Mode

Vivienne Westwood hat nicht nur britische Mode gemacht – Sie war die britische Mode

Die legendäre Designerin ist im Alter von 81 Jahren friedlich und umgeben von ihrer Familie in Clapham, Südlondon, von uns gegangen.
Vivienne Westwood
Francois Durand

Avantgardistin, Visionärin, Rebellin. Vivienne Westwood hat die britische Mode und sogar die Musikwelt jahrzehntelang beeinflusst. Wir verbeugen uns vor einem der größten Genies unserer Zeit.

Vivienne Westwood hat die Welt der britischen Mode jahrzehntelang buchstäblich geformt. Ohne ihr Genie hätte nicht nur viel Glamour gefehlt, die heute so typische DNA voller Rebellion der Londoner Modehäuser existiert bloß dank ihr. Am Abend des 29. Dezembers 2022 gab das Team der Designerin über Twitter bekannt, dass die Modedesignerin im Alter von 81 Jahren verstorben ist. Westwoods Ehemann und kreativer Seelenverwandter Andreas Kronthaler teilte daraufhin folgende Worte: “Ich werde mit Vivienne in meinem Herzen weitermachen … Wir haben bis zum Ende zusammen gearbeitet, und sie hat mir viele Dinge mit auf den Weg gegeben.”

Über ein halbes Jahrhundert lang war Westwood der Schutzpatron der britischen Mode und beeinflusste diese auf allen Ebenen – sie formte, kreierte sie. Mit ihrer angeborenen Schrägheit, ihrer Unangepasstheit, ihrem Punk-Esprit. Ohne Westwood hätte es keinen Alexander McQueen gegeben, auch keinen Charles Jeffrey. Und die Londoner Fashion Week hätte allemal nicht ihren heute legendären Enfant terrible-Status, den die Industrie weltweit liebt. London ist nur dank ihr die frische, die junge Stadt der Modewelt.

Vivienne Westwood war ein Kind aus der Arbeiterklasse und das mit Stolz

Westwood wurde als Tochter von Gemüsehändlern im ländlichen Derbyshire geboren und zog 1958 mit ihrer Familie nach Harrow, wo sie eine Ausbildung zur Schmuckdesignerin absolvierte. Sie stammte aus der Arbeiterklasse – darauf war sie sehr stolz – und finanzierte sich während ihres Studiums mit Jobs als Fabriktechnikerin und Grundschullehrerin. Erst als Westwood ihren eigenen Verkaufsstand in der Portobello Road im Nordwesten Londons leitete – damals eine Hochburg der Gegenkulturen und der Musikszene –, entwickelte sie ihre eigene Ästhetik. Es handelte sich um Mode und Accessoires, die außerhalb jeglicher Normen und gesellschaftlichen Regeln der Ästhetik ihren Platz hatte: Sie war subversiv und wirkte auf das sozial konservative Großbritannien wie ein außerirdisches Objekt.

Den großen Erfolg und die internationale Bekanntheit erreichte Westwood dann nach der Heirat mit dem Musikmanager Malcolm McLaren, ihre zweite Ehe. McLaren war der Manager der Sex Pistols und diese spuckenden, lauten Paten des Punks waren bereitwillig und gerne Models für die anarchische Kleidung der Designerin. Die Schottenmuster, die Sicherheitsnadeln – all das ist heute essenziell Punk und zu 100 % Westwood zuzuschreiben.

Ihre Boutique wurde zum absoluten Hotspot der Punkszene

Ihre Boutique “SEX” in Chelsea wurde zu einem heiligen Ort für die Punkrock-Bewegung. Die schamlose Bastardisierung des typisch konservativen britischen Stils – Maßschneiderei, Abendgarderobe und Arbeiterkleidung – war ein erfrischender Moment. Und vor allem komplett konträr zu den eher klassischen und auf Eleganz basierten Designs des europäischen Festlands.

Vivienne Westwood in ihrem Atelier

Mirrorpix/Getty Images

Es dauerte nicht lange, bis sie die erste “SEX”-Kollektion entwarf und ihre avantgardistischen Schöpfungen auf den Laufstegen in London und auch Paris präsentierte. Die Reifröcke, die Cut-outs und die Freizügigkeit inspirierten die New Romantics genauso sehr wie die Punks bereits zuvor. So hatten die Clubkids ihre eigene Designerin und es machte denen definitiv nichts aus, wenn die Drinks beim Feiern auf dem Stoff landeten – ein wenig Patina schadet nie. Ihre wohl berühmteste Kollektion erschien im Jahr 1981 und trug den Titel “Pirate”. Eine Parade von durchlöcherten Napoleonhüten, Marie-Antoinette-Ärmeln und Rüschen-Kragen, die zur Uniform von “Adam and the Ants” und “Bow Wow Wow” wurden. Und diese Art von bissigem Camp hat Westwood seither nie aufgegeben.

Westwood wollte vor allem das Beste für den Planeten, sei es politisch oder ökologisch

Selbst in ihren späteren Jahren fühlte sich Westwood stets zu Kontroversen hingezogen – sie haben die Modedesignerin regelrecht angetrieben. Im Jahr 2005 produzierte sie eine Reihe von T-Shirts mit Slogans zur Unterstützung der britischen Bürgerrechtsgruppe Liberty. Auf diesen prangten die Worte “Ich bin kein Terrorist” auf der Vorderseite. Zwei Jahre später gab Westwood bekannt, dass sie angesichts der angeblichen Verbrechen des Irak-Krieges von der Labour-Partei, der historischen Partei der Arbeiter, zu den Konservativen übergetreten war. Später trat sie dann für die Grüne Partei, Jeremy Corbyn und Julian Assange ein. Westwood wollte vor allem das Beste für den Planeten, sei es politisch oder ökologisch: “Ich weiß, wie man die Welt vor dem Klimawandel retten kann”, sagte sie im Jahr 2021 gegenüber GQ, als die Designerin unseren Game Changer Award erhielt. “Ich bin die einzige Person mit einem Plan.” Dieser Fokus auf Nachhaltigkeit passte zu ihr, sie verehrte Mutter Natur. Die Kollektionen waren fortan strikt geschlechtsneutral (so fühlten sie sich ohnehin immer an) und die Stoffe waren recycelt oder biologisch.

Vivienne Westwoods Tod mag sich für die britische Mode wie das Ende einer Ära anfühlen. Aber solange die Londoner Kids weiter fluchen, solange die Bevölkerung der Stadt weiter gegen die Konventionen ankämpft, wird die Designerin an ihrer Spitze und in ihrem wilden, trotzigen Herzen bleiben. Ihr gedankliches Erbe wird fortleben, da sind wir uns sicher. Dafür danken wir Ihnen, Frau Westwood.

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