Nach EU-Vorbild: NGOs kritisieren Frankreichs Pläne zur Messung von Pestizidrisiken

Nach Ansicht von NGOs würde HRI-1 Moleküle benachteiligen, die weniger giftig wären, insbesondere Substanzen, die in der biologischen Landwirtschaft eingesetzt werden, wie Schwefel oder Kupfer. [Denes Meszaros / Shutterstock]

Die französische Regierung hat den Plan zur Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln vorübergehend ausgesetzt. Sie könnte außerdem den europäischen Messindikator übernehmen, der von NGOs wegen seiner Schwächen kritisiert wird.

Am Montag (12. Februar) verließen zehn Umweltverbände ein Treffen im Landwirtschaftsministerium, bei dem es um die Zukunft des Ecophyto-Plans ging, mit dem der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 verringert werden soll. Dieser Plan war von dem neuen Premierminister Frankreichs, Gabriel Attal, „auf Eis gelegt“ worden, um auf die Wut der Landwirte zu reagieren.

Hauptstreitpunkt des Treffens: die Übernahme des europäischen Messindikators HRI-1 (Harmonised Risk Indicator for pesticides), der hauptsächlich auf der Gefährlichkeit der Wirkstoffe basiert.

Dieses Instrument wurde 2020 von der EU im Rahmen der „Farm-to-Fork“-Strategie und der SUD-Richtlinie über den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (jetzt SUR) eingeführt. Damit soll der Einsatz von Pestiziden bis 2030 halbiert werden, aber auch die gefährlichsten Pestizide sollen verdrängt werden.

Seit 2016 verwendet Frankreich einen anderen Indikator, der sich eher auf die Pestizidmengen im Verhältnis zu den behandelten Flächen konzentriert: den „NODU“ („nombre de doses par unité“, Anzahl der Dosen pro Einheit). Die EU-Staaten haben in ihren jeweiligen Nationalen Aktionsplänen unterschiedliche Messmethoden gewählt. In Deutschland zum Beispiel berücksichtigt der Indikator „SYNOPS-TREND“ die Ökotoxizität und das Umweltverhalten der verschiedenen Wirkstoffe.

Im Vergleich zu den nationalen Indikatoren hat der HRI-1 den Vorteil, dass er in den letzten Jahren schneller abgenommen hat, da die Moleküle mit dem höchsten Risiko (CRM1 und 2) in den vergangenen Jahren weitgehend aus dem Verkehr gezogen wurden. In Frankreich sind 85 Prozent davon zwischen 2018 und 2021 verschwunden.

Unterschätzung der gefährlichen Moleküle

Für seine Gegner unterschätzt der europäische Indikator jedoch die Gefährlichkeit der Wirkstoffe.

Laut einem von verschiedenen europäischen NGOs veröffentlichten Bericht fallen 80 Prozent der Pestizide in die Gefährlichkeitskategorie „zugelassene Wirkstoffe, die zu keiner anderen Gruppe gehören.“ Sie haben einen niedrigen Koeffizienten und unterscheiden sich ansonsten stark voneinander.

So würde HRI-1 Moleküle benachteiligen, die weniger giftig wären, insbesondere Substanzen, die in der biologischen Landwirtschaft eingesetzt werden, wie Schwefel oder Kupfer.

„Der Indikator HRI-1 kommt zu dem Schluss, dass die natürliche Behandlung mit Schwefel 250 Mal riskanter ist als das Molekül, das aus der synthetischen Chemie stammt und in der konventionellen Landwirtschaft verwendet wird“, beklagen sie.

Die Methode würde dem ökologischen Landbau schaden, der in der „Farm-to-Fork“-Strategie als Priorität aufgeführt ist. In Österreich beispielsweise, das als europäischer Vorreiter beim Ausstieg aus dem Pestizideinsatz gilt, stieg der HRI-1 um 26,4 Prozent, gleichzeitig mit der Ausweitung der Bio-Anbauflächen, wie dem Bericht zu entnehmen ist.

EU-Parlament stellt sich gegen höhere Pestizidwerte in importierten Lebensmitteln

Das Europäische Parlament hat sich gegen die Anhebung der Höchstmenge für Rückstände des seit 2020 in der EU verbotenen Insektizids Thiacloprid bei mehr als 30 Produkten aus Drittländern ausgesprochen.

