Deutsche Kleinstparteien im EU-Parlament fürchten ‚undemokratische‘ Neuwahlen

„Ein zentrales Problem stellt die notwendige Sammlung von Unterstützungsunterschriften dar, die Voraussetzung für die Zulassung [bei der Bundestagswahl] ist“, sagte Lukas Sieper (Bild), neugewählter Europaabgeordneter und Vorsitzender der erklärtermaßen unideologischen Partei des Fortschritts (PdF), gegenüber Euractiv.

Deutsche Kleinstparteien im EU-Parlament befürchten, dass verkürzte Registrierungsfristen die Teilnahme an den deutschen Neuwahlen schwer bis unmöglich machen könnten. Auch wegen einer neuen Sperrklausel bei EU-Wahlen droht den Parteien damit das parlamentarische Aus ab 2029.

Mit insgesamt 15 EU-Abgeordneten kommen deutsche Nischenparteien wie Volt Deutschland (Grüne/EFA), Die Partei und die ÖDP (EVP) zusammen auf mehr Sitze im Europaparlament als ganze EU-Staaten und haben damit in Brüssel durchaus Gewicht.

Deren Erfolgsgeschichte bei Europawahlen, mangels Sperrklausel, erreichte im Juni ihren Höhepunkt: Deutsche Parteien mit unter fünf Prozent Unterstützung erzielten mit kollektiven 16,7 Prozent ein Rekordergebnis auf nationaler Ebene und gewannen sechs zusätzliche Sitze in Brüssel.

Fünf Monate später sieht ihre Zukunft jedoch düster aus. Die jüngste Ankündigung von vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar könnte Kleinstparteien den Weg zur Teilnahme an nationalen Wahlen versperren. Zugleich droht bei den nächsten Europawahlen das Ausscheiden aus dem EU-Parlament.

Ein zentrales Problem stellt die notwendige Sammlung von Unterstützungsunterschriften dar, die Voraussetzung für die Zulassung [bei der Bundestagswahl] ist“, sagte Lukas Sieper, neugewählter Europaabgeordneter und Vorsitzender der erklärtermaßen unideologischen Partei des Fortschritts (PdF), gegenüber Euractiv.

Das Wahlrecht schreibt vor, dass Parteien, die nicht im Bundestag oder in Landtagen vertreten sind, über 27.000 nicht-digitale Unterschriften sammeln müssen, wenn sie deutschlandweit an Bundestagswahlen teilnehmen wollen.

Durch die vorgezogene Bundestagwahl hat sich die Frist für das Sammeln von Unterschriften jedoch deutlich verkürzt. Dies stelle bei winterlichen Wetterbedingungen eine „erhebliche Herausforderung“ für kleinere Parteien dar, sagte Sieper, dessen unerwarteter Wahlerfolg im Juni auf einer starken Social-Media-Präsenz aufgebaut hatte.

Bürokratische Hürden erschwerten dies noch, so Sieper, denn überforderte Einwohnermeldeämter, die Formulare händisch prüfen müssten, und ungültige Unterschriften würden eine fristgerechte Registrierung auch bei Erreichen des Quorums erschwehren.

Doch mit einer verhinderten Wahlteilnahme sieht Sieper die Kleinstparteien ihrer Funktion beraubt.

Ähnlich äußerte sich der ÖDP-Vorsitzende Günther Brendle-Behnisch. Die Wahlbedingungen seien „zutiefst undemokratisch“, erklärte er gegenüber Euractiv.

Die ÖDP beantragte daher letzte Woche, dass ihre bereits laufende Beschwerde gegen die Unterschriftenpflicht vom Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren bearbeitet wird.

Zuvor hatten acht Kleinstparteien ihre Beschwerde auch in einem offenen Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser gerichtet.

Eine existenzielle Herausforderung

Die Möglichkeit des Ausschlusses von der Wahl könnte sich für einige der Parteien neben den demokratischen Auswirkungen zum existenziellen Problem entwickeln.

Einerseits fielen wichtige finanzielle Ressourcen weg, denn deutsche Parteien wird staatliche Finanzierung auf Basis ihrer Wahlergebnisse zugewiesen, sofern sie bei nationalen Wahlen mindestens 0,5 Prozent erreichen.

Darüber hinaus wird jedoch ab den Europawahlen 2029 in Deutschland auch eine neue Sperrklausel gelten, die zwischen zwei und fünf Prozent festgesetzt werden soll. Kleinere Fraktionen, die ihre Heimat im Europaparlament gefunden haben, werden es wahrscheinlich nicht wieder hineinschaffen.

Nach den diesjährigen Ergebnissen wären mindestens fünf der acht deutschen Fraktionen im EU-Parlament mit weniger als fünf Europaabgeordneten betroffen. Auch die Linkspartei, Volt Deutschland, und die Freien Wähler könnten gefährdet sein, je nach Abschneiden und Höhe der Sperrklausel.

Dies könnte die betroffenen Parteien ab 2029 jeglicher parlamentarischer Präsenz in Europa und Deutschland berauben.

Einige hatten daher ursprünglich darauf gesetzt, ihre voraussichtlich letzte Amtszeit im EU-Parlament zu nutzen, um auch in nationale Parlamente vorzudringen.

Die PdF setzte auf den Gewinn eines Direktmandats. Auch Damian Boeselager, Europaabgeordneter der Partei Volt, kündigte letzte Woche an, als deren Spitzenkandidat in Berlin für den Bundestag kandidieren zu wollen.

Allen Widrigkeiten zum Trotz

Doch nun ist bereits die Zulassung zur Bundestagswahl für die Kleinstparteien eine so große Hürde, dass sie für einige unüberwindbar sein dürfte.

Nils Geuking, einziger Europaabgeordneter der Familienpartei (EVP), erklärte, dass eine Teilnahme seiner Partei an der bevorstehenden Wahl „kaum realisierbar“ sei, was seiner Partei die Möglichkeit nehme, „demokratisch zu wirken“.

Die ÖDP, PdF und Tierschutzpartei hoffen noch auf eine Teilnahme, wollen versuchen, mit den widrigen Bedingungen umzugehen.

Sie sehen kaum Alternativen, da rechtliche Schritte gegen das Wahlrecht vor dem Bundesverfassungsgericht nur bis zu sechs Monate nach Inkrafttreten von Änderungen möglich sind, was zuletzt im März der Fall war. Damit ist die Klage der ÖDP die einzig infrage kommende rechtliche Möglichkeit.

Siepers Versuche, mit Briefen an Kanzleramt, Innenministerium und Bundeswahlleitung auf Probleme aufmerksam zu machen, seien mit Verweis auf Nichtzuständigkeit, „Pressestatements“ und schwachen Zusicherungen „abgewatscht“ worden.

Nur die paneuropäische Partei Volt zeigt sich optimistisch. Boeselager sagte Euractiv, man werde „kein Problem“ haben, die erforderlichen Unterschriften zu sammeln.

Der Unterschriftenprozess sei aber „insgesamt nicht gut für die demokratische Landschaft im Land“, so Boeselager.

„Wir müssen aufpassen, dass die Bundestagswahl jetzt nicht in einer Hau-Ruck-Aktion über die Bühne geht, von der am Ende nur die großen Parteien profitieren.“

[Bearbeitet von Martina Monti/Kjeld Neubert]

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