Beratung darf keine Zielversprechen machen!

Beratung darf keine Zielversprechen machen!

Es hatte seinen guten Grund, warum selbst in der Medizin der eherne Grundsatz galt: „Nicht der Arzt sondern die Natur heilt!“. Daher gilt für Ärzte und Heilberufe eigentlich ein Werbeverbot, auch wenn das lange schon umgangen wird. Berater - egal ob Coaches, Teamentwickler oder Organisationsberater - haben sich der Einsicht, dass niemand seine Klienten verändern kann, gleich erst gar nicht angeschlossen. So werden Lösungen, Verbesserungen aller Art versprochen: Von besserer Kultur und zu besserem Führungsverhalten hin zu besserer Kommunikation, besserem Spirit, besserer Motivation und in Summe hin zum gewünschten Erfolg.

In der Welt der Versprechungen und des Marketing werden solche Aussagen von den Kunden selbstverständlich gern genommen und für wahr und seriös gehalten. Aber ist das theoretisch und praktisch haltbar? Ich meine nein. Im Gegenteil halte ich dies in einer Vielzahl der Fälle eher schädlich. Hierzu nun nur einige der möglichen Argumente.

ARGUMENT 1: Beratung kann nur verantworten, was sie in der Hand hat.

Um den obigen Grundsatz der Medizin aufzugreifen: Kein Berater kann die Bedingungen beim Kunden kontrollieren oder auch nur sinnvoll beeinflussen, die für psychische und organisationale Veränderungen notwendig sind. Niemand kann von außen Systeme steuern! Jeder der Kinder „erziehen“ will, kennt das. Unser Ausbildungsinstitut kann z.B. verantworten, was wir lehren, aber nicht das, was die Teilnehmer lernen. Zwar kann man mit genügend Macht andere (Systeme) unterwerfen, zerstören, durch Belohnungen in die Anpassung zwingen oder durch Angst vertreiben. Aber man kann sie nicht da hin bringen, wo diese nur aus eigener Einsicht und Willen kommen können. Diese Einsicht war im Zuge der Verbreitungen von systemischem Denken schon mal mehr in der Branche akzeptiert. Schaut man sich aber die Versprechungen auf den Webseiten an, findet man unzählige Aussagen, die dazu in Widerspruch sind und Kunden suggerieren, dass man verlässlich Ziele erreichen kann, wenn man nur einen Auftrag erteilt. Die Idee vieler Kunden, dass es die Berater schon richten werden korrespondiert mit der Vorstellung von Beratern, dass man den Kunden verändern könnte. Das mag den eigenen Großartigkeitswünschen dienen, hat aber mit Beratung nichts zu tun. Beratung hat es in der Hand, zu ergründen, welche Situation beim Kunden vorliegt, wie er sie herstellt, warum er an ihr festhält und aufzeigen, welche wahrscheinlichen Folgen dies hat. Erst dann kann ein Berater auch feststellen, ob ein Kunde sich auf Beratung wirklich einlassen will oder kann und ob er selbst der für diese Situation passende Berater ist.

ARGUMENT 2: Wer weiß, was für den Kunden gut ist und was er zu tun hat, ist (schlechter) Lehrer, aber kein Berater.

Warum? Beratung lebt davon, dass die Selbstorganisation und Selbststeuerung des Klienten sich verändert. Wenn nun aufgrund fremden Wissens der Kunde seine eigene Steuerung aufgibt und es so macht, wie es „state of the art“ ist oder wie man „richtig kommuniziert“, dann bricht der Unterschied zwischen Berater und Klient zusammen. Der Klient wird zum ausführenden Organ. Er entdeckt nichts eigenes mehr, sondern macht es so, wie der oder die Berater es wollen. Diese sind dann fallweise zufrieden oder unzufrieden mit dem Kunden. Am Ende lassen sie zwangsläufig den Kunden allein, der nächste wartet ja. Ein solcher Prozess entmündigt den Kunden, raubt die Eigenmotivation, reduziert das Selbstvertrauen und vorallem die Selbstkenntnis. Der Kunde hat im Beratungsprozess nichts für sich entdeckt, wie er seinen Probleme hergestellt hat oder wie er sich selbst im Wege gestanden war. Er hat statt dessen einen Berater, den er toll findet.

ARGUMENT 3: Wer sich ungeprüft den Zielen verschreibt, die der Kunde anstrebt, ist Dienstleister, aber kein Berater.

