Der französische liberale EU-Abgeordnete Pascal Canfin gilt als einer der einflussreichsten Politiker im EU-Parlament und als Wegbereiter des Green Deal. Im Interview mit Euractiv greift er die Europäische Volkspartei (EVP) für deren kritischen Haltung zu der europäischen Umweltgesetzgebung an.
Canfin war in der letzten Legislaturperiode einer der prominentesten Gesetzgeber des Europäischen Parlaments. Als Vorsitzender des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments (ENVI) galt er als einer der lautstärksten Befürworter des Europäischen Green Deals.
Im vergangenen April hatten Landwirte, unterstützt von Teilen der EVP, gegen die EU-Umweltgesetze protestiert. Diese Gegenreaktion warf einen Schatten auf die politischen Befürworter des Grünen Deals – Canfin eingeschlossen.
Rückblickend stellte der liberale Europaabgeordnete „eine Form von ‚Naturoskeptizismus'“ innerhalb der EVP fest. Das heißt, „die Überzeugung, dass der Verlust der Artenvielfalt nicht so real oder nicht so ernst ist“.
Canfin wurde bei den Parlamentswahlen im Juni wiedergewählt. Seine Fraktion Renew hat an Stärke verloren und ist nur noch die fünftgrößte Fraktion im Parlament. Daher dürfte Cafin in dieser Legislaturperiode seinen Ausschussvorsitz abgeben müssen.
„Das liegt an der Regel für die Aufteilung des Vorsitzes“, erklärte er. Die Sozialdemokraten (S&D), die zweitgrößte Fraktion des Parlaments, haben sich den Posten für einen ihrer eigenen Mitglieder gesichert.
Canfin kandidiert stattdessen für den Posten des Umweltkoordinators von Renew. In dieser Rolle wäre er für die Leitung der Gesetzgeber seiner Fraktion im Ausschuss (ENVI) verantwortlich.
„Ich möchte meine Erfahrung einbringen und mich dafür einsetzen, dass der Green Deal abgeschlossen wird“, erklärte Canfin.
Seiner Meinung nach müssen mehrere Punkte berücksichtigt werden. Dazu gehören die Festlegung von Treibhausgasemissionszielen für das Jahr 2040. Besonders wichtig ist ihm die Schaffung eines Kohlenstoffmarktes für die Agrar- und Ernährungswirtschaft, „ohne dass die Landwirte die Hauptlast der Spielregeln tragen müssen“.
Verknüpfung von Wettbewerbsfähigkeit und Natur
Canfin sagte, er sehe „ein echtes Risiko“, dass Gesetzgeber der EVP die Situation anders sehen. Als größten Fraktion im Europäischen Parlament könnte die EVP neue Umweltgesetze blockieren oder die bereits verabschiedeten Regeln untergraben.
Historisch gesehen setzte sich die EVP eher für die Förderung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit als für den Schutz der Natur ein. Um die „Konservativen zu motivieren“, verwies Canfin auf eine Studie der Europäischen Zentralbank. Demnach tragen die Natur und ihre Dienstleistungen zu etwa 50 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts bei. Wettbewerbsfähigkeit und Ökologie liegen dabei auf derselben Ebene.
„Der beste Weg, ein hohes Maß an Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen, ist die Beherrschung kohlenstoffarmer Technologien, die schrittweise Abkehr von fossilen Brennstoffen, Innovation und die Finanzierung der notwendigen Investitionen“.
Der ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für Umweltfragen fordert daher, dass im Parlament die „notwendigen Kompromisse“ gefunden werden, ohne „die Umweltagenda der EU aufzugeben“.
Kompromiss suchen
Laut Cafin sollte sich das neue Parlament daher mit der Anpassung und der Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel befassen, argumentierte Canfin. Niemand könne die Bedeutung dieser Themen leugnen. Er warnt, dass die EU „die Folgen eines 4-Grad-Europas abschätzen“ müsse, wie es Frankreich bereits getan habe.
Canfin schlug außerdem vor, ein „Narrativ“ zu Biodiversität und Landwirtschaft zu entwickeln, das „die gesamte Wertschöpfungskette“ abdeckt.
„Derzeit belasten die Umweltvorschriften vor allem die Landwirte, was zu einer Verzerrung der Anforderungen an ihre industriellen Auftragnehmer und Verbände führt.“
In diesem Sinne will er die Landwirte bei ihren Preisverhandlungen mit der Industrie und den Genossenschaften unterstützen. Er verweist dabei auf das französische Egalim-Gesetz, das den Landwirten einen fairen Gegenwert für ihre Produkte bieten soll.
Die Landwirte „bitten uns darum“, argumentierte Canfin – ein Argument, das wahrscheinlich auf die vielen EVP-Abgeordneten abzielt. Diese hatten sich während der Frühjahrsproteste in ganz Europa auf die Seite der Landwirte gestellt.
In diesem Sinne „ist es notwendiger denn je, Spiegelklauseln“ in EU-Handelsabkommen einzuführen, so Canfin. Spiegelklauseln verpflichten Lebensmittelproduzenten in Drittländern, die in die EU exportieren wollen, die gleichen sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Vorschriften einzuhalten wie die Landwirte in der EU.
„Ein großer Teil der EVP ist zwar nicht sehr begeistert von diesem Thema, aber es ist äußerst schwierig, sich ihnen (Spiegelklauseln) zu widersetzen, wenn die Landwirte sie eindeutig gefordert haben“, erklärte er.
Der neue Kommissionspräsident müsse bei diesen Maßnahmen sicherstellen, dass das Mandat der Kommission insbesondere auf Investitionen in das Klima und den digitalen Wandel ausgerichtet ist. Die Kommission muss eindeutig eine ‚Investitionskommission‘ werden“, schlussfolgerte Canfin.
Die amtierende Kommissionschefin Ursula von der Leyen wird am 18. Juli im Plenum des Europäischen Parlaments für ein zweites Mandat gewählt.
[Bearbeitet von Donagh Cagney/Zoran Radosavljevic]