Uneinigkeit in Brüssel

In Brüssel wird der HRI-1-Indikator von Anfang an kritisiert. Bereits im Februar 2020, als er eingeführt wurde, veröffentlichte der Europäische Rechnungshof einen Bericht. Darin kam er zu dem Schluss, dass die Europäische Kommission, um ihre Ziele zu erreichen, die HRI-Indikatoren „verbessern“ oder „neue entwickeln“ sollte, welche die Besonderheiten des Pflanzenanbaus und die Wirkstoffmengen stärker berücksichtigen.

Die Europäische Kommission „ist nicht in der Lage, die Auswirkungen oder Risiken, die sich aus dem Einsatz von Pestiziden ergeben, genau zu verfolgen“, erklärte die Institution.

Angesichts dieser Kritik kündigte die EU-Kommissarin Stella Kyriakides vor dem Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) des Europäischen Parlaments sogar an, dass die Europäische Kommission „eine Reihe neuer Indikatoren zur Messung des Risikos und des Einsatzes chemischer Pestizide in Betracht zieht.“

„Wir sind uns des Problems bewusst“, fügte die EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hinzu, als die Europäische Kommission am 30. Juni 2022 den Entwurf der SUR-Verordnung vorstellte.

„Wie dringend ist es also, einen Indikator zu verabschieden, der sich auf eine europäische Verordnung bezieht, die gerade erst begraben wurde?“, fragte ihrerseits die Organisation „Génération future“, nachdem die Europäische Kommission das Ende der Verhandlungen über die SUR-Verordnung angekündigt hatte.

Was die europäischen NGOs fordern, ist ein Mischindikator, der mehrere Faktoren berücksichtigt. Die Europäische Kommission könnte „sich an dem von den französischen Behörden entwickelten Indikator“, dem NODU, orientieren und gleichzeitig „Gewichtungsfaktoren hinzufügen, die die Toxizität des Wirkstoffs widerspiegeln“, schlug die Internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM) vor.

Versöhnung von Produktion und Gesundheit

Für Croplife Europe, eine Organisation, die die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln vertritt, ist der europäische Indikator „eine angemessene Art, die Risikoreduzierung von Pestiziden zu messen.“

„Eine Harmonisierung der Indikatoren rund um die Verringerung der Auswirkungen“ ermöglicht es, „die Gesundheit der Verbraucher und der Ökosysteme, die Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel und die Ernährungssouveränität nicht mehr gegeneinander auszuspielen“, erklärte Yves Picquet, der Vorsitzende der französischen Agrochemielobby Phyteis, auf ihrer jährlichen Pressekonferenz am 8. Februar dieses Jahres.

„Wir brauchen einen Indikator, der es ermöglicht, die Bemühungen um die Produkte mit den größten Risiken – Gesundheit, Umwelt oder andere – zu fördern“, betonte Landwirtschaftsminister Marc Fesneau am Mittwoch (7. Februar) vor der Nationalversammlung. Ohne dass der politische und öffentliche Wille zur Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln „fehlgeleitet“ werde, unterstrich er.

Der Minister schloss: „Wenn wir eines Tages eine neue SUR-Verordnung haben, ist es besser, wenn wir denselben Indikator verwenden.“

Während der Streit zwischen der französischen Regierung und den Verbänden über die Fortsetzung der Ecophyto-Strategie weitergeht, kündigte die Regierung am Montag (12. Februar) vor der Presse an, dass sie an ihrem Zeitplan festhalten werde: Die Entscheidung über den europäischen Indikator werde vor der Internationalen Landwirtschaftsmesse, die am 24. Februar beginnt, bekannt gegeben.

Von der Leyen will umstrittene Pestizidverordnung zurücknehmen

Bis 2030 hätte der Pestizideinsatz laut einer Verordnung der EU-Kommission halbiert werden sollen. Nun will die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die umstrittene Verordnung allerdings zurücknehmen. Ein herber Schlag für die umweltpolitischen Ambitionen der EU.

Lesen Sie den französischen Originalartikel hier.

[Bearbeitet von Angelo Di Mambro/Zoran Radosavljevic/Kjeld Neubert]

Abonnieren Sie unsere Newsletter

Abonnieren
  翻译: