergestellt werden.

„Es gibt das Gefühl, dass die EU besser dastehen würde, wenn ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU zustande gekommen wäre, denn dann würden wir wahrscheinlich zusammen mit Mexiko und Kanada auf der richtigen Seite des IRA sitzen“, sagte Michel Petite, Anwalt bei der Kanzlei Clifford Chance und ehemaliger Leiter der Rechtsabteilung der Europäischen Kommission (2001-2007), gegenüber EURACTIV.

So kommen Hersteller aus Kanada und Mexiko als Mitglieder der nordamerikanischen Freihandelszone USMCA in den Genuss von Steuergutschriften im Rahmen des IRA, die ansonsten für E-Autos „Made in USA“ reserviert sind.

Bei einem Freihandelsabkommen mit den USA wäre wohl auch die EU in den Anwendungsbereich des IRA gefallen, so Petite – was die Risiken für die europäische Industrie, die nun damit droht, Produktionskapazitäten in die USA zu verlagern, erheblich gemindert hätte.

Zur Realisierung der Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) waren 2013 eine Reihe von Verhandlungen zwischen der EU und den USA aufgenommen worden. Ziel war es, sich auf ein Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen beiden Ländern zu einigen, um den Marktzugang zu verbessern und die Zusammenarbeit bei der Regulierung zu vereinfachen.

Nach Schätzungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München hätte TTIP die pro-Kopf Wirtschaftsleistung der EU und der USA um 0,5 bis 4 Prozent steigern können.

Die TTIP-Verhandlungen wurden nach dem Sieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen 2016 unterbrochen und von den Mitgliedstaaten der EU im Jahr 2019 nach Trumps Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen offiziell für „obsolet“ erklärt.

Am Ende waren die Verhandlungen in Streitigkeiten über Subventionen für Boeing und Airbus, die Besteuerung der Digitaltechnik und die Landwirtschaft festgefahren.

Auch der Widerstand der Bevölkerung in den EU-Ländern machte eine Einigung schon vor der Wahl Trumps unwahrscheinlich: Mehr als drei Millionen europäische Bürger unterzeichneten eine Petition gegen die Genehmigung von TTIP.

Stop TTIP überreicht mehr als drei Millionen Unterschriften

Mehr als drei Millionen Bürger in Europa haben nach Angaben des europaweiten Bündnisses Stop TTIP eine Petition gegen die geplanten Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada unterschrieben. Das Bündnis überreichte die 3,28 Millionen Unterschriften am Montag in Berlin dem Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz, und forderte ihn auf, sich für eine Anhörung vor dem Parlament einzusetzen.

Wachsendes Bedauern auch in Berlin

Das Bedauern über das Scheitern der Freihandelsverhandlungen wird nicht nur in Brüssel geäußert, sondern auch innerhalb der Ampel-Regierung. Die FDP drängt auf eine Wiederbelebung der transatlantischen Gespräche.

Als Freihandelspartner der USA wäre man von der US-Subventionspolitik nicht negativ betroffen, „hätten deutsche Chlorhuhn-Angstmacher die EU-US-Freihandelsvertragsverhandlungen vor Jahren nicht absichtlich zu Fall gebracht“, schrieb der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner Anfang Februar in einem Gastbeitrag in der WELT.

„Wenn wir eine Veränderung bei den Amerikanern erwirken wollen, sollten wir deshalb zunächst vor der eigenen Türe kehren“, so Körner, der auch Mitglied des FDP-Präsidiums ist, weiter.

Im November 2022 vereinbarte die Ampel-Koalition auf Druck der FDP, einen erneuten Versuch für ein umfassendes Handelsabkommen zwischen der EU und den USA zu unternehmen, aber Experten schätzen die Chancen dafür als gering ein.

Kritiker haben derweil ihre Ablehnung von Handels- und Investitionsabkommen bekräftigt und betont, solche Abkommen würden der Liberalisierung der Märkte Tür und Tor öffnen.

Ähnlich wie bei TTIP wurde Kritik geäußert, als der Deutsche Bundestag das CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada ratifizierte. Die dort enthaltenen Investitionsschutzstandards und die Schaffung eines Mechanismus für Konfliktbeilegung im Investorenschutz stellten Risiken für einen wirksamen Klimaschutz dar, erklärte Cornelia Maarfield vom Climate Action Network Europe im Dezember gegenüber EURACTIV.

Handelsbeziehungen mit den USA: Deutscher Vorstoß droht zu verpuffen

Die Ampel-Koalition hat sich auf einen Vorstoß zur Wiederaufnahme von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und USA verständigt. Dass ein umfassendes Abkommen zustande kommt, gilt jedoch als unwahrscheinlich.

Kanada lobbyierte für Einbeziehung in „Buy American“-Klausel

Ursprünglich sollten auch kanadische und mexikanische Unternehmen vom Geltungsbereich des IRA im Rahmen der US-amerikanischen „local content“-Anforderungen ausgenommen werden, erklärt Emily Benson vom Center for Strategic & International Studies (CSIS), einem Think-Tank in Washington.

Dies änderte sich erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, nachdem die kanadische Botschaft in den USA große Anstrengungen unternommen hatten, damit das Gesetz angepasst wird.

„Kanada hat fantastische Arbeit geleistet und dafür gesorgt, dass die Steuergutschrift auf Kanada und Mexiko als nordamerikanischen Wirtschaftsblock ausgeweitet wurde“, sagte Benson gegenüber EURACTIV.

„Sie waren präsent, haben die Abgeordneten ständig informiert und haben sich durchgesetzt“, sagte sie und fügte hinzu, dass es „ein wenig unaufrichtig“ wäre, sich über die Aufnahme von „local content“-Regeln in die Steuergutschriften für Elektrofahrzeuge zu wundern.

„Das Streben der USA nach ‚local content‘-Regeln ist nicht neu“, sagte sie und fügte hinzu, dass „wir mindestens seit FDR unsere eigene Buy-American-Strategie haben“. Franklin D. Roosevelt (FDR) war der 32. Präsident der Vereinigten Staaten zwischen 1933 und 1945.

Die französischen und deutschen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und Robert Habeck waren letzte Woche nach Washington gereist, um eine Ausnahme für europäische Autohersteller von den „Buy American“-Klauseln zu erreichen.

Noch beim EU-Gipfel am vergangenen Donnerstag (9. Februar) erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz: „Wir werden unsere amerikanischen Freunde bitten, dass sie bei den Maßnahmen, die sie treffen, nicht diskriminierend gegenüber den Staaten Europas sind.“

„Ich bin auch ganz zuversichtlich, dass uns das gelingt“, so Scholz weiter.

Die Expertin sieht jedoch wenig Spielraum.

„Das Gesetz wurde vom Kongress verabschiedet und ist ziemlich spezifisch“, sagte Benson.

„Das Finanzministerium kann nicht tun, was die Europäische Union will, solange es kein neues Gesetzespaket gibt, und das ist im Moment politisch nicht machbar„, fügte sie hinzu.

Staats- und Regierungschefs unterstützen EU-Plan für grüne Industrie

Die Staats- und Regierungschefs der EU unterstützten auf ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag (9. Februar) den grünen Industrieplan der Europäischen Kommission als Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA und überlassen die Details zunächst der EU-Kommission.

[Bearbeitet von Alice Taylor]

Abonnieren Sie unsere Newsletter

Abonnieren
  翻译: