Die EU sollte die Produktivität ihrer Landwirtschaft nicht im Sinne der Nachhaltigkeit aufs Spiel setzen, da andere Länder den Produktionsrückgang nicht ausgleichen könnten, meint David Laborde von der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO).
Der Green Deal der EU zielt darauf ab, Europa – auch im Agrar- und Lebensmittelbereich – zum globalen Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit zu machen. Bis 2030 soll der Einsatz von Pestiziden halbiert, der Düngemitteleinsatz um 20 Prozent reduziert und ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche dem ökologischen Landbau gewidmet werden.
Kritiker warnen jedoch vor den Folgen, die solche Vorhaben auf die Produktivität der europäischen Landwirtschaft haben könnten.
Nach Ansicht von Laborde, Direktor der Abteilung für Agrar- und Ernährungswirtschaft bei der UN-Ernährungsorganisation FAO, muss Europa ein Gleichgewicht zwischen seinem außenpolitischen Handeln einerseits und seinen umwelt- und klimapolitischen Betrebungen auf dem eigenen Territorium andererseits finden.
„Ich denke, die Ökologisierung der europäischen Landwirtschaft ist sehr wichtig. Es geht um Nachhaltigkeit, und wir können die Nachhaltigkeit nicht opfern“, sagte er.
„Aber es bedeutet auch nicht, dass Europa die Produktivität opfern kann“, fuhr er fort. Es gehe darum, wie die EU-Länder gleichzeitig eine nachhaltige Intensivierung und Produktivität erreichen könnten.
Nach Ansicht des UN-Beamten wäre die Welt nicht in der Lage, auf Europa zu verzichten, was die Rolle des Kontinents auf den globalen Agrarmärkten angeht.
„Je weniger Europa produziert, desto weniger wird es exportieren und desto mehr wird es auf den Weltmärkten nachfragen. Das kann zu Spannungen führen“, warnte Laborde.
Aus diesem Grund stehe die EU vor der schwierigen Aufgabe, die richtige „Mischung aus Innen- und Außenpolitik“ zu finden, die der EU auch dazu dienen solle, ihre Führungsrolle auf der Weltbühne im Bereich Lebensmittel und Ernährung zu behaupten.
Ernährungssicherheit unter Druck
Laborde gehörte zu den Koordinatoren des Berichts über den Stand der Lebensmittelsicherheit in der Welt (SOFI) 2023, der im Juli von der FAO und anderen vier UN-Organisationen – der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), dem Welternährungsprogramm (WFP) und dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) – veröffentlicht wurde.
Der Bericht stellt fest, dass die Ernährungsunsicherheit – in Form von chronischem Hunger, Unter- und Mangelernährung, insbesondere bei Kindern – aufgrund der COVID-Pandemie, verschiedener Klimaschocks und lokaler Konflikte wie im Jemen, in Syrien und in der Ukraine zunehme.
Die Ausgabe 2023 der Studie zeigt, dass sich auch im Vereinigten Königreich und in Kontinentaleuropa mehr Menschen mit Ernährungsunsicherheit konfrontiert sehen, vor allem aufgrund von Wirtschaftskrisen und gestiegenen Lebenshaltungskosten.
„In den letzten drei Jahren haben wir eine zunehmende Ernährungsunsicherheit in den europäischen Ländern festgestellt“, so Laborde.
Das Konzept der Ernährungssicherheit ist in den EU-Verträgen verankert und steht zusammen mit den Einkommensbeihilfen für Landwirte im Mittelpunkt des wichtigsten landwirtschaftlichen Förderprogramms der EU, der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP).
Heutzutage hat der Begriff jedoch eine andere Bedeutung. „Wenn man sich in Europa befindet, muss man nicht hungern, aber man muss anfangen, bei dem, was man isst, eher Abstriche bei der Qualität als bei der Quantität zu machen“, erklärte er.
Der Prozentsatz der mäßig oder stark von Ernährungsunsicherheit betroffenen Menschen in Europa liegt immer noch unter dem Schwellenwert von acht Prozent, verglichen mit mehr als 70 Prozent in Ländern mit niedrigem Einkommen.
„Dennoch ist dies ein relativ starker Anstieg für die Europäer [im Vergleich zu den Vorjahren]“, sagte er. „Es ist nicht nur etwas, das man im Fernsehen sieht, sondern die Menschen beginnen, sich darüber Gedanken zu machen.“
Märkte und Entwicklungshilfe
Die Rolle der EU bei der Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage von Nahrungsmitteln sollte nach Ansicht des UN-Beamten angesichts der Unsicherheit auf den Agrarmärkten nicht unterschätzt werden.
„Die Aufgabe der Märkte besteht nicht darin, sich um die Ärmsten zu kümmern. Zu glauben, dass Märkte auf natürliche Weise Ungleichheit und Inklusivität ausgleichen werden, ist ein wenig naiv“, sagte er.
In diesem Sinne seien die Nachhaltigkeitsaspekte der Landwirtschaft besonders relevant, da sich viele Folgen von Klimawandel und Artensterben auf den Preis von Agrarrohstoffen auswirkten, betonte Laborde.
Gleichzeitig forderte er Europa auf, seine Führungsrolle als weltweit größter Geber von Entwicklungshilfe beizubehalten.
„Europa spielt immer noch eine wichtige Rolle, und das ist gut so. Es gibt noch ein bisschen mehr zu tun“, schloss er.
[Bearbeitet von Alice Taylor]