Wenn Kunden in Schwierigkeiten sind, muss man als Berater davon ausgehen, dass sich diese Schwierigkeiten auch darauf auswirken, worin der Kunde/Klient seine Probleme sieht und worin er die Lösung vermutet. Agiles Arbeiten machen nun alle, also wird es richtig sein und ich brauche einen Berater, diesen Arbeitsstil nun in die Organisation trägt. Der „agile Coach“ verspricht dem Kunden, dass er von der selbstgewählten Zielsetzung viel versteht und wird deshalb beauftragt. Der Kunde erwartet nicht, dass der Berater die ausgesuchte „Medizin“ in Frage stellt oder gar verweigert („Das würde Ihnen vermutlich mehr schaden als nutzen!“). Auch in diesem Fall kommt also keine Beratungsbeziehung auf Augenhöhe zustande, sondern ein Beauftragungsverhältnis, in dem der Kunde (allein) sagt, wo es lang geht. Akzeptiert man als Berater das, ist es natütlich leicht Versprechungen zu machen. Aber man geht das immense Risiko ein, die Selbstdiagnose des Kunden zu übernehmen. Und welcher agile Coach wird dem Kunden sagen, dass Agilität falsch für ihn ist? Oder andersherum - wenn ein Patient zum Arzt geht, damit ihm der das Medikament (oder Suchtmittel) verschreibt, was er toll findet und der Arzt das tut - hat der Patient dann noch einen Arzt?

KONSEQUENZEN

Beratung muss es demnach aushalten, dass weder der Berater noch der Kunde am Anfang wissen können, was der Fall ist und was hilfreich sein könnte. Für den Wert dieser Ungewissheit und der aus ihr folgenden Suchbewegungen glauben Kunden oft keine Zeit zu haben. Das mindert nicht gerade die Herausforderung, ein Beratungsangebot anschlussfähig zu gestalten. Zudem - wer als Berater weiß, dass am Anfang weder der Kunde noch er selbst sicher sein kann, worin das Problem besteht und erst recht, welche Ziele angestrebt werden sollten, hat eine weitere Hürde zu nehmen. ,Man kommt dann meist recht schnell in die Lage, vom Kunden lieb gewonnene ("Das wollten wir nicht in Frage stellen!") und identitätsnahe ("So sind wir!") Ansichten oder Gewohnheiten zu konfrontieren. Da ist kompetente Beratung in der gleichen Schwierigkeit wie ein kompetenter Arzt, der sich auch leichter tun würde, eine zu Pille verschreiben, statt richtigerweise zu sagen "Du musst Dein Leben ändern und Dich mehr bewegen!" Langfristig ist dennoch die Kundenzufriedenheit signifikant meist höher.

So ist die Beraterwahl des Kunden ein nicht zu unterschätzender Faktor. Man hat ja keinen direkten Einfluss auf die Kriterien, nach denen Kunden Beratung auswählen und Berater beauftragen. Die Kunst ist daher, dass man die Anliegen hinter den Kundenkriterien erkennen kann. Dann kann man auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen, ohne ihre problematischen und ungünstigen Ziele oder Zwecke zu bedienen. Zu Marketingzwecken kann Beratung so gesehen schlicht auf Selbstaussagen und Selbstbeschreibungen setzen, was man tut und vor allem nicht tut! Beratung, die dem Kunden Erfolge verspricht, wird gern genommen und verrät sich selbst.

Mehr dazu findet auf unserem Portal.

Die anderen Thesen finden sich hier: These 1 - These 2 - These 3 - These 4 - These 5

Olaf Keser-Wagner, Evokator

Impulse - Führung - Beratung - Moderation durch Evokation

5y

Schöner Ansatz. Beraten ist eben nicht verkaufen. Einige Gedanken dazu lassen sich auch konkret weiterverfolgen. Beispielsweise in der evokatorischen Beratung. Mehr dazu im gleichnamigen Buch.

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Thomas Kohlschmidt

Von der Strategie zur Wertschöpfung - Unternehmensberatung + Interim Management.💡

5y

Der Vergleich mit den Ärzten ist sehr gut, denn dort ist eine zweite Meinung ja oftmals eine bessere Variante. Die Chemie zwischen Arzt und Patient sollte genauso stimmen, wie zwischen Berater und Klient. Man wird i.d.R. schnell feststellen, wer an der Ursache und wer nur an den Symptomen arbeiten will......

Sonja Mannhardt

awarnessCoach for your wellbeing

5y

Danke! Prima Artikel... Leider wissen viele Informationsverteiler, Aufklärer, Heilsversprecher, Consultants, Trainer und Co. nicht, was Beratung ist....und leider darf sich alles und Jeder Berater nennen...

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Thorsten Germersdorf

Explosion Protection Consultant at GERMERSDORF BERATUNG

5y

Klingt auch für meinen technischen, ingenieurwissenschaftlichen Bereich sehr logisch.

Jürg Wilhelm

You can't do it alone - together is better.

5y

Danke vielmals. Das ist für mich ein "gutes Futter" zum Nachdenken. Diese Gedanken nehme ich sehr gerne mit in meinen Tag und in die nächste persönliche Klausur. 